5:1 – Rapid zerlegt dezimierte Kapfenberger und überzeugt dabei mannschaftstaktisch!
Bundesliga 18.September.2011 Daniel Mandl 0
Rapid kann noch gewinnen: Nach dem 5:1-Sieg über den Kapfenberger SV 1919 rückt das Team von Peter Schöttel zumindest bis heute Nachmittag auf den vierten Tabellenrang vor. Was machte Rapid anders als in den letzten Spielen? Wieso gab es gegen Kapfenberg nach fünf sieglosen Ligaspielen in Folge ein Schützenfest?
Zunächst muss klar definiert werden, dass Werner Gregoritschs Kapfenberger in der laufenden Saison die große Hoffnung der Lederers, Stögers und Koglers der Liga sind. Nach zwanzig Gegentoren in den ersten acht Spielen und fünf Niederlagen in Serie ist der KSV Letzter und Besserung ist nicht in Sicht. Mit Deni Alar, Milan Fukal oder Umut Kocin verloren die Obersteirer im Sommer an Qualität, es kamen neun neue Spieler – aber keiner, der annähernd ein gleichwertiger Ersatz für einen der prominentesten Abgänge ist. Auch wenn im Hanappistadion die numerische Unterlegenheit über vierzig Minuten eine Rolle spielte: Kapfenbergs Defensivabteilung war schon in der ersten Halbzeit ein orientierungsloser Haufen, der viel zu weit vom Mann weg stand. In Rapids Meistersaison 2007/08, als sich noch Maierhofer, Hoffer, Korkmaz oder Boskovic in Wien-Hütteldorf tummelten, hätte eine Kapfenberg-Elf, wie man sie gestern sah, sieben Tore aufwärts bekommen…
Höherer Sieg möglich
…und das wäre auch gestern drin gewesen. Etwa wenn René Gartler einen seiner vier Sitzer verwertet, Hamdi Salihi am Sechzehner schneller den Abschluss sucht, Deni Alar seinen Freistoß nicht nur ans Lattenkreuz setzt, oder so manche Aktion konsequenter und präziser zu Ende gespielt wird. Und dennoch gelangen Rapid fünf Treffer, was eine Situation ist, an die man sich in Hütteldorf nicht gewöhnen sollte, zumal sie nicht zur Regel werden wird. Bestimmt wird Rapid in der laufenden Saison noch den einen oder anderen hohen Sieg gegen einen schwächeren Gegner einfahren, aber auch der hohe Sieg gegen Kapfenberg löst das akute Qualitätsproblem im Rapid-Kader nicht. Allerdings war er ein taktisches Aha-Erlebnis und brachte die Erkenntnis, dass Rapid das Spielermaterial hat, um ein sehr modernes 4-4-2 zu praktizieren.
Pfiffe unbegründet – und bringen nichts…
Rapid-Trainer Peter Schöttel hat Recht, wenn er sagt, dass Pfiffe niemandem etwas bringen. Vor allem, wenn diese Pfiffe um die 55. Minute aufkommen, als Rapid 2:1 führt und jene Fans, die den zu langsamen Spielaufbau gegen zehn Kapfenberger bepfiffen, Minuten zuvor in der Halbzeit noch darüber sinnierten, ob das Team durch Guchers Anschlusstreffer kurz vor der Pause jetzt möglicherweise verunsichert sei. Definitiv kann man sagen, dass Pfiffe gegen die eigene Mannschaft keine Sicherheit bringen. Und gemutmaßt sei außerdem, dass diejenigen, die in den zehn Minuten zwischen Mavrics Ausschluss und Gartlers 3:1 pfiffen, wenig Ahnung von Taktik haben.
Vor dem 3:1 – Rapids Defensive lullt KSV ein
Vor Gartlers 3:1, eine der schönsten Aktionen im gesamten Spiel, bremste Rapids zentrale Defensive den schnellen Spielaufbau, nahm Tempo heraus, spielte den Ball zurück in die Viererkette. Soma, Patocka und Katzer ließen den Ball zirkulieren, was das Publikum empörte – „Wenn man gegen Kapfenberg einer mehr ist, dann hat man gefälligst Hollywood-Fußball zu spielen“ – Was aber viele Fans nicht ahnen oder wahr haben wollen: Im modernen Fußball kann man auch gegen eine Mannschaft, die nur noch zehn Spieler auf dem Platz hat, in einen Konter laufen. Wenn sich der übrig gebliebene gegnerische Stürmer intelligent bewegt, ist ein 4-4-1 manchmal gefährlicher als ein 4-4-2, in dem sich die beiden Spitzen gegenseitig auf den Zehen stehen. Das mit Pfiffen begleitete Zirkulieren des Balles in Rapids Viererkette, war jedoch ein essentieller Faktor dafür, dass die Kapfenberger Hintermannschaft (und dazu gehörte durch Rapids Kontrolle in besagter Szene im Grunde das ganze Team der Steirer) so verschob, wie es den Rapidlern Recht war. Zum richtigen Zeitpunkt ging’s dann schnell: In dem Moment, in dem sich eine Lücke auftat, die Kapfenberger von Soma, Patocka und Co. ein wenig eingelullt wurden und somit nicht mehr kompakt standen, schlug Rapid mit einem einfachen Tempowechsel zu. Die Aufstellung der 21 verbliebenen Mannen auf dem Rasen sah zum Zeitpunkt des Tempowechsels durch Hofmann, kurz vor dessen Pass zu Deni Alar wie folgt aus (Klicken zum Vergrößern):
Die Fehler der Kapfenberger: Gucher und Elsneg hindern Hofmann nicht am Vorstoß, während sich schließlich sogar Sencar und Erkinger (von Deni Alar weg!) vorsichtig in Richtung Hofmann orientierten. Für den Top-Spieler Hofmann ist es ein Leichtes den Ball weiter auf Deni Alar zu schieben, der schließlich unbedrängt die Flanke auf den folgenden Assistgeber Christopher Trimmel schlagen kann. Rapid spielte in dieser Szene nicht feig, sondern berechnend. Die Pfiffe des Publikums, als man den Ball in der eigenen Abwehr hin- und herschob waren insofern unberechtigt, weil Rapid dadurch ein Szenario schuf, das in unmittelbarer Gefahrenzone (30 Meter vor dem gegnerischen Tor) vor dem Ball eine 5-gegen-5-Situation erzeugte – die noch dazu konsequent zu Ende gespielt wurde.
