Die tschechische Nationalelf hatte schwere Zeiten der Veränderungen zu bewältigen. Bei unserem nordöstlichen Nachbarn musste man nach und nach die goldene „Nedved-Generation“ hinter sich... Ein Star im Tor und eine alternde Hoffnung als Zehner – das ist der EM-Kader Tschechiens!

Die tschechische Nationalelf hatte schwere Zeiten der Veränderungen zu bewältigen. Bei unserem nordöstlichen Nachbarn musste man nach und nach die goldene „Nedved-Generation“ hinter sich lassen. Diesen notwendigen Generationswechsel brachten die Tschechen, die zudem als Turniermannschaft gelten, gut über die Bühne. Aber dennoch gibt es weiterhin Baustellen im Team, die bei der bevorstehenden EURO zu Schikanen werden könnten.

Aufgebot Tschechiens

Tor: Petr Cech (FC Chelsea), Jaroslav Drobny (Hamburger SV), Jan Lastuvka (Dnipro Dnipropetrowsk)
Abwehr: Theodor Gebre Selassie (FC Slovan Liberec), Roman Hubnik (Hertha BSC), Michal Kadlec (Bayer Leverkusen), David Limbersky (FC Viktoria Pilsen), Frantisek Rajtoral (FC Viktoria Pilsen), Tomas Sivok (Besiktas Istanbul), Marek Suchy (Spartak Moskau)
Mittelfeld: Tomas Hübschman (Schachtjor Donezk), Petr Jiracek (VfL Wolfsburg), Daniel Kolar (FC Viktoria Pilsen), Milan Petrzela (FC Viktoria Pilsen), Vaclav Pilar (FC Viktoria Pilsen), Jaroslav Plasil (Girondins Bordeaux), Jan Rezek (Anarthosis Famagusta), Tomas Rosicky (FC Arsenal), Vladimir Darida (FC Viktoria Pilsen)
Sturm: Milan Baros (Galatasaray Istanbul), David Lafata (FK Baumit Jablonec), Tomas Necid (ZSKA Moskau), Tomas Pekhart (1. FC Nürnberg)

Der Schlussmann als Superstar

Der Star der Tschechen spielt im Tor: Petr Cech (30) gewann soeben mit dem FC Chelsea die Champions League und strotzt trotz der langen, anstrengenden Saison nur so vor Tatendrang. Der 90-fache Teamspieler gilt als einer der besten Keeper der Welt und wird daher HSV-Keeper Jaroslav Drobny (32) und dem ebenfalls starken Jan Lastuvka (29) keine Chance lassen.

Fehleranfällige Innenverteidigung mit Hubnik und Sivok

Vor Cech fehlt es den Tschechen jedoch an Qualität – gerade die Abwehr könnte dem EM-Finalisten von 1996 Probleme bereiten. Den Part des organisierenden Innenverteidigers wird wohl Hertha-BSC-Legionär Roman Hubnik (28) einnehmen. Der große Abwehrspieler gilt als erfahren, kopfballstark und solide im Zweikampf, allerdings ist er auch langsam und gegen flinke Gegenspieler fehleranfällig, wie man es bereits in der abgelaufenen Saison der deutschen Bundesliga beobachten konnte. Er wird eher eine Schwachstelle im tschechischen Abwehrverbund darstellen.

Auch Hubniks Nebenmann Tomas Sivok (28) ist nicht immer frei von Fehlern. Der Besiktas-Verteidiger ist stärker im Zweikämpfer und schneller als Hubnik, zudem ein flexibler Spieler, der auch auf Außenpositionen oder im defensiven Mittelfeld zum Einsatz kommen kann. Allerdings macht der 26-fache Teamspieler auch immer wieder Fehler im Stellungsspiel und rückt zum Teil zu voreilig aus der Viererkette, was das Gefüge in Gefahr bringen könnte.

