Der Kapitän des polnischen Nationalteam Jakub „Kuba“ Blaszczykowski hat mit seinen noch jungen 26 Jahren bereits ein sehr bewegtes Leben hinter sich. Trotz eines großen Schicksalsschlages erreichte er sein Ziel Profi zu werden. Nun hielt er mit einem Traumtor gegen den Erzrivalen Russland sein Land im Turnier. Bisher der emotionale Höhepunkt dieser EM.
„Dieses Leben ist eines der Härtesten!“- die „Kubastory“
Von nichts und niemandem war Blaszczykowski auf zu halten, als er im Spiel gegen Russland von rechts nach innen zog. Ein kurzer Blick nach oben. Wo steht der Torhüter? Steht einer der Mitspieler besser? Es folgt ein präziser Schuss ins das rechte Toreck. Perfekt getroffen, unhaltbar für Malafeev. „Kuba“ küsst das Wappen des Landes, das er so liebt und welches von den vielen russischen Anhängern im Stadion das ganze Spiel über verhöhnt wurde. Er rutscht auf den Knien in Richtung Eckfahne – richtet seinen Blick kurz gen Himmel.
Im Land des Gastgebers weiß so gut wie jeder Fußballfan, an wen diese Geste adressiert ist. Ihr Kapitän gedenkt damit seiner toten Mutter – eine Geste, die auch bei jedem Einlauf ins Stadion von ihm zu sehen ist. Nur ein kurzer Gruß, hinter dem aber ein langer Leidensweg steht.
Mit gerade einmal zehn Jahren musste Blaszczykowski mit an sehen, wie der eigene Vater die Mutter niederstach. Sie überlebte nicht – und das Leben des jungen Jakub lag in Trümmern. Der Vater wanderte für zwölf Jahre ins Gefängnis. Blaszczykowski brach jeden Kontakt zu ihm ab. Von nun an wuchs er bei den Großeltern auf. Er gibt unumwunden zu, dass er ohne die emotionale Stütze seiner Großmutter und seines Onkels Jerzy Brzeczek, ebenfalls ehemaliger Kapitän der polnischen Nationalmannschaft, wohl auf die schiefe Bahn geraten wäre. Trotzdem wurde er nach eigenen Angaben auf der Suche nach dem „Warum?“ fast wahnsinnig.
Alles erlebte konnte „Kuba“ aber nicht vom geliebten Fußball abhalten. Beim polnischen Drittligisten Rakow Czestochowa begann er 2001 seine Karriere. Bald darauf fiel das Talent des jungen Jakub auch den Talentspähern des polnischen Rekordmeisters Gornik Zabrze auf, wohin er 2002 wechselte, sich aber nicht durchsetzen konnte. Daraufhin versuchte er sein Glück wieder in seiner Heimatstadt Czestochowa, aber diesmal beim Lokalrivalen KS in der vierten Liga.
2005 gelang ihm dann der endgültige Durchbruch. In der Winterpause 2004/05 wechselte er zum polnischen Spitzenklub Wisla Krakau, wo er sich auf Anhieb einen Stammplatz erspielen konnte. Von nun an ging es bergauf. Noch im selben Jahr wurde Krakau polnischer Meister und 2006 dann das Debüt für die polnische Nationalmannschaft. Jedoch folgte prompt der nächste Rückschlag: Blaszczykowski fand keine Berücksichtigung im polnischen WM-Kader für 2006. Wiedermal lies sich der Flügelflitzer aber nicht unterkriegen und spielte eine starke nächste Saison, was ihm die Bezeichnung „polnischer Figo“ und das Interesse von Borussia Dortmund einbrachte. Im Sommer 2007 war es dann soweit: für 3,2 Millionen Euro wechselte der damals 21-Jährige in die Bundesliga. Zu einem Vereine, der genau wie er, eine schwere Vergangenheit hatte und sich langsam auf dem Weg der Besserung befand.
Die erste Saison verlief für den jungen Polen einigermaßen zufriedenstellend. Einen echten Stammplatz konnte er sich in einer turbulenten Dortmunder Saison noch nicht erspielen, spielte aber bei 24 Berufungen in den Bundesligakader 22mal von Anfang an und konnte dabei ein Tor erzielen, sowie vier vorbereiten. Zudem stand er im Pokalfinale gegen Bayern München in der Startelf, konnte aber die 1:2-Niederlage nicht verhindern. Als Belohnung folgte die Nominierung für die EM 2008, bei der Polen aber schon in der Gruppenphase chancenlos ausschied. Seine Leistungen konnte er unter dem neuen Trainer Jürgen Klopp dann stabilisieren. In 27 Einsätzen schoss „Kuba“ drei Tore und gab sechs Vorlagen. Trotzdem war Klopp nicht wirklich zufrieden mit seinem Schützling, erkannte er doch schnell, welch großes Potenzial der kleine Pole besitzt. In den folgenden Jahren monierte Klopp immer wieder, dass Blaszczykowski dieses nicht in Gänze ausschöpfen würde. Zum Beweis dazu die Zahlen der folgenden Saison: In 32 Einsätzen kam „Kuba“ diesmal nur auf ein Tor und vier Vorlagen. Er durfte sich zwar nun als Stammspieler bezeichnen, zu hundert Prozent überzeugen konnte er aber bisher noch nicht.
In der darauffolgenden Saison konnte der BVB den Meistertitel erringen – Blaszczykowski verlor aber seinen Stammplatz an das Jahrhunderttalent Mario Götze. Zudem macht der Pole sich zum Gespött der deutschen Fußballöffentlichkeit als er gegen Freiburg das leere Tor nicht traf. Eine Szene die, wie eine Kommentator-Floskel besagt, in jedem Saisonrückblick gezeigt wurde. Vor der neuen Saison spekulierten die Medien über einen möglichen Wechsel von „Kuba“, da dieser Spielpraxis für den anstehenden Karrierehöhepunkt, die EM im eigenen Land, brauchte. Aufgrund der ungewohnten Dreifachbelastung der Dortmunder, erteilte man Blaszczykowski aber keine Freigabe. Wie sich später herausstellen sollte, eine Entscheidung mit Weitblick. Superstar Götze verletzte sich längerfristig und so stand „Kuba“ plötzlich wieder in der Startelf. Klopp sprach ihm öffentlich und intern mehrmals das Vertrauen aus, was den vielleicht schnellsten Spieler der Bundesliga beflügelte. Er dankte es seinem Trainer mit einer überragenden Rückrunde, in der er sich zu einem der besten Spieler der Bundesliga entwickelte und endlich sein Potenzial ausschöpfte. Die Saison wurde folgerichtig zu einem einzigen Karrierebestwert. In 29 Einsätzen erzielte er sechs Tore und gab zehn Vorlagen. Die EM konnte also kommen.
Vor der Europameisterschaft holte Blaszczykowski aber noch einmal die Vergangenheit ein. Sein Vater, der sich mittlerweile wieder auf freiem Fuß befand, verstarb. Sein Sohn zeigte schier unfassbare Größe und Charakterstärke als er ihm die letzte Ehre erwies und seine Beerdigung besuchte. Blaszczykowski sagte später, sein Glaube habe ihm die Kraft gegeben zu verzeihen. Vielleicht kann die Vergangenheit nun endlich ruhen.
Ral, abseits.at
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