Der SK Rapid Wien konnte gestern Nachmittag eine verrückte Partie in der UPC-Arena zu Graz für sich entscheiden. Dabei spielten die Wiener praktisch über... 90 Minuten in Unterzahl – 4:2-Auswärtssieg: Rapids wilder Fight mit erschreckend schwachen Grazern

Christopher TrimmelDer SK Rapid Wien konnte gestern Nachmittag eine verrückte Partie in der UPC-Arena zu Graz für sich entscheiden. Dabei spielten die Wiener praktisch über die gesamte Spielzeit in Unterzahl, setzten sich dennoch als beherztere und aufs Wesentliche fokussierte Mannschaft gegen inferiore Grazer durch. abseits.at analysiert ein seltsames Fußballspiel und die Gründe für den 4:2-Sieg Rapids in Graz.

Die erste Minute des Spiels war noch nicht beendet, da war Rapid nur noch zu zehnt. Der 19-jährige Maximilian Hofmann musste in seinem ersten Bundesligaspiel von Beginn an aufgrund einer Notbremse vorzeitig duschen gehen. Den fälligen Elfmeter verwandelte Nikola Vujadinovic zum 1:0 für die Heimmannschaft – die Vorzeichen schienen klar. Rapid musste etwas tun und früher oder später aufmachen. Sturm könnte das Spiel bei großer Hitze und in praktisch durchgängiger Überzahl routiniert und stressfrei nach Hause spielen.

Rapid fand sich nicht mit schwierigem Schicksal ab

Doch es kam anders, als jeder vermutete. Rapid bäumte sich auf, richtete sich nach kleineren Rückschlägen selbst auf und wollte sich seinem Schicksal nicht kampflos ergeben. Als ein reguläres Burgstaller-Tor, das den 1:1-Ausgleich bedeutet hätte, nicht anerkannt wurde, spielte auch die Wut im Bauch mit. Rüde Fouls von Marcel Sabitzer und Guido Burgstaller, die dafür zu Recht Gelb sahen, waren die Folge. Die harte grün-weiße Gangart in der ersten Halbzeit erwies sich in gewisser Weise als psychologisch wichtig. Auch wenn Rapid in der ersten Hälfte nichts Zählbares gelang, konnte man die „Jetzt erst recht“-Mentalität der Barisic-Elf spüren.

Schwer zu leitende Partie

Apropos reguläre Tore: Schiedsrichter Markus Hameter sah sich einer schwer zu leitenden Partie gegenüber. Die Gemüter waren nicht nur aufgrund der hohen Temperaturen erhitzt, es gab zahlreiche strittige Szenen, die Fingerspitzengefühl erforderten. Der für Rapid verhängte Elfmeter war hart, aber vertretbar. Über den Sturm-Elfmeter und den Ausschluss von Max Hofmann in der ersten Spielminute gab es keinerlei Diskussion, wenn auch ein mögliches Hadzic-Foul im Mittelfeld voranging. Eine „Zupf-Attacke“ von Behrendt an Kröpfl ahndete der Schiedsrichter mit einer gelben Karte für den Sturm-Spieler wegen einer angeblichen Schwalbe. Dies sollte die kniffligste Entscheidung für den Unparteiischen bleiben – Behrendt selbst bezeichnete die Szene richtigerweise als 50:50-Entscheidung. Dass seine Assistenten einen rabenschwarzen Tag erwischten, war nicht Hameters Schuld. Über die volle Spielzeit glichen sich die heiklen Pfiffe aus, wodurch von einer klaren Bevorteilung einer einzelnen Mannschaft nicht zu sprechen ist.

Barisics Ruhe als wichtige Entscheidung

Auch wenn der eine oder andere Pfiff polarisierte: Die Wahrheit und die Gründe für den Ausgang des Spiels lagen im Spiel der beiden Mannschaften. Hauptsächlich in der Grundausrichtung der Teams, aber auch an den Reaktionen der beiden Trainer auf unterschiedliche Matchsituationen. Dies begann damit, dass Zoran Barisic nach dem Ausschluss nicht die Nerven wegwarf. Der Rapid-Trainer brachte keinen zusätzlichen Defensivmann, sondern vertraute auf etwas mehr Fluidität im defensiven Mittelfeld (Behrendt als spielender Innenverteidiger mit leichtem Zug nach vorne) und die Ruhe eines Schlüsselspielers, der in weiterer Folge eine tragende Rolle im Spiel Rapids einnehmen sollte.

4-2-3 statt 4-4-1 / 4-5-0

Barisic hätte nach dem Ausschluss des jungen Hofmann etwa Harald Pichler bringen und die Mittelfeldzentrale mit Brian Behrendt unverändert massiv belassen können. Dies wäre auf Kosten der Offensive gegangen, Rapid hätte sich ausschließlich auf Konterfußball verlagern müssen. Stattdessen rückte Behrendt in die Innenverteidigung und Rapid spielte mit einer Art 4-2-3, in der die äußeren Mittelfeldspieler konsequenter nach hinten arbeiteten und dabei gut einrückten, um die Zentrale zu stabilisieren. Dennoch war diese Variante ein Lotteriespiel, denn vieles war von der Ballsicherheit und Kampfkraft von Thanos Petsos abhängig.