Der einzige echte Ersatzmann für die Innenverteidigung ist Marek Suchy (24) von Spartak Moskau, der zuletzt zwei solide Saisonen in Russland spielte. Er gilt als schwächerer der beiden Innenverteidiger, die letztes Jahr für Tschechien bei der U21-EM spielten – allerdings hatte der starke Ondrej Mazuch Verletzungspech und sammelte kaum Spielpraxis, wodurch Suchy die einzig logische Alternative ist. Dieser macht spielerisch keine Wunderdinge, steht aber hinten sicher und geht kaum über die Mittellinie. Auch Michal Kadlec ist als Notnagel für die Innenverteidigung zu betrachten.

 

Modernes Laufwunder als Rechtsverteidiger

In der rechten Verteidigung spielt mit Theodor Gebre Selassie (25) eine der größten Entdeckungen der abgelaufenen Saison. Der Sohn eines Äthiopiers und einer Tschechin ist ein moderner, spielerisch engagierter und torgefährlicher Außenverteidiger, der bei der EM erstmals die Chance hat auf internationaler Bühne zu glänzen. Das Potential hat der laufstarke Außenverteidiger, der heuer mit Slovan Liberec Meister wurde, allemal.

Kadlec: Mann für ruhende Bälle und Organisation

Auf der anderen Abwehrseite ist Leverkusen-Legionär Michal Kadlec (27) gesetzt. Wie schon sein Vater Miroslav ist er ein Meister des ruhenden Balles und zudem ein grundsolider Verteidiger mit Zug nach vorne. Schon seit seiner Zeit bei Sparta Prag ist er immer ein fester Bestandteil des tschechischen Teams und wird in einer eher uneingespielten Abwehr eine Chefrolle übernehmen.

Die Ersatzleute für die Außenverteidigerpositionen spielen bei Champions-League-Starter Viktoria Pilsen. Frantisek Rajtoral (26) spielt für gewöhnlich rechts, David Limbersky (28) links. Die beiden Pilsen-Kicker kommen gemeinsam auf nur 12 Länderspiele.

Kampfkraft im defensiven Mittelfeld – auf Kosten der Kreativität

Das defensive Mittelfeld der Tschechen setzt in erster Linie auf Kampfkraft – immerhin muss das Team mit den kreativen Offensivspielern im tieferen Bereich des Mittelfelds die Zweikämpfe gewinnen. Hierfür hat man speziell mit dem kompromisslosen Tomas Hübschman (30) den richtigen Mann auf der „6er“-Position. Der langjährige Shakhtar-Donetsk-Legionär ist ein typischer Arbeiter, der wenig nach vorne macht, aber hinten sicher steht und schnell hinter den Ball kommt.

Neben ihm spielt etwas offensiver orientiert Jaroslav Plasil (30) von Girondins Bordeaux. Seit nunmehr zehn Jahren spielte Plasil nur im Ausland (Monaco, Osasuna, Bordeaux) und gilt mit seinen 71 Länderspielen als äußerst erfahrener Spieler. Er ist etwas kreativer als Hübschman, ist aber dennoch kein Spieler, der das Spiel als tiefer Spielmacher in die Hand nimmt. Wenn die Tschechen gegen Ende eines Spiels zurückliegen, ist er ein Wechselkandidat, wenn es darum geht, das etatmäßige 4-2-3-1-System zu verändern. Hübschman ist defensiv solider, Plasil kann für seine Position als „8er“ von allem ein bisschen was.

Ersatzleute für die defensiveren Mittelfeldpositionen sind Petr Jiracek (26) vom VfL Wolfsburg und Vladimir Darida (21) von Viktoria Pilsen, wobei Jiracek die einzige ernst zu nehmende Alternative ist. Darida rutschte als letzter Feldspieler in den Kader von Trainer Michal Bilek.

Alternder Rosicky als Dreh- und Angelpunkt

Der Spielmacher der Tschechen ist Arsenal-Ersatzmann Tomas Rosicky (31), der natürlich als technisch guter Spieler bekannt ist, der das Tempo im Spiel regulieren kann. Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass auch er – trotz einiger guter Leistungen in der vergangenen Saison – weit von seinem Leistungsmaximum entfernt ist. Nachdem er 2008 aufgrund von Verletzungen längere Zeit von der Bildfläche verschwand, fasste er nie wieder richtig bei Arsenal Fuß und ist nur noch Ergänzungsspieler. Die offensiv-kreativen Hoffnungen der Tschechen ruhen dennoch fast ausschließlich auf dem 85-Länderspiele-Mann.

