Jeden Sonntag wollen wir in dieser neuen Serie einen Blick in die Vergangenheit werfen: Wir spielen sozusagen einen Zuckerpass in den Rückraum und widmen... Wiederholung in Zeitlupe (34) – Ein Holländer aus dem Ruhrgebiet (KW 45)

Jeden Sonntag wollen wir in dieser neuen Serie einen Blick in die Vergangenheit werfen: Wir spielen sozusagen einen Zuckerpass in den Rückraum und widmen uns kurz und bündig legendären Toren, Spielen, Fußballpersönlichkeiten, Ereignissen auf oder neben dem Platz und vielem mehr. Wir wollen Momente, Begebenheiten, Biografie im Stile von Zeitlupenwiederholungen aus dem TV nochmals Revue passieren lassen. Zum Anlass nehmen wir hierbei Vergangenes, das in der abgelaufenen Kalenderwoche stattgefunden hat: Heute erinnern wir uns an den Sportler und Menschen Willi „Ente“ Lippens anlässlich seines 76. Geburtstages …

Watscheln. Witze. Wehmut.

Dem am 10. November 1945 geborenen Willi Lippens haben wir von abseits.at einst eine Serie gewidmet: „Ente“ war nämlich – entgegen jedem Kicker-Klischee – ein hochorigineller Zeitgenosse und Schmäh jeglicher Art nicht abgeneigt. Berühmt ist er vorwiegend nicht wegen seiner Tore, sondern aufgrund einer legendären Antwort: Im Spiel gegen Westfalia Herne zeigte ihm der Unparteiische einen „Jolly“ und meinte „Ich verwarne Ihnen!“. Lippens replizierte: „Ich danke Sie!“ und sah daraufhin Gelb-Rot.

Der Mann, der wegen seinem watschelnden Laufstil schon zu Beginn seiner Karriere den Spitznamen „Ente“ bekam, war zwar ein Superkicker, konnte aber keinen Titel gewinnen und absolvierte nur ein Länderspiel. Angesichts seines Potenzials muss der aus dem Bezirk Düsseldorf stammende Stürmer als verlorener Weltklassespieler eingeschätzt werden, der wegen unglücklicher Umständen im Weltmeisterschaftsfinale 1974 nicht aufgelaufen ist. Dabei hätte Willi für beide Nationalmannschaften kicken können.

Als Sohn einer Deutschen und eines Niederländers saß Lippens ab seiner Geburt zwischen zwei Stühlen: Sein aus Maastricht stammender Vater vermittelte ihm Antipathie gegen das Heimatland von Willis Mutter: „Wenn wir ein Länderspiel im Fernsehen sahen, hielten wir immer mit der Mannschaft, die gegen Deutschland spielte. Mein Vater schimpfte immer über die Scheißdeutschen und dass sie immer Glück hatten.“ Seine eigene fußballerische Karriere startete Lippens beim VfB Kleve und wechselte mit 18 Jahren zu seinem Stammklub Rot-Weiß-Essen. Ein Jahr später debütierte der technisch-beschlagene Rechtsfuß in der Kampfmannschaft und avancierte rasch zum Fanliebling. Lippens war nicht nur außerhalb des Platzes schlagfertig, sondern auch als Fußballer schlau und unberechenbar: Wenn alle dachte, er würde dribbeln, schoss er. Genauso wie er manchmal einen extra Haken setzte anstatt einfach abzuziehen. Willi Lippens vermittelte Spielfreude und war ein echtes Original: Er setzte sich schon einmal während der 90 Minuten einfach auf die Kugel oder schob den Ball im Liegen mit dem Kopf über die Linie, weil er – wie er danach lapidar erklärte – auch einmal ein Kopfballtor erzielen wollte.

Insgesamt sollte das Ruhrpott-Schlitzohr in elf Jahren fast 200 Tore für RWE erzielen, schon bald zog er das Interesse des deutschen Bundestrainers auf sich. Helmut Schön rief anfangs der 70er-Jahre mehrmals bei den Lippens zuhause an um den rundlichen Flügelstürmer zu Lehrgängen einzuladen, doch Willi lehnte stets ab. Lippens senior hätte sonst mit seinem Sohn gebrochen. Willis Vater war in den 30ern ins Ruhrgebiet ausgewandert, hatte die Nazizeit miterlebt und war durch die Hakenkreuzler regelmäßig schikaniert worden. Er verbot seinem Sohn für Deutschland zu spielen. So kam es, dass der Angreifer nur ein Länderspiel – das für das Heimatland seines Vaters – machte: „Ich bin gerannt, aber die anderen ignorierten mich.“, erinnerte er sich an das Match gegen Luxemburg. Bei der Elftal galt Lippens als Deutscher, Cruyff und Co. hatten – wie Willis Vater – Vorbehalte.

Die Nationalmannschaftskarriere des Flügelstürmers beschränkte sich also gerade auf einen Teameinsatz. Schade! Auf Vereinsebene wechselte Lippnes 1976 zu Borussia Dortmund, wo er zwar noch 70 Spiele machte, aber weit hinter seiner bisherigen Torquote blieb. Der Rekordtorschütze der Essener beehrte anschließend noch Dallas Tornado, ehe er wieder bei RWE landete und schließlich bei Rot-Weiß Oberhausen seine Profikarriere beendete. Bis heute verdient der nunmehr 76-jährige sein Geld als Gastronom. Zu seinem 75. Geburtstag meinte der Ex-Profi : „Ich bin schon so lange raus, deshalb werden die „ollen Kamellen“ immer wieder gebracht und aufgewärmt. Gerade auch zu meinem Geburtstag.“ In diesem Sinne wünschen wir „Ente“ nur das Beste zu Ihnen [sic!] Wiegenfeste.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag