Analyse: Das machte Rapid in der ersten Derby-Halbzeit so stark!
Bundesliga 27.Februar.2024 Daniel Mandl
Mit einem der besten und strukturiertesten Auftritte im neuen Stadion konnte Rapid bereits im ersten Durchgang des Wiener Derbys dafür sorgen, dass der vielzitierte Derby-Fluch endlich ein Ende fand. Daniel Mandl geht in seiner Analyse auf die Verbesserungen in Grün-Weiß ein und analysiert speziell die erste Halbzeit eines für Rapid erfolgreichen Derbys.
Vor dem Spiel stieg die Nervosität unter den Rapid-Fans von Minute zu Minute. Während einige Fans vor der Partie siegessicher waren und sich zumindest nach außen entspannt gaben, merkte man anderen Schlachtenbummlern nach der langen „Derby-Unserie“ eine Art Torschusspanik an.
Der Optimismus unter den Rapid-Fans wurde aber recht schnell höher, als die 26.000 Zuschauer im Weststadion sahen, wie überfallsartig Rapid ins Spiel ging und wie konsequent man von Beginn weg die großen Pressingprobleme bei der Austria ausnutzte, die unser Austria-Analytiker Dalibor Babic bereits in einer separaten Analyse unter die Lupe nahm.
Klar strukturiertes Aufbauspiel
Rapid-Coach Robert Klauß konnte sein Glück wohl kaum fassen, als er sah, dass seine Idee für den Spielaufbau und das Umspielen der Austria-Pressinglinien in seinem ersten Derby nach Plan funktionierten. Allgemein präsentierte sich Rapid gegen eine verunsicherte Austria in sämtlichen Spielphasen souverän und zeigte, was mit dem richtigen Konzept in dieser (Stamm-)Mannschaft steckt.
Grundsätzlich startete Rapid seinen Spielaufbau zumeist sehr bedächtig – man ließ den Ball relativ stressfrei und phasenweise auch langsam zirkulieren, um auf eine gute Bewegung in der Offensive zu warten. Hier kam den Hütteldorfern die Passsicherheit des Innenverteidigergespanns, bestehend aus Leopold Querfeld und Terence Kongolo, zu Gute. Unterstützt wurde dies mit Abkippbewegungen aus dem Sechserraum, vor allem durch Nikolas Sattlberger. Die Ketten der Austria wurden so in Bewegung gehalten, ohne dass der Erzrivale Zugriff auf den Spielaufbau der Hütteldorfer bekam. Sobald sich die neuralgischen Räume auftaten, startete Rapid schließlich seine Tiefenläufe und die Innenverteidiger suchten den Raum hinter den Linien.
1:0 über rechts – trotz großem Linksfokus
So zu sehen bereits bei Rapids erster Chance nach nur zwei Minuten, als Grüll dem in einer pressingtaktischen Zwickmühle befindlichen Ranftl, bei einem intelligenten Tiefenpass von Kongolo, enteilte. Später wurde dies im Spielzug, der zum 1:0 für Rapid führte, noch besser sichtbar, als wiederum Querfeld den Aufbau plötzlich schnell machte und Rapid über Lang und Burgstaller schnörkellos in eine Abschlusssituation kam, die Seidl schließlich verwertete.
Dass diese Aktion gerade über die rechte Seite abgewickelt wurde, bewies auch Rapids Flexibilität in der ersten Halbzeit des Derbys. Davon abgesehen war das Spiel der Gastgeber von einer starken Asymmetrie geprägt, um die Stärken des in Hochform befindlichen Marco Grüll auszunützen.
Quelle: Wyscout S.p.a.
Rapid hatte einen massiven Linksfokus im eigenen Ballbesitzspiel und deutlich mehr Passbindungen auf der linken Seite, wie auch die Passmatrix der Partie eindeutig zeigt. Gleich 74% der Angriffe gingen über die linke Seite, wodurch man das von Dalibor Babic beschriebene Problem in der Zuordnung der Austria-Defensive bespielen und Grüll in Duelle mit dem nach außen rückenden Plavotic zwingen wollte.
Deutlich verbessertes Gegenpressing
Es war aber nicht nur das ausgesprochen fokussierte Spiel im eigenen Spielaufbau, sondern auch das Verhalten in anderen Matchphasen, das Rapid in dieser ersten Halbzeit auszeichnete. Besonders auffällig waren die deutlichen Verbesserungen im Gegenpressing und im defensiven Umschaltspiel.
