Mit dem Motto „Mission 2012“ nahm der DFB vor zwei Wochen die knackige Vorbereitung für die Europameisterschaft in Polen und der Ukraine auf. Einmal... Das Mittelfeld als Prunkstück, die Abwehr als Schwachstelle – das ist der EM-Kader von Deutschland

Mit dem Motto „Mission 2012“ nahm der DFB vor zwei Wochen die knackige Vorbereitung für die Europameisterschaft in Polen und der Ukraine auf. Einmal mehr wird das Team von Joachim Löw als hoher Favorit auf den Titel gehandelt. Bei den letzten beiden Großereignissen noch jeweils an Spanien gescheitert, sehen viele das deutsche Aufgebot fällig für den Titel. Die Führungsspieler reiften in den vergangenen Jahren noch weiter heran, junge Talente sprießen wie die Primeln. Wie weit ist das DFB-Team wirklich? In dieser Teaminfo bekommt ihr eine Übersicht.

„Stand heute sind wir völliger Außenseiter, morgen vielleicht wieder der Favorit“, sagte Löw während des Trainingslagers auf Sardinien. Dabei könnte die Brust Bundestrainer ob der perfekten Qualifikation um einiges breiter sein. Mit der Traumzahl von 30 Punkten ließ Deutschland in Gruppe A die Türkei, Belgien, Österreich, Aserbaidschan und Kasachstan hinter sich und löste als erste Nation das EM-Ticket. Am Montag präsentierte Löw seinen endgültigen Kader, strich Marc-André ter Stegen, Julian Draxler, Sven Bender und Cacau aus dem vorläufigen Aufgebot.

Das Aufgebot im Überblick

Tor: Manuel Neuer (Bayern München), Tim Wiese (Werder Bremen), Ron-Robert Zieler (Hannover 96)

Abwehr: Holger Badstuber (Bayern München), Jerome Boateng (Bayern München), Benedikt Höwedes (Schalke 04), Mats Hummels (Borussia Dortmund), Philipp Lahm (Bayern München), Per Mertesacker (Arsenal), Marcel Schmelzer (Borussia Dortmund)

Mittelfeld: Lars Bender (Bayer Leverkusen), Mario Götze (Borussia Dortmund), Ilkay Gündogan (Borussia Dortmund), Sami Khedira (Real Madrid), Toni Kroos (Bayern München), Thomas Müller (Bayern München), Mesut Özil (Real Madrid), Lukas Podolski (1. FC Köln), Marco Reus (Borussia Mönchengladbach), André Schürrle (Bayer Leverkusen), Bastian Schweinsteiger (Bayern München)

Sturm: Mario Gomez (Bayern München), Miroslav Klose (Lazio Rom)

Torhüter

Eine extrem starke Saison von Gladbachs Marc-André ter Stegen beförderte den Youngster auf die provisorische Liste und viele Fans forderten ihn auch als Stammkeeper – vor allem weil Manuel Neuer in seiner Bayern-Premierensaison ungewöhnlich viele Schnitzer auskamen. Der 26-Jährige ist in der Nationalelf aber weiterhin gesetzt, während ter Stegen nach seinem Debüt (3:5 gegen die Schweiz) abreisen muss. Löw setzt am Torwartsektor nämlich weiterhin auf Kontinuität, was jedoch nicht heißt, dass ter Stegen künftig ein Weidenfeller-Schicksal erleiden wird – im Gegenteil. Die zwei Kaderplätze hinter Neuer werden aber wie in den letzten Länderspielen Tim Wiese und Ron-Robert Zieler einnehmen. Es ist nicht ausgeschlossen, gilt sogar als sehr wahrscheinlich, dass Wiese nach der Europameisterschaft aus dem Fokus der Nationalmannschaft verschwindet. Der Neo-Hoffenheimer ist nämlich im Gegensatz zu seinen Kontrahenten ein Vertreter der „alten“ Tormannschule, was auch die Statistik dazu untermauert. Zwar unterstreichen 20 Glanzparaden den Eindruck, dass er hinsichtlich der Reaktion auf der Linie zu den besten seines Fachs gehört, schränkt man den Fokus jedoch auf das moderne Tormannspiel ein, hat er gegenüber Zieler, der acht Paraden weniger zu Buche stehen hat, das Nachsehen. Ist der Unterschied bei den abgefangenen Flanken noch relativ gering – Wiese 27, Zieler 34 – kann der 30-Jährige bei angekommenen Abschlägen und Abwürfen nicht mithalten – 22:8 bzw. 238:167 für Zieler.