Spätzünder an den Flügeln

Im rechten Mittelfeld setzen die Tschechen auf Spätzünder Milan Petrzela (28) von Viktoria Pilsen. Eigentlich ist Petrzela ein gelernter Defensivspieler, jedoch wurde er mit einer starken Meistersaison 2010/11 und einigen guten Leistungen im Europacup auf den rechten Flügel umfunktioniert und bestach dort mit Technik und einem guten Gespür für das Überraschungsmoment. Auf der linken Seite hat Jan Rezek (30) die besten Karten auf Einsätze. Der Edeltechniker spielt aktuell auf Zypern für Anorthosis Famagusta und spielte sich ebenfalls erst mit dem Meistertitel Viktoria Pilsens 2010/11 ins Nationalteam. Zuvor war Rezek bei keinem seiner Klubs Stammspieler.

Das Backup für Petrzela ist sein Teamkollege Daniel Kolar (26), der offensiv stärker als Petrzela ist, jedoch defensiv nicht so laufstark und clever wie Petrzela. Der zweite Ersatzmann für die Flügel ist Vaclav Pilar (23), der nach der Europameisterschaft von Viktoria Pilsen zum VfL Wolfsburg wechseln wird. Pilar ist als flinker, trickreicher Spieler bekannt, der zudem beidbeinig torgefährlich ist, auch aus der Distanz.

EM-erfahrener Baros als Solospitze

Der logische Einserstürmer in einer Generation von tschechischen Spielern, in der es ein großes Stürmerproblem gibt, ist Milan Baros (30), der bereits einmal EM-Torschützenkönig wurde. Das Toreschießen hat der 89-fache Teamspieler nicht verlernt und für seinen Klub Galatasaray Istanbul weist er weiterhin eine gute Quote auf. Allerdings ist er lange nicht mehr so dominant wie in früheren Tagen und zuletzt bei „Gala“ nur noch Ergänzungsspieler, der zwischen Startelf und Bank rotiert. Alleine aufgrund seiner 41 Länderspieltore und seiner Erfahrung bei Großereignissen, wird er die Speerspitze der Tschechen abgeben.

Der erste Ersatzmann für Baros ist Nürnberg-Brecherstürmer Tomas Pekhart (23), der in seiner ersten Saison in der deutschen Bundesliga immerhin neun Treffer erzielen konnte. Auf den früheren Reservespieler von Tottenham Hotspur muss das Spiel stärker zugeschnitten werden als auf Baros. Die weiteren Alternativen sind Tomas Necid (22) von ZSKA Moskau und David Lafata (30) von Jablonec Nisou. Necid spielte eine schwache Saison für ZSKA und dürfte in der Kaderhierarchie noch hinter Lafata stehen. Ex-Austria-Stürmer Lafata wurde zuletzt zweimal in Folge tschechischer Torschützenkönig und war daher ein logischer Kandidat für den EM-Kader. Beim 0:0 gegen Japan, dem letzten Test vor der EM, stand Lafata sogar in der Startelf des Teams.

Schweres Turnier für Tschechien

Auch wenn Tschechien eine vermeintlich leichte Gruppe erwischte, wird es das Team von Michal Bilek sehr schwer haben über die Gruppenphase zu kommen. Die Tschechen verfügen zwar über ein gutes Mittelfeld und ein relativ eingespieltes 4-2-3-1-System, allerdings gibt es Probleme in der Abwehr und ein akutes Stürmerproblem. Feuerwerke wird Tschechien im Laufe dieser EM wohl keine zünden, dafür fehlt die Durchschlagskraft – und auch sonst wird viel von der Tagesverfassung des Tomas Rosicky abhängen.

Daniel Mandl, abseits.at

Daniel Mandl Chefredakteur

Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen

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