Nach dem blamablen Ausscheiden aus dem Europacup und der damit hergehenden Kritik, stand für die Wiener Austria nun der Saisonauftakt in der Bundesliga bevor. Der Gegner war dabei pikanterweise der FC Blau-Weiß Linz, dessen Trainer Scheiblehner bekanntlich der eigentliche Wunschkandidat der sportlichen Führung der Austria war, jedoch absagte. Für den Neo-Trainer Helm stand nach dem Ausscheiden gegen Ilves Tampere schon viel auf dem Spiel und es lastete bereits ein großer Druck auf ihn, weshalb man auf die Reaktion der Mannschaft gespannt war. Gab es diese Reaktion? Das verraten wir euch in dieser Analyse.
Violett setzt auf Durchschlagskraft
Für den FK Austria Wien gab es nach dem Ausscheiden gegen Ilves Tampere einiges aufzuarbeiten, wie wir in unserer ausführlichen Analyse bereits dargestellt haben. Vor allem das gruppentaktische Verhalten und die Organisation gegen den Ball waren dabei besonders inferior und sorgten dafür, dass man gegen den finnischen Underdog vor heimischen Publikum drei Gegentore kassierte. Daher war man nun gespannt, wo die Schwerpunkte im Matchplan gegen Blau-Weiß Linz liegen würden. Versucht man die kompletten Ressourcen in die Defensive zu legen, um hinten die „Null“ zu halten?
In dieser Situation wäre das nicht unverständlich. Doch Austria-Trainer Stephan Helm entschied sich einen anderen Weg zu gehen. Zunächst warf die Aufstellung einige Fragen auf, da man mit Malone, Prelec und Gruber nicht nur mit drei Angreifern auflief, sondern auch noch Dominik Fitz in der Mannschaft verblieb und mit Kapitän Fischer stattdessen ein zentraler Mittelfeldspieler rausrotiert wurde. Der Verdacht, man würde Potzmann aus der Verteidigung ins defensive Mittelfeld ziehen und auf eine Viererkette umstellen lag nahe, doch sollte nicht eintreffen.
Letztlich blieb es bei der klassischen 3-4-3/5-2-3 Grundformation. Es rückte einzig Fitz eine Etappe zurück ins zentrale Mittelfeld neben Barry, was auf dem Papier eine extrem offensive Variante war. Sonderlich neu ist diese Idee allerdings auch nicht, griff doch ironischerweise Ex-Trainer Michael Wimmer beim 2:1-Auswärtssieg im März bei BW Linz an Ort und Stelle zu quasi der gleichen Variante – und hatte damit Erfolg. Das war sicherlich auch ein Signal an die Mannschaft, dass man mit offensivem Fußball zum Erfolg kommen will. Anderseits lag dies auch am Gegner, wie wir im Verlauf erklären werden. Die Linzer setzen von der Grundformation her zum Auftakt auf ein klares 4-3-3, womit man vom oftmals praktizierten 3-4-3 der vergangenen Saison abkehrte.
Der Fokus bei diesem 4-3-3 war es dabei, gegen den Ball das Zentrum völlig zu verschließen. Es wurden zwei engmaschige Dreierketten aufgebaut, die im Raum standen, wobei die drei Stürmer der Oberösterreicher sich zusätzlich an der Dreierkette des Gegners orientierte. Die Pressinglinie wurde tief positioniert und erst im Bereich der Mittellinie wurden die Violetten aus Wien angelaufen. Die Grundformation von Blau-Weiß kann man beim nächsten Bild gut erkennen:
Die Austria im Spielaufbau, hinten gibt es eine Dreierkette, davor versuchen sich Fitz und Barry (gelb) freizulaufen. BW Linz empfängt die Gäste aus einem engen 4-3-3, mit kurzen Abständen und dem Fokus, das Zentrum zu verschließen.
Das Ziel der Gastgeber war es, die Austrianer weg vom Zentrum und auf die Seite zu lenken. Dort wollte man dann aggressiver anlaufen und den Pressingauslöser aktivieren, um den Ball zu erobern oder zumindest einen unkontrollierten Ball des Gegners zu erzwingen. Doch damit rechneten die Wiener offensichtlich und überlegten sich etwas, um dem zuvorzukommen.