Innenverteidigung

Insgesamt fünf der obigen sieben Verteidiger können im Abwehrzentrum spielen, realistische Optionen für die EM sind jedoch nur Badstuber, Hummels und Mertesacker. Erster hat seinen Stammplatz in der linken Innenverteidigung fix. Der 23-Jährige war auch in seiner vierten Profisaison beim FC Bayern München Stammspieler und hat sich zum Führungsspieler hochgekämpft. Ein Grund dafür ist, dass der Linksfuß mittlerweile auch internationale Spiele auf Topniveau abliefert und Konstanz in seine Leistungen reinbrachte. Badstuber ist ein Innenverteidiger moderner Prägung, gewinnt viele Zweikämpfe (66,5%), hat viele Ballkontakte (77 pro Spiel) und spielt viele Pässe (62 pro Spiel) mit hoher Präzision (92,8% angekommen). Vieles davon trifft auch auf Hummels zu. Der Dortmunder spielt ebenfalls seit Jahren auf konstant hohem Niveau, dominiert Statistiken und gilt als bester Innenverteidiger der Bundesliga, aber genau das ist das Problem. Von den Anlagen her müsste der 23-Jährige auch in internationalen Rankings vorne liegen, der gebürtige Bayer hat aber große Probleme seine Leistungen auch über die deutschen Grenzen hinaus zu konservieren. In der Champions League unterliefen ihm haarsträubende Fehler, im Nationalteam blieben diese zwar im Großen und Ganzen aus, dennoch hat er deutlich Luft nach oben. Außerdem kommt ihm die Spielanlage des DFB-Teams nicht so entgegen wie jene der Borussia. Während er in Dortmund lange Pässe schlagen soll, was er gerne und auch gut macht, sowie oft mit dem Ball am Fuß vorstoßen soll, fordert Löw, dass er das Leder schnell und flach weiterleitet. All das führt dazu, dass sich Mertesacker trotz langwieriger Knöchelverletzung realistische Chancen auf einen Platz in der Innenverteidigung ausmalen kann. Der 28-Jährige spielt zwar nicht so spektakulär wie seine Konkurrenten, spult seinen Part aber ruhig und gewissenhaft runter. „Der Bundestrainer kann sich auf mich verlassen – und das weiß er auch. Da existiert ein Grundvertrauen, das über Jahre entstanden ist“, so Mertesacker. Ebenfalls erprobt in der Ausfüllung des Innenverteidigerpostens sind Höwedes und Boateng, Löw plant mit ihnen jedoch vorrangig als Rechtsverteidiger.

Außenverteidigung

Eine ähnliche Konstellation wie in der Innenverteidigung findet man auch auf den Außenpositionen der Viererkette, wo Kapitän Lahm Fixstarter ist. Der 28-Jährige konnte zwar die Form vergangener Jahre nicht halten, ist aber gemeinsam mit Lukasz Piszczek von Borussia Dortmund das Nonplusultra auf den defensiven Außenbahnen der Bundesliga. Offensivvorstöße, die man oft über die linke Seite beobachten konnte, sind jedoch Mangelware, wenn er rechts spielt. Über Lahms endgültige Position hat Löw noch nicht entschieden, so dass alle drei übrigen Kandidaten noch in der Verlosung um einen EM-Startplatz vertreten sind. Bleibt Lahm wie vorgesehen auf der rechten Seite, startet links Marcel Schmelzer. Der Magdeburger leidet unter dem gleichen „Krankheit“ wie sein Vereinskollege Hummels. Zeigt er in Dortmund Woche für Woche überzeugende Leistungen, aufgrund derer eine Nicht-Nominierung eine Schande wären, steht auch der 24-Jährige in internationalen Spielen oft neben den Schuhen. Seine Vorstöße wirken dann zu verhalten und im Spiel gegen den Ball leistet er sich Stellungsfehler sowie Unkonzentriertheiten in den Zweikämpfen. Dass Löw nur Schmelzer als gelernten Linksverteidiger nominiert hat zeigt, dass er von den Qualitäten des Spielers überzeugt war, ob er diesen Eindruck auch nach Schmelzers katastrophalen Auftritt gegen die Schweiz hat ist fraglich. Sollte sich der Coach gegen ihn entscheiden wechselt Lahm auf die linke Abwehrseite und das Duell um den vakanten Posten des Rechtsverteidigers lautet Höwedes gegen Boateng. Beides sind gelernte Innenverteidiger, spielten dort auch weite Strecken der Saison für ihren Verein. Zwar hat der Schalker hat in letzter Zeit mehr Übung darin rechtsaußen zu verteidigen, die Erfahrung spricht jedoch für Boateng. Bereits beim HSV und Manchester City, als auch während der WM 2010 spielte er dort, zeigte aber kaum ansprechende Leistungen.

