Der SK Rapid rehabilitierte sich gebührend für die deftige 2:7-Heimniederlage gegen Red Bull Salzburg. Und das obwohl man gegen Sturm Graz eine problematische erste Hälfte verdauen musste. Die Analyse der größten Rapid-Aufholjagd seit 35 Jahren.
Dynamo Dresden, Sporting Lissabon und Co. – im Europacup gelangen Rapid in zwei Spielen schon des Öfteren bemerkenswerte Aufholjagden. Das letzte Mal, dass Rapid in einem einzelnen Spiel einen Zwei-Tore-Rückstand in einen Sieg verwandelte, geschah im September 1985. Damals lag man gegen den Salzburger AK bis zur 78.Minute mit 0:2 zurück, ehe ein Elfmeter von Krankl und ein später Doppelpack von Kranjcar das Spiel noch drehten.
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Hat man die erste Halbzeit im gestrigen Auswärtsspiel gegen Sturm Graz gesehen, so hätte man diesen bemerkenswerten „Dreher“ kaum mehr erwartet. Rapid lief in einem 3-4-1-2-System auf, wobei die wichtigste Veränderung die Doppelacht betraf. Kühbauer wollte für eine offensivere Zentrale sorgen und stellte daher Dejan Ljubicic wieder neben Stefan Schwab ins zentrale Mittelfeld. Davor spielte zusätzlich noch Knasmüllner. Der Spielaufbau aus der Abwehr heraus war damit den Herren Greiml, Hofmann und Stojkovic überlassen.
Extrem intensiver Schwab, aber wenig Spielerisches
Der einzige Vorteil – so kristallisierte sich im Laufe der ersten Halbzeit heraus – war der, dass Schwab und Ljubicic die Doppelsechs von Sturm mit Ljubic und Dominguez weitgehend besser spiegelten und die Zentrale somit insgesamt neutralisierten. Auffällig war dabei die Schlagzahl, die Kapitän Schwab ging. Der 29-Jährige führte insgesamt 37 Zweikämpfe und Kopfballduelle (57% erfolgreich) und damit fast doppelt so viele Duelle wie Ljubic und Dominguez zusammen. Die erhoffte spielerische Stärkung des Mittelfelds durch Ljubicic blieb dennoch aus, weil dieser in der Abwehrzentrale fehlte und deshalb der Spielaufbau durch die Mitte zu unsauber vonstattenging.
Zu wenig Bindung im zentralen Aufbau
Vor allem aus der Mitte der Innenverteidigung kam zu wenig. Die Passmuster zwischen den Innen-Außen-Paaren Greiml-Ullmann und Stojkovic-Schick wiesen eine hohe Frequenz auf, aber der saubere, vertikale Aufbau durch Maximilian Hofmann durch die Mitte blieb weitgehend aus. Dadurch kam auch die Doppelacht in Ballbesitz nicht gut genug ins Spiel. Zudem war die Staffelung problematisch, weil auch bei Aufbau Ljubicic häufig offensiver agierte als Schwab und so keine lineare Bindung nach vorne aufgebaut wurde. Hinzu kam der einmal mehr schwache Knasmüllner, der sich auf der Zehn bzw. im Zwischenlinienraum versteckte und zu wenig antizipierte, wodurch er weitgehend in der Luft hing und Rapid die Zentrale zwar weitgehend kontrollieren, aber kaum dominieren konnte.
Sturm trifft über die Seiten
Weil Sturm in der Zentrale bestenfalls Pattsituationen hielt, fielen die Gegentreffer Rapids durch Aktionen an den Flügeln: Das 1:0 aus einer von Hierländer verlängerten Freistoßflanke, das 2:0, weil Sturm erstmalig über die rechte Seite eine Flanke genau zwischen zwei Rapid-Innenverteidiger gelang. Otar Kiteishvili, bester Grazer am gestrigen Tag, sagte danke.
Kühbauer korrigiert Fehler, Rapid wird griffiger
In der Halbzeit korrigierte Kühbauer den taktischen Fehler aus der Startaufstellung. Maximilian Hofmann machte für Dejan Petrovic Platz, damit Dejan Ljubicic zurück in die Innenverteidigung rutschen konnte. Das Aufbauspiel wurde damit auf Anhieb stärker und wurde zudem dadurch begünstigt, dass Sturm mit der Führung im Rücken passiver wurde. Hinzu kamen nun wieder bessere Einrückbewegungen der Außenverteidiger gegen den Ball, wodurch das Zentrum noch besser besetzt wurde. Auch die Passmuster von Dejan Petrovic, der für einen Achter sehr flexible Passgewohnheiten mit einigen Wechseln zwischen kurz und lang aufweist, taten Rapid gut.
