Taktikanalyse: Austria Wien besiegt dank Anpassungen mutige Tiroler
Bundesliga 29.Oktober.2024 Dalibor Babic
Der Austria gelang mit dem 3:0 gegen die WSG Tirol bereits der dritte Bundesligasieg in Serie. Die Veilchen holten sich damit den dritten Tabellenrang. Dalibor Babic analysiert den Sieg der Veilchen und sieht sich die taktischen Besonderheiten im Detail an.
WSG Tirol überrascht die Violetten
Nach zwei Siegen in Serie hatte die Wiener Austria relativ wenig Grund, großartige Veränderungen vorzunehmen und so blieb es trotz des Ausfalls von Lucas Galvao bei der zuletzt praktizierten Dreier-/Fünferkette. Tin Plavotic rückte stattdessen auf die Position des Brasilianers. Etwas überraschend war eine weitere Änderung, denn Austria-Trainer Helm wollte scheinbar nicht auf den Goldtorschützen aus Klagenfurt, Andreas Gruber, verzichten und so rückte dieser in den Angriff, während Fitz ins zentrale Mittelfeld neben Fischer beordert wurde und somit kein „klassischer“ Sechser aufgeboten wurde.
Die Devise lautete scheinbar: Volle Offensive. Man wollte offensichtlich die Viererkette der Tiroler überladen und mit drei echten Stürmer attackieren. Das Problem? Die WSG antizipierte das und hatte etwas dagegen.
Die Tiroler analysierten das Spiel der Austria in Klagenfurt sehr genau und versuchten es mit dem gleichen Rezept, mit dem die Kärntner den Violetten im zweiten Durchgang Probleme bereiteten. Also rückten die Mannen von Trainer Philipp Semlic vom üblichen 4-3-3 ab und formierten sich stattdessen zu einer Dreier-/Fünferkette und oftmals einem 5-2-3/3-4-3.
Dabei blieb es allerdings nicht, denn obwohl man als klarer Underdog an den Verteilerkreis reiste, hatte man nicht vor sich zu verstecken – im Gegenteil. Von Anfang an wollte man demonstrieren, dass man gedenkt, mutig und couragiert aufzutreten. Daher verschwendete man auch gar keine Zeit und begann die Austrianer mittels Angriffspressing hoch zu attackieren.
Hierfür formierte man sich zu einem 3-4-3 und setzte auf ein klares mannorientiertes Pressing, indem man den Gegner spiegelte. Damit wollte man den Spielaufbau der Austria so früh wie möglich stören und lange Bälle erzwingen, um die Favoritner nicht in ihren Rhythmus kommen zu lassen. Das Pressingspiel der WSG kann man beim nächsten Bild gut erkennen:
Die Austria im Spielaufbau, sofort wird der ballführende Innenverteidiger Plavotic im Bogen angelaufen und nach außen gedrängt, während die Mitspieler die unmittelbaren Passoptionen via Manndeckung zustellen.
Wie kamen die Austrianer mit diesem Ansatz klar? Kurz gesagt: Überhaupt nicht. Es schien so, als wäre man überrascht davon gewesen, von den Tirolern so hoch angelaufen zu werden. Man kam mit dem Druck gar nicht klar und die Aufbausequenzen wiederholten sich wie in einer Dauerschleife. Die WSG drängt Dragovic dazu auf Plavotic zu spielen, dieser hat keine unmittelbaren Anspielstationen und ihm bleibt nichts anderes übrig, als hohe Bälle nach vorne zu schlagen. Dadurch bekamen die Violetten überhaupt keine Ruhe und keinen Rhythmus in ihr Ballbesitzspiel und man verfiel in eine konstante Hektik, in die man von den Tirolern getrieben wurde.
Das war allerdings auch hausgemacht, da man absolut keine Mittel hatte, um das Pressing zu kontern. Das lag auch daran, dass man das Zentrum im Aufbauspiel und auch generell komplett vermied. Kapitän Fischer war meist weit und breit der einzige Akteur, der die zentralen Räume besetzte, was im modernen Fußball eigentlich ein absolutes „No-Go“ darstellt, gilt es doch diese Zone zu kontrollieren und zu dominieren. In Wirklichkeit liefen die Austrianer in einem „5-1-0-4“ auf und hatten Konstant ein riesiges Loch im Zentrum. Dadurch war man strategisch von Haus aus gar nicht in der Lage, über diese Zone das Spiel aufzubauen und wollte von selbst stets auf den Flügel. Nur war das der WSG natürlich bewusst und die Gäste versuchten konstant die Flügel zuzustellen. Das riesige Loch im Zentrum kann man anhand des nächsten Bildes gut erkennen:
Die Austria im Spielaufbau, im Umkreis von 25 Metern findet sich nur ein einziger (!) Spieler im Zentrum, nämlich Kapitän Fischer. Selbst wenn der „Sechser“ an den Ball kommt, ist er so isoliert, dass de facto kein Vorwärtspass möglich ist.