Während Rapid in der Vergangenheit vor allem nach hohen Ballverlusten nicht immer griffig war und sich die Gegner recht schnell wieder stabilisieren konnten, waren im Derby stets Rapid-Spieler ballnah zur Stelle, wenn ein Angriff nicht erfolgreich vorgetragen wurde oder die Austria zwischenzeitlich an den Ball kam. Rapid kam gruppentaktisch stark ins Gegenpressing, was im Grunde umfassend praktiziert wurde und nicht auf einzelne Personalien zurückzuführen ist. Der grün-weiße Block war schlichtweg klar verdichtet und die Spieler blieben im Kampf um zweite Bälle und Rückeroberungen allesamt ausgesprochen konzentriert und fokussiert.
Die Rolle von Lukas Grgic – und das statistische Paradoxon
Wenn man allerdings personell etwas herausheben möchte, dann muss man die Rollen von Neuzugang Christoph Lang und dem neuen „Chef“ im Zentrum, Lukas Grgic, herausstreichen. Vor allem Letzterer nimmt eine immer wichtigere Rolle ein und reift derzeit zu einem ausgesprochen wichtigen Spieler heran.
Grgic’ größtes Asset ist dabei sein Positionsspiel im Zentrum. Der Oberösterreicher ist bei gegnerischem Ballbesitz und auch bei offensiven Ballverlusten praktisch immer in Ballnähe und kann sofort wieder auf die Situation zugreifen. Grgic geht die unangenehmen Meter, scheut keinen Zweikampf und ist durch seine kämpferische Art auch ein Spieler, dem die Gegner mit einer gehörigen Portion Respekt begegnen. Man will schlichtweg ungern Zweikämpfe mit ihm führen.
Dass Grgic nach Balleroberungen das eine oder andere technische Problem und eine allgemein leicht verzögerte Response in der Ballweiterverarbeitung mitbringt, war in diesem Fall verkraftbar, zumal sein Doppelsechs-Kollege Nikolas Sattlberger den „eleganten“ Part einnahm.
Paradox war hier jedoch, dass Grgic mit 88% Passgenauigkeit dennoch die klar besseren Werte als Sattlberger (69%) aufwies. Allerdings beschränkte sich Rapids Mittelfeldkämpfer auf die einfacheren, nicht linienbrechenden Pässe. Noch paradoxer war, dass Grgic laut Statistik keinen einzigen Defensivzweikampf gewann. Entscheidender waren jedoch seine Werte im Kampf um „offene Bälle“, mit denen er dafür sorgte, dass Rapid in der ersten Halbzeit im zweiten Drittel nie die Kontrolle abgab – sogar noch bevor die Austria in Ballbesitz kommen konnte. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, dass absolute Statistikwerte nicht immer eine klare Aussagekraft haben müssen.
Zudem war Grgic einer der wichtigsten Antreiber dafür, dass Rapid auch stets schnell hinter den Ball kam und der Austria durch das solide defensive Umschaltspiel das Leben schwer machte. Die Austria sah sich in fast jeder Aktion in der ersten Halbzeit sofort umschaltenden Gegenspielern gegenüber und konnte nie Kontrolle ins Spiel bringen.
Ein ebenfalls nicht zu verachtender Part dieser Rolle war die Linkslastigkeit von Lukas Grgic. Wie bereits zuvor beschrieben, war Rapid darauf bedacht, die linke Seite deutlich intensiver zu bespielen und der merkliche Linksdrall des Mittelfeldspielers band Austria-Spieler im Pressing, bot zudem eine weitere Anspielstation und brachte den Grün-Weißen für den Fall von Ballverlusten sofort zusätzliche, „ballnahe Physis“.
Klauß und die konsequentere Verdichtung
Ein weiterer Faktor war hier erneut, dass Klauß eine konsequente Verdichtung Rapids betreibt, indem er die Außenverteidiger gut vom ballfernen Flügel einrücken lässt. Dies war – wie schon beim 1:1 bei Sturm Graz – gut an Neraysho Kasanwirjo sichtbar, der als ballferner Flügel gut einrückte und so die Wahrscheinlichkeit von Spielverlagerungen durch den Gegner verringerte. Vice versa zeigte auch sein Pendant auf der linken Seite, Jonas Auer, immer wieder gute Ansätze in dieser Hinsicht.
Lang als neuer Stabilitätsgeber
Ein weiterer Stabilitätsfaktor war die Position von Neuzugang Christoph Lang und die Robustheit, die er ins Spiel mitbrachte. Während sein Vorgänger Nicolas Kühn wohl der bessere Fußballer und selbstverständlich auch spektakulärere Dribbler ist, steht Langs Rolle für Pragmatismus und Zählbares. Die einrückende Position von Lang, der eher ein Halbfeldspieler, als ein Flügelflitzer ist, gibt Rapid weitere Stabilität im Zentrum und mehr Zugriffsmöglichkeiten auf der Zentralachse, als zuvor mit Kühn.
