Die US-amerikanische Autorin Patricia Highsmith hat Schnecken zu ihren Lebzeiten als ihre Lieblingstiere auserkoren: Nicht nur, dass die Gastropoda in mehreren von Highsmiths Geschichten... Anekdote zum Sonntag (244) – Die Stunde der Weinbergschnecke

Die US-amerikanische Autorin Patricia Highsmith hat Schnecken zu ihren Lebzeiten als ihre Lieblingstiere auserkoren: Nicht nur, dass die Gastropoda in mehreren von Highsmiths Geschichten zum Teil tragende Rollen innehatten („Tiefe Wasser“ oder „Der Schneckenforscher“), die gebürtige Texanerin manifestierte ihren Ruf als Exzentrikerin einmal, indem sie eine Schnecke in ihrer Handtasche zu einer Party mitnahm und den Abend im steten Zwiegespräch mit dieser verbrachte.

Highsmiths Begeisterung für die Kriechtiere ist jedoch die Ausnahme, denn grundsätzlich erfreuen sich Schnecken bei Menschen nicht allzu großer Beliebtheit: Mancher ekelt sich gar vor den schleimigen Hermaphroditen; Gartenbesitzer versuchen sie mit Chemie oder Laufenten zu bekämpfen und auch die Langsamkeit der Tiere wird gerne für einen uncharmanten Vergleich herangezogen.

Letzteres tat vor Jahrzehnten auch ein gewisser Max Merkel: Wortgewaltig fällte der „Lange“ ein vernichtendes Urteil über einen bekannten Rapidler: „Im Vergleich zu Kienast ist eine Weinbergschnecke ein Laufwunder.“, tönte er. Wie unfair – Merkel (und viele andere) verkannte(n), dass „Kienerls“ Qualitäten einfach wo anders lagen: Andi Herzog bezeichnete den Defensiv-Allrounder später als den besten Techniker unter allen Verteidigern mit denen er je zusammengespielt hatte. Kienasts Fähigkeiten am Ball führten allerdings dazu, dass er sich manchmal überschätzte: Wenn der SCR-Kapitän bei riskanten Dribblings in der Gefahrenzone den Ball verlor, pfiffen ihn die eigenen Fans gnadenlos aus. Dabei hielt der 1959 geborene vierzehn Saisonen lang die Knochen für die Hütteldorfer hin und ist mit vier Meistertiteln, ebenso vielen Cupsiegen und der Finalteilnahme im Europacup 1985 der erfolgreichste Rapidler seiner Familie – wie bekannt ist spielten mit Bruder Wolfgang und Neffe Roman weitere Kienasts in grün-weiß. Auch Reinhards Kopfballspiel und seine Ruhe zählten neben seiner überragenden Technik zu seinen Stärken. Kein Wunder also, dass die „Weinbergschnecke“ nach Steffen Hofmann und Peter Schöttel der Spieler mit den meisten Einsätzen für die Hütteldorfer ist. Im Nationalteam sollte Kienasts große Stunde an einem Herbstabend schlagen; bei einem Freundschaftsspiel brachte „Kienerl“ Merkel und all seine Kritiker zum Schweigen:

Am 29. Oktober 1986 lud der ÖFB zur Neu-Eröffnung des renovierten (und nunmehr überdachten) Praterstadions seinen Lieblingsnachbarn zu einem Match ein. Der frischgebackene Vizeweltmeister mit Teamchef Beckenbauer erwartete sich von dem Ausflug nach Wien einen Kantersieg; doch letztendlich sollte Deutschland mit einer 1:4-Klatsche nachhause fahren: Österreich ging zunächst durch einen Elfer von Toni Polster in Führung, diese konnte Rudi Völler allerdings nach nur zwei Minuten egalisieren. Dann ging es aber Schlag auf Schlag: Erneut Elfmeter für Österreich und „Toni-Doppelpack“ machte seinem Namen alle Ehre. Matthäus sah wegen Kritik rot ehe der Auftritt der „Weinbergschnecke“ folgte: Reinhard Kienast erzielte zunächst das 3:1 mit dem Kopf und konnte später unbedrängt mit einer Direktabnahme im Fünfmeterraum den Endstand fixieren.

Während Olaf Thon nach Schlusspfiff von einer „Katastrophe“ sprach, versuchte sich die deutsche Presse auf ein Experiment Beckenbauers und viel Pech auszureden. Tatsächlich muss man im Rückblick herausheben, dass mit Herbert Waas, Thomas Hörster oder Wolfgang Rolff Durchschnittskicker für den DFB am Platz standen. Auch Torwart Eike Immel versprühte in diesem Freundschaftsmatch nicht gerade Sicherheit; Rekordnationalspieler Matthäus sah in Wien gar die einzige rote Karte seiner langen Länderspielkarriere. Toni Polster hatte dagegen Grund zu jubeln: „Diesen Sieg reihe ich angesichts der Rivalität weit oben ein, die Deutschen hatten damals ein Weltklasse-Team.“, meinte die Austria-Legende Jahre später. Besonders in Erinnerung blieb der Abend aber natürlich Reinhard Kienast: Niemand bemängelte sein fehlendes Tempo oder seine unnötigen Übersteiger, an diesem Abend war der Rapidler der klassische Matchwinner. Zwei Tore gegen Deutschland schießt man nicht alle Tage. Kienasts Glücksträhne sollte auch nicht abreißen: Wenige Wochen später wurde der Verteidiger zum Fußballer des Jahres gewählt und sollte im Frühjahr 1987 mit Rapid die Meisterschaft holen. Weinbergschnecken – nicht nur in Frankreich echte Delikatessen.

Marie Samstag

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