Der First Vienna FC befindet sich im Kampf um einen „Podestplatz“ in der Zweiten Liga. Um den Aufstieg spielt sie aber definitiv nicht mit,... Zweite Liga: Warum die Vienna heuer (nicht) wieder Dritter wird

Der First Vienna FC befindet sich im Kampf um einen „Podestplatz“ in der Zweiten Liga. Um den Aufstieg spielt sie aber definitiv nicht mit, der Zweitplatzierte Ried und Tabellenführer Admira liegen außer Reichweite. Zudem hat man alle drei bisherigen Duelle gegen die beiden ziemlich verdient verloren. Den dritten Platz des Vorjahrs könnte man aber wiederholen – auch wenn die Vorzeichen diesmal andere sind.

Als der aktuelle Trainer der Vienna Mehmet Sütcü sein Amt im März 2024 antrat, lag der Klub auf dem neunten Platz, hatte von den letzten fünf Spielen nur eines gewonnen. Spielerisch war schon längere Zeit ein Abwärtstrend unter Sütcüs Vorgänger Alexander Zellhofer erkennbar. Doch die Ergebnisse sprachen für Zellhofer.

Blick zurück

Alexander Zellhofer hatte das Team von Sommer 2020 an fast vier Jahre lang betreut. Im Alter von nur 26 Jahren war er Cheftrainer der Vienna geworden, die damals in der viertklassigen Stadtliga spielte. Der Qualität des Kaders entsprach das nicht: Der Oberste Gerichtshof hatte 2017 entschieden, dass die Vienna im laufenden Spielbetrieb wegen Insolvenz von der Regionalliga in die Zweite Stadtliga relegiert werden musste. Zellhofer gelang – Corona und fragwürdige Entscheidungen der Verbände außer Acht gelassen – in Minimalzeit der Durchmarsch in die Zweite Liga. Das war nicht verwunderlich, da der Kader halbwegs gehalten worden war. Es war aber auch nicht selbstverständlich.

Zellhofer pflegte bis kurz vor dem Aufstieg von der Regional- in die Zweite Liga einen durchaus offensiven Spielstil, den der Kader auf diesem Niveau auch hergab. Mit dem feststehenden Meistertitel in der dritthöchsten Spielklasse richtete Zellhofer die Taktik neu aus: Statt selbst Akzente zu setzen, sollte die Vienna auf den Gegner reagieren. Mit Blick auf die stärkeren Gegner in der nächsten Saison eine nachvollziehbare Entscheidung – die sich eine Zeit lang auch lohnen sollte. Gleich bei der Rückkehr in die Zweite Liga schlug die Vienna den späteren Meister Blau-Weiß Linz 2:0. Das Konzept, die Stärken zu opfern, um dem Gegner dessen eigene zu nehmen, schien aufzugehen.

Die Kehrseite der Medaille war, dass die Mannschaft just gegen Teams, die in der Tabelle hinter der Vienna lagen, Probleme hatte. Niederlagen gegen Nachzügler wechselten sich mit Siegen gegen Teams aus dem oberen Bereich der Tabelle ab. In der zweiten Saison in Liga zwei kam ein weiterer Trend hinzu: Die Vienna verspielte mehrmals gegen Ende einen Zwei-Tore-Vorsprung. Dies könnte auf konditionelle Schwächen hindeuten. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass Zellhofer auf taktische Veränderungen des Gegners schlicht nicht reagierte.

Das Ende der Ära Zellhofer kam im März 2024, als sich die Vienna im Mittelfeld der Liga befand. Die Ergebnisse seiner letzten vier Spiele waren symptomatisch: 1:1 gegen den 14. Sturm II, 2:2 gegen Tabellenführer GAK (nachdem man 2:0 geführt hatte), 1:2 gegen den Elften Horn, 1:0 gegen den Zweiten Leoben. Als Mehmet Sütcü übernahm, lag die Vienna in einem sehr engen Mittelfeld auf Platz neun und hätte sowohl Zweiter werden als auch in den Niederungen der Liga landen können.

Spektakulärer Spielstil bringt Erfolg

Es wurde der dritte Platz. In zehn Spielen holte die wiederbelebt wirkende Mannschaft sieben Siege. Die Ideen Sütcüs entpuppten sich in den verbleibenden Spielen der Saison als die Antithese zu jenen seines Vorgängers, sodass man sich fragen musste, ob Zellhofer das Potenzial seines Kaders schlicht nicht erkannt hatte. Denn statt den Gegner zu neutralisieren, ließ der ehemalige Vienna-Kicker die Stärken der eigenen Spieler zur Geltung kommen. Vielleicht am deutlichsten lässt sich dies anhand von Kelvin Boatengs Trefferquote ablesen: Der ghanaische Stürmer hatte in 16 Spielen unter Zellhofer genau zwei Tore erzielt. Unter Sütcü traf der technisch versierte Offensivspieler in zehn Begegnungen viermal so oft wie unter dem nunmehrigen Ex-Coach. Vier der acht Tore erzielte er beim spektakulären 7:3 gegen St. Pölten, als er seine Schnelligkeit gegen die hochstehende St. Pöltner Abwehr gnadenlos ausnutzte. Doch nicht nur Boateng wirkte spielfreudiger, die ganze Mannschaft strahlte dies aus.

