Die deutsche Nationalmannschaft setzte sich im Spitzenspiel der Gruppe B vor 42.000 Zuschauern gegen die Niederlande verdient mit 2:1 durch und steht mit eineinhalb... Bert van Marwijk lernt nicht aus seinen Fehlern – Deutschland schlägt Niederlande verdient mit 2:1

Die deutsche Nationalmannschaft setzte sich im Spitzenspiel der Gruppe B vor 42.000 Zuschauern gegen die Niederlande verdient mit 2:1 durch und steht mit eineinhalb Beinen im Viertelfinale. Matchwinner Mario Gomez erzielte bereits in der ersten Halbzeit die beiden Treffer seiner Mannschaft und schoss sich somit endgültig aus jeder Kritik. Bondscoach Bert van Marwijk lernte nichts aus der Niederlage im ersten Gruppenspiel gegen Dänemark und spielte mit seiner Aufstellung und Spielausrichtung den Deutschen in die Hände.

Der niederländische Trainer veränderte nichts an seinem System, sondern tauschte lediglich in der Innenverteidigung den fit gewordenen Joris Mathijsen gegen Ron Vlaar aus. Er begann wieder mit Nigel de Jong und Mark van Bommel im defensiven Mittelfeld und ließ den kreativeren Rafael van der Vaart zu Beginn auf der Ersatzbank. Auch bei seinen Offensivspielern sah der Coach keinen Grund eine Änderung vorzunehmen und so durften die formschwachen Flügelspieler Arjen Robben und Ibrahim Affelay wieder von Anfang an ran. Wie schon im ersten Spiel begann Wesley Sneijder im offensiven Mittelfeld hinter Sturmspitze Robin van Persie.

Es gibt wohl keine andere Mannschaft bei dieser Europameisterschaft, die über so starke Ersatzspieler in der Offensive verfügt wie die Niederländer. Bert van Marwijk wird sich zu Recht Kritik gefallen lassen müssen, dass er nach dem schwachen Auftaktspiel, in dem die Formschwäche einiger Spieler und die Probleme im Spielsystem offensichtlich wurden, keine Änderungen vornahm. Rafael van der Vaart, Klaas-Jan Huntelaar oder Dirk Kuyt hätten dem Spiel der Niederländer von Beginn an sehr gut getan.

Löw nimmt keine Änderungen vor

Der deutsche Nationaltrainer vertraute der Mannschaft aus dem ersten Gruppenspiel, da insbesondere jene Akteure eine ordentliche Leistung gegen Portugal zeigten, hinter denen ein kleines Fragzeichen stand. Mats Hummels war im ersten Spiel einer der besten Akteure, Mario Gomez wurde zwar kritisiert, schoss aber den entscheidenden Treffer und Jerome Boateng machte als rechter Außenverteidiger eine gute Figur gegen Cristiano Ronaldo.

Zwei Hauptgründe für die 2:1-Niederlage

1) Bei eigenem Ballbesitz kein vernünftiger Spielaufbau nach vorne möglich

Die Mannschaftsteile der Niederländer standen bei eigenem Ballbesitz viel zu weit auseinander, sodass die beiden defensiven Mittelfeldspielern van Bommel und de Jong nur schwer Anspielstationen in der Offensive fanden.  Sehen wir uns die durchschnittlichen Spielpositionen der Niederländer an (Grafik rechts) und vergleichen sie mit den durchschnittlichen Spielpositionen der deutschen Nationalmannschaft (Grafik links unten): Bei den Niederländern wird ganz klar ersichtlich, dass die Abstände zwischen den defensiven und offensiven Mannschaftsteilen viel zu groß ist. De Jong und van Bommel sind ohnehin nicht große Zauberer am Ball, taten sich aber unter diesen Voraussetzungen doppelt schwer. Besonders Sneijder hätte sich viel weiter zurückfallen lassen und den beiden defensiven Mittelfeldspielern entgegengehen müssen. Bei den Deutschen sah das ganz anders aus, die Mannschaft stand wesentlich kompakter und im Gegensatz zu den Niederländern hatte der ballführende Spieler oft mehrere Anspielmöglichkeiten. Deutschland griff im Block an und verteidigte im Block.

Das bedeutet jedoch nicht, dass van Bommel und de Jong viele Fehlpässe produzierten – ganz im Gegenteil: Nigel de Jong kam auf eine erfolgreiche Passquote von 93%, der in der Halbzeit ausgewechselte van Bommel beging sogar keinen einzigen Fehlpass! Das Problem war jedoch, dass sie aufgrund der fehlenden Anspielstationen und der geschickten Raumaufteilung der deutschen Mittelfeldspieler nur sehr wenige Pässe in die Tiefe spielen konnten.