Auch wenn er sich in der Offensive nicht immer nach Belieben durchsetzen konnte, gewann Lang fünf von sechs Defensivzweikämpfen und zwei Duelle um offene Bälle. Diese deutlich größere Präsenz, noch dazu in dieser Zone, macht Rapid einerseits physisch griffiger, andererseits auch besser im Kombinationsspiel. Langs Rolle ist auch mit ein Grund dafür, dass sich sein „Nachbar“, der Zehner Matthias Seidl, zuletzt wieder besser entfalten konnte, mehr Räume vorfindet und schließlich auch ein starkes Derby spielte.
Neue grün-weiße Selbstverständlichkeit
Allgemein war bei Rapid aber in der ersten Halbzeit eine große Leichtigkeit sichtbar, die sicher auch mit der gut nach außen getragenen Einstellung des neuen Trainers zu tun hat. Es wirkt so, als würde sich Rapid derzeit das Glück des Tüchtigen erarbeiten. Vor einiger Zeit noch hätte man wohl in der zweiten Halbzeit einen Gegentreffer kassiert und wieder zu zittern begonnen. Das blieb diesmal aus.
Ebenfalls sinnbildlich war, dass die früher häufig kritisierten Standards plötzlich funktionieren, wie beim einstudierten 2:0. Bereits gegen Sturm war Rapid aus Standardsituationen gefährlich geworden und hatte aus einem direkten Freistoß den Ausgleich erzielt.
Eine mannschafts- und gruppentaktische Stabilisierung des Gesamtkonstrukts bedeutet aber auch die Stabilisierung Einzelner, was ebenfalls in der ersten Halbzeit des Derbys offensichtlich wurde. Die beiden sommerlichen Last-Minute-Neuzugänge Kongolo und Kasanwirjo gewannen 100% ihrer Defensivzweikämpfe – Kongolo sieben, Kasanwirjo neun. Ersterer spielte auch im Aufbau eine ausgesprochen starke Partie und entwickelte sich im Frühling zu einem unerwarteten Asset für die Hütteldorfer.
Von „Perfektion“ zur Passivität
Wie Klauß nach dem Spiel konstatierte, war die erste Halbzeit „nahe an der Perfektion“ und tatsächlich war es wahrscheinlich eine der besten Halbzeiten Rapids im (mittlerweile nicht mehr ganz so) neuen Stadion.
In der zweiten Halbzeit schalteten die Grün-Weißen einen Gang zurück, was auch mit der wiedergefundenen Aggressivität der Austria zusammenhing. Hier verabsäumte es Rapid schlichtweg in den ersten fünf Minuten der Halbzeit nachzulegen und eine weitere Duftmarke zu setzen, die das Spiel wohl weiter in Richtung „Einbahnstraße“ gekippt hätte. Stattdessen roch die Austria aber Lunte und stabilisierte sich nach kurzfristigen Etappenerfolgen und dem Erarbeiten von Torchancen, während Rapid passiv agierte, nicht mehr den Nachdruck im Gegenpressing auf den Platz brachte und die Austria so wieder Selbstvertrauen zurückgewann.
Rapid wurde zudem am Ball lässig und brachte nicht mehr den „Zug“ der ersten Halbzeit in die eigenen Aktionen. Das wurde unter anderem an einzelnen Aktionen, etwa von Kasanwirjo oder später auch bei einem Abschluss von Mayulu, sichtbar.
Rapid-Tugenden – aber vorerst nur 45 Minuten lang
Einer der Gründe für die Begeisterung des Publikums in der ersten Hälfte war auch der, dass das Spiel die historisch gewachsenen Werte der Teams widerspiegelte. Rapid lieferte einen intensiven Fight ohne Schnörkel ab, die Austria hatte die eine oder andere Offensivaktion dabei, in der man ins „Scheiberlspiel“ abdriftete und sein Glück in spielerischer Finesse suchte. Die wenigen Versuche, mit dem Ferserl für Überraschungsmomente zu sorgen, wurden aber von Rapid sofort niedergekämpft und rissen das Publikum mit.
In der zweiten Halbzeit drehte sich dieses Bild und Rapid hielt die Intensität nicht mehr hoch. Das war einerseits aufgrund der 3:0-Führung verkraftbar, andererseits aber auch ein Zeichen dafür, dass das Team noch nicht bereit ist, diese Intensität über 90 Minuten zu gehen. Dass man es allerdings über die ersten 45 Minuten nahezu makellos schaffte, wird auch den Spielern verdeutlichen, was alles möglich ist. Und Robert Klauß und sein Team wissen aufgrund des durchaus kontrastreichen Spiels ebenfalls, wo man die nächsten Hebel betätigen muss.
Daniel Mandl, abseits.at
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Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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