Defensives Mittelfeld

Im defensiven Mittelfeld wird Deutschland wie schon bei der WM mit dem Duo Schweinsteiger und Khedira spielen. Die Rollenverteilung ist klar: Schweinsteiger soll das Spiel seiner Mannschaft ordnen, genießt als Aufbauspieler alle Freiheiten, während Khedira Löcher zulaufen und als Absicherung dienen soll. Ein Verpassen des EM-Pokals würde wohl insbesondere an Schweinsteiger nagen, der in der abgelaufenen Saison gleich drei Mal haarscharf an Titeln vorbeischrammte. Besonders für den verschossenen Elfmeter im Champions-League-Finale musste der 27-Jährige reichlich Kritik einstecken. Dass das dem Chef in Deutschlands Mittelfeld noch nachhängen wird, denkt Oliver Bierhoff nicht. „Schauen Sie sich um, wirken die Bayern-Spieler down?“, so der Manager auf die Frage ob alles wieder in Ordnung sei. Schweinsteiger gilt als sehr kompletter Spieler, der sowohl physisch extrem stark ist, als auch brandgefährliche Pässe spielen und aus der zweiten Reihe präzise abschließen kann. Will Löw sein Team noch einen Tick unberechenbarer machen, hat er mit Schweinsteigers Teamkollegen Kroos einen weiteren Spielgestalter zur Verfügung. Der 22-Jährige kann aber ebenso auch auf der Zehner-Position eingesetzt werden, weswegen seine Qualitäten an entsprechender Stelle beleuchtet werden. Hinter diesen Spielern warten mit Dortmunds Gündogan und dem Leverkusener Lars Bender, dessen Zwillingsbruder Sven Opfer der Kaderkürzung wurde, weitere junge und hungrige Akteure. Ersterer konnte nach schwerem Einstand beim deutschen Meister, wo er von den Medien oft in die Sahin-Rolle gedrängt wurde, in der Rückrunde auf ganzer Linie überzeugen. Dabei war es essentiell, dass der Deutsch-Türke ein völlig anderer Spielertyp als Sahin ist. Der ehemalige Nürnberger ist physisch präsenter und spielt weniger vertikale Schnittstellenpässe, marschiert dafür mit dem Ball am Fuß energischer Richtung Tor – der perfekte Ersatz für Schweinsteiger. Lässt sich Gündogan vom Spielertyp mit Schweinsteiger vergleichen, so kann man sagen, dass Bender der ideale Stellvertreter für Khedira ist. Unauffällig, aber effektiv und mit höchstem Engagement verrichtet er seine Arbeit.

Offensives Mittelfeld

Die Spielmacherposition des DFB-Teams ist fest in der Hand von Mesut Özil. Nach überragenden Leistungen in Südafrika wechselte der 23-Jährige für 18 Millionen Euro zu Real Madrid, wo er die nächsten Schritte seiner Entwicklung machte und sich in der abgelaufenen Saison nicht nur zum Meister der Primera Division krönte, sondern auch ligaweit die meisten Assists lieferte. Die Stärken des dynamischen Linksfußes sind seine Dribbelstärke und Übersicht. Gepaart mit seiner Spielintelligenz und mittlerweile durchaus großen Erfahrung macht es ihn zu einem großen Hoffnungsträger der deutschen Nation. Wie vorhin angedeutet kann auch Kroos die Rolle des Zehners übernehmen – allerdings in etwas anderer Art und Weise. Der Bayern-Profi ist weniger dynamisch, ist eher ein Vertreter der klassischen Generation. Präzise Vertikalpässe sind seine Spezialität, genauso Distanzschüsse. Der Nachteil des 25-fachen Internationalen ist, dass er sowohl im Verein als auch in der Nationalelf zwischen defensivem und offensivem Mittelfeld hin und her hüpfen muss, so keine Chance hat sich irgendwo zu etablieren. Ebenfalls als Achter musste im Testspiel gegen die Schweiz Mario Götze aushelfen. Das gelang dem Supertalent jedoch nur bedingt. Der 19-Jährige fühlt sich auf dem Flügel und auf der Zehnerposition wohler, wie er auch selbst sagt. Götze musste allerdings fast die gesamte Rückrunde aufgrund einer Schambeinentzündung aussetzen. Dem Dortmunder fehlen noch die letzte Dynamik in seinen Dribblings und der Rhythmus.

