Analyse: Stabilität über alles in St. Pölten
Bundesliga 27.August.2018 Dalibor Babic 2
Im Spiel der fünften Runde der österreichischen Bundesliga gastierte die Wiener Austria beim Überraschungsteam aus St. Pölten, das bisher ungeschlagen blieb und damit sogar aktuell auf dem zweiten Platz rangiert, was nach der katastrophalen letzen Saison durchaus bemerkenswert ist. Daher war diese Begegnung bereits im Vorfeld als schwierig für die Austria eingestuft worden, wobei noch dazu die Bilanz aus Sicht der Violetten gegen die Niederösterreicher alles andere als positiv und stattdessen sogar leicht negativ war. Um dies zu ändern, überlegte man sich auf Seiten der Violetten etwas Spezielles und versuchte den Gegner mit einigen Umstellungen zu überraschen.
Austria stellt sich auf St. Pölten ein
Nach dem deutlichen 4:0 reiste die Austria mit Selbstvertrauen in die niederösterreichische Landeshauptstadt und nahm sich vor, den nächsten „Dreier“ einzufahren und sich in der Tabelle weiter nach vorne zu arbeiten. Um dies zu bewerkstelligen, stellte man sogar das eigene System um, was durchaus als Zeichen des Respekts vor dem SKN zu deuten ist. Die Hausherren präsentieren sich in der neuen Saison bislang als klassisches „Kühbauer-Team“, hinten auf Stabilität und disziplinierte Arbeit gegen den Ball fokussiert, nach vorne mit einer hohen Direktheit und auf das schnelle Umschaltspiel bedacht. Nachdem man allerdings im ersten Saisonspiel drei Gegentreffer einstecken musste, stellte man das eigene System auf ein 5-3-2 um, damit das „kühbaurische Credo“ verwirklicht werden kann und die defensive Stabilität gewährleistet wird. Dies klappte seither auch recht gut, man blieb seit dem ersten Spieltag sogar ohne Gegentreffer und präsentiert sich als äußerst unangenehmer Gegner.
Diese unangenehme Spielweise veranlasste dann auch den Austria-Trainer Letsch dazu, sich eingehender auf die Spielanlage der Niederösterreicher einzustellen und das eigene Spiel anzupassen. Da das 4-3-1-2 gerade gegen massive Fünferketten zu Problemen führen kann (wie es auch bei den Salzburgern in der Vergangenheit der Fall war) veränderte Letsch das System zu einem 5-2-1-2/5-3-2 und spiegelte damit mehr oder weniger das System des SKN. Der Hintergrund dahinter war wohl, dass man sich vor allem um die Stabilität bei möglichen Kontern des Gegners und die passende Absicherung nach Ballverlust sorgte. Und diese Bedenken waren auch wohlbegründet, denn das Problem beim Duell 5-3-2 gegen 4-3-1-2 ist, dass das 5-3-2 zwei Stürmer hat und man als 4-3-1-2 damit hinten quasi Mann gegen Mann als Innenverteidiger verteidigen muss. Da sich der SKN diesen Vorteil auch gezielt zunutze macht und gerne lange Bälle auf ihre beiden Stürmer spielt, die diese dann Ablegen und anschließend in die Schnittstelle nach vorne starten, entschied sich der Austria-Trainer dieser Vorgehensweise strategisch zuvorzukommen und sie ebenfalls gezielt zu unterbinden. Die Lösung war, dass man eine Drei gegen Zwei Überzahl im Abwehrzentrum schafft und auf ein 5-3-2 umstellt, ergo die Innenverteidigung zusätzlich stärkt, um dadurch mehr Zugriff auf die beiden gegnerischen Stürmer zu bekommen und die defensive Stabilität und passende Absicherung der eigenen Angriffe zu gewährleisten.