Vereinfacht gesagt war die Austria im Ballbesitz „zweigeteilt“ und es herrschte ein großes Loch zwischen den Mannschaftsteilen. Das Positionsspiel war hier schlicht nicht vorhanden und es war auch nicht möglich, den Ball flach in den eigenen Reihen zu halten. Man war quasi dazu verdammt, viele hohe Bälle spielen.
Austria läuft auch gegen den Ball hinterher
Daher war man auch darauf angewiesen, die ersten und zweiten Bälle konstant zu gewinnen. Doch wenn die Mannschaftsteile so weit auseinander sind und ein großes Loch im Zentrum vorherrscht, ist das quasi nicht zu bewerkstelligen. Daher verloren die Violetten auch konstant die Bälle und waren gefordert, gegen den Ball zu arbeiten und das Spielgerät wiederzuerobern. Doch auch hier sollten es rasch zu einigen Problemstellen kommen.
Die Austrianer formierten sich gegen den Ball in einem 5-1-2-2-System und man bildete an vorderster Front zwei „Zweierreihen“, die einen Block formten. Die erste Pressinglinie bildeten Prelec und Malone, während sich dahinter Fitz und Gruber auf einer Linie aufhielten. Damit wollte man die Viererkette des Gegners, mit den beiden Innenverteidigern und den beiden „Sechsern“ der WSG, Müller und Taferner, abdecken und einen „Käfig“ bilden. Das Problem? Die WSG lief wie erwähnt nicht in einem 4-3-3 auf, sondern in einem 3-4-3 – ergo mit einer Dreierkette und einem zusätzlichen Innenverteidiger.
Somit war auch das ein weiterer Indikator, durch den die Gastgeber von dem Systemwechsel des Gegners überrascht wurden, denn nun hatte man ganz vorne eine 4-gegen-5-Unterzahlsituation. Das muss allerdings nicht zwangsläufig etwas Schlechtes sein, denn im besten Fall gelingt es, durch geschicktes Anlaufen dennoch lange Bälle beim Gegner zu erzwingen, wodurch man dann in der Abwehr eine Überzahl hat und diese hohen Bälle leichter verteidigen kann.
WSG mit überzeugendem Aufbauspiel
Doch das war in diesem Spiel aus Sicht der Austria nicht der Fall. Die WSG zog nämlich ein sauberes Aufbauspiel auf, überzeugte mit einem gut strukturierten Positionsspiel und klaren Abläufen in der Spieleröffnung. Aus der Dreierkette heraus, suchte man immer wieder die beiden eigenen „Sechser“ Müller und Taferner, die anschließend den Ball nach vorne tragen sollten und für das Übergangsspiel verantwortlich waren.
Das gelang auch konstant, da Malone und Prelec gegen die drei Innenverteidiger in Unterzahl waren und somit ein Gegenspieler ständig frei war. Daher versuchten entweder Fitz oder Gruber im Pressing herauszurücken, was jedoch dazu führte, dass einer der beiden „Sechser“ wiederum konstant frei und anspielbar war. Man fand sich in einer strategischen Zwickmühle wider. Dadurch gelang es der WSG, ein ums andere Mal die erste Pressinglinie der Violetten auszuhebeln und das Spiel in die nächsthöhere Zone zu verlagern.
Nach der Anfangsphase erkannte auch der Austria-Trainer diese Problematik und stellte folglich das Anlaufverhalten leicht vom anfänglichen 5-1-2-2, hin zu einem 5-1-3-1 um. Nun gab Prelec die Solospitze und kümmerte sich um den zentralen Innenverteidiger, während Malone zurückwich und dahinter sich die drei anderen Offensivspieler im Sechserraum positionieren sollten. Das kann man beim nächsten Bild gut erkennen:
Die WSG im Spielaufbau, die Austria formiert sich zu einem 5-1-3-1 mit dem Fokus, den Sechserraum zuzustellen. Wenn ein Halbverteidiger an den Ball kommt, sollen die beiden Halbraumspieler Fitz und Gruber auf die jeweiligen Halbverteidiger herausrücken (gelber Pfeil).
