Aktives statt passives Spiel gegen den Ball – Wiener Neustadt erkennt den Trend der Zeit
Bundesliga 6.März.2014 Alexander Semeliker 0
Jahr ein Jahr aus wird der SC Wiener Neustadt als Abstiegskandidat gehandelt, doch immer wieder schafften es die Niederösterreicher, die Klasse zu halten. Als Erfolgsrezept dazu galten landläufig die aufopferungsvolle Spielweise und das Glück. Mittlerweile gelang es Trainer Heimo Pfeifenberger jedoch, auch einen Spielstil zu etablieren, der außerhalb des eigenen Fankreises anerkannt wird.
„Offensiv nach vorne verteidigen“ oder „aktiv gegen den Ball arbeiten“ sind nur zwei Floskeln, die sich in den letzten Jahren im Sprachgebrauch etlicher Trainer, TV-Experten und Fans etabliert haben, wenn es um erfolgreiches Defensivspiel geht. Im internationalen Spitzenfußball gibt es kaum ein Team, das nicht nach diesen Prinzipien verteidigt. Auch in Österreich findet sich diese Spielweise bei mehr und mehr Vereinen wieder.
Umdenken in der Winterpause
Als Vorreiter für erfolgreiches Pressing und Umschaltspiel hierzulande gelten die SV Ried, der SV Grödig und natürlich Red Bull Salzburg, die jeweils eindrucksvoll demonstriert haben, wie wichtig gruppentaktische Maßnahmen im heutigen Fußball sind. Mit Hilfe dieser ist es möglich, einzelne individuelle Schwachstellen zu kaschieren oder gar auszumerzen. Gerade deshalb sollte es Mannschaften mit überschaubaren Ressourcen wie den SC Wiener Neustadt auf den Plan rufen.
Nachdem man unter Pfeifenberger in den ersten eineinhalb Jahren im Spiel gegen den Ball noch passiv agierte, krempelte der ehemalige ÖFB-Teamspieler die Spielphilosophie in der Winterpause um. Je aktiver man am Platz ist, so der 47-Jährige nach der letzten Partie gegen den SV Grödig, je früher man stört, desto schwieriger hätte es der Gegner. Eine wichtige Voraussetzung für das nun praktizierte Angriffspressing, nämlich eine hohe Laufbereitschaft der Spieler, war dabei schon von Beginn an erfüllt.
Merkbare Unterschiede verglichen mit Saisonbeginn
Diese Änderung in der Spielanlage lässt sich dank des neuen Datenservices der Bundesliga auch objektiv erfassen und darstellen. Wir sehen uns dafür die Balleroberungen in Form von abgefangenen Bällen und Zweikämpfen (Tackles) an. Die folgende Grafik zeigt eine Gegenüberstellung der beiden Auswärtsspiele in Grödig, links August und rechts vergangenes Wochenende.
Man erkennt, dass die Bälle merkbar höher erobert wurden und weniger im Zentrum als auf der Seite. Das lässt darauf schließen, dass es den Wiener Neustädter gut gelungen ist, den Gegner auf die Seite abzudrängen und dort zu pressen. Noch markanter ist der Unterschied in den Heimspielen gegen Wacker Innsbruck gewesen, wie man im nachstehenden Bild sieht.
Beim 1:1 in der sechsten Runde stand Wiener Neustadt äußerst tief (links), während man beim 1:0-Sieg Ende Februar deutlich höher attackierte und den Gegner unter Druck setzte. Die Balleroberungen sind aber nicht ausschließlich auf das herkömmliche Defensivspiel zurückzuführen, mit dem Ziel den gegnerischen Spielaufbau zu stören, sondern auch auf das Gegenpressing bei zweiten Bällen infolge eigener langer Bälle. Als Paradebeispiel ist an dieser Stelle der Siegtreffer anzuführen.
Einige positive Nebeneffekte
Der große Vorteil des Angriffspressing ist, dass man nach einer Balleroberung kurze Wege zum Tor hat und weniger Gegenspieler vor sich hat, als es beim normalen Konterspiel der Fall ist. Doch nicht nur dieser Aspekt ist von Bedeutung, gerade für den SC Wiener Neustadt. So führt das hohe Attackieren und Stören des gegnerischen Spielaufbaus auch dazu, dass man selbst weniger heikle Situationen im und um den eigenen Strafraum zu verteidigen hat.
Auch dafür sehen wir uns die entscheidenden Aktionen gegen Wacker Innsbruck an. Gerade in der heiklen Zone vor dem eigenen Strafraum musste Wiener Neustadt im zweiten Heimspiel (rechts) seltener unkontrolliert klären. Das ist insofern wichtig, als man aufgrund der aufkommenden Hektik kurzzeitig ungeordnet steht und dadurch noch anfälliger auf etwaige Gegenpressingaktionen des Gegners ist.
Ein weiterer positiver Nebeneffekt ist, dass die individualtaktischen Mängel einzelner Spieler im kleineren Ausmaß schlagend werden als dies bei einem tiefen, passiven Abwehrpressing der Fall ist. In der Vergangenheit nutzten die Gegner mit einem hohen Maß an Offensivfluidität immer wieder die schlechte Entscheidungsfindung in der Wiener Neustädter Defensive beim Übergeben aus. Steht man nun höher, fällt dieser Mechanismus mehr oder weniger weg, da man auf die Bewegungen der Gegenspieler weniger reagieren muss.
Wichtiger Faktor im Abstiegskampf
Durch die neue Spielweise werden jedoch nicht nur die eigenen Schwächen miniert, sondern jene der Gegner auch verstärkt attackiert. Gerade in den sogenannten „Schnittpartien“ gegen die direkten Konkurrenten im Abstiegskampf kann sich das Angriffspressing als wichtiger Faktor herausstellen. Diese weisen im Allgemeinen nämlich ebenfalls individuelle Schwächen in Ballbesitz auf. Werden die Verteidiger sprungartig unter Druck gesetzt, neigen sie zu Fehlern.
Dabei muss dies oft noch nicht mal gruppentaktisch einwandfrei funktionieren, sondern genügt es wenn ballnah zwei, drei Spieler attackieren statt zurückzuweichen. Dafür bedarf es Mut und Vertrauen in die Mitspieler – zwei Faktoren, die im modernen Fußball unerlässlich sind. Pfeifenberger scheint die Zeichnen der Zeit erkannt zu haben und seine Mannschaft bereit dafür zu sehen, dies auf den Platz bringen zu können.
Alexander Semeliker, abseits.at
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