Daher zeichnete sich also bereits durch die Aufstellungen ein auf Stabilität bedachtes Fußballspiel ab, wo die Vorsicht vor dem Risiko regierte. Abgesehen davon, waren die Vorzeichen recht klar, denn die Niederösterreicher überließen den Wienern den Ball und ließen sich in die eigene Hälfte zurückfallen und wollten so in der Defensivarbeit quasi das Spiel vor sich halten. Dabei agierte man eben aus einer 5-2-1-2/5-3-2 Formation heraus, wobei man ganz vorne eine 2-1 Staffelung hatte, da man die Austria in ihrem üblichen System erwartete und sie normalerweise mit einer 2-1 Staffelung im Zentrum aufbaut. Die Anordnung der Gastgeber kann man beim ersten Bild gut erkennen:
Die Austria im Ballbesitz, der SKN verteidigt im 5-2-1-2/5-3-2 und versucht das Augenmerk auf das Verteidigen des Zentrums zu legen.
Die Niederösterreicher agierten dabei mit einem tieferen Mittelfeldpressing und attackierten die Austria erst in der eigenen Hälfte, wobei man im ersten Schritt versuchte, die Austria aus dem Zentrum fernzuhalten. Die fünf „offensiveren“ Akteure des SKN agierten recht raumorientiert und versuchten durch kurze Abstände und einer passenden Staffelung die Passwege ins Zentrum zu verschließen und den Gegner aus dieser Region fernzuhalten. Sobald dann der Pass nach außen kam, sollte der Flügelverteidiger aus der Fünferkette herausstechen und Druck auf den Gegenspieler ausüben, während der Rest nachschob und durchsicherte. Das Problem dabei war wie bereits erwähnt, dass man die Austria anders erwartete.
Die Veilchen agierten im Ballbesitz aus einer 3-4-1-2 Formation heraus – also mit einer Dreierkette im Aufbau, die recht breit stand – hochstehenden Flügelverteidigern und einem „Zehner“ hinten den beiden Spitzen. Eine entscheidende Rolle nahmen dabei die beiden Sechser Matic und Ebner ein, die sehr oft gesucht wurden und das Spiel von hinten in höhere Zonen tragen sollten. Dadurch hatte man in der ersten (Aufbau)Linie eine sehr große Präsenz und die sichere Ballzirkulation war dadurch gewährleistet. Zu Beginn griff man allerdings auch recht aktiv zu vielen schnellen Spielverlagerungen und versuchte die ballferne Seite des Gegners gezielt zu attackieren, da der SKN generell stark zu einer Seite verschiebt und so versucht Druck auf Ball und Gegner zu entfachen. Dies kann man auch beim nächsten Bild gut sehen:
Die Austria im Spielaufbau und Ballbesitz, man versucht über den Flügel anzugreifen, weshalb der SKN sehr stark mit der Mannschaft zur Seite verschiebt und dort versucht, den Raum eng zu machen. Dadurch entstehen allerdings ballfern große Räume und Matic (gelber Kreis) besetzt diesen auch ganz bewusst und lauert auf das Zuspiel.
Durch diese Muster im Spielaufbau konnte die Austria den Gegner einige Male von hinten heraus aufreißen und nach vorne kommen, wobei speziell Innenverteidiger Madl sich mit guten Chipbällen in den Halbraum auf Matic/Grünwald auszeichnen konnte. Daher bekam der SKN in höheren Zonen zunächst auch nicht wirklich Zugriff und tat sich schwer, den Gegner beim Übergang ins letzte Drittel zu hindern. Man nahm daher auch mit Fortdauer der Partie einige Anpassungen vor und versuchte mit gezielteren Mannorientierungen auf Matic/Grünwald diese Probleme in den Griff zu bekommen.