Doch auch dieser Versuch, die Zugriffsprobleme gegen den Ball zu lösen, klappte nicht so richtig. Einerseits merkte man, dass dieses Anlaufverhalten improvisiert war und hier das Timing zumeist nicht stimmte und das Verschieben nicht synchron war, weshalb man andererseits die 5-gegen-4-Überzahlsituation des Gegners nicht egalisieren konnte. Dadurch fanden die Tiroler immer wieder den freien Mann und hebelten die Pressinglinie aus, wie man anhand der nächsten Bildsequenz erkennen kann:
Die Austria versucht aus dem 5-1-3-1 Druck nach vorne auszuüben und die WSG hoch zu pressen, doch findet man eine konstante 5-gegen-4-Unterzahlsituation vor, wenn man den Torhüter mitberechnet sogar 6 gegen 4 und somit ist ein Sechser konstant frei…
…und wird von der WSG auch immer wieder gefunden. Hier erkennt der ballnahe Sechser der Tiroler den freien Raum und setzt sich im Rücken des Verteidigers ab, wodurch die Gäste die erste Pressinglinie recht einfach überspielen und den Angriff nach vorne verlagern können.
Obwohl auch diese Variante nicht wirklich funktionierte, kam von der Trainerbank der Austria – abgesehen von dieser Maßnahme – kein weiterer Ansatz, diese Problematik zu lösen und wurden die Spieler mehr oder weniger die restliche Halbzeit ihrem Schicksal überlassen. Es war etwas unverständlich, wieso man die Formation des Gegners nicht „spiegelte“ und so für klare Abläufe sorgte.
Das führte dazu, dass die WSG Tirol als Tabellenzehnter in Wien einen absolut dominanten Auftritt hinlegte und auf 65 (!) Prozent Ballbesitz kam. Das war das Resultat davon, dass die Austria es nicht schaffte, im Aufbauspiel flache Lösungen zu finden und nur lange Bälle spielte, die man anschließend auch nicht sichern konnte. Aber auch bei gegnerischem Ballbesitz vermochte man es nicht, den Gegner unter Druck zu setzen und Ballgewinne zu verzeichnen.
Daher war man öfter als geplant damit beschäftigt, tief in der eigenen Hälfte zu verteidigen. So verwundert es auch nicht, dass die violetten Gastgeber erst nach 40 (!) Minuten den ersten halbwegs gefährlichen Angriff initiierten und im ersten Durchgang weitestgehend harmlos waren. Hier muss man auch der WSG Tirol und Trainer Philipp Semlic ein Kompliment aussprechen, die mit ihrer mutigen Spielweise und einem guten Matchplan der Austria das Leben schwer machten und die klar spielbestimmende Mannschaft war.
Der einzige Grund, dass die Gäste nicht noch mehr Kapital daraus schlagen konnten, war das Spiel im letzten Drittel. Hier fehlte es schlicht an der individuellen Qualität, um die starke Austria-Innenverteidigung zu knacken und sich durchzusetzen, weshalb die violetten Abwehrspieler viele Situationen gerade noch bereinigt bekamen. So ging trotz klaren Feldvorteilen für den Außenseiter mit einem 0:0 in die Halbzeitpause.
Austrianer adressieren ihre Probleme und finden ins Spiel
Nach dem vollkommen verkorksten ersten Durchgang und eine der schlechtesten, wenn nicht sogar der schlechtesten Halbzeit der Saison, war im Lager der Violetten klar, dass eine Reaktion notwendig war und es so nicht weitergehen konnte. Also kam man auch mit einigen Veränderungen aus der Kabine und versuchte, die zahlreichen Problemstellen zu adressieren. Als erstes versuchte man den eigenen Spielaufbau wiederzubeleben und besser mit dem Pressing des Gegners umzugehen.
Hierfür fächerte die eigene aufbauende Dreierkette sehr weit auf und Innenverteidiger Wiesinger rückte weit in die Breite und gab de facto einen Rechtsverteidiger. Torhüter Sahin-Radlinger sollte stattdessen mehr in die Spieleröffnung eingebunden werden, um einerseits eine Überzahl gegen die erste Pressinglinie der Tiroler zu generieren und andererseits diese Pressingline in die Breite zu ziehen. Diese Verhaltensweise kann man bei der nächsten Bildsequenz gut erkennen:
Die Austria im Spielaufbau, die Austria zieht ihre Dreierkette extrem in die Breite und bindet ihren Torhüter ins Spiel ein, um eine Überzahl gegen die Gegenspieler herzustellen und die erste Pressinglinie des Gegners zu destabilisieren.