Richtige Spieler für ein 4-4-2
Betrachten wir die Grafik jedoch noch einmal genauer, dann wird auch sichtbar, dass Rapid gegen Kapfenberg phasenweise erstmals ein gutes, dem Spielermaterial angemessenes 4-4-2-System spielte. Dies hat wiederum mehrere Gründe, vor allem aber die Grundausrichtung der Mittelfeldspieler am Flügel und der Angreifer. In vielen Szenen standen Trimmel und Drazan wesentlich näher am gegnerischen Tor, als die etatmäßigen Stürmer Alar und Gartler. Während Steffen Hofmann auf der „8er“-Position agierte, stets ein wenig versetzt zu Heikkinen, um das zu defensive Konzept eines 4-2-2-2 zu verhindern (des Öfteren unter Peter Pacult zu beobachten), kamen Gartler und Alar gemeinsam stets zur Unterstützung entgegen, engagierten sich teilweise nahe der Mittellinie am Aufbauspiel der Grün-Weißen. Rapids Kapitän spielt noch nicht in Top-Form, hatte aber plötzlich wesentlich mehr Anspielstationen, was ihm auch die eine oder andere Torchance ermöglichte.
Wenn ein 4-4-2 mit zwei klassischen Flügelspielern so praktiziert wird, dann macht es auch Sinn! Spielt man in einem 4-4-2 jedoch mit verhältnismäßig „unmodernen“ Angreifer (wie etwa Hamdi Salihi einer ist), der im gegnerischen Strafraum auf seine Bälle wartet und nicht am Spielaufbau teilnimmt, wird es schwer ein offensives Übergewicht zu schaffen.
Drazan und Trimmel als Motor
Zudem gab es in den letzten Partien kaum jemanden, der im Mittelfeld einen großen Aktionsradius abspulte und das Heft in die Hand nahm, sich etwa mal traute, einen Gegenspieler zu umspielen. Gestern wurde dieser Part von den starken Flügelspielern Drazan und Trimmel übernommen, die immer wieder ihre Positionen verließen, bei Bedarf auch über die Mitte Druck machten. Beide wirkten selbstbewusst und dynamisch, versuchten stets etwas zu bewegen. Trimmel war am Ende mit einem Tor und zwei Assists der erfolgreichste Spieler am Platz – der Lichtblick war allerdings Drazan, der gerade in „Zeiten wie diesen“ spielen muss, weil man beim 20-Jährigen trotz einiger schwacher Partien in der Vergangenheit immer wieder das Gefühl hat, dass er eines Tages explodieren kann.
Rapid auf dem Weg zur Flexibilität?
Das Fazit aus dem Spiel gegen Kapfenberg: Rapid fand erstmals seit Jahren eine Spieler-Formations-Variante, mit der das Team flexibel und vom Gegner schwer auszurechnen ist. Das 4-4-2 ist mit besagtem Spielermaterial sehr variabel, kann situationsbedingt während des Spiels zu einem 4-1-3-2, einem 4-1-4-1, aber auch einem 4-2-4 bzw. einem 4-6-0 werden, weil eben jeder der technisch beschlagenen Beteiligten im Stande ist, aktiv am Spiel teilzunehmen. Dies ist ein System, das sowohl in Heim- als auch in Auswärtsspielen gegen stärkere Mannschaften erfolgreich sein kann, sofern darin – wie gestern – die richtigen Spieler aufgestellt werden. Aber auch wenn Rapid mit dem 5:1 gegen Kapfenberg ein Befreiungsschlag gelang, muss das Team in den kommenden Wochen an der Präzision feilen. Nicht nur im Abschluss, sondern auch im Passspiel im Mittelfeld – denn stärkere Gegner als der Kapfenberger SV 1919 nützen so manches leichtsinnige Abspiel kühler aus, als die Gregoritsch-Elf am gestrigen Abend.
Daniel Mandl, abseits.at
Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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