Marcel Koller muss gehen. Auf den ersten Blick eine nachvollziehbare Entscheidung, konnte er doch das Niveau, auf das er das österreichische Nationalteam gehievt hat,... Kommentar: Bildungsangst im ÖFB

Marcel Koller muss gehen. Auf den ersten Blick eine nachvollziehbare Entscheidung, konnte er doch das Niveau, auf das er das österreichische Nationalteam gehievt hat, nicht halten. Der unwürdige Rauswurf Willi Ruttensteiners und das Auftreten des ÖFB-Präsidiums offenbaren aber, dass die Trennung von Marcel Koller andere Gründe hat.

Es gibt im ÖFB Anlass zur Hoffnung. Selten erlebt man, dass sich Spieler zu den Vorgängen in ihrem Umfeld so deutlich und vor allem so zahlreich äußern. Das hat nicht nur damit zu tun, dass diese Spielergeneration überdurchschnittlich intelligent ist, wie ÖFB-Präsident Windtner festgehalten hat. Es ist das Wesen einiger Menschen im Präsidium, das die Spieler richtigerweise dazu nötigt, sich an die Medien zu wenden – und zu kritisieren. Damit bestätigen die Spieler Windtner nicht nur; ihr Handeln zeigt auch, wie schlimm es um den ÖFB bestellt ist.

Der Zyniker

Der niederösterreichische Verbandschef Johann Gartner wartet mit einer Aussage auf, die an Zynismus – vielleicht sogar bewusst – kaum zu überbieten ist: Der ehemalige ÖFB-Präsident Beppo Mauhart „hätte sich von seinen Gremien nicht so viel gefallen lassen wie Leo Windtner.“ Ausgerechnet einer derjenigen, die für Windtners schwache Position verantwortlich sind, werfen ihm diese auch noch öffentlich vor.

Dabei können die Revoluzzer im Präsidium nicht gerade fachliche Kompetenz vorweisen. Gartner ist einer von ihnen. Er bewies es mit der Behauptung, man müsse „weg von Wissenschaft und zurück zum Fußball“. Der Satz bezog sich auf die Entfernung Ruttensteiners als Sportdirektor. Gartner glaubt auch, gegen die Kritik, er sei ahnungslos, immun zu sein. Er vergleicht den ÖFB mit einem Chemiekonzern: „Auch in einem Chemiekonzern arbeiten nicht nur Chemiker.“ Doch in einem Chemiekonzern wird der einem Sportdirektor gleichgestellte Angestellte eher kein Ahnungsloser sein. Der fiktive Chemiekonzern steht damit im Gegensatz zum ÖFB. Denn was bedeutet Gartners Erklärung, man wolle weg von der Wissenschaft, für den neuen Sportdirektor Peter Schöttel? Damit gibt Gartner, wohl unbeabsichtigt, zu, dass er Schöttel für fachlich weniger beschlagen als seinen Vorgänger hält.

Was Josef Geisler über Schöttel denkt, ist nicht genauer bekannt. Der Präsident des Tiroler Verbandes schlägt jedenfalls in die selbe Kerbe wie Gartner. „Theorie bringt den Fußball nicht weiter“, sagte er im August 2011. Gerade die zeitliche Distanz zwischen diesen Äußerungen ist es, die die Geisteshaltung im ÖFB-Präsidium offenbart.

Warum das Präsidium handelt, wie es handelt

Was könnte diese Herren zu solchen Gedanken verleiten? Gartner ist 67Jahre alt  und Bürgermeister. Geisler ist 62 und Richter. Die übrigen sieben Landespräsidenten, die das Präsidium bestücken dürfen, senken den Altersschnitt nicht unbedingt. Wirft man einen Blick auf die Zivilberufe der Herren dieses Gremiums, bekommt man nicht den Eindruck, dass hier ungebildete Menschen am Werk sind, im Gegenteil. Es handelt sich beispielsweise um Juristen, Ärzte, Medienunternehmer, Direktoren einer Arbeiterkammer. Kurz gesagt: Es sind vor allem Menschen, die akademische Bildung genossen haben.

