Analyse: Austria rettet in Überzahl Punkt gegen Sturm
Bundesliga 27.September.2024 Dalibor Babic
Während die Austria die Derbynachwehen vor allem abseits des Platzes beschäftigte, stand sportlich unter der Woche bereits das Nachtragsspiel gegen den Doublesieger SK Sturm auf dem Programm und es galt den Fokus schnellstmöglich neu auszurichten.
Im Vergleich zur 1:2-Niederlage gegen Rapid gab es dabei nur eine einzige Veränderung, bei der Vinlöf für den leicht angeschlagenen Guenouche die Position des Linksverteidigers übernahm. Somit blieb es bei der gewohnten 4-2-3-1/4-3-3 Formation. Auch beim SK Sturm gab es nach dem vergangenen Wochenende Nachwehen, verlor man doch überraschend deutlich vor heimischer Kulisse gegen den WAC mit 0:3. In der Offensive präsentierte man sich dabei insgesamt zu zahnlos und wirkte das Gesamtauftreten nicht wirklich rund.
Sturm überrascht mit Formation
Sturm-Trainer Ilzer nahm vier Veränderungen vor, wobei die interessanteste zweifellos die systematische Anpassung war. Gegen die Austria setzte man auf ein flaches 4-4-2, bei dem Gorenc-Stankovic und Kiteishvili das Zentrum besetzten, Böving und Yalcouye als Flügel aufliefen und die Doppelspitze Jatta und Camara flankierte. Dabei versuchte man in der Anfangsphase die gewohnte Spielanlage durchzubringen, indem man die Austria hoch anpresste und aggressiv attackierte. Die Formation der Grazer gegen den Ball kann man im nächsten Bild erkennen:
Die Formation vom SK Sturm gegen den Ball, wo man sich in einem klaren und flachen 4-4-2 aufstellt.
Intensive Anfangsphase auf beiden Seiten
Die Austria auf der anderen Seite versuchte in der Anfangsphase die intensive Spielweise der Grazer quasi zu spiegeln und sich in dieser Hinsicht mit den Steirern zu messen. Man versuchte ebenfalls aus einem 4-4-2 die Gäste hoch zu attackieren und die erste Pressinglinie bestehend aus Prelec und Fitz sollte Druck auf die Innenverteidiger ausüben, um einen kontinuierlichen Spielaufbau zu unterbinden. Dadurch entwickelte sich ein hohes Tempo und viele lange Bälle prägten zunächst das Spielgeschehen, wodurch es hin und her ging.
Die Violetten versuchten mit Chipbällen hinter die Abwehr Prelec und Malone in Szene zu setzen und so zu Torchancen zu kommen. Die erste Chance des Spiels gab es dann auch genau nach diesem Muster, als Fitz einen tollen Chipball auf Prelec spielte und dieser aber recht deutlich verzog.
Nach gut einer Viertelstunde begann das Spiel dann allmählich in Richtung des SK Sturm zu kippen. Das hing vordergründig damit zusammen, dass die Austrianer ihre Pressinghöhe nach hinten verschoben und deutlich passiver im Anlaufen wurden. Die erste Pressinglinie bewegte sich wie im Derby fortan im Bereich des Mittelkreises und sollte die beiden „Sechser“ von Sturm in den Deckungsschatten nehmen. Dadurch hatten die Verteidiger der Gäste im Spielaufbau nun mehr Zeit am Ball und konnten das Spiel nicht nur beruhigen, sondern dem eigenen Team zu einem Rhythmus verhelfen.
Offener Rückraum der Austria sorgt für Probleme
Hier zeigte sich der amtierende Meister sehr überlegt und aus dem Spielaufbau heraus gelang es immer wieder die Linien der Violetten zu überspielen und in die gegnerische Hälfte einzudringen. Meist gelang dies mit kurzen Kombinationen und anschließenden Verlagerungen auf die ballferne Seite, mit der man immer wieder die Wiener aufreißen konnte. Hier zeigte sich die Austria in mehreren Sequenzen nicht gut organisiert, da die Abstände zwischen den Mannschaftsteilen zu weit waren und vor allem die Abwehr zu tief stand.
Doch nicht nur in dieser Hinsicht gab es Schwierigkeiten für die Defensive der Violetten. Auch der offene Rückraum vor der Abwehr wurde häufig nicht besetzt und zeigte die „Doppelsechs“ bestehend aus Fischer und Barry Nachlässigkeiten in der Rückwärtsbewegung. Eine der ersten guten Möglichkeiten von Sturm entstand genau aufgrund dieser Tatsache, da keiner der beiden schnell genug nach hinten schob und die beiden Innenverteidiger unterstützte, weshalb Böving vollkommen frei zum Abschluss kam. Das kann man beim nächsten Bild gut erahnen:
Sturm im Angriff, die beiden „Sechser“ der Austria (roter Strich) verschlafen die Situation und rücken zu langsam nach um den Rückraum zu schließen, weshalb Böving (gelber Strich) vollkommen frei steht und auch zum Abschluss kommt, der von Dragovic gerade noch abgelenkt werden kann.
