Und wieder einmal hat Gary Linekers berühmtes Zitat zugeschlagen. Im zweiten Vorrundenspiel der Gruppe B bezwang Deutschland in Lviv Portugal knapp und glücklich mit... Deutschland deutsch, Portugal aber nicht portugiesisch – ein taktisch hochklassiges 1:0 zum Auftakt!

Und wieder einmal hat Gary Linekers berühmtes Zitat zugeschlagen. Im zweiten Vorrundenspiel der Gruppe B bezwang Deutschland in Lviv Portugal knapp und glücklich mit 1:0. Lange Zeit bekamen die 33.000 Zuschauer vor Ort eine Pattstellung zu sehen, ehe Gomez in der 72. Minute den Siegtreffer erzielte. Davor und danach hatten aber ausschließlich die Portugiesen hochkarätige Torchancen, scheiterten aber entweder an Goalie Neuer oder der Latte.

Spielerisch bewegte sich das Duell zwar nicht auf Topniveau, dafür war es umso spannender. Ein individueller Fehler oder eine Einzelaktion hätte das Pendel zugunsten einer Mannschaft ausschlagen lassen können. Dass die Punkte letztlich zu Gänze auf das Konto des Teams von Jogi Löw wanderten, lag vor allem daran, dass dieses ihre Chancen nutzte. Portugal hingegen zeigte ungewohnte Schwächen in der Offensive, präsentierte sich aber im Mittelfeld taktisch extrem diszipliniert – ganz untypisch für die Iberer.

Hummels, Gomez und Boateng – Löw beweist Goldhändchen

Mit zwei Überraschungen ließ Bundestrainer Löw aufhorchen. Zum einen bekam Hummels in der Innenverteidigung den Vorzug gegenüber Mertesacker, zum anderen musste Klose an seinem 34. Geburtstag auf der Ersatzbank platznehmen. Anstelle des Lazio-Stürmers lief Bayern-Goalgetter Gomez auf. In beiden Fällen wurde damit argumentiert, dass die Bevorzugten in letzter Zeit mehr Spielpraxis gesammelt hatten und jeweils eine beeindruckende Saison hinter sich haben. Und in beiden Fällen sollte das Spiel Löws Entscheidungen rechtgeben. Hummels lieferte seine beste Partie im Dress der Nationalmannschaft ab und Gomez bewies einmal mehr seinen Torriecher. Lange war er nicht zu sehen und als sich Klose schon bereit zum Wechsel stand, köpfte der 26-Jährige das entscheidende Tor. Nicht wirklich überraschend, aber dennoch mit großer Aufmerksamkeit nahm man die Aufstellung von Boateng zur Kenntnis. Der Rechtsverteidiger sorgte jüngst mit Eskapaden mit C-Promi Gina-Lisa für negative Schlagzeilen, worauf Löw sogar sagte, er ziehe auch Mittelfeldspieler Bender als ernsthafte Alternative in Betracht. Aber auch hier bewies der 52-Jährige, dass er ein Fachmann in der Entscheidungsfindung ist. Boateng verlangte Superstar Ronaldo alles ab und grätschte ihn einmal in höchster Not entscheidend ab.

Portugal im klassischen 4-3-3

Paulo Bento schickte das zu erwartende Personal in einem klassischen 4-3-3 aufs Feld. Die beiden Außenstürmer, Nani und Cristiano Ronaldo, waren kaum an Defensivaktionen beteiligt, während sich die Außenverteidiger oft in den Angriff einschalteten – vor allem von Coentrao gingen viele Offensivimpulse aus. Das Dreiermittelfeld mit Raul Meireles, Miguel Veloso und Joao Moutinho war besonders gefordert, denn will man das deutsche Team ihrer Kreativität beschneiden, muss man Schweinsteiger und Özil aus dem Spiel nehmen, was dem Trio über weite Strecken des Spiel ausgezeichnet gelang.

Portugals Mittelfeld schaltet deutsches Zentrum aus

Zwar berührten Khedira (68), Schweinsteiger (63) und Özil (59) allesamt das Leder öfter als der Portugiese mit den meisten Ballkontakten (Coentrao, 56), von den insgesamt 157 Pässen, die die drei Deutschen spielten, waren aber nur 75 nach vorne gerichtet (64 angekommen). Mit hoher Laufarbeit stellten Meireles, Veloso und Moutinho die Passwege zu den Kreativspielern zu bzw. verfolgten sie auf Schritt und Tritt. Zu Spielbeginn richteten sie ihren Fokus vorrangig auf Özil und Schweinsteiger, als Khedira aber immer wieder gedankenschnell vorstieß und die Räume im Ansatz nutzte, wurde auch er angelaufen. Die Gegenspieler wurden gut getimt übergeben und auf die Seiten abgedrängt. Man mag nun vermuten, dass die Deutschen dort gelegentlich Überzahl hatten, dem war aber nicht so. Lahm und Boateng agierten viel zu verhalten, wodurch sich meistens Zwei-gegen-Zwei-Stellungen ergaben und Portugal im Zentrum klar die Oberhand hatte.