Als diese Personen jünger waren, bestand im Fußball ein geringerer Klassenunterschied als heute. Die wirtschaftliche Situation war eine andere, die internationalen Bewerbe, auch Großturniere, weit weniger kommerzialisiert. Die österreichische Nationalmannschaft, wie auch Vereinsmannschaften, konnte mehr Erfolge verbuchen als in den Neunziger- und den Nullerjahren. Folglich war es leichter, Heldenbilder zu haben – Krankl, Prohaska, Hickersberger und so weiter und so fort. Die heutigen Landeschefs haben genau diese ehemaligen Spieler zu ihren Idolen auserkoren. Diese sind im ganzen Land bekannt. Sie waren als Spieler erfolgreich, also müssen sie es auch als Trainer sein. Eine Logik, die nicht aufgeht. Nicht in einer Zeit, in der der Fußball nicht nur dem Gewinnstreben ausgeliefert wird und daher – eben um den Gewinn zu maximieren – ein Match die geringsten Risiken bergen soll, weshalb mit sportwissenschaftlichen Erkenntnissen gearbeitet wird. Der Taktik kommt dabei ebenso eine wesentlich größere Bedeutung zu.

Die Landesverbandspräsidenten hingegen sind in ihrem Alltag nicht mit Summen in zwei- oder gar dreistelliger Millionenhöhe konfrontiert. Dementsprechend ist das Niveau des Fußballs niedriger. Sie haben mit Vereinen von der dritthöchsten Spielklasse abwärts zu tun. Dort spielen Amateure. Diese haben ob ihrer Brotberufe selbstverständlich weniger Zeit, sich mit Fußball auseinanderzusetzen. Das macht es schwieriger, Taktiken zu trainieren. (Selbst Marcel Koller jammert, Verzeihung: hat gejammert, dass ihm als Teamchef die Zeit fehle.)

Es ist nur logisch, dass die Landeschefs keine Ahnung von taktischen Konzepten haben und diese Wissenslücke daher mit den Idolen ihrer Adoleszenz füllen. Das Schlimme daran ist, dass sie dem österreichischen Fußball damit einen Bärendienst erweisen.

Ist Ruttensteiner selbst schuld?

So sieht die gutgläubige Variante aus. Die (noch) kritischere: Die Landeschefs wollen sich dem Boulevard anbiedern. Das ist nicht nur in der Politik eine gängige Praxis in diesem Land. Doch diesmal könnten die Personalrochaden ein Eigentor sein. Die Leistungen von Willi Ruttensteiner und Marcel Koller waren zu gut, als dass sich die fußballbegeisterte Öffentlichkeit wieder mit jemandem zufrieden gibt, der nur von seinem Ruf lebt.

Manche Leute im Präsidium werden von der Angst getrieben, ihr fußballerisches Unwissen könnte an die Öffentlichkeit kommen. Die Bildungsbürger wollen nicht bloßgestellt werden. Es ist also auch eine Neidfrage, wer im ÖFB arbeiten „darf“. Ironischerweise hat gerade der Versuch, die Unzulänglichkeiten zu verbergen, dazu geführt, dass diese wahrgenommen wurden, wie im Falle Gartners und Geislers.

Ruttensteiner, so heißt es, habe den taktisch Benachteiligten des öfteren vor Augen geführt, wie ahnungslos diese sind. Das mag zutreffen. Verübeln kann man es ihm angesichts der oben genannten Aussagen nicht. Sein Verhalten entsprach wohl dem Wunsch, mit kompetenten Leuten zusammenzuarbeiten. Er hätte gut daran getan, Leute einzustellen, die diese Kompetenz aufweisen. Dies wäre aber nur möglich gewesen, indem er Verantwortung abgegeben hätte. Ruttensteiners große Leistungen im ÖFB waren somit auch sein Schwachpunkt: Da alles an ihm hing, können die Strukturen, die er aufgebaut hat, auch leicht niedergerissen werden. Selbst wenn Ruttensteiner im Umgang mit den Landeschefs keine Fehler gemacht hätte, ist nicht sicher, ob er heute noch Sportdirektor wäre; denn er hat Marcel Koller geholt. Mit Kollers Abgang lag der Ruttensteiners so oder so nahe. „Wenn man etwas will, findet man einen Weg. Wenn man etwas nicht will, findet man einen Grund“, sagte Dinko Jukic, als auch er mit Verbandsstrukturen zu kämpfen hatte. Es ist also kein Zufall, dass dieser Aphorismus zur Lage des ÖFB passt.