Schienenspieler Ranftl im Fokus und mit viel Freiraum
Eine Problematik des 4-3-3, welches BW Linz praktiziert, ist, dass man zwar im Zentrum massiv steht (ähnlich wie es sich in einer 4-Raute-2 Formation verhält), allerdings sich auf den Flügelzonen Räume anbieten. Das liegt daran, dass die drei Stürmer sich auf die aufbauenden drei Innenverteidiger konzentrieren und damit zentraler agieren müssen. Wer übernimmt dann aber das Rausschieben auf die Flügelzone? In den meisten Fällen die ballnahen Achter, die gezwungen sind weite Wege zu gehen und aus dem Zentrum heraus die Außenspieler zu attackieren. Eine herausfordernde Aufgabe, für die es laufstarke Akteure braucht. Alternativ könnten auch die Außenverteidiger nach vorne rausschieben, was allerdings dann die eigene Abwehr schwächt.
Und genau in diese Zwickmühle setzten die Austrianer an. Ein Mitgrund, warum man diesmal mit einem 3-4-3, statt einem 3-4-1-2 auflief war es, dass man klassische Flügelstürmer aufbieten wollte, die einerseits im Strafraum für erhöhte Präsenz sorgen, andererseits aber auch die gegnerischen Außenverteidiger binden sollten, damit diese nicht herausrücken können. Ein beliebtes strategisches Muster war es dabei, dass die Violetten den Ball in der Dreierkette ruhig zirkulieren ließen, Dominik Fitz auf die linke Seite kippte und den Gegner zum ballorientierten Verschieben anlockte, um dann mit einer Spielverlagerung die ballferne Seite zu attackieren, wo Ranftl lauerte. Diese Praxis kann man in der nächsten Bildsequenz gut erkennen:
Die Austria im Spielaufbau, der Gegner lauert in der eigenen Hälfte und verschiebt Richtung Ball, Fitz lässt sich aus dem Zentrum auf die linke Seite fallen. Auf der ballfernen Seite können wir erkennen, dass der rechte Flügel Andreas Gruber seinen Gegenspieler bindet(rote Linie)…
…und ihn mit ins Zentrum zieht. Fitz setzt zur Spielverlagerung auf den völlig freien Ranftl an(gelbe Linie), für den sich keiner zuständig sieht und dieser bekommt einen perfekt getimten Ball des Spielmachers…
…und findet viel Freiraum vor, über die rechte Seite Tempo auf die Abwehrkette zu machen und diese zu attackieren. Die Strafraumbesetzung ist prinzipiell auch gut, da man bereits drei Stürmer im Strafraum hat und diese auf den Ball lauern.
Durch dieses Muster gelang den „Veilchen“ ein ums andere Mal die Linzer aufzureißen und kontinuierlich ins letzte Drittel einzudringen. Das Problem an der Sache? Man machte viel zu wenig aus diesen Situationen. Das hatte mehrere Gründe. Zum einen lag es individuell an Schienenspieler Ranftl, der schon seit Monaten mit einer enormen Fehlerquote im letzten Drittel auffällt und es fast so scheint, als würde er die Bälle nur blind in den Strafraum spielen. Auch in diesem Spiel brachte Ranftl im ersten Durchgang von fünf Flanken nur eine einzige an den Mitspieler an. Nicht einberechnet sind da die Fehlpässe/Ballverluste, wenn Ranftl an Gegenspielern hängen bleibt. Aus dem Grund wundert man sich, warum der hochveranlagte Pazourek nicht allmählich den Vorzug vor Ranftl bekommt, ist dieser doch sowohl physisch als auch spielerisch mehr als nur bereit für diese Rolle.
Ein anderer Grund ist es, dass man sich viel zu sehr auf Flanken verließ und wenig einstudierte Abläufe im Strafraum zu erkennen waren. Die Stürmer öffneten sich nicht konstant gegenseitig die Räume und es kamen auch zu wenig Kreativität und Ideen, wenn sie an den Ball kamen. Hier machte sich das Fehlen von Dominik Fitz im letzten Drittel wiederum bemerkbar und wenn stattdessen ein Spieler wie Gruber kaum ein Faktor ist und in 90 Minuten nur auf 29 Ballkontakte kommt, hemmt das natürlich eine Offensive. Dadurch war man eben auf Flanken und den Faktor Zufall angewiesen, denn statistisch sind Flanken wenig erfolgsversprechend und im Durchschnitt führt nur jede 20. Hereingabe zu einem Tor. Ein kleiner Spoiler: Die Austria sollte in diesem Spiel 29 Flanken schlagen und keine davon zu einem Tor verwerten.