Zu Beginn der aktuellen Saison schien die Mannschaft allerdings in alte Muster zu verfallen. Aus den ersten vier Saisonspielen holte man nur vier Punkte, im Cup schied sie gegen Ligakonkurrent Stripfing mit 0:3 aus. Doch dann setzte die Mannschaft zu einem Lauf an – in den nächsten zehn Spielen gab es acht Siege, wodurch sie sich im erweiterten Spitzenfeld wiederfand. Dennoch haftet der Spielweise bisweilen eine zähe Passivität an, wie sie unter Zellhofer zu beobachten war.

Was die Zahlen sagen

Und was sagen die Zahlen dazu? Nun, nicht viel. Handfeste Statistiken sind schwer zu finden. Für die aktuelle Saison weist Footy Stats einen Expected Goals-Wert (xG) pro Spiel von 1,34 aus. Damit liegt die Vienna auf Rang zehn in der Liga. Der Expected Goals Against-Wert (xGA) liegt bei 1,43. Tatsächlich erzielt hat die Vienna im Schnitt 1,95 Tore, also mehr, als zu erwarten war, und mit 0,61 das deutlichste Plus in der Liga gegenüber xG. Doch die Vienna hat mit 1,55 Gegentoren pro Spiel auch mehr Tore bekommen, als entsprechend xGA anzunehmen war.

Die Werte der vergangen Saison sind dezent besser als jene der aktuellen. Footy Stats liefert allerdings keine getrennten Statistiken für die Amtszeiten von Zellhofer und Sütcü, sodass sich nur schwerlich Vergleiche ziehen lassen. Die Vienna hatte damals einen xG-Wert von 1,42, erzielte aber durchschnittlich 1,73 Tore. Der xGA-Wert betrug 1,36, tatsächlich kassierte sie 1,30.

Es ist unwahrscheinlich, dass Sütcüs zehn Spiele gegen Ende der Saison 2023/24 so drastisch besser waren als jene 20 unter Zellhofer, dass sie die Werte über die gesamte Meisterschaft betrachtet angehoben haben, und Sütcüs Team 2024/25 so schlecht spielte, dass die Werte unter jene der Vorsaison fielen. Ein bisschen Abhilfe schafft der Blick in die Zahlen 2022/23. Damals hatte die Vienna mit 1,28 den zweitschlechtesten xG-Wert aller Zweitligateams. Zusätzlich lag der xGA-Wert bei 1,48, tatsächlich bekam man aber nur 1,1 Tore.

Anhand der Datenlage könnte man also die Schlussfolgerung ziehen, dass die Vienna unter Mehmet Sütcü zwar „attraktiver“ und effizienter spielt als unter Alexander Zellhofer, aber nicht eindeutig besser. Möglich wäre, dass sich die Gegner ab 2024/25 auf den neuen Spielstil unter Sütcü eingestellt haben. Der Punkteschnitt der beiden Trainer spricht nicht unbedingt für Zellhofer. Er kam – die unteren Ligen miteingerechnet – während seiner Amtszeit auf einen Schnitt von 1,87. Jener von Sütcü liegt – bei stärkeren Gegnern wohlgemerkt – mit 1,84 nur haarscharf darunter.

Dass die nach 20 Runden auf Platz vier liegende Vienna heuer also wieder Dritte wird, ist durchaus im Bereich des Möglichen. Bedenkt man allerdings, wie eng das Mittelfeld beisammen ist, kann es diese Saison also durchaus noch nach unten in der Tabelle gehen. Im Vorjahr trennten bei Sütcüs Amtsübernahme den zweiten Rang und den ersten Nichtabstiegsplatz 13 Punkte. Diesmal liegen zwischen dem Dritten und dem Dreizehnten 14 Punkte – nahezu idente Voraussetzungen also.

Spannend wird es, wenn man sich die Expected Points (xP) ansieht, die auf den xG-xGA-Werten basieren. Hier hat die Vienna nur 24 statt der tatsächlichen 35 Punkte. Mit plus 11 Punkten Differenz hat die Vienna nach dieser Rechnung am meisten „unverdiente“ Punkte geholt. Allerdings kann die xP-Wertung beim Runden unter Umständen stark verzerren.

Für ungeschulte Augen drücken sich einstudierte Spielzüge wie eine hohe Motivation der Mannschaft aus. Genau umgekehrt ist es mit fehlenden Mechanismen. Wenn Spieler nicht wissen, wohin sie laufen sollen, weil im Training zu wenig Wert daraufgelegt wird, gibt es im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: Sie laufen irgendwohin – was bei taktisch begabteren Spielern immer noch nützlich sein kann – oder sie bewegen sich gar nicht. Besonders auffällig wird dieser Unterschied im eigenen Ballbesitz.

Moritz Hell