Schlüsselpässe en masse – Ludovic Obraniak, der launische Spielmacher Polens
Gruppe A 13.Juni.2012 Alexander Semeliker 0
Spricht man von den Stärken des polnischen Nationalteams, so fallen einem im ersten Augenblick drei Namen ein: Lewandowski, Blaszczykowski und Piszczek. Die BVB-Achse bildet die Troika in der Offensive und ist auch bisher für alle Tore während der laufenden Endrunde verantwortlich. Allerdings wird ein weiterer Spieler dabei kaum erwähnt, der ebenfalls großen Anteil daran hat, dass der Gastgeber noch im Rennen um ein Viertelfinalticket ist: Ludovic Obraniak.
Der 27-jährige Offensivkünstler spielt für Girondins de Bordeaux in der französischen Ligue 1 und streift seit 2009 den Teamdress der polnischen Auswahl über. Davor lief der gebürtige Franzose allerdings für den Nachwuchs der Équipe Tricolore auf, wurde nach dem Amtsantritt von Teamchef Smuda eingebürgert – so wie seine Teamkollegen Sebastian Boenisch, Eugen Polanski und Damien Perquis. Dieses Vorgehen wird nicht von der ganzen Nation gerne angenommen. „Das ist keine typische polnische Mannschaft mehr, sondern der Mülleimer Europas“, klagte Jan Tomaszewski, aktueller Politiker und ehemaliger WM-Torwart Polens. Obraniak lassen derartige Meldungen kalt. „Es stimmt. Ich bin in einem anderen Land geboren, spreche die Sprache nicht. Aber ich werde auf dem Platz zeigen, dass ich dazugehöre“, so der Angreifer, der sich auf dem Platz in englischer Sprache mitteilt.
Aktivposten gegen Griechenland
Was die ganze Geschichte für Obraniak und seine „Ausländer“-Kollegen leichter macht ist, dass die breite Öffentlichkeit hinter ihnen steht – vor allem nach den annehmbaren Ergebnissen in den ersten beiden Spielen. Zwar hätte man gegen Griechenland durchaus auch drei Punkte holen können, letztlich gibt aber gerade die Leistung in der ersten Halbzeit allen Grund zur Hoffnung. Nach einem aggressiven Pressing eroberte Polen den Ball und Lewandowski erzielte das erste Tor der laufenden Endrunde. Entscheidend war dabei die Balleroberung durch Obraniak, der gedankenschnell in einen Rückpass sprintete und Kuba mit einem Laufpass einsetzte. Doch nicht nur aufgrund dieses abgefangenen Balls war der Zehner einer der besten Spieler auf dem Rasen. Keiner spielte mehr Pässe im Angriffsdrittel (12 von 18 erfolgreich) und keiner bereitete mehr Torchancen vor (5).
Assistgeber und Top-Passer gegen Russland
Gestern konnte Obraniak seine Statistiken sogar noch um ein Stück verbessern. Sage und schreibe acht Schlüsselpässe spielte er – das sind genauso viele wie Nasri und Xavi in ihren Erstrundenspielen. Zudem dominierte er einmal mehr auch Pässe im letzten Spielfelddrittel: 23 gespielt, 16 angekommen. Der Linksfuß war immer in Ballnähe zu finden, wechselte phasenweise sogar von der gegenüberliegenden Seite um die rechte Flanke gemeinsam mit Kuba und dem aufrückenden Polanski zu überladen. Weiters zeigte er seine Vielseitigkeit, indem er wie bereits erwähnt zum einen die rechte Außenbahn beackerte, aber genauso gut von der Zehnerposition aus die Fäden zog – wie schon im Eröffnungsspiel. Auch mit dem ruhenden Ball kann Obraniak umgehen, tritt alle Ecken und Freistöße mit hoher Präzision – zwei seiner sechs Saisontore erzielte er per direkten Freistoß.
Kein leichter Charakter
Umso mehr ärgerte er sich als ihn Teamchef Smuda in der Nachspielzeit vor einem solchen vom Feld nahm. Mit letzter Kraft schleppte er sich nach über elf gelaufenen Kilometern zum Ausführungsort und stapfte anschließend angefressen vom Platz. Nach alibimäßigen Abklatschen mit dem Trainer schimpfte er wild umher und inszenierte mit den Fans die La-Ola-Welle. Auch sein Vereinsleben läuft nicht immer wie im Lehrbuch ab. So bestreikte er ein Training seines damaligen Klubs Lille, weil sich dieser weigerte ihn sofort nach Bordeaux ziehen zu lassen. Außerdem gerät Obraniak auch mit dem einen oder anderen Mitspieler aneinander, sollte etwas nicht so laufen wie er sich das vorstellt. Gegen Griechenland brüllte er beispielsweise Blaszczykowski an, weil dieser ihm den Ball nicht zuspielte, der Kapitän konterte mit einer Standpauke. Dem guten Verhältnis auf dem Platz tat dies allerdings keinen Abbruch, wie man dem Assist zum 1:1 gestern entnehmen konnte.
axl, abseits.at
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Alexander Semeliker
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