Céline Dion und ihr Manager-Mann René Angélil, Prof. Higgins und die Blumenverkäuferin Eliza Doolittle, Ronaldinho und Messi – in der (realen und fiktiven) Welt gibt es zahlreiche bekannte Pygmalion-Paare. Diese Kombination besteht aus formbaren Jungspunden und ehrgeizigen Lehrer:innen, die ihre Fertigkeiten, Tipps und Tricks weitergeben und so massiv prägend für ihre Schützlinge sind. Ein solches Mentor-Schüler-Verhältnis verband auch Otto Rehhagel und Andreas Herzog: Der Europameistertrainer von 2004 beobachtete den Linksfuß schon als Jung-Rapidler und meldete sich – als dieser in einem Leistungstief steckte – sogar einmal telefonisch in der Wohnung von Andis Eltern um das Toptalent wieder aufzurichten.
1992 lotste Rehhagel den Mittelfeldspieler dann nach Bremen, wo der „Alpen-Maradona“ unter seiner Führung groß aufspielen sollte. Nach Meisterschafts- und Pokalsieg ging das Duo anschließend zusammen zu den Bayern, bei denen sie allerdings beide nicht glücklich wurden: Andi floh nach Kahns Gnackwatschen zurück an die Weser, sein Lieblingstrainer unterschrieb beim 1. FC Kaiserslautern. Die erfolgreiche Zusammenarbeit Herzog-Rehhagel war damit ab 1996 Geschichte, es blieb jedoch eine Freundschaft, die bis zum heutigen Tag besteht.
Der ehemalige ÖFB-Rekordspieler spricht noch immer liebevoll von seinem sportlichen Ziehvater, der ihn zu Hochleistungen antrieb: „Er vertraute den Spielern immer blind, holte aus jedem 100 Prozent heraus. Und jeder Spieler gab im Gegenzug für ihn immer alles. Seine Teams waren stets wie eine Familie.“ Tatsächlich wusste der gebürtige Essener den rot-weiß-roten Feintechniker richtig anzufassen: So teilte er Andi schon zu Beginn seines Werder-Engagements mit: „Ihr Österreicher seid so verweichlicht: Da gibt’s ‚Schneckerl‘ und ‚Anderl‘ und so, aber ab heute sind Sie bei mir der ‚Eisenbieger‘!“ Eine echte Ansage an den Kreativspieler. Doch der Mittelfeldkicker beherzigte den Rat, wurde zum Kämpfer und führte die Bremer in seiner ersten Saison zur Meisterschaft.
Nach dem Titelgewinn stand für Herzog und Bremen im November 1993 ein Auswärtsmatch gegen den 1. FC Köln an. Dort ließ es ein gewisser Toni gerade „polstern“. Der Ex-Austria-Stürmer und der vier Jahre jüngere „Herzerl“ kannten sich schon jahrelang und kickten zusammen in der Nationalmannschaft. Vor dem Anpfiff nahm Otto Rehhagel seinen Offensiv-Strategen in den Katakomben des alten Stadions in Köln-Müngersdorf zur Seite und trug ihm auf, auf dem Feld keine Verbrüderungsszene mit dem gefürchteten Torjäger zu veranstalten. „Ihr Wiener mit euren Bussis! Andreas, wenn ich Sie vor dem Spiel erwische, wie Sie Polster überschwänglich begrüßen, spielen Sie nicht!“, drohte „König Otto“ dem Ex-Rapidler vor versammelter Mannschaft. Herzog schluckte und versprach einen Respektabstand zu Polster zu halten. Er wusste jedoch, dass es ein Kunststück werden würde sich den herzlichen Favoritner vom Leibe zu halten.
Als Herzog zum Aufwärmen aufs Feld lief, hielt er deswegen sofort Ausschau nach dem Köln-Angreifer. Von diesem fehlte jedoch zunächst jede Spur. Also begann Andi sich mit Sprints und Dehnübungen aufzuwärmen. Zehn Minuten später brach plötzlich Jubel im Stadion aus: Toni Polster sprang über die Werbebande, winkte den 60.000 Effzeh-Anhängern, die ihn frenetisch beklatschten, zu und begann mit seinen Vorbereitungen aufs Spiel. Bei seinem Nationalteamkollegen schrillten nun die Alarmglocken: Herzog spähte vorsichtig zu Polster, der bereits mit großen Augen das Feld abzusuchen schien, und wusste, dass er jetzt „abtauchen“ müsse um vor Tonis Umarmungen sicher zu sein. Klammheimlich lief der Bremen-Kicker also von der Mittellinie zum weit entfernten Strafraum um dort sein Warm-up-Programm weiter abzuspulen. Doch nach wenigen Minuten geriet Herzog gedankenverloren wieder nahe an die Mittellinie. Ehe er reagieren konnte, umschlangen ihn von hinten zwei Arme: „,Herzerl‘, mei scheana Bua!“, gellte es in Andis Ohren. Er drehte sich um, Polster zog ihn an seine Brust und drückte ihm – wie es Rehhagel prophezeit hatte – mit breitem Grinsen zwei Schmatzer auf die Wange. Herzog wusste nicht, wie ihm geschah. Panisch sah er zum Spielfeldrand und erblickte einen mürrischen Otto Rehhagel, der beim Anblick der Beiden nur den Kopf schüttelte. Andi stammelte einige Begrüßungsworte und wollte sich von Polster loseisen, doch dessen Hände hielten ihn wie im Schraubstock. Der Ex-Violette freute sich einfach wahnsinnig seinen Kumpel zu sehen, war er doch zunächst überrascht gewesen, dass Herzog ihn am anderen Ende des Spielfeldes keines Blickes gewürdigt hatte.
Es sollte nicht der einzige freudvolle Moment des Stürmers an diesem Nachmittag sein, denn bereits nach 45 Minuten stand es 2:0 für die Heimmannschaft. Doppelter Torschütze: Toni Polster. Als die Spieler nach dem Pausenpfiff Richtung Kabine gingen, ließ es sich „Doppelpack-Toni“ nicht nehmen Andi Herzog erneut von hinten zu überfallen: Er jappelte dem frustrierten Werder-Regisseur hinterher, schlug ihm auf die Schulter und meinte ironisch: „Gelt, ‚Herzerl‘, du hast dem Didi Beiersdorfer gesagt, dass ich nur links schießen kann. Das Tor hab‘ ich aber mit dem Rechten gemacht!“ Jener Beiersdorfer war an diesem Nachmittag Tonis Manndecker gewesen. Polster grinste wieder, Herzog blieb stumm. Mit Sorgenfalten auf der Stirn stapfte der Mittelfeldspieler in die Gästekabine während Polster frohen Mutes weiter vor sich hin lachte. Des einen Freund, des anderen Leid.
Marie Samstag, abseits.at
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