Durch die breite Positionierung von Dragovic und Wiesinger müssen ihre Gegenspieler bedingt durch die Manndeckung mit nach außen schieben. Dadurch öffnet sich jedoch der Passweg zu Torhüter Sahin-Radlinger, was Wiesinger erkennt und sofort ausnutzt. In weiterer Folge können die Violetten über ihren Torhüter die Seite wechseln und Plavotic anspielen, der nun viel Freiraum vorfindet, da die Pressinglinie des Gegners überspielt wurde.
Zwar änderte das nichts am Loch im Zentrum und man vermied diese Zone wie der Teufel das Weihwasser, wodurch es weiterhin eher ein „5-1-0-4“ war, jedoch sorgte man zumindest dafür, dass man über die Flügel nach vorne kam und hier einen Lösungsansatz bereitstellte. Eine weitere Anpassung war nämlich, dass man Spielmacher Fitz von der linken auf die rechte Seite zog und ihn, aufbauend auf diese Anpassung, als Verbindungsspieler bereitstellte, damit er aus dem Spielaufbau heraus den Ball nach vorne befördern konnte.
Doch eigentlich war es viel mehr ein 3-1-0-5, denn die eigenen Flügelverteidiger schoben nun weiter nach vorne und sollten die Abwehrreihe der WSG nach hinten drücken. Eine weitere Maßnahme war es nämlich, dass man nun die Präsenz an vorderster Front massiv erhöhte. Damit wollte man sicherstellen, dass für den Fall, dass man aus dem Spielaufbau heraus doch lange Bälle spielen musste, auch die nötige Präsenz hatte, um diese zu erobern und nicht dem Gegner zu überlassen. Das kann man beim nächsten Bild auch gut erkennen:
Die Austria schlägt von hinten einen langen Ball nach vorne und durch die erhöhte Präsenz erhöht man die Wahrscheinlichkeit, den ersten oder zweiten Ball zu sichern und in den eigenen Reihen zu behalten.
Durch diese Maßnahmen wurde das Ballbesitzspiel etwas besser und man fand in einen gewissen Rhythmus. Vor allem aber verlor man nicht postwendend praktisch jeden Ball und konnte diesen länger in den eigenen Reihen halten. Auch gegen den Ball wurde das Verhalten angepasst und die restlichen Mannschaftsteile rückten besser nach und unterstützten die erste Pressinglinie, weshalb man nun wesentlich kompakter stand und auch besser in die Zweikämpfe kam.
Das machte es der WSG auch wesentlich schwerer, sich spielerisch zu lösen und man verwickelte die Gäste öfter in Zweikämpfe. Vereinfacht gesagt versuchte man über die erhöhte Intensität dem Gegner mehr entgegenzusetzen.
Das klappte zum Teil auch und sorgte dafür, dass das Spiel offener wurde. Die Ballbesitzzeiten glichen sich an und die Austrianer konnten im Vergleich zum ersten Durchgang das Spiel öfter in die gegnerische Hälfte verlagern. Dadurch erarbeitete man sich auch unter anderem auch vermehrt Standardsituationen, die letztlich den Unterschied in diesem Spiel ausmachen sollten. Zunächst sorgte Angreifer Nik Prelec nach einem Eckball für den Dosenöffner und erzielte das wichtige 1:0, womit man sich für das verbesserte Auftreten prompt belohnte. Wenig später legte Plavotic nach einer weiteren Standardsituation nach und sorgte für den Doppelschlag, womit die Violetten plötzlich mit 2:0 in Front lagen. Hier zeigte sich mal wieder die Wichtigkeit des ruhenden Balles und, dass er gerade in solch engen Spielen den Unterschied ausmachen kann.
Das sollte auch in dieser Begegnung der Fall sein und nun war es für die WSG Tirol natürlich enorm schwer, nochmal zurückzukommen. Man hatte doch schon im ersten Durchgang im letzten Drittel Probleme und verfügt nicht gerade über eine gut bestückte Bank, um hier nochmal für Akzente von außen sorgen zu können.
So legte die Austria auf der anderen Seite mit einer Einzelaktion nach und Offensivspieler Maurice Malone traf mit einem schönen Distanzschuss zum 3:0-Endstand, der die drei Punkte für die „Veilchen“ fixierte. Damit mussten die Tiroler trotz ihres guten und mutigen Auftrittes letztlich mit leeren Händen die lange Heimreise antreten, auch wenn man dies angesichts der starken und vor allem cleveren ersten Halbzeit mit erhobenem Haupt tun konnte.
Dalibor Babic, abseits.at
Dalibor Babic
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