Analyse: Rapids „besondere“ Halbzeit und Marschs diametraler taktischer Bock
Bundesliga 11.November.2020 Daniel Mandl
Rapid war am vergangenen Sonntag die erste Mannschaft, die Red Bull Salzburg auf nationaler Ebene einen Punkt abknöpfte. Dabei sah man einerseits, wie die Schere zu Salzburg zumindest ein bisschen zu schließen wäre und andererseits, wie sich die Roten Bullen im nationalen Bewerb von ihrem eigenen Selbstverständnis bremsen lassen.
Unmittelbar vor dem Spiel glaubten wohl nur die optimistischsten Rapid-Fans, dass gegen den Angstgegner aus Salzburg auch nur irgendetwas zu holen ist. Neben den Langzeitverletzten Dibon, Schobesberger und Velimirovic, fehlten auch Fountas und Ritzmaier, zudem standen mit Stojkovic und Petrovic zwei weitere Stabilisatoren nicht im Kader. Kühbauer ließ mit Kara und Demir zwei potentielle Game Changer auf der Bank – Rapid spielte somit im 3-5-2 mit einer Art besseren B-Elf.
Salzburg zieht eigenes Konzept durch, Rapid probiert’s mit Tempo
Die Salzburger zogen währenddessen ihr Konzept humorlos durch, agierten im üblichen 4-4-2 mit einer antizipativen Spitze Berisha und „Tiefgeher“ Koita. Das Konzept Rapids war recht schnell augenscheinlich: Mit den schnellen Stürmern Arase und Kitagawa wollten die Hütteldorfer zwischen den Salzburger Linien umrühren bzw. idealerweise in die Halbräumen hinter die Doppelacht mit Mwepu und Junuzovic kommen.
Arase zunächst der auffälligere Stürmer
Ein recht beherzter Beginn bescherte Rapid kleine Etappensiege – zumeist in Form von recht gutem Pressing, in dem der umtriebige Arase vorne weg ging. Einmal mehr gelang dem Youngster zwar spielerisch nicht viel, aber sein Einsatz ähnelte dem, der ihn gegen Arsenal zu einem der besten Spieler auf dem Platz machte. Anders hingegen Koya Kitagawa, der jedoch eher Zielspieler, als Antizipativspitze war. Dennoch kommt vom Japaner weiterhin zu wenig. Seine zahlreichen ausgelassenen Chance sind das Eine, aber das Andere und zugleich zentralere Problem ist, dass er noch immer nicht den allerletzten Punch zeigt, den man bei Rapid schon aus Traditionsgründen erwartet. Der 24-Jährige wirkt weiterhin wie ein Fremdkörper, im Spiel gegen den Ball noch viel mehr als mit Ball. Man hat stets das Gefühl, dass auch kämpferisch noch Luft nach oben wäre.
Dichte Mittelfeldzentrale durch tieferen Knasmüllner
Eine Viertelstunde lang konnte Rapid das Spiel weitgehend offenhalten, verlor dann aber den Faden und Salzburg wurde konkreter. Wirklich gut waren die Mannen von Jesse Marsch zwar nicht, aber das lag nicht an den mangelnden Bemühungen, sondern vielmehr an einer allgemein guten Mittelfeldleistung Rapids. Durch das massive Zurückweichen von Knasmüllner wurde Salzburg der Zwischenlinienraum nicht angeboten. Vor der Dreierkette konnte Rapid somit mit Grahovac, Ljubicic und Knasmüllner gut gestaffelt verteidigen und die Salzburger aus dem Zentrum herauslenken.
Ein Diagonalpass durchbricht Rapids „Fächerordnung“
Durch die Verdichtung der Mitte konnten Ullmann und Schick auf den Flügelverteidigerpositionen gegen den Ball eher passiv agieren und das Mittelfeld war alleine durch die Masse schnell an den Flügeln zu Hilfe, wodurch Salzburg sich mit Flügeldurchbrüchen schwertat. Dennoch igelte sich Rapid nicht ein, sondern agierte wie ein Fächer und war im Positionsspiel durchaus flexibel. Salzburg durchbrach dies erst mit einem präzisen Diagonalpass, bei dem Greiml in seinem Rücken Szoboszlai aus den Augen verlor, während Schick der Situation komplett fernblieb. Die Klasse des Ungarn, gepaart mit der Abgebrühtheit Koitas sorgte für das 1:0 für die Gäste.