Offensive Außenbahnen

Eine weitere Position, auf der Götze zum Einsatz kommen könnte ist der rechte Flügel, dort hat er jedoch Thomas Müller vor sich. Der Angreifer vom FC Bayern München ist trotz seiner Jugend ein Leistungsträger und gesetzt. Zehn Tore und 15 Vorlagen brachte der amtierende Torschützenkönig im Teamdress bereits zustande. Bei den Bayern wurde Müller oft im zentralen offensiven Mittelfeld als falscher Neuner eingesetzt, diese Rolle kommt ihm aufgrund seiner überschaubaren Technik aber kaum entgegen. Die Anbindung vom Mittelfeld an den Sturm war kaum gegeben, seine Ballbesitzstatistik war im Keller. Auf der rechten Außenbahn hat er mehr Freiheiten, kann die Linie entlang marschieren und flanken oder zum Tor ziehen. Auf der gegenüberliegenden Seite wird Lukas Podolski ins Turnier gehen. Der Kölner, der zur neuen Saison zu Arsenal wechseln wird, konnte in der abgelaufenen Spielzeit erstmals beim FC überzeugen. Doch weder seine 18 Tore noch die zusätzlichen neun Vorlagen konnten seinen Klub vor dem Abstieg retten. Mit dem Adler auf der Brust kommt der 26-Jährige auf eine beeindruckende Statistik: 98 Länderspiele, 43 Tore, 23 Vorlagen. Zwar spielt der Linksfuß auf der „richtigen“ Seite dennoch dribbelt er in erster Linie auf das Tor zu anstatt den Ball von der Seitenlinie hereinzuspielen – gut zu sehen in der nachstehenden Grafik. Dort werden ebenfalls die Qualitäten der anderen beiden Flügeloptionen erkennbar. Schürrle weist ein ähnliches Verhalten wie Podolski auf, ist im Eins-gegen-Eins aber öfter erfolgreich. Marco Reus hingegen liegt in jeder Kategorie im Spitzenfeld. Der flexible Tempodribbler ist zudem auf vielen Positionen einsetzbar, kann beide Flügel beackern, aber auch die zentrale Position im 4-2-3-1-System bekleiden. Zudem experimentierte Löw zuletzt mit einem Einsatz als Stürmer.

Stürmer

Die Eindrücke, die Löw in den Trainingscamps von Reus als Stürmer bekommen hat, dürften ihm gefallen haben, denn nachdem Cacau eliminiert wurde, bleiben mit Klose und Gomez nur mehr zwei gelernte Stürmer übrig. Die Frage, wer von den beiden besser ins deutsche System passt, mündet oft in Endlosdiskussionen. Löw ließ in den letzten Jahren immer wieder die Tendenz zum Lazio-Stürmer erkennen. Der 33-Jährige arbeite mehr und gehe weiter Wege – auf den ersten Blick durchaus einleuchtend. Doch auch Gomez hat gezeigt, dass dazu imstande ist. Im 4-4-2 beim VfB Stuttgart ließ er sich immer wieder zurückfallen um Bälle aus dem Mittelfeld zu holen und auch beim FC Bayern kommt er seinen Aufgaben als Wandspieler immer besser nach, wie er zum Beispiel gegen Real Madrid gezeigt hat. In Ausnahmefällen könnten auch Schürrle, Podolski und Müller die Stürmerposition übernehmen.

Aufstellung und Taktik

Mit einer 4-2-3-1-Formation wird Jogi Löw seine Mannschaft in das Turnier schicken. Offene Fragen gibt es kaum, lediglich die Besetzung der Außenverteidigung bleibt ein Rätsel. Schmelzer wäre die offensivste Variante und seine Spielweise würde sich am besten mit jener von Podolski vertragen. Da der Kölner oft in die Mitte zieht und den Abschluss sucht, könnte ihn Schmelzer dabei hinterlaufen und zu Flanken ansetzen. Mit Lahm würde man einerseits das Überladen des Zentrums forcieren, andererseits würde die Defensiv gefestigter wirken – Schmelzers bisherige Diskrepanz zwischen BVB- und DFB-Form vorausgesetzt. Schweinsteiger wird aus dem Zentrum heraus das Spiel lenken. Egal ob abkippender Sechser, als welcher er hinter den aufrückenden Außenverteidiger driften würde, zurückgezogener, defensiver Mittelfeldspieler, der sich zwischen die Innenverteidiger fallen lässt, oder antreibender Achter – will man die Deutschen stoppen, muss man ein Rezept finden Schweinsteiger zu neutralisieren.

axl, abseits.at

Alexander Semeliker

@axlsem

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