2) Schwaches Verhalten bei gegnerischem Ballbesitz

Auch bei gegnerischem Ballbesitz waren die Abstände zwischen den niederländischen Mannschaftsteilen viel zu groß und wenn die vordersten Spieler Druck auf die ballführenden Abwehrspieler machten, dann hatten diese keine Probleme Anspielstationen zu finden, da sich nur wenige niederländische Spieler am Pressing beteiligten. Dafür hatten die Deutschen dann stellenweise extrem viel Platz im Mittelfeld, da sich die beiden defensiven Mittelfeldspieler des Gegners immer wieder in Unterzahl befanden, da ihre Mannschaftskollegen an vorderster Front nach den erfolglosen Pressing-Versuchen nicht mehr hinter den Ball kamen. In der 24. Minute bezahlten die Niederländer den Preis dafür: Özil verschleppte de Jong auf den rechten Flügel und van Bommel folgte Khedira, bis er zu spät bemerkte, dass sich im Zentrum eine extrem große Lücke für Schweinsteiger öffnete (siehe Bild). Arjen Robben, am unteren Bildrand erkennbar, hätte rechtzeitig aushelfen können, zog es aber vor sich in diese Situation nicht einzumischen und seinen Bayern-Kollegen unbehelligt davonziehen zu lassen. Schweinsteiger gelang anschließend, so wie später auch beim zweiten Treffer, ein mustergültiger Pass auf Gomez, der diese Situation sehenswert löste und das erste Tor des Abends erzielte. Auch beim zweiten Treffer waren ähnliche Stellungsfehler für den Torerfolg ausschlaggebend, die Niederländer gerieten immer wieder in Unterzahlsituationen und bezahlten einen hohen Preis dafür.

Korrekturen in der zweiten Halbzeit

Diesmal stellte Bondscoach Bert van Marwijk immerhin bereits zur Halbzeit seine Mannschaft um und brachte Rafael van der Vaart und Klaas Jan Huntelaar für Mark van Bommel und Ibrahim Affeley ins Spiel. Van der Vaart ersetzte van Bommel im Mittelfeld und bekam die Aufgabe die losen Mannschaftsteile zu verbinden, Huntelaar nahm den Platz von van Persie ein, der zunächst auf den Flügel auswich. Ein wenig später tauschten van Persie und Sneijder ihre Plätze, was dem Spiel der Niederländer gut tat. Während der erste der oben genannten Gründe für die Niederlage mit diesen Änderungen recht ordentlich behoben wurde, blieb das zweite Problem jedoch ganz offensichtlich bestehen und verschlimmerte sich gegen Ende der Partie sogar. Einzelne Offensivspieler der Niederländer attackierten die Deutschen, die keine Probleme hatten diese isolierten Störversuche zu Umspielen. Wenn die erste Reihe der Niederländer ausgespielt war, dann hatten die Deutschen wieder viel Zeit, da weiterhin große Räume zwischen den niederländischen Mannschaftsteilen vorhanden waren. Der Anschlusstreffer zum 1:2 fiel nach einer schönen Aktion von van Persie, nachdem Mats Hummels seinen ersten größeren Stellungsfehler des Turniers beging. Richtig viel Druck konnten die Niederländer in der Schlussphase allerdings nicht herstellen.

Fazit

Diese Niederlage geht in erster Linie auf die Kappe von Bert van Marwijk – der niederländische Trainer muss sich vorwerfen lassen, dass er einerseits fragwürdige Personalentscheidungen traf, da er die Erkenntnisse vom ersten Spieltag nicht berücksichtigte, andererseits dass er die Mannschaft schlecht eingestellt aufs Spielfeld schickte. Sowohl bei eigenem, als auch bei gegnerischem Ballbesitz, waren die Offensivkräfte von den defensiv ausgerichteten Spielern getrennt, sodass sich Jogi Löws Truppe über weite Strecken der Partie leicht tat und durchaus auch höher hätte gewinnen können. Die Außenverteidiger der Niederländer agierten zudem viel zu vorsichtig und die Flügelspieler Robben und Affeley befinden sich momentan in einer schwachen Verfassung. Die Niederländer hatten zwar mehr Ballbesitz (53%) und spielten mehr Pässe (551:490), allerdings spielte sich mehr vom Geschehen vor dem niederländischen Tor ab, wie man an der Grafik rechts erkennen kann. Die Deutschen wirkten fitter und entschlossener, begingen in der ganzen Partie nur sieben Fouls, obwohl die Spieler 30 (!!) Tacklings machten. Im Vergleich dazu begingen die Niederländer elf Fouls bei zehn Tacklings.

Vor allem aber war die deutsche Nationalmannschaft ihrem Gegner in taktischer Hinsicht klar überlegen. Die Ankündigung Bert van Marwijks vor dem Spiel, er werde unabhängig vom Verlauf des Turniers weiterhin niederländischer Teamchef bleiben, muss sich für die Oranje-Fans nach der Partie wie eine Drohung anhören. Natürlich beginnen jetzt die Rechenspiele in der Gruppe B – wer unter welchen Umständen aufsteigt, lest ihr am besten hier nach.

Stefan Karger, www.abseits.at

Stefan Karger

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