Es gab immer wieder Phasen, wo Sturm mit den Einrückbewegungen der Flügelspieler Böving und Yalcouye Räume fand und das Zentrum der Austria nicht kompakt genug war. Dadurch nahm Sturm von Minute zu Minute immer mehr Fahrt auf und es schien so, als wäre es nur noch eine Frage der Zeit, bis der Treffer fallen würde. Der fiel dann auch und zwar genau nach dem eben beschriebenen Muster.
Barry verfehlte einen Abpraller im Zentrum, Böving kam dadurch an den Ball und konnte ungehindert knapp 30 Meter in Richtung Tor sprinten und da die Innenverteidiger einen Tick zu lange zögerten, um herauszurücken, konnte der Offensivspieler abziehen und zum 1:0 treffen. Hier brachten die Favoritner ihre Abwehr schlicht in eine undankbare Situation und es wurde die eigene Naivität knallhart bestraft.
Unüberwindbare erste Pressinglinie führt zu violetter Hilflosigkeit
Mit der Führung im Rücken konnten die Grazer nun etwas abwartender agieren und verlagerten ihrerseits die Pressinghöhe weiter nach hinten. Die beiden Stürmer liefen abwechselnd die Innenverteidiger an und sollten gleichzeitig den Sechserraum abdecken, während der restliche Mannschaftsverbund tiefer verblieb und kompakt zum Ball verschob. Für die Austrianer war das verheerend, wurde doch recht schnell deutlich, dass man heillos damit überfordert war, überhaupt hinter die erste Pressinglinie der Grazer zu gelangen. Die beiden Stürmer Jatta und Camara zeigten wunderbar auf, wie man durch gutes Verschieben, dem Gegner enorme Probleme bereiten kann und einen nummerischen Vorteil für den gesamten Mannschaftsverbund generiert.
Durch das gestaffelte Anlaufen der beiden Stürmer, konnten sie einerseits den ballführenden Innenverteidiger unter Druck setzen, womit dieser sich schnell vom Ball trennen musste, andererseits aber auch den ballnahen Sechser (in dem Fall Fischer) aus dem Spiel nehmen, wodurch dieser erfolgreich isoliert wurde. Damit konnten die beiden Angreifer von Sturm konstant drei Spieler der Austria binden. Diese Vorgehensweise kann man bei der nächsten Bildsequenz erkennen:
Die Austria im Spielaufbau, mit einem Dreieck (rote Markierung) versucht man die erste Pressinglinie von Sturm auszuspielen. Die beiden Angreifer von Sturm (gelbe Markierung) verschieben jedoch mustergültig, einer schiebt zum Ballführenden heraus, während der andere das Zentrum bzw. den Sechser deckt. Galvao bleibt nur der Querpass und nun rückt der andere Stürmer auf Dragovic hinaus, während sein Kollege dessen Part übernimmt und sich an den „Sechser“ orientiert.
Statisches Positionsspiel
Das Resultat davon war, dass die Austria keine Anspielstationen nach vorne fand und sich die Abwehrspieler die Bälle nur in die Breite zuspielten. Raumgewinn? Ein erfolgreiches Übergangsspiel in die gegnerische Hälfte? Fehlanzeige. Das Positionsspiel war hier schlicht viel zu statisch und man machte es Sturm zu leicht, den Aufbau abzuwürgen. In solchen Fällen muss man die Verteidigungsprinzipien des Gegners herausfordern und andere Lösungen finden. Hier hätte es ein recht einfachen Lösungsansatz gegeben, nämlich Fischer aus diesem Deckungsschatten zu beordern und z.B. zwischen die Innenverteidiger abkippen zu lassen. Dadurch hätten die Stürmer von Sturm nun die gesamte Breite zu verteidigen gehabt und wären die Wege wesentlich größer geworden.
Die Austria tat das nicht, weshalb man de facto bis zur Halbzeit die meiste Zeit mit dem Spielaufbau beschäftigt war, ohne gefährlich in der gegnerischen Hälfte einzudringen, geschweige denn sich festsetzen zu können. Wenn es dann doch mal gelang, fand man sich auf dem Flügel wieder und Sturm war aber auch hier bestens vorbereitet, ist den Gästen doch der enorme Flügelfokus der Austria in ihren Spielen auch nicht entgangen. Dementsprechend sah es dann nummerisch für die Gastgeber am Flügel oftmals so aus:
Die Austria schafft es über den Flügel nach vorne, allerdings wird man gleich von drei Gegenspielern empfangen (gelbe Markierung) und gibt es hier de facto keinen Ausweg nach vorne aus dieser Situation.
