Ein Autogrammjäger sind eine spezielle Sorte von Menschen. Stundenlang warten sie bei jeder Witterung auf die Unterschrift ihres Idols. Rudi Hiden, der Wunderteamtormann, war... Anekdote zum Sonntag (43) – Vom Leben und Sterben des populärsten Mannes von Wien

Wien Landeswappen_abseits.atEin Autogrammjäger sind eine spezielle Sorte von Menschen. Stundenlang warten sie bei jeder Witterung auf die Unterschrift ihres Idols. Rudi Hiden, der Wunderteamtormann, war es gewohnt, dass junge Männer seiner harrten. Ab und an war auch eine Dame dabei, denn der gebürtige Grazer zog Frauen an, wie sonst nur Fußbälle, wenn er sich katzenartige auf jede Kugel stürzte, die ihm entgegen sprang. Dabei achtete er darauf möglichst spektakulär zu wirken. Und das ging manchmal – im wahrsten Sinne des Wortes daneben – so warf sich Hiden bei der legendären 3:4-Niederlage gegen England besonders formschön auf einen Ball, der knapp am Tor vorbei gegangen wäre. Er bescherte den Three Lions aber so einen Eckball, aus dem das 1:0 für die Hausherren resultierte. Trotz des Unmutes einiger Sportfreunde blieb Hiden seiner Natur treu und seine riskant-witzigen Aktionen blieben sein Markenzeichen. Er wollte den Zuschauern und sich Unterhaltung bieten. Viele Frauen kamen ausschließlich wegen Hiden ins Stadion. Der Steirer, dessen dunkelblondes Haar formschön zu seinem schwarzen Rollkragenpullover mit weißem Kragen passte, war eine elegante Erscheinung. Sportlich überzeugte er mit punktgenauen Auswürfen, Lufthoheit und als Elfmeterkiller. In seiner ersten Saison beim Wiener Athletik Club hielt Hiden ganze sieben Strafstöße, insgesamt sollte er 16 Penalty abwehren.

1931 schrieb das Wiener Montagblatt in einer Matchberichterstattung 1931: „Und wenn schon alle geschlagen waren, hielt immer noch einer stand: Hiden.“ Damals, in den frühen 30ern, liebten die österreichischen Fußballfans ihren „Praterlöwen“, wie der Tormann aufgrund seiner starken Auftritte im späteren Happelstadion genannt wurde. Abseits des Platzes fand man ihn oft von Bewunderern umgeben in den Cafés und Bars der Hauptstadt. Während seine Ehefrau weiterhin in Graz lebte, führte Hiden das lustige Leben eines Junggesellen. Er konnte schlecht „Nein“ sagen und war österreichweit bekannt und beliebt. Die legendäre Niederlage des Wunderteams gegen England im Dezember 1932 wurde per Radio in zahlreichen Kaffeehäusern und sogar auf dem Wiener Heldenplatz übertragen. Mutter Luise Hiden zeigte für den Einsatz ihres Sohnes jenseits des Kanals wenig Verständnis: „Gerade jetzt, wo das Weihnachtsgeschäft losgeht!“, schlug die selbständige Bäckerin die Hände über dem Kopf zusammen. Doch Rudi Hiden sollte nie wieder in der hauseigenen Backstube Striezeln flechten, stattdessen huldigten ihm zahlreiche Fans, wo er ging und stand. Selbst die Kleinsten kannten und liebten ihn. Besonders illustriert dies eine Geschichte, die sich anlässlich einer Rede des österreichischen Bundeskanzlers zugetragen hat: Ein Volksschüler bat den Staatsmann nach der Veranstaltung um eine Unterschrift. Der Kanzler erfüllte den Wunsch des Buben und wollte sich gerade abwenden, als der Knirps den Politiker noch um ein zweites Autogramm bat: „Reicht dir denn das eine nicht?“, fragte dieser. Die Antwort des kleinen Wieners: „Ja, schauen Sie, gegen zwei Bundeskanzler-Autogramme kann ich in der Schule ein Autogramm vom Rudi Hiden eintauschen!“ Die Grenzen der Volksnähe – hier bekam sie der Politiker von einem Taferlklassler aufgezeigt. Jedoch auch diese schier grenzenlose Beliebtheit des Sportlers verlor sich mit der Zeit: Mit einem 4:0-Sieg über Frankreich wurde das Ende des Wunderteams eingeläutet. Für 80.000 Francs wechselte Rudi Hiden zu Racing Club Paris, mit dem er den Sprung zum nationalen Topverein schaffte. Er holte mit den Parisern drei Cuptitel sowie einmal die Meisterschaft. Als eingebürgerter Franzose spielte Rodolphe noch für die équipe tricolore bevor er seine aktive Karriere beendete. Der unschöne Teil seines Lebens begann mit deutscher Kriegsgefangenschaft, in die er als französischer Soldat geraten war. Auch finanziell kollabierte Hiden noch während des Krieges, als seine Pariser Bar, in die er sein gesamtes Vermögen investiert hatte, in die Pleite schlitterte. Der begabte Torhüter erwies sich als unbegabter Geschäftsmann und musste sich zeitweise sogar als Kunstschütze im Zirkus über Wasser halten. Nach dem Krieg versuchte er sein Glück als Trainer, doch auch hier verlief wenig nach Wunsch: Ein Zwischenspiel bei Besiktas Istanbul läutete eine Periode der „hired and fired“-Trainerjobs in Italien ein. Der polyglotte Ex-Torhüter beehrte Palermo, Messina, Salerno und Vicevano ohne durchschlagenden Erfolg zu haben. Aus dem lustigen Lebemann war ein verunglückter Lebenskünstler geworden. Sein letzter unternehmerischer Versuch war die Eröffnung einer Pension am Klagenfurter Wörthersee, doch auch dieses Unterfangen musste er schließlich als misslungen zu den Akten schieben. In dieser Zeit machten ihm gesundheitliche Probleme das Leben schwer: Zunächst wurde eine falsch auskurierte Oberschenkelverletzung noch aus seiner Zeit als Leistungssportler diagnostiziert, letztendlich stellte sich heraus, dass Hiden an Krebs litt. 1969 musste „Rodolphe Hiden, wohnhaft in Wittelsbachstraße 3/11, 1020 Wien, mittellos“ um Wiedereinbürgerung ansuchen. Die wenigen begüterten Freunde, die ihm geblieben waren, ermöglichten ihm eine Operation bei Prof. Chiari. Chiari entfernte ihm das rechte Bein. Doch auch diese Amputation konnte sein Leben nicht mehr retten: Bundeskanzler Kreisky organisierte für den einstigen „Praterlöwen“ ein Ehrengrab am Stammersdorfer Zentralfriedhof. Die vielen Polizisten, die Kreisky zu Hidens Begräbnis abkommandieren ließ, blieben an jenem Herbsttag 1973 jedoch arbeitslos. Kaum zweihundert Menschen erschienen: Der einst populärste Mensch von Wien wurde still zu Grabe getragen.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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