Kara kommt für unglücklich agierenden Kitagawa
Was folgte, war der wichtige Anschlusstreffer nach nur sechs Minuten im zweiten Durchgang. Kelvin Arase nützte eine feine Außenristflanke von Filip Stojkovic per Kopf zum 1:2. Knapp zehn Minuten später kam mit Ercan Kara der Prellbock im Rapid-Angriff. Statt ihm ging der Japaner Koya Kitagawa vom Platz, der in der ersten Hälfte einige gute Momente hatte, in der zweiten Hälfte aber einen Sitzer vergab, was am Ende leider wieder die allgemeine Assoziation zur Partie sein sollte. Der 23-Jährige agiert weiterhin unglücklich, zeigt aber trotzdem immer wieder Ansätze, die hoffen lassen.
Ibrahimoglu kommt als „hoch agierender Freigeist“
Durch Karas Hereinnahme war klar, dass Rapid nun Dominanz in höheren Zonen suchte. Die Entlastungsangriffe von Sturm Graz wurden zwar einerseits weniger, andererseits wurde aber auch Rapid zu selten konkret. Das änderte sich erst zu Beginn der Rapid-Viertelstunde, als Kühbauer Christoph Knasmüllner durch Melih Ibrahimoglu ersetzte. Der 19-Jährige ist eigentlich Achter, konnte aber nun aufgrund der hohen Feldposition des ganzen Teams einen flexiblen Zehner mimen. Die hohe Zweikampffrequenz von Schwab und die Passvariabilität von Petrovic hinter ihm, sollte dem Youngster den Rücken freihalten und viel Raum bieten.
Ljubic‘ letzte Aktion lässt Spiel kippen
Nur acht Minuten nach seiner Einwechslung nutzte Ibrahimoglu nach einer guten Pendelbewegung nach außen seine Chance und holte einen Elfmeter heraus. Für Sturm war die Elfersituation doppelt bitter, da der foulende Spieler Ivan Ljubic war, für den es zur letzten Aktion im Spiel wurde. Unmittelbar nach Schwabs Elfmetertor wurde er durch Lukas Jäger ersetzt, der zum Zeitpunkt des Fouls bereits an der Outlinie bereitstand und für Ljubic eingewechselt werden sollte.
Beste Greiml-Aktion leitet Siegtreffer ein
Sturm hing in den Seilen, Rapid versuchte noch einmal alles, um das Spiel endgültig zu drehen. Und ähnlich wie beim 2:1-Heimsieg gegen den Wolfsberger AC war es eine einzelne beherzte Aktion von Nachwuchshoffnung Leo Greiml, die den Siegtreffer einleitete. Nach einem gut geführten Zweikampf und einer kurzen, schnellen Herausrückbewegung im Aufbau, gelang dem 18-Jährigen mit einem präzisen, weiten Ball auf Schick seine beste Aufbauaktion. Schick ließ perfekt auf Kara abtropfen, der sich derartige Chancen derzeit einfach nicht entgehen lässt.
Starke Kara-Quote nach sieben Bundesligaspielen
Kara hat offensichtlich das Zeug, sich zum neuen Rapid-Knipser zu entwickeln. Nach sieben Spielen und gerademal 265 Einsatzminuten hält der 24-Jährige bei drei Toren und zwei Assists, was einem Scorerpunkt pro ~55 Minuten entspricht. Interessanterweise gelangen ihm zudem vier seiner fünf Scorerpunkte in den letzten fünf Minuten des Spiels. Bei ihm konnte man zuletzt vor allem beobachten, dass seine Laufwege binnen kürzester Zeit wesentlich besser wurden. Zwischen seinem erst zweiten Bundesligaspiel, dem 1:0-Sieg beim LASK und seinem gestrigen siebten lagen diesbezüglich Welten!
„Endspiel“ voraussichtlich eher gegen den WAC
Rapid erzwang mit dem ersten „3:2-Dreher“ seit 35 Jahren also drei Punkte und liegt nun wieder auf Rang 2. Das Rennen um die Plätze 2 bis 4 ist allerdings völlig offen, auch weil weiterhin nicht klar ist, wie viele Punkte der LASK vom Ständigen Neutralen Schiedsgericht noch zurückbekommt. Sicher ist allerdings, dass Rapid – unabhängig vom Ergebnis gegen den LASK am kommenden Mittwoch – mit jedem Punktgewinn in Wolfsberg vor den Kärntnern landen würde. Selbst wenn man zuvor das Heimspiel gegen den LASK verlieren würde und Wolfsberg in Hartberg gewinnt. Wenn man davon ausgeht, dass der LASK weitere Punkte zurückbekommt – womöglich sogar alle – wäre also ein Punktgewinn im Lavanttal gleichbedeutend mit dem fixen Einzug in die Europa-League-Gruppenphase. Das richtige Endspiel für Rapid wird also mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht das Mittwochsspiel gegen den LASK sein, sondern die letzte Partie der Saison in Wolfsberg.
Daniel Mandl, abseits.at
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Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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