Aber zumindest konnten man sich einen klaren strategischen Vorteil erarbeiten und sich in der gegnerischen Hälfte festsetzen. Man hatte BW Linz völlig unter Kontrolle und die Gastgeber fanden überhaupt keine Lösungen, um sich aus der Umklammerung der Austria zu befreien. Das lag auch daran, dass die Violetten gegen den Ball ein wesentlich besseres Gesicht zeigten. Das 4-3-3 von Blau-Weiß wurde von den Wienern gegen den Ball mit einem 3-4-2-1 gekontert, in dem der Mittelstürmer den ballführenden Innenverteidiger anlief, die beiden Halbstürmer dahinter die Halbräume und den Passweg ins Zentrum verschlossen und der Flügelverteidiger nach vorne auf den Außenverteidiger schob. Das kann man beim nächsten Bild gut erkennen:
BW Linz im Spielaufbau, der ballführende Innenverteidiger wird von Prelec angelaufen und muss auf die Seite spielen, da auch gleichzeitig im Zentrum Malone den Passweg zustellt und den gegnerischen Sechser deckt. Das ist für Schienenspieler Perez-Vinlöf das Signal, rauszuschieben und den gegnerischen Außenverteidiger Anderson zu attackieren, der unter Druck nur einen langen Ball nach vorne schlagen kann.
Durch das verbesserte Anlaufen der Austria, fiel es den Linzern schwer, von hinten heraus Lösungen zu finden und sich spielerisch zu befreien. Die Folge waren viele lange Bälle, die die Austrianer aber dank der Lufthoheit von Plavotic problemlos verteidigen konnten. Eben Plavotic war es auch, der die Abwehr im Vergleich zu Martins wesentlich besser organisierte und zur erhöhten defensiven Stabilität beitrug, weshalb auch das allgemeine gruppentaktische Verhalten verbessert war. Dadurch kamen die Gastgeber auch nur auf eine desolate Passquote von knapp 55 Prozent, was die hohe Fehlerquote demonstriert. Nur bei Standards wurden die Linzer gefährlich und die Austria hatte Glück, nicht nach 120 Sekunden bereits in Rückstand zu geraten. Da man aber die eigenen vielversprechenden Situationen in zu wenigen Großchancen ummünzte, ging es trotz klarer Feldvorteile mit einem 0:0 in die Kabine.
Die Austria verliert den Faden
In der Halbzeitpause war der BW Linz-Trainer Scheiblehner gefordert, auf die schwache Leistung seiner Mannschaft zu reagieren und Veränderungen vorzunehmen. Personell blieb der gelb-rot gefährdete Linksverteidiger Pirkl in der Kabine und wurde durch Ibertsberger positionsgetreu ersetzt. Doch eigentlich nicht ganz, gab es doch darüber hinaus von Scheiblehner eine Systemumstellung, um auf die defensiven Probleme seiner Mannschaft zu reagieren. Vom 4-3-3 wechselten die Gastgeber auf ein 5-2-3/3-4-3 und spiegelten damit vereinfacht gesagt von nun an die Formation des Gegners. Der zuvor als „Sechser“ aufgestellte Pasic rückte eine Etappe zurück in die Abwehr und gab von nun an den rechten Innenverteidiger in der Dreierkette. Bei der Austria ging man aufgrund der ordentlichen ersten Hälfte unverändert in den zweiten Durchgang hinein.
In den ersten Minuten bekamen die Violetten auch prompt Probleme aufgrund der Systemumstellung des Gegners. Die Linzer schoben nun die Dreierkette weit auseinander und hatten einen Spieler weniger im Mittelfeldzentrum, wodurch man das Anlaufverhalten der Austria aushebeln wollte. Und das sollte auch gelingen, wie die nächste Bildsequenz demonstriert:
BW Linz im Spielaufbau, man formiert sich nun zu einer Dreierkette mit breitstehenden Innenverteidigern. Die Austria bleibt zu Beginn beim gleichen Anlaufverhalten, weshalb Gruber sich ins Zentrum orientiert, und den linken Innenverteidiger Moormann offenlässt. Dieser bekommt den Ball und spielt einen scharfen Diagonalball in den Sturm, wo anschließend nach einem weiteren Pass Ibertsberger auf links durchbricht und Noß bedient, der alleine vor dem Tor den Ball an die Außenstange setzt.
