Die Nachspielzeit nach dramatischen 90 Minuten im Finalspiel läuft. Plötzlich fällt ein Angreifer im gegnerischen Strafraum. Ein Aufschrei hallt durch das Stadion und alle... Das Phänomen Elfmeter: Wieso der Schuss vom Punkt kein sicheres Tor ist

Mannschaft, Elfmeter, Real Madrid, Einheit, Kollektiv

Die Nachspielzeit nach dramatischen 90 Minuten im Finalspiel läuft. Plötzlich fällt ein Angreifer im gegnerischen Strafraum. Ein Aufschrei hallt durch das Stadion und alle Augen sind auf den Schiedsrichter gerichtet. Dieser hält fünf Minuten Rücksprache mit dem Video Assistent Referee (VAR) und zeigt dann auf den Punkt. Die große Möglichkeit auf den entscheidenden Siegtreffer. Doch der Elfmeter gehört zu den dramatischsten Momenten im Fußball. Ein Schütze und ein Torhüter stehen sich gegenüber – und die Psychospielchen beginnen.

Der Torwart hüpft auf der Linie umher, während der Schütze versucht, seine Nerven im Zaum zu halten. Die Anspannung ist hoch, sowohl auf dem Platz als auch auf den Rängen. Das muss doch ein sicheres Tor sein – oder doch nicht? In den letzten Jahren gibt es nur sehr wenige zuverlässige Schützen, bei denen man tatsächlich davon ausgehen kann, dass sie den Elfmeter im Tor versenken. Doch was sind die Gründe für die häufigen Fehlschüsse?

In der Theorie eine klare Chance – und in der Praxis?

Grundsätzlich wird ein Elfmeter als eine der sichersten Möglichkeiten angesehen, ein Tor zu erzielen. Schließlich hat der Schütze einen klaren Vorteil: Der Ball wird in einem ruhigen Moment auf den Elfmeterpunkt gelegt, der Torwart ist in einer festen Position und hat keine Möglichkeit zur aktiven Verteidigung, solange der Schütze den Ball nicht antritt. Schaut man sich die Statistik aus der deutschen Bundesliga an, werden zwei Drittel der Elfmeter verwandelt (26 Tore aus 39 Versuchen). Doch für ein sicher geglaubtes Tor ist das doch zu wenig? Besonders der VfB Stuttgart und der SC Freiburg lassen in dieser Spielzeit einige Chancen vom Elfmeterpunkt liegen. So verwandelten beide Teams jeweils nur einen von fünf Strafstößen – eine magere Quote von 20 Prozent!

Ein Grund für die vermehrten Fehlschüsse könnte die gestiegene Professionalität im Fußball sein. Die Torhüter werden im Vorfeld der Spiele, insbesondere bei Pokalspielen mit der Möglichkeit des Elfmeterschießens, auf dieses Szenario trainiert. Mit wissenschaftlichen Methoden und Videoanalysen von Schießgewohnheiten der gegnerischen Spieler sowie statistischen Auswertungen werden die Torhüter perfekt vorbereitet.

Doch nicht nur das Schussverhalten oder die Schussrichtung wird dabei unter die Lupe genommen. Denn die professionelle Vorbereitung beginnt bereits in der Auswertung psychologischer Muster. Wie bewegt sich der Spieler? Wie ist seine Reaktion? Besonders aufmerksam wird der Blick des Schützen verfolgt, wobei dieser nicht immer aussagekräftig ist. Die Schützen versuchen zu tricksen, indem sie bewusst auffällig in eine Ecke schauen, um den Torwart in die Irre zu führen. Hier greift das Videostudium der vorherigen Elfmeter des Schützen, durch das die Keeper diesen Täuschungsversuch durchschauen können.

Ein weiterer großer Faktor allerdings liegt im mentalen Bereich. Torhüter können relativ entspannt auf die Linie zurückgehen, denn der mentale Druck liegt beim Schützen.

Elfmeterschießen und der unsichtbare Gegner

Auch wenn der Torwart bei einem Elfmeter zunächst scheinbar machtlos wirkt, ist der psychologische Druck auf den Schützen oft nicht zu unterschätzen. Ähnlich wie es die Schützen versuchen, beginnen beim Torwart die „Psychospielchen“ schon vor dem eigentlichen Anlaufen. Noch einmal nachzuschauen, ob der Ball auch richtig auf dem Punkt liegt oder provokant langsam ins Tor zu gehen, steigert mit jeder verstrichenen Sekunde den Druck auf den Schützen.

So steigt auch die nervliche Belastung, wenn der Elfmeter aufgrund des Videobeweises erst nach einer gefühlten Ewigkeit ausgeführt werden kann. „Das ist ein Moment, in dem man die Möglichkeit hat, sich Gedanken zu machen. Irgendwie muss der Kopf in dem Moment beschäftigt werden, was grundsätzlich eine Fläche für zweifelnde Gedanken, für die Angst des Misslingens bietet„, äußerte sich die Sportpsychologin Katharina Zollinger gegenüber dem SWR.

Zudem ist für die Psychologin ein wichtiger Punkt, dass der Schütze alleine vor dem Tor steht. „Fußball ist eigentlich ein Teamsport. Bei einem Elfmeter gibt es allerdings ein individuelles Eins-gegen-Eins. In dem Augenblick entsteht eine erhöhte Drucksituation“, erklärte Zollinger. So ist das direkte Gegenüberstehen aus sportpsychologischer Sicht ein ganz entscheidender Punkt.

Der Elfmeter ist also nicht nur eine technische Herausforderung, sondern besonders eine psychologische. Der Schütze steht unter immensem Druck, während der Torwart nur der gefeierte Held sein kann. Ein Tor würde aus Sicht des Schützen sein Team in eine gute Position bringen. Ein Fehlschuss hingegen könnte die gesamte Mannschaft mental brechen und den Gegner psychisch stärken. Hierzu kommt erschwerend die Situation und die Fangemeinde hinzu. Ist das Spiel ein titelentscheidendes oder ein K.O.-Spiel? Wie ist der Spielstand und wie viel Zeit ist noch auf der Uhr? Schießt der Schütze auf die eigenen Fans oder die gegnerischen?

Spannung zur Freude der Fans und zum Leidwesen der Schützen

Wie ein Elfmeter ausgeht, lässt sich also nicht vorhersagen. Auch gibt es keine Formel für den Erfolg oder Misserfolg. Das steigert die positive Spannung der Fußballfans und den negativen Druck auf den Schützen. Einen Rat hat die Expertin dennoch. So sollen die Schützen wie auch die Torhüter mental auf den Moment vorbereitet werden. Die Schützen müssten lernen, mit dem Druck umzugehen und den Stress zu akzeptieren. Ein bestimmtes Ritual vor der Ausführung, wie zwei tiefe Atemzüge, gibt zusätzliches Selbstvertrauen. Weiters sollten die Schützen sämtliche Umstände wie Spielstand, Spielzeit, Wetter oder Fans auszublenden versuchen und sich auf das Wesentliche fokussieren.

Andreas Nachbar, abseits.at

Andreas Nachbar

cialis kaufen