4:0 – Milan deklassiert Arsenal im Spiel zweier verschiedener Spielphilosophien
Champions League 17.Februar.2012 Alexander Semeliker 1
Der England-Fluch scheint beim AC Milan gebrochen zu sein. Im Achtelfinal-Hinspiel der UEFA Champions League siegten die Mailänder im heimischen Giuseppe-Meazza-Stadion eindrucksvoll mit 4:0. In einem einseitigen Spiel gelang es den Rot-Schwarzen den Gunners ihr Spiel aufzudrücken und die Chancen effektiv zu verwerten.
In der letzten Saison scheiterte der AC Milan im Achtelfinale an Tottenham, ein Jahr zuvor an Manchester United und 2007/2008 war es gar der Arsenal FC selbst, der die Italiener aus dem Bewerb kickte. Außerdem verloren die Rossoneri jeweils das Heimspiel gegen die englischen Kontrahenten. Zumindest die letzte Serie konnte Milan mit dem Erfolg am Mittwoch brechen, aber auch das erste Viertelfinale seit dem Champions League Triumph 2006/2007 ist zum Greifen nahe. Kevin-Prince Boateng per sehenswertem Lattenpendler, Robinho mit einem Doppelschlag, sowie Zlatan Ibrahimovic per Foulelfmeter stießen das Tor zur Runde der letzten Acht weit auf.
Boateng zurück als Trequartista
Im typischen 4-3-1-2 schickte Massimiliano Allegri seine Truppe aufs Feld. Im Vergleich zum 2:1-Auswärtssieg gegen Udinese stellte der Meistertrainer aber vier Positionen um. Im Tor begann der routinierte Abbiati, Antonini ersetzte Winterneuzugang Mesbah und Ibrahimovic, in der Liga gesperrt, stürmte an fordester Front neben Robinho. Zudem konnte Allegri wieder auf Boateng zurückgreifen. Der Deutsch-Ghanaer besetzte wie gewohnt die Spielmacherposition. Seedorf begann links in der Raute, musste jedoch früh ausgewechselt werden und wurde durch Emanuelson ersetzt.
Im Gegensatz zu seinem Trainerkollegen rotierte Arsene Wenger kaum. Per Mertesacker musste verletzt passen, für ihn rückte Thomas Vermaelen – beim 2:1-Sieg gegen Sunderland noch Linksverteidiger – ins Abwehrzentrum. Dafür kam Kieran Gibbs neu in die Mannschaft, ebenso wie Aaron Ramsey. Überraschender Weise ließ Wenger jedoch Flügelflitzer Oxlade-Chamerblain auf der Bank und zog dem Youngster auf der linken Seite Tomas Rosicky vor.
Die unterschiedlichen Spielphilosophien
An den beiden Formationen erkennt man sofort die zwei unterschiedlichen Spielanlagen der beiden Mannschaften. Milan setzt auf ein sehr kompaktes Zentrum – selbst Boateng als Spielgestalter ist für sein energisches Zweikampfverhalten bekannt – während Arsenal seit jeher das Flügelspiel forciert. Umso unverständlicher ist Wengers Entscheidung Rosicky im linken Mittelfeld aufzubieten. Der Tscheche driftete oft in die Mitte ab um das Zusammenspiel mit Solositze van Persie zu suchen. Doch dieser wurde von den beiden Innenverteidigern sowie dem zurückgezogenen van Bommel gut abgeschottet, womit die Angriffe im letzten Drittel oft verpufften. Milan hingegen konnte der Partie seinen Stempel aufdrücken, hielt das Spiel im Mittelfeld zentral, wo man eine 4-zu-3-Überzahl hatte und mit Passsicherheit und Zweikampfstärke den Gegner dominierte. Sage und schreibe 91% der Zuspiele von van Bommel waren erfolgreich, aber auch die Quoten von Boateng (83%), Nocerino (69%) und Emanuelson (82%) können sich sehen lassen. Die Einwechslung von letzterem sollte sich als absolut richtiger Griff Allegris herausstellen. Der gelernte Außenverteidiger agierte weiter an der Seitenlinie und unterstützte Antonini gegen Arsenals linke Offensivseite, von der noch die meisten Impulse ausgingen.
