Anekdote zum Sonntag (20) – Die gekränkte Eitelkeit des Johann R.
Fußball in Österreich 8.Februar.2015 Marie Samstag 0
Hans Riegler steht nicht in der Reihe der ganz großen österreichischen Fußballlegenden. Und das obwohl der Wiener einst gemeinsam mit den Körner-Brüdern, Walter Zeman, Ernst Happel, Robert Dienst und Erich Probst in einer Mannschaft spielte, sechs Mal Meister wurde und an der WM-Endrunde 1954 teilnahm. Der Offensivspieler war außerdem der Prototyp jener ersten Wiener Doppelagenten, die sowohl für Grün-Weiß als auch für Violett die Schuhbänder schnürten: Beim FC Wien großgeworden, verlebte der pfeilschnelle Rechtsverbinder den erfolgreichsten Teil seiner Karriere zehn Jahre lang beim SK Rapid, ehe er zum Konkurrenten Austria wechselte, wo er 1961 noch ein weiteres Mal Meister wurde. Nach einem Auslandsengagement in Frankreich ließ er seine Karriere schließlich bei Austria Klagenfurt ausklingen.
Auch Norbert Lopper ist nicht gerade „weltberühmt“ in Fußball-Österreich. Erst seit dem vergangenen Sommer hat sich der Bekanntheitsgrad des ehemaligen violetten Klubsekretärs über die Grenzen der Bundeshauptstadt hinaus vergrößert. Zuvor war der bald 96-jährige Wiener fast nur eingefleischten Alt-Austria-Fans ein Begriff. Jetzt liefert seine Lebensgeschichte „Mister Austria. Das Leben des Klubsekretärs Norbert Lopper. Fußballer. KZ-Häftling. Weltbürger“ ein mehr als beeindruckendes Zeitdokument einer mehr als beeindruckenden Persönlichkeit. Wie ein roter Faden zieht sich Loppers Fußballverrücktheit durch sein Leben: Als Junger wurde diese Leidenschaft im Wiener Augarten geweckt und in der Mannschaft des SC Hakoah ausgelebt. Als Jude in der „Hölle auf Erden“ (Auschwitz) interniert, war an Kicken auf hohem Niveau nach der Befreiung und dem Ende des Zweiten Weltkrieges jedoch nicht mehr zu denken. Lopper verlegte sich aufs Anfeuern und gründete nach seiner Rückkehr nach Wien den ersten Austria-Fanklub. Später wurde er Klubsekretär der Favoritner und fädelte zahlreiche Transfers ein. Unter anderem zeichnete er sich für die Verpflichtung eines Simmeringer Lockenkopfs aus: Herbert Prohaska.
Einen Transfer brachte Lopper jedoch nicht unter Dach und Fach. Und das wahrscheinlich auf die kurioste Art und Weise, die man sich vorstellen kann. Angeknackster Stolz und schwer nachvollziehbare Rachegelüste spielten dabei eine gewichtige Rolle:
Hansi Riegler, der Meistersprinter aus Favoriten, kickt bereits als fünfzehnjähriger Bursche in der Kampfmannschaft des FC Wien. Wie der zehn Jahre ältere Norbert Lopper hat auch Riegler in der Schnittstelle zwischen „Mazzeinsel“ und Brigittenau erstmals gegen den Ball getreten. Doch während Lopper nach der Annexion 1938 zur Flucht nach Brüssel gezwungen ist, bleibt die Familie Riegler in Wien: Hans und sein Bruder Franz, genannt Bobby, übersiedeln mit ihren Eltern aus der Leopoldstadt in den zehnten Wiener Gemeindebezirk. Bobby, der gelernte Hafner, ist vierzehn Jahre älter als sein Bruder, auch Fußballer und bringt diesen zum FC Wien. Riegler kann schon als junger Bursche aufgrund des kriegsbedingten „Männermangels“ seine Knochen in der Wiener Liga hinhalten und macht sich als antrittsschneller und torgefährlicher Spieler einen Namen. Nach dem Krieg interessiert sich Rapid für den technischbeschlagenen Offensivmann: Keine schlechte Option, denkt Riegler. Immerhin spielt auch sein Ex-Kollege Zeman seit kurzem für die Hütteldorfer. Doch bei der Wiener Austria war sein Bruder als Flügelstürmer aktiv: 1936 flankt Bobby Riegler in den Strafraum dorthin, wo der Erdberger Camillo Jerusalem wartet: Kopfball – 0:1 – Sparta Prag geschlagen: Die Austria ist Mitropapokalsieger! In diese Fußstapfen möchte Hans gerne treten. „Das hat mich beeindruckt und motiviert.“, beschreibt er Jahrzehnte später Augenblicke wie diese, an denen er gebannt von der Tribüne aus seinem Vorbild auf die Füße gesehen hat. Doch aus der brüderlichen Nachfolge wird nichts. Die Austria wird bei Hans nicht vorstellig. Trotz des Krieges haben die Veilchen keine Nachwuchsprobleme: „Riegler 2“ wird nicht gebraucht.