Eine Schrecksekunde für die Austria, die beinahe in einen Rückstand mündete. Man hatte jedoch nun größere Schwierigkeiten mit den Linzern und ihrer veränderten Spielweise. Nicht so sehr gegen den Ball, wo man sich nach dieser Topchance des Gegners schnell anpasste, sondern vor allem im eigenen Ballbesitz. Die Gastgeber schoben nun auch noch situativ die Pressingline nach vorne oder stellten den Abstoß der Austria zu, um dem Gegner ein geordnetes Ballbesitzspiel von hinten zu erschweren. Und das gelang auch, da Torhüter Sahin-Radlinger beim kleinsten Anzeichen von Druck den Ball lang nach vorne schlug. Das dürfte jedoch so gewollt sein, da sich auch die Innenverteidiger bzw. Sechser nicht aktiv anboten.
Durch die erhöhte Zahl an langen Bällen, kam man nun seltener geordnet nach vorne und erhöhte den Faktor Zufall, da man klarerweise nicht jeden hohen Ball sichern kann. Das führte wiederum zu mehr Ballverlusten und wesentlich kürzeren Ballbesitzzeiten, ehe man das Spielgerät wieder hergab. Darüber hinaus gab es für Schienenspieler Ranftl nicht mehr dieselben Freiheiten, wie es noch im ersten Durchgang der Fall war und wurde dieses Muster von den Gastgebern abgewürgt. Damit waren die Gäste auch quasi mit ihrem Latein am Ende. Dadurch, dass die Linzern nun auch das System spiegelten, gab es wesentlich mehr Zweikämpfe und Duelle Mann gegen Mann, womit wiederum Fitz und Barry ihre Probleme hatten und sich auch bei ihnen die Fehlpässe mehrten.
Hier hätte es von der Trainerbank neue Ansätze und Lösungen gebraucht, wie man gedenkt, nach vorne zu kommen. Die einzige Reaktion war jedoch, dass man personell neue Kräfte eintauschte und innerhalb kürzester Zeit sogar die beiden Stürmer Malone und Prelec vom Feld nahm, während der unsichtbare Gruber weiterspielen durfte. Dadurch hatte man keinen klassischen Stoßstürmer mehr auf dem Feld und selbst Huskovic wurde da nicht aufgestellt, weshalb plötzlich der eingewechselte Brasilianer den Stoßstürmer geben musste, obwohl dieser eigentlich ein Flügelspieler ist. Erneut warf das Ingame-Coaching von Austria-Trainer Helm mehr Fragen als Antworten auf, da auch Fitz weiterhin im Zentrum verblieb, obwohl er offensichtlich nicht mehr zur Geltung kam.
Das Spiel plätscherte dadurch weiter nur vor sich hin. Die Austria wollte, aber konnte nicht. Die Linzer auf der anderen Seite wollten und konnten auch. Nur die Standards blieben bei den Gastgebern gefährlich, wo die Austria in der 75. Minute gerade noch auf der Linie klären konnte. Der Ball kam anschließend zu Torhüter Schmid, der mit einem langen Ball den eingewechselten Seidl in den Strafraum schickte und der mit einem trockenen Abschluss das 1:0 für Blau-Weiß besorgte. Dabei schlief die Abwehrkette der Wiener und der defensiv anfällige Perez-Vinlöf hob das Abseits knapp auf.
Die Austria versuchte im Anschluss mit der Brechstange den Ausgleich zu erzwingen. Mit der Einwechslung von Wels und Pazourek wurde auf ein 4-3-3 umgestellt und versucht, doch noch den Punktegewinn zu erzwingen. Man erzielte auch ein reguläres Tor zum 1:1 nach einer schönen Kombination, jedoch gab es keine einzige TV-Kamera im Stadion, die dies zweifelsfrei hätte auflösen konnte, ob der Ball über der Linie war oder nicht. Im Nachhinein sollten Bilder belegen, dass der Ball wohl sogar einen halben Meter hinter der Linie war. Bitter für die Austria, denn so blieb es letztlich bei der knappen 0:1-Niederlage und der Fehlstart war damit perfekt.
Dalibor Babic
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