Holland scheitert an sich selbst und an cleveren Dänen – „Todesgruppe B“ wird zum Nervenspiel
Gruppe B 10.Juni.2012 Rene Maric 0
Die Todesgruppe begann mit einer vermeintlichen Favoritenstellung für die Niederlande. Dabei sind die Dänen ein weiterer Grund, wieso diese Gruppe die wohl schwerste bei diesem Turnier ist. Sie können kontern, selbst das Spiel machen und ihr Spielsystem auf den Gegner einstellen. Gemeinsam mit der Meinung, dass sie die schwächste Mannschaft dieser Gruppe darstellen, entwickelt sich eine gefährliche Wechselwirkung. Die Niederländer bekamen dies in der ersten Halbzeit zu spüren. Die Oranjes machten das Spiel, kamen aber nur zu ein paar Chancen und die Dänen erzielten letztlich den Führungstreffer nach einem Konter. In weiterer Folge erstarkten die Nordeuropäer etwas und spielten ebenbürtig, wenn auch defensiver.
Die Niederlande – offensivstark und dennoch teilweise zahnlos
Im Gegensatz zu dem von vielen Skeptikern (auch aus dem eigenen Land wie Johan Cruijff) erwarteten pragmatischen Fußball begannen die Favoriten dem Auge wohlgefällig. Sie ließen den Ball laufen, zeigten sich offensiv und griffen unaufhörlich an. Im Tor hatten sie mit Stekelenburg einen modernen Torhüter, der sich am Aufbauspiel beteiligen kann – vermutlich sogar besser als Vlaar halblinks in der Viererkette, welcher das Glück hatte, aufgrund des Risikos von hohem Aufrücken nicht wirklich von den Dänen gepresst zu werden. Neben ihm spielte Heitinga, der einen moderneren Spielertypus in der Innenverteidigung darstellt. Zu Beginn des Spiels wurden diese beiden im Aufbauspiel von de Jong unterstützt, was kurzzeitig eine interessante Idee van Marwijks zeigte.
Durch de Jong, der technisch solide ist, aber kein Spielgestalter, erhöhte sich die Absicherung und man wollte die Dänen herausziehen. Mit Van Bommel und einem tieferen Sneijder auf einer Linie gäbe es zwei sichere Anspielstationen davor, um das hohe Pressing der Dänen auszuhebeln. Problem: das fand nicht statt, weswegen diese Läufe de Jongs nicht einmal genutzt wurden und im Ansatz nur in den ersten wenigen Minuten vorkamen. Später fächerten die Innenverteidiger wie üblich breit auf und ließen niemanden zwischen sich fallen, sondern Van Bommel als spielstärkerer der beiden Sechser schob etwas tiefer: auf eine Höhe mit den Außenverteidigern, aber vor die Innenverteidiger, statt dazwischen. In das dadurch entstandene Loch ließ sich Sneijder fallen und bewegte sich horizontal. Er fungierte somit als primärer Spielgestalter, was jedoch ein Loch nach vorne aufwarf. Zwar hatte Sneijder aufgrund des dänischen Pressings im Mittelfeld zwischen den Linien viel Platz, war jedoch von Van Persie abgetrennt und folglich im Zentrum alleine. Darum kamen die meisten Angriffe der Niederlande zunächst über die Flügel, um später doch wieder in der Mitte zu landen.
Die Stürmer stellen ohnehin das Prunkstück des niederländischen Angriffs dar. Mit Robben und Afellay gibt es dabei ein interessantes Pärchen auf den Flanken. Sie können sowohl invers, als auch diagonal und vertikal laufen – für letzteres sind jedoch Rochaden notwendig. Diese fanden statt, um sich selbst flexibel zu halten. Oftmals ging Robben nach links und Afellay nach rechts, wo sie ihre Torgefahr etwas beschnitten. Zeitgleich konnten sie jedoch ihren aufrückenden Außenverteidiger „vorderlaufen“ und dennoch zum Abschluss zu kommen. Der defensive Flügel würde die nötige Breite bringen und hinterlaufen, eine etwaige Flanke aber gelegentlich verzögern. Stattdessen würde der Flügelstürmer abermals starten und aus der Tiefe kommen, um sich für einen Lochpass mit darauffolgendem Abschluss oder einer flachen Hereingabe anzubieten. Ansonsten – sprich: Roben rechts, Afellay links – suchten sie selbst den Abschluss und die Flanken wurden von den offensivorientierten Außen geboten. Am meisten haderten sie schließlich an sich selbst: trotz des interessanten Defensivkonzepts der Skandinavier erspielten sich die WM-Finalisten von 2010 einige gute Chancen, vergaben sie aber teilweise kläglich. Diese Abschlussschwäche ist man insbesondere von Van Persie nicht gewohnt, der sich in dieser Saison bei Arsenal London einmal mehr als abschlussstarker Stürmer von Weltklasseformat präsentierte.
Dänemark – intelligent und glücklich
Ähnlich wie die Russen im gestrigen Spiel versuchten die Dänen durch eine besondere Art zu verteidigen sich gewisse Vorteile zu erspielen: eine etwas passiver, dafür aber raumverengende Spielweise. Die Niederländer machten ihnen jedoch einen Strich durch die Rechnung, ihre individuelle Qualität und insbesondere die Passstärke nutzten diese Räume gut für gefährliche Pässe ins Loch. Allerdings sei gesagt, dass die Niederländer sehr viele Abschlüsse auch aus der Entfernung oder unter Bedrängnis hatten und das Konzept der Dänen zumindest in Teilen aufging. Einige der Chancen waren aber ungemein gefährlich, was die Niederlande durchaus zu dem ein oder anderen Treffer berechtigt hätte.