„Boatinhovic“ – zu dritt gegen Arsenals Defensive
Zwar impliziert das im Zentrum prunkvolle 4-3-1-2, wie man oben ebenfalls sehen kann, dass sich die Offensivaufgaben in der Regel auf lediglich zwei bis drei Spieler verteilt, diesen Nachteil konnte Milan durch viel Bewegung des Offensivtrios aber gut aufwiegen. Song übernahm bei gegnerischen Ballbesitz Boateng, agierte bei eigenem jedoch etwas offensiver, was die Gunners anfällig gegenüber schnellen Ballverlusten machte – so auch beim 1:0.
Einen missglückten Abschlag von Szczesny konnte Nocerino abfangen und zu Boateng weiterleiten. Mit seiner einzigartigen Schusstechnik drosch dieser das Leder in die Maschen – der Dosenöffner zum Schaulaufen. Der Schlüsselspieler in Milans Angriffsspiel war jedoch Zlatan Ibrahimovic. Der Schwede agierte als Wandspieler im Sturmzentrum der Mailänder. Egal ob hoch, flach, direkt am Körper oder in den Lauf, Ibrahimovic verarbeitete so gut wie jeden Ball, wich auf die Seiten aus und versuchte die Abwehrlinie der Londoner mit bewussten Abseitsstellungen – fünf Mal wurde er zurückgepfiffen – nach hinten zu ziehen. Fünf Key Passes, zwei Vorlagen und ein Tor sprechen eine deutliche Sprache und machten ihn verdient zum Man of the Match.
Doch nicht nur mit dem Ball machten „Boatinhovic“, wie das Offensiv-Dreieck von SAT.1-Kommentator Wolff Fuss getauft wurde, ihre Sache hervorragend. Sie pressten energisch und hoch gegen das Aufbauspiel Arsenals, so dass dies häufig in Befreiungsschlägen mündete. Auffällig dabei war, dass sich Robinho in der Rückwärtsbewegung oft neben Boateng zurückfallen ließ und die Formation die Gestalt eines breiten 4-5-1 annahm.
Wengers Wechsel ohne Wirkung
Obwohl man mit einem 2:0 in die Pause ging und die fehlende Breite in Arsenals Spiel gut ersichtlich war, erwehrte sich Wenger in der Halbzeit einer Einwechslung Oxlade-Chamberlains, brachte statt Walcott den abwandernden Herny als zusätzliche Spitze. Die Idee dahinter war klar: Henry sollte die Isolation von van Persie lösen und ihm mehr Platz verschaffen, was in einer Szene auch beinahe mit einem Tor belohnt wurde und Abbiati zu einer Glanzparade zwang. Weitestgehend war vom Sturmduo aber kaum was zu sehen, was jedoch auch an der zunehmend defensiveren Grundordnung Milans nach dem schnellen 3:0 nach der Pause festzumachen ist. Das Flügelspiel war aber mit dieser Umstellung völlig Geschichte. Ramsey, der folglich links spielte, zog es wie Rosicky auf der anderen Seite weiter in die Mitte, wo sie Emanuelson und Nocerino kaum vor große Aufgaben stellten. Erst als nach mehr als einer Stunde die erwartete Einwechslung von Oxlade-Chamberlain erfolgte, kam ein Funken Hoffnung auf, endlich wieder Aktionen auf den Seiten erleben zu dürfen. Allegri hatte allerdings die passende Antwort parat und brachte Ambrosini für Boateng um die Außenverteidiger defensiv weiter zu stützen.
Fazit
Während Milan genau das zeigte, was man erwartete – kompaktes Zentrum, viel Bewegung des Offensivtrios – hatte man bei Arsenal das Gefühl, dass sie ohne echten Plan in das Duell gingen. Die erwarteten Flügelläufe blieben aus, stattdessen versteifte man sich darauf Milan im Zentrum die Stirn zu bieten, was angesichts der Tatsache, dass sowohl System als auch Spielermaterial für die Mailänder sprach, nur schiefgehen konnte. Dabei hätte Milans Spielanlage den Engländer eigentlich entgegenkommen müssen – wenig Breite und Schnelligkeitsdefizite im Mittelfeld.
„Ich denke das Spiele heute Abend war das beste, das mein Team in dieser Saison gezeigt hat“, war AC-Coach Allegi zufrieden, sieht jedoch noch viel Luft nach oben. „Wir haben nichts zugelassen, wir haben viele Chancen selbst kreiert und am Ende haben wir doch einige Fehler gemacht“, spielt der 44-Jährige auf die ausbaufähige Chancenverwertung an.
axl, abseits.at
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