Aufbauprobleme wegen fehlerbehafteter Spieleröffnung
Rapid hatte vor allem Probleme im Spielaufbau, verlor aber dennoch nach dem Gegentreffer nicht den Faden. Man versuchte nun etwas mehr Ruhe ins Spiel zu bringen, was auf diesem Tempo gegen pressingstarke Salzburger natürlich nicht einfach ist. Das Problem waren jedoch die äußeren Innenverteidiger, denn durch das sehr riskante – und manchmal etwas seltsam anmutende – Passspiel von Mateo Barac und dem Totalausfall von Greiml, der speziell im Aufbau, aber auch phasenweise gegen den Ball überfordert wirkte, schenkte Rapid zu viele Bälle her.
Rapid kam als Block nicht weit genug „hinaus“
Prinzipiell wäre dies aber nicht das größte Problem gewesen, weil Rapid ohnehin stärker auf zweite Bälle in höheren Zonen spekulierte und Ballverluste somit auch irgendwie Teil des Konzepts waren. Rapids Problem war jedoch, dass man als Mannschaft nicht geschlossen in diese hohe Zonen schieben konnte. Die Ballverluste passierten zu tief und so konnten die beiden „Lauerstürmer“ Arase und Kitagawa nie richtig aktiviert werden.
Ein logischer und ein erzwungener Spielerwechsel
In der ersten Viertelstunde der zweiten Halbzeit gab es Kühbauer’sche Wechselspiele. Routinier Sonnleitner kam für Greiml, was zwar für den Aufbau keine große Verbesserung darstellte, aber das Selbstverständnis der Dreierkette stärkte. Wenige Minuten später musste Kapitän Dejan Ljubicic mit einem Bänderriss im Sprunggelenk runter. Zlatko Junuzovic, der sich im TV-Interview nach dem Spiel bei Ljubicic entschuldigte, wäre nächstes Jahr durch das Eingreifen des VAR vom Platz gestellt werden. Wieso etwa die Sky-Experten Tatar und Kogler hier „keinesfalls Rot“ sahen, wissen sie wenige Tage später aber wohl selbst nicht mehr so genau.
Konservative Position Schusters stabilisiert Rapid weiter
Anstelle von Ljubicic kam mit Lion Schuster das nächste Eigengewächs, der seine Sechserrolle statischer anlegte als der Rapid-Kapitän. Schuster wurde zur alleinigen Absicherung bzw. gegen den Ball derjenige, der den Zwischenlinienraum im Auge behielt. Knasmüllner unterstützte weiterhin tatkräftig in den tiefen Zonen, wodurch mit Fortdauer des Spiels auch immer wieder Grahovac nach vorne schieben konnte. Kurzum: Schusters konservative Positionierung machte den Rest des Mittelfelds variabler.
Kara und Demir kippen das Spiel
Die „Königswechsel“ folgten nach einer Stunde. Kara und Demir kamen statt Kitagawa und Arase. Wenn man gegen Salzburg bestehen möchte, braucht es etwas Besonderes – und die beiden türkischstämmigen Wiener sind derzeit wohl das Besonderste was Rapid zu bieten hat, zumindest wenn Taxiarchis Fountas verletzt ist. Sie ließen auch nicht lange auf Ausrufezeichen warten: Karas Physis stabilisierte Rapids Offensive sofort und Demir stellte sich gleich mal mit einem Gurkerl gegen Enock Mwepu und einem eindrucksvollen Sololauf ein.
Mehr Physis in der Spitze, mehr „Besonderheit“ im Zentrum
Gefühlt war plötzlich wieder etwas drin, weil Rapid nun von einem Moment auf den anderen schwerer berechenbar war. Anstelle der mäßig bis brav anlaufenden Startelfstürmer kam nun der junge Demir aus der Tiefe des Raumes und Kara legte das Spiel ebenfalls tiefer an, lief die Salzburger im Aufbau nicht hoch an und half damit die Kompaktheit zu finden, die in der ersten Halbzeit fehlte. Die Abstände bei den Hütteldorfern passten nun und mit Demir hatte man einen Spieler auf dem Platz, der mit sehr präzisen Einzelaktionen zu gefallen wusste. Das Verschieben wurde nun einfacher und in der Spitze dieses Blocks verfügte Rapid mit Kara über einen physischeren Stürmer, der Verteidiger binden kann – was Arase und Kitagawa nicht mal ansatzweise schafften. In die höheren Zonen kam Rapid damit zwar vorerst noch immer nicht, aber auch das sollte sich mit Fortdauer der zweiten Hälfte noch ändern.