Ruttensteiners Vorführung

Die Hearings von Ruttensteiner und Peter Schöttel sollten nach außen hin den Anschein erwecken, als handle das Präsidium integer. Tatsächlich sollte es eine Vorführung Ruttensteiners sein. Die Voraussetzungen waren für beide Kandidaten ungerecht. Ruttensteiner wusste vermutlich, dass seine Präsentation nutzlos sein würde. Dennoch tat er, was von ihm verlangt wurde, und legte eine Analyse der schlechten Leistungen seit der geschafften EM-Qualifikation vor. Gleichzeitig sollte er ein Konzept für die Zukunft präsentieren. Im Gegensatz dazu konnte Schöttel gar keine Analyse der Krise abliefern, da er zu jenem Zeitpunkt noch gar nicht im ÖFB war. Das war für beide Kandidaten zwar unangenehm, aber egal, da das Ergebnis der Wahl ohnehin schon im Vorhinein feststand. Deshalb brauchte Schöttel kein ausführliches Konzept. Vielleicht ist es das, was Gartner mit „weg von der Wissenschaft“ gemeint hat. ÖFB-Präsident Windtner teilt diese Meinung anscheinend nicht; er stimmte für Ruttensteiner. Windtner, der Schöttel als Kandidaten holte, war hier in einer Zwickmühle. Hätte er die Dissidenten nach einem Nachfolger suchen lassen, hätte er nach dem ungewollten Verlust des Sportdirektors eventuell auch dessen ungeliebten Nachfolger installieren müssen. Die Wahl von Schöttel wirkt eher wie eine Panikreaktion des Präsidenten.

Schöttel will mit niemandem verhabert sein

Schöttel hat es nun nicht einfach. Er mag tatsächlich mit keinem der Entscheidungsträger verhabert sein, wie er sagt. Er kann die Verhaberung dennoch und ohne sein Zutun vorantreiben. Schon durch seinen Status – oder vielleicht sollte man besser sagen: durch seine Vergangenheit als Ikone trägt er dazu dabei, den ÖFB wieder in jenes Ambiente zurückzuführen, das das Nationalteam über ein Jahrzehnt im eisernen Griff hatte: eine Ansammlung von erfolgreichen Ex-Kickern, die sich nie als Fachleute profiliert haben.

Installiert er nun, wie gemunkelt wird, Andreas Herzog als Teamchef, setzt er sich dem Vorwurf der Freunderlwirtschaft aus. Das könnte ein Hoffnungsschimmer sein und Schöttel davon abhalten, ihn vorzuschlagen. Allerdings ist er nicht dafür bekannt, darauf  Wert zu legen, was die Öffentlichkeit von ihm denkt. So betrachtet, kann Schöttel den Spieß umdrehen; wenn er von sich behauptet, ohne Beziehungen in diese Position gekommen zu sein, ist die Liste seiner Kandidaten auch frei von diesem Vorwurf – egal, ob der Teamchef dann Herzog heißt.

Der ÖFB hat genug Geld

Der neue Sportdirektor wird Budgetvorgaben für seine Vorschläge erhalten haben. Ganz so niedrig, wie vom Präsidium gerne behauptet wird, müssen diese Vorgaben aber nicht sein. Laut Geschäftsführer Bernhard Neuhold steht dem ÖFB ein Budget in großzügiger zweistelliger Millionenhöhe zur Verfügung. Damit ist – laut Neuhold selbst – ein renommierter Trainer leistbar. Nachdem Koller die Latte hochgelegt hat, muss nun ein Teamchef folgen, der die Mannschaft weiterführt. Nur unter dieser Voraussetzung ist der Abgang des Schweizers hinzunehmen. Mit den zahlreichen Kommentaren der Nationalteamspieler und den Leistungen der jüngeren Vergangenheit haben diese bewiesen, dass sie klug genug sind, auch den taktischen Vorgaben eines neuen Trainers zu folgen. Ist jedoch die Spielintelligenz der Menschen auf dem Feld höher als die der Person an der Seite, stellt sich die Frage: Was verdient eigentlich ein Mitglied des Präsidiums?

Moritz Hell

Moritz Hell

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