Ein weiteres Problem, das sich dadurch für die Deutschen ergab war, dass sie nicht zwischen die portugiesischen Linien kamen und mit dem Ball drehen konnten. Die einzigen offenen Stellungen erzielten sie durch viel zu langsame Verlagerungen auf die Flügelspieler, die sich aber oft in Unterzahl befanden und kaum Raum hatten ihre Qualitäten auszuspielen.

Pärchenbildung und Ermüdung des Gegners der Schlüssel zum Erfolg

Nach dem Seitenwechsel versuchte Deutschland das Spiel höher aufzubauen um mehr Druck auf Portugals Defensive auszuüben und diese zu ermüden. Außerdem positionierten Schweinsteiger und Khedira bewusst nah an den Flügelspielern um mit ihnen zu kombinieren und Flankenmöglichkeiten zu kreieren. Mit Fortdauer des Spiels gelangen ihnen diese beiden Dinge auch immer mehr. Letztlich ging auch das 1:0 auf ein derartiges Szenario zurück, denn Khedira, der die Flanke auf Gomez schlug, wurde auf der rechten Seite von Schweinsteiger eingesetzt. Das portugiesische Mittelfeldtrio konnte dem Tempo der deutschen Kombinationen immer weniger folgen, wodurch sich die Hereingaben aus dem rechten Halbfeld mehrten. Weiters wirkten die Portugiesen im Abwehrzentrum wenig souverän. Wenn immer die Deutschen in die Nähe des Strafraums kamen, wurden Pepe & Co. hektisch, verloren die Ordnung – wenig verwunderlich, dass beim Gegentor auch ein Stellungsfehler der Innenverteidiger involviert war.

Deutschlands Hintermannschaft wankt

Flanken und Querpässe waren auch das bevorzugte Mittel der portugiesischen Offensivabteilung. Nachdem das Mittelfeld hauptsächlich an Defensivaufgaben gebunden war, schien der Weg über Ronaldo und Nani die logischste Entscheidung, sie war jedoch nicht von besonderem Erfolg geprägt. Nur zwei von 28 Hereingaben fanden einen Abnehmer, viel zu sicher stand die deutsche Viererkette. Das eindimensionale Spiel über die Flanken, das zwar in der zweiten Halbzeit intensiviert wurde, blieb somit ohne Wirkung. Nach dem Gomez‘ Tor stellte Bento seine Strategie um, brachte Varela für Meireles und stellte auf ein 4-2-3-1 um und prompt geriet Löws Hintermannschaft unter Druck. Mit einem Zehner hinter Oliveira, der in der 70. Minute Postiga ersetzte, hatte man nun eine entsprechende Querverbindung zwischen den Flügeln und konnten kombinieren. Fünf von elf Schüssen gaben die Portugiesen erst nach der 80. Minute ab.

Woran Portugal scheiterte

Die Möglichkeiten zum Ausgleich waren zweifelsfrei gegeben. Nani setzte einen Lupfer an die Latte, Ronaldo und Varela scheiterten an Neuer und Hummels bzw. Badstuber blockten Schüsse im letzten Moment oder klärten in den Strafraum fliegende Flanken. „Ich bin unglücklich mit dem Ergebnis“, hat sich Bento wohl mindestens einen Punkt erwartet. „Ich glaube, wir haben das Spiel kontrolliert und gut verteidigt.“ In der Tat hat seine Mannschaft die Räume geschickt eng gemacht und dem Gegner über weite Strecken nicht ins Spiel kommen lassen – insbesondere das Mittelfeld-Trio verdient sich an dieser Stelle ein Extralob. Jogi Löw war mit seiner Mannschaft ebenfalls zufrieden und lobte die taktische Leistung, fordert aber, dass sein Team „noch zielstrebiger nach vorne spielt und sich mehr Torchancen erarbeitet.“ Am kommenden Spieltag gegen die Niederländer, die überraschend Dänemark unterlagen, könnte dieses Ziel bereits erfüllt werden. „Sie müssen nach vorne spielen und gewinnen“, so Löw, der sich dadurch mehr Platz für seine Kreativspieler erhofft.

axl, abseits.at

Alexander Semeliker

@axlsem

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