Petsos als strategisch agierender Schlüsselspieler

Der Grieche spielte praktisch als alleiniger Sechser in Unterzahl. Steffen Hofmann rückte durchschnittlich zwar etwas zurück, hatte aber auf der Zentralachse eher eine Freigeistrolle inne. Der „Spielmacher“ in einem tiefer angelegten, stark auf Umschalten fokussierten Rapid-System, war Petsos, der am Ende des Tages auch die meisten Ballkontakte aller Rapid-Spieler verbuchen konnte. Zwar spielte Petsos insgesamt kein gutes Spiel, sah etwa in der Spielszene vor Beichlers 2:3 schlecht aus, aber er machte in unscheinbaren Situationen den Unterschied aus. Die Stabilität und Kompaktheit, die Sturm mit einem Fünf-Mann-Mittelfeld nie verkörperte, bewerkstelligte in großem Maße Petsos für Rapid.

Außenverteidiger Rapids erreichten „einfache Etappenziele“

Betrachtet man das Spiel auf banale Art und Weise, wird man zu dem Schluss kommen, dass Rapid als Gewinner vom Platz ging, weil man beherzter kämpfte, spielerisch besser und vor dem Tor kälter war. Für diesen Spielverlauf gibt es aber zahlreiche Gründe. So etwa der Klasseunterschied auf den Außenverteidigerpositionen. Während Todorovski und Klem offensiv viel zu wenig machten, nach keinem klar strukturierten Muster spielten, erwiesen sich Trimmel, Palla und später Schrammel als enorm konzentriert, giftig und auch clever. Durch größere Abstände zu ihren vorgelagerten Außenspielern in Vorwärtsbewegung, konnten sich die Rapid-Außenverteidiger ihre Kräfte gut einteilen und verloren dadurch praktisch nie ihre Konzentration.

Selbstvertrauen auf Rapids Seite

Dass auch die Formkurve im Fußball eine entscheidende Rolle spielen kann, war selten offensichtlicher als im gestrigen Topspiel. Sturm wirkte ängstlich, ideenlos in der Etappe, zu lasch im Mittelfeld. Rapid stand ab der zweiten Minute mit dem Rücken zur Wand und spielte dennoch weiter nach vorne. Dies gipfelte im Selbstvertrauen versprühenden Weitschusstreffer von Brian Behrendt in seinem erst zweiten Bundesligaspiel oder der fast selbstverständlich vorgetragenen Aktion über Sabitzer und Schaub, die in der heiklen Schlussphase zum 4:2 führte. Durch die Selbstsicherheit, die Rapid verkörperte, musste Barisic seine Mannschaft bis zum Schlusspfiff nur noch punktuell umpolen – eine taktische Vollbremsung um etwa das 2:1-Zwischenresultat zu stabilisieren, war nicht von Nöten. Man tauschte Position gegen Position, mit Ausnahme des defensiveren Pichler anstelle von Steffen Hofmann.

Erschreckend schwaches Sturm-Mittelfeld

Besorgniserregend präsentierte sich jedoch der SK Sturm. Im zentralen Mittelfeld fand sich kein Spieler, der mit Ideen oder Mut zum Risiko den Unterschied ausmachen konnte. Daniel Offenbacher und Tobias Kainz blieben völlig blass, Manuel Weber sah man zwar das Bemühen an, Struktur ins Spiel zu bringen und es häufiger zu verlagern, aber auch er ist weit vom Status eines Feldherren entfernt. Am Ende verzeichnete Sturm weniger Torschüsse und weniger Eckbälle als Rapid. Gefährlich wurden die Grazer praktisch nur in Situationen allgemeiner Hektik. Bis Sturm im Stande ist, einen Gegner auf spielerischer Ebene zu beherrschen und Torchancen mit System herauszuspielen, ist es offenbar noch ein weiter Weg.

Sturm fehlt ein Architekt im Mittelfeld

Dies erkannte auch der konsternierte Darko Milanic nach dem Spiel in den TV-Interviews. Durch die Ausfälle von Djuricin und Szabics hatte der Sturm-Coach kaum Möglichkeiten für offensive Wechsel. Doch Milanic analysierte richtig, dass die Probleme im Mittelfeld begannen. Zentral und auf strategischer Ebene. Es ging nicht um die Leistungen der Flügelspieler, die Druck erzeugen und durch die gegnerischen Reihen wirbeln sollten, sondern um das offensichtliche Fehlen eines Architekten. Dies dürfte in der neuen Saison das größte Manko der Grazer sein. Man verließ sich offenbar darauf, dass der recht vielseitige Box-to-Box-Midfielder Anel Hadzic schnell in diese Rolle wachsen würde. Doch der 23-Jährige war bisher nicht nur schwach, sondern verletzte sich gestern auch noch am Knie…

Art und Weise

Der Rapid-Sieg geht aus spielerischen und kämpferischen Gründen in Ordnung, auch wenn am Schluss das Schiedsrichtergespann für Aufregung und Konfusion sorgte. Für Grün-Weiß fühlt sich dieser Auswärtserfolg – vor einer Woche mit Heimspielen gegen Asteras Tripolis und die Wiener Austria – wie zwei Siege auf einmal an. Der Rekordmeister schaffte es, vier Treffer in einem Auswärtsspiel zu erzielen, in dem man 90 Minuten in Unterzahl zubrachte und das Thermometer am Vierziger kratzte. Diese extreme Kombination ließ die Rapid-Fans in Stadion und Internet jubeln, auch wenn der Gegner sich erneut inferior präsentierte. Beim ungeduldigen SK Rapid ist es nicht nur wichtig, dass man gewinnt, sondern auch wie man gewinnt. Hätte Rapid gestern remisiert oder verloren: SO hätte die Mannschaft auch das gedurft.

Daniel Mandl, abseits.at

Daniel Mandl Chefredakteur

Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen

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