Mit einem – inzwischen verstorbenen – Matthias Sindelar als guten Freund der Familie und einem Bruder, der sich als wichtiges Mitglied der violetten Kampfmannschaft bis vor kurzem die Füße wundgelaufen hat, wechselt man nicht mir-nichts-dir-nichts nach Wien 14. Als der Sportclub Rieglers Dienste erbittet, scheint ein „Kompromiss“ zustande zu kommen. Ein Wechsel zum lachenden Dritten aus Hernals ist die Lösung: Denn zur Austria kann Riegler nicht und zu Rapid will Riegler wegen seiner violett-eingefärbten „Familientradition“ nicht. Hans Riegler und die sportliche Führung der Schwarz-Weißen sind sich beinahe einig, die fehlende Wertschätzung der Veilchen wurmt den spielstarken Stürmer aber immer noch. Niemand beim FAK hat sich um ihn geschert. Obwohl es dafür aufgrund mangelnden Spielerbedarfes ausreichende Gründe gibt, kann er diese Ablehnung nicht so leicht verdauen. Er sinnt auf Rache.
Am Tag vor der Unterzeichnung des Vertrages bei den Dornbachern sitzen Riegler und Austria-Sekretär Lopper zusammen unter den Zuschauern der Friedhofstribüne. Auf dem Feld tobt ein harter Kampf: Austria gegen Sportklub. Lange Zeit steht es unentschieden – 4:4. Erst in der letzten Minute gelingt es den Veilchen das Siegestor zu erzielen. Lopper springt jubelnd auf: Oh, wie ist das schön! So ein Krimi und dann biegen es seine Violetten doch noch hin. Seine extensive Begeisterung wird durch einen kurzen, aber bestimmten Schulterklopfer unterbrochen. Er dreht sich zur Seite. Riegler rückt näher und fragt vorwurfsvoll: „Was, du paschst gegen mein‘ Klub?!“ Sprachs und verließ das Stadion. Lopper bleibt die Replik im Halse stecken, wie ein begossener Pudel blickt er dem „Mann mit der Doppellunge“, wie Riegler nicht nur wegen seiner Laufleistung sondern auch wegen seiner Vorliebe für Glimmstängel genannt wird, hinterher. Einen Tag später klappt dem Sekretär die Kinnlade noch weiter hinunter, als er erfährt, dass der gebürtige Leopoldstädter nicht beim Sportklub sondern beim Erzrivalen unterschrieben hat. Bittere Rache eines Nicht-Gebrauchten?! Vielleicht. Vielleicht ist es aber auch nur eine gutgestrickte Geschichte: Denn Rapid und Riegler waren sich schon länger einig. Der Ex-Austria-Star Bobby hatte die Transferkonditionen für seinen kleinen Bruder selbst ausgehandelt, nachdem Pfarrwies‘n-Kanonier Franz Binder bei den Eltern Riegler um eine Verpflichtung ihres zweiten Sohnes gebuhlt hatte. Viel Lärm um nichts. Gab Riegler doch viele Jahre später zu, die grün-weißen Spiele regelmäßig verfolgt zu haben.
Eine wahre Pointe hat die Geschichte aber letztendlich dennoch: Nach zehn schönen Jahren im Wiener Westen, überwirft sich Riegler mit der Klubführung und kommt schließlich zu jenem Verein, der seinem Bruder so viel zu verdanken hat. Von diesem Engagement profitieren alle: Riegler, der grün-weiße Kettenraucher, wird skeptisch empfangen und bald darauf frenetisch beklatscht. Das schnelle Leichtgewicht ergänzt sich großartig mit dem breiten Riesen Horst Nemec. Der Meistertitel 1961 ist die Krönung des Erfolges und die endgültige Versöhnung zwischen Lopper und Riegler. Spät aber doch. Einen Streit hat es ja eigentlich nie gegeben.
Marie Samstag, abseits.at
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Marie Samstag
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