In dieser Phase hätten die Austrianer schlicht auch anerkennen müssen, dass man spielerisch kein geeignetes Mittel gegen die gut organisierten Grazer hat, um geordnet nach vorne zu kommen. Die folgerichtige Reaktion wäre es gewesen, stattdessen zumindest sporadisch auf lange Bälle zu setzen und auf die zweiten Bälle zu gehen, um auch mal in die gegnerische Hälfte zu kommen. Stattdessen versuchte die Austria kontinuierlich, flach nach vorne zu kommen und es weiterhin mit ungeeigneten Mittel zu erzwingen. Folgerichtig wurde auch dies postwendend bestraft, nachdem man fast sechzig (!) Sekunden erfolglos versuchte, aus dem Aufbau nach vorne zu kommen. Fischer brachte letztendlich mit einem schlechten Pass Galvao in Bedrängnis, weshalb dieser den Ball verlor und so Sturm eine aussichtsreiche Konterchance ermöglichte, die in weiterer Folge Jatta zum 2:0 verwerten konnte.
Damit schien das Spiel und ein möglicher Punktegewinn für die Violetten in weite Ferne gerückt zu sein, zu dominant agierte Sturm und zu hilflos die Austria. Es war klar, dass sich gravierend etwas verändern musste, sonst würden die Gastgeber ins Verderben laufen.
Austria reagiert auf die eigenen Problemstellen
Nach dem Wiederanpfiff nahmen die violetten Gastgeber zwar keine personellen Veränderungen vor, aber zumindest einige taktische Anpassungen. Die offensichtlichste betraf den Spielaufbau, wo nun Sechser Barry auf die rechte Seite abkippte und so die beiden Innenverteidiger unterstützte, um die erste Pressinglinie des Gegners vor größere Probleme zu stellen. Das war schon mal ein richtiger Schritt, um Sturm hier fordern zu können. Des Weiteren versteifte man sich offensichtlich nicht auf einen flachen Aufbau, sondern wählte nun auch mal den langen Ball, um die Pressinglinien des Gegners zu überwinden und auf die zweiten Bälle zu gehen. Gerade Sturm zeigte sehr eindrucksvoll in dieser Partie, wie man beide Aspekte im Ballbesitz für sich nutzen kann.
Auch gegen den Ball lockerte man die Handbremse und attackierte wieder etwas höher und intensiver, wodurch man Sturm mehr forderte und es ihnen nicht so leichtmachte, in einen Rhythmus in der Ballzirkulation zu kommen. Dadurch wirkten zumindest die ersten Minuten im zweiten Durchgang wieder etwas offener. Doch bevor man Rückschlüsse auf diese Anpassungen ziehen konnte, schwächte sich Meister Sturm gleich doppelt. Innerhalb von drei Minuten musste sowohl Linksverteidiger Karic, als auch Torschütze Jatta mit der jeweils zweiten gelben Karte vom Feld und Sturm das Spiel mit nur acht Feldspielern fortsetzen.
Die Austrianer nutzten diesen Vorteil auch direkt aus und keine drei Minuten nach dem zweiten Platzverweis, verwertete Linksverteidiger Perez-Vinlöf eine Barry-Flanke mit einem perfekten Kopfball aus großer Distanz zum 1:2-Anschlusstreffer. Besser hätte es für die Violetten nicht laufen können und plötzlich hatte man mehr als eine halbe Stunde Zeit, mit zwei Mann mehr das Spiel komplett zu drehen. Der Jubelschrei von Vinlöf war noch gar nicht richtig verstummt, schon musste der Torschütze jedoch vom Feld runter, und das obwohl er der einzig gelernte Linksverteidiger im Kader war.
Den Grund dafür bleibt wohl nur Austria-Trainer Helm vorenthalten. Da keine Verletzung zu erkennen war, kann es nur wegen dessen gelber Karte gewesen sein, da auch gleichzeitig der vorbelastete Kapitän Fischer vom Feld musste. Wie sinnvoll es jedoch ist, gegen einen in doppelter Unterzahl spielenden Gegner, der nur noch tief stehen wird und kaum zum Kontern kommt, Angst vor gelben Karten zu haben und deshalb auf den einzigen (offensivstarken) Linksverteidiger zu verzichten, sei mal dahingestellt. Vor allem wenn man stattdessen einen rechtfüßigen Innenverteidiger auf eine Position stellt, die eigentlich Druck nach vorne ausüben sollte.