Allerdings hatten sie defensiv gewisse Probleme. Sneijders und Robbens Defensivschwäche wurde genutzt, indem vereinzelt das defensive Mittelfeld bei Kontern aufrückte und der linke Außenverteidiger der Dänen sehr offensiv spielte. Damit wurde die rechte Abwehrseite der Oranjes überladen, womit van der Wiel gewisse Probleme hatte. Er zeigte die ein oder andere Schwäche im Stellungsspiel, nach der Halbzeit attackierten die Dänen jedoch etwas mehr über rechts. Sneijder bewegte sich nämlich stärker nach links, ebenso wie van Persie und Afellay zog dann ins Zentrum. Somit waren beide Seiten anfällig und bei schnellem Kontern war die Dynamik von Krohn-Dehli und Rommedahl von großem Nutzen.
Interessant war auch das Aufbauspiel. Mit Torwart Andersen und einer extrem breiten Positionierung der Innenverteidiger wollten sie den Gegner in die Tiefe schieben und sich selbst das Leben erleichtern. Dies funktionierte gut, weil die Niederlande nur vereinzelt Angriffspressing betrieb und den gegnerischen Torhüter unter Druck setzte. Etwas überraschend pfiff Kapitän Mark van Bommel zurück, doch in der zweiten Halbzeit zeigte sich, wieso. Nach dem Rückstand mussten sie höher pressen, das förderte allerdings Lücken zutage, welche der junge Eriksen als Spielgestalter zum Organisieren der Angriffe seiner Mannschaft nutzte. Die Dänen hatten nun mehr Ballbesitz und konnten sich auch spielerisch zeigen. Mit aufrückenden Bewegungen von hinten und dem invers agierenden Krohn-Dehli wurden sie gefährlich. Bei eigenen Abstößen zog man durch kurze Pässe in Sechzehnernähe die Niederländer auseinander und zerstörte ihre Kompaktheit. Sneijder orientierte sich dabei immer höher und machte aus der niederländischen Formation teilweise ein klassisches 4-4-2 mit offensiven Flügeln.
Pressingformationen
Was auffällig war: das vereinzelte Pressing im Angriff durch die Niederlande, was letztlich einem Mittelfeldpressing weichen musste. Dänemark attackierte ohnehin eine Ebene tiefer und ließ die Niederländer kommen. Dabei spielten sie nominell im 4-2-3-1, machten aber die Räume in der eigenen Hälfte kompakt. Dadurch entstand oftmals ein 4-4-1-1 oder gar ein 4-5-1 mit flacher Fünf. Die Viererkette konnte eng agieren und Schnittstellen versperren. Wenn sie auf die Seite verschieben musste, ließ sich einer der Sechser, zumeist der ballferne, in die Kette fallen. Durch die flachen Hereingaben in dne Rücken der Abwehr und hervorragende Lochpässe von Sneijder und Robben wurde diese Formation teilweise ausgehebelt.
Gegenteilig veränderte sich die niederländische Pressingformation. Anstatt im gegnerischen Angriffsablauf defensiver zu werden, schob sich Sneijder oft nach vorne und es wurde in 4-4-2 gebildet. Meist asymmetrisch, da Sneijder halblinks spielte und sich zwischen Afellay und Van Persie orientierte. Robben war dadurch oft auf sich alleine gestellt, was zu Beginn eine Defensivschwäche weiter forcierte: Dänemark musste fast schon auf die von ihnen gewünschte Seite verschieben. Offensiv zeigte der Bayernspieler eine gute Partie, alleine die Effektivität ging ihm wie seinen Mannschaftskameraden ab. Er sorgte ein paar Male für gefährliche Abschlüsse und gute Lochpässe, stand in letzterem eigentlich nur Wesley Sneijder nach, der zahlreiche Traumpässe aus dem Fußgelenk schüttelte. Nach der Einwechslung van der Vaarts war er nominell sogar auf dem linken Flügel, spielte aber von dort aus herausragende Diagonalpässe und zog andauernd in die Mitte, wo er sich bekanntlich am wohlsten fühlt.
Alles in allem war es eine interessante Partie mit viel Bewegung und Kreativität. Bei den Dänen schien der Faktor Glück eine Rolle gespielt zu haben, ihr interessantes Defensivkonzept ging nicht völlig auf: bei den Kontern waren sie ein paar Male gefährlich, womit sie Nadelstiche setzen konnten. Bezüglich Ballbesitz und Torchancen zeigte sich Holland klar überlegen und hätte das Spiel durchaus auch gewinnen können. Die Oranjes spielten über 90% ihrer Pässe erfolgreich, die Dänen etwas über 83%. Eine hervorragende Quote von beiden Teams, was für das technisch hohe Niveau sowie die suboptimalen Defensivtaktiken spricht. Am Ende fehlte es den Niederländern an der letzten Entschlossenheit und Willen, um das Spiel noch zu drehen. In der Schlussphase wirkten sie schwächer als jemals zuvor in dieser Partie.
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Rene Maric
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