Demir trickst – und auch andere fallen plötzlich aus der Rolle
Rapid spielte damit fortan im 3-6-1, wobei Demir einen absoluten Freigeist gab. Seine Mängel gegen den Ball sah man ihm zwar noch an, allerdings ist der 17-Jährige am Ball schon jetzt einer der besten Spieler der Liga und zudem extrem zweikampfstark und clever in der Ballbehauptung. Das stabilisierte Rapid massiv und die Wiener wurden Stück für Stück gefährlicher. Aber nicht nur Demir war an der Variabilisierung Rapids in der zweiten Halbzeit beteiligt. Auch Grahovac’ ausweichende Läufe auf den linken Flügel überraschten Salzburg grundlegend.
Knasmüllner belohnt sich
Den konkreten Unterschied machte am Schluss aber Ercan Kara aus, der im Mittelfeld wie ein Panzer den Ball gewann, Lauf- und Passspiel daraufhin perfekt tempierte und Knasmüllner im richtigen Moment anspielte. Rapids offensiver Mittelfeldspieler, einer der besten Akteure auf dem Platz, schloss sehenswert zum verdienten 1:1 ab.
Rapid punktet ohne 08/15-Fußball
Rapid hat in dieser zweiten Halbzeit – teilweise geplant, teilweise aber auch sicher spontan und eigeninitiativ – Lösungen gefunden, um den Serienmeister auf Augenhöhe zu bespielen. Die Physis im vordersten Teil des Blocks, die extreme Masse dahinter, aber auch die vielen Ausweichbewegungen und Diagonalläufe in Ballbesitz, störten die Salzburger Ordnung. Rapid präsentierte sich im Vergleich zu vorangegangenen Duellen mit Salzburg dahingehend verändert, dass man nicht nur brav einen Plan durchziehen wollte (und dann doch wieder verlor), sondern das Spiel auch ein bisschen auf das Stressen und Überraschen des Gegners aufbauen wollte. Und an manchen Tagen, wie auch am vergangenen Sonntag, braucht es hierfür nur eine mutige halbe Stunde, um gegen Salzburg zu punkten. Mit 08/15-Fußball ist gegen die Bullen praktisch nie etwas zu holen. Mit ein wenig Mut zu Risiko und Individualität allerdings schon.
Marsch wechselt mit Konterfokus
Salzburg riss sich den Sieg aber dennoch ein wenig selbst aus der Hand. Nach der Einwechslung von Kara und Demir, als klar wurde, dass Rapid nun variantenreicher, trickreicher und physischer werden würde, tauschte Jesse Marsch dreimal Position für Position und setzte seinerseits Schnelligkeit entgegen. Ganz im Salzburger Selbstverständnis sollten seine Kicker per Konter das 2:0 besorgen, wie es immer der Anspruch des Meisters ist. Hierfür kamen mit Okugawa und Adeyemi zwei konterstarke, schnelle Spieler, dazu sollte mit Ashimeru ein schnellerer Spieler als Junuzovic den Sechserraum absichern. Ebendieser Ashimeru bekam aber schon nach wenigen Minuten ein „Ferserlgurkerl“ von Demir angehängt.
Mehr defensive Physis hätte wiederum Salzburg stabilisiert
Bis zur Nachspielzeit verblieb Rasmus Kristensen auf der Bank. Albert Vallci, mit dem Demir ebenfalls machte, was er wollte, musste nach 93 Minuten runter. Die beiden Innenverteidiger Oumar Solet und Jerome Onguene verblieben über die volle Spieldauer auf der Bank. Hätte Salzburg die Defensivzentrale im Laufe der Schlussphase weiter verstärkt und auch die Polyvalenz Wöbers in der Formation besser ausgenutzt, hätte man Rapid wohl konsequenter vom eigenen Sechzehner fernhalten können. Stattdessen entschied sich Marsch aber für die Suche nach dem Konter zum vermeintlichen 2:0.
Diametraler Fehler im Vergleich zum Bayern-Spiel
Das was bei den Salzburgern also gegen Bayern München gemacht wurde, um das Remis abzusichern (und schließlich den Umschwung zugunsten der Bayern einleitete), wurde gegen Rapid wieder verworfen, weshalb man aber erst recht ins offene Messer lief. Angesichts der allgemeinen Kräfteverhältnisse in der Liga ist dies natürlich für die Salzburger verkraftbar, allerdings bleiben somit innerhalb von sechs Tagen gleich zweimal sehr fragwürdige taktische Grundsatzentscheidungen, die Jesse Marsch beauftragte oder eben nicht beauftragte…
Daniel Mandl, abseits.at
Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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