Austrianer beißen sich an acht Feldspielern die Zähne aus
Für Sturm war nach den Ausschlüssen die Marschrichtung klar: Alle Ressourcen in die Strafraumverteidigung und um jeden Preis das eigene Tor schützen. Man formierte sich zu einem 4-3-1, versuchte die Abstände so eng wie möglich zu gestalten und vor allem das Zentrum zu verdichten. Die Favoritner konnten dadurch weit aufrücken und volles Risiko gehen, weshalb selbst die beiden Innenverteidiger bereits 30 Meter vor dem gegnerischen Tor standen und versuchten das Spiel aufzubauen. Wer jedoch dachte, die Austria würde sich nun Chancen im Minutentakt erspielen und einen Sturm auf das Tor der Grazer entfachen, der sollte sich irren.
Vermutlich könnte man noch eine separate Analyse erstellen, was die Austria alles in Überzahl schlecht löste und wie man sich das Leben unnötig schwermachte. Auf ein paar offensichtliche Punkte wollen wir aber doch noch eingehen. Angefangen davon, dass man die linke Angriffsseite völlig verschenkte, wo sich oftmals mit Wiesinger und Barry zwei Akteure mit einem rechten Fuß aufhielten und die Angriffe konstant abbremsten, während man stattdessen einen Wels, der einen linken Fuß und seine Stärken in der Offensive hat, auf der „Sechs“ verschwendete. Nicht viel besser sah es auf der rechten Seite aus, wo nach der Verletzung von Gruber eine Flügelzange bestehend aus Fitz und Ranftl gebildet wurde. Ob man seinen einzigen echten Unterschiedsspieler wirklich auf dem rechten Flügel und damit weit weg vom Tor haben möchte, sei mal dahingestellt.
Die Folge war, dass man es quasi nicht schaffte, die am Flügel unterbesetzten Grazer – trotz klarer Überzahl – auszuspielen und konstant auf die Grundlinie durchzukommen. Stattdessen segelten vordergründig halbgare Flanken von der Seitenlinie in den Strafraum, die für die kopfballstarke Sturm-Abwehr einfach zu verteidigen war. Wie bereits im Derby offenbarte sich, dass das einzige offensive Muster im Spiel der Austria die zahlreichen Flanken sind. Wie gegen Rapid kam man auch gegen Sturm auf knapp 30 (!) Flanken im Spiel.
Verstärkt wurde diese Tatsache, dass man nur in die Breite spielte und vertikale Zuspiele wie der Teufel das Weihwasser mied. Man hatte mit Raguz und Prelec zwei Zielspieler in der Mannschaft, nur spielte man diese nicht im letzten Drittel an, sondern flankte lieber auf sie und hoffte, dass ein Ball mal zu ihnen durchrutscht. Alleine wegen der Balance müsste man es auch mal durchs Zentrum probieren und selbst wenn man den Ball verliert, kann man sofort ins Gegenpressing gehen und eventuell so nach Balleroberungen in übersichtlichen Situationen Torchancen erzwingen. Doch das war kaum der Fall. Stattdessen glich die eigene „Passmap“ eher einem „U“, wo man viel in die Breite spielte, aber kaum vertikal. Und wenn man auf den Flügel kam, sah es dann oftmals so aus:
Ein Symbolbild für die Offensive und das Positionsspiel der Austria.
So verwundert es auch nicht, dass sich die Violetten kaum zwingende Torchancen erarbeiteten. In der gesamten zweiten Halbzeit kam man auf einen xG-Wert von nur 0,85, was die offensive Harmlosigkeit gut verdeutlicht. Dazu muss man auch anmerken, dass die Hälfte davon die Fischer-Chance nach einem Eckball ausmachte und die beiden Kopfballtreffer auf einen gemeinsamen Wert von nur 0,1 „Expected-Goals“ kamen.
Hier machte sich einerseits die mangelnde Kreativität in der Offensive bemerkbar und dass man nach wie vor zu wenige kreative und dribbelstarke Spieler hat, die auch mal für überraschende Momente sorgen können – nur der Barry hatte mehr als ein gewonnenes Dribbling. Andererseits zeigte es aber auch, dass von der Trainerbank zu wenige Ideen kommen und es teilweise der Mannschaft sogar erschwert wird, hier zielführend zu agieren. Klar ist Sturm ein starker und gut organisierter Gegner, allerdings sind auch die Grazer bislang in dieser Saison wesentlich anfälliger, als es noch in der letzten Saison der Fall war.
So überwiegt bei beiden Lagern wohl die Unzufriedenheit nach diesem Spiel. Bei Sturm vordergründig, da man eigentlich alles unter Kontrolle hatte und zur Halbzeit die drei Punkte eigentlich nur noch Formsache waren. Bei der Austria über die schwache erste Halbzeit und dass man im zweiten Durchgang nicht imstande war, selbst gegen acht Feldspieler klare Torchancen herauszuspielen.
Dalibor Babic
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