Das klappte auch ganz gut, denn nach und nach hatte die Austria immer größere Probleme damit, geordnet und flüssig ins letzte Drittel vorzustoßen. Dabei traten auch die Probleme aufgrund der Systemumstellung im Ballbesitz offen zu Tage. Teilweise waren diese Unzulänglichkeiten im Ballbesitzspiel hausgemacht und struktureller Natur, teilweise aber auch individuell bedingt aufgrund der vorhandenen Spielertypen. So gut man sich zu Beginn von hinten nach vorne arbeiten konnte, so problematisch wurde nach der Umstellung der Gastgeber der Spielaufbau und die Staffelung danach. Durch die sehr hohe Präsenz in tieferen Zonen mit drei Innenverteidigern und zwei Sechsern, tat man sich trotz der Fünf gegen Drei Überzahl im Aufbau relativ schwer, flüssig nach vorne zu kommen. Dadurch hatte man dann klarerweise in höheren Zonen weniger Präsenz und die Offensivspieler blieben meist in deutlicher Unterzahl. Da merkte man dann auch die „Uneingespieltheit“ in dem neuen System, denn weder gab es andere Muster im Spielaufbau zu sehen – wie etwa tiefere Außenverteidiger, nur ein Sechser kommt tief oder ein Innenverteidiger dribbelt den Gegner an – noch wirkte in höheren Zonen das Positionsspiel sauber und durchdacht. Der Zwischenlinienraum blieb oft recht verwaist und nur unzureichend besetzt, darüber hinaus sind weder Edomwonyi, noch Monschein dafür bekannt, gute Zwischenraumspieler zu sein und auch mal Unterzahl-Situationen spielerisch zu lösen. Selbst wenn sie sich mal fallen ließen, waren diese Bewegungen nicht wirklich stimmig und im passenden Moment, weshalb sie leicht vom Gegner antizipiert und verfolgt werden konnten. So lastete viel Ballast auf den Schultern von Kapitän Grünwald, der jedoch das Loch zwischen Sturm und dem Rest alleine nicht wirklich schließen konnte und damit klarerweise überfordert war. Diesen Sachverhalt kann man auch beim nächsten Bild gut erkennen:
Die Austria im Ballbesitz, man baut mit relativ vielen Spielern hinten auf (5 vs. 3) weshalb in höheren Zonen und speziell im wichtigen Zwischenlinienraum kaum Präsenz vorhanden ist und Grünwald diese Region quasi alleine abdecken muss. Diese Szene steht exemplarisch für das Positionsspiel der Austria an diesem Tag.
Hinzu kam, dass die beiden Stürmer nicht wirklich gut abgestimmt miteinander agierten und harmonierten, ihre Bewegungen sich nicht wirklich gegenseitig ergänzten und jeder quasi sein eigenes Süppchen kochte. Daher war auch die personelle Auswahl im Sturmzentrum für dieses Spiel etwas überraschend, denn gerade die spielerischen Qualitäten eines Turgeman wären bei diesen Verhältnissen und einer tiefstehenden gegnerischen Mannschaft gefragt gewesen und dieser behob dieses beschriebene Problem nach seiner Einwechslung auch zumindest etwas.
So problematisch das Offensivspiel oft war, der eigentliche Plan, warum man zu der Systemumstellung griff, ging dafür völlig auf. Durch die Dreier/Fünferkette hinten hatte man nach Ballverlust eine gute Absicherung und konnte so auch problemlos aus der Abwehrkette herausstechen und einen Gegenspieler verfolgen. Die Abläufe wirkten dabei auch relativ stabil und sauber in der Ausführung. Dadurch hatten die Stürmer des SKN bei der Ballannahme kaum Zeit und wurden sehr eng verfolgt, weshalb die üblichen Angriffsmuster der Niederösterreicher kaum funktionierten, was gleichbedeutend mit der völligen Lahmlegung der eigenen Offensive mit einherging. Die Austria war aber auch gut auf die hohen Bälle und den Kampf um den zweiten Ball eingestellt, wie man beim nächsten Bild erkennen kann:
Der SKN mit dem Versuch, einen langen Ball nach vorne zu schlagen und den ersten oder zweiten Ball zu erobern. Die Austria steht jedoch gut und kann dieses Vorhaben erfolgreich unterbinden.
Daher blieb die Charakteristik der Partie über lange Strecken dieses Spiels eigentlich gleich und veränderte sich kaum. So zog sich auch das auf Stabilität bedachte Credo der beiden Mannschaften kontinuierlich wie ein roter Faden durch diese Begegnung und dieses Spiel war daher insgesamt auch eher nichts für Feinschmecker. Der SKN war sichtlich darauf bedacht, ungeschlagen und ohne Gegentor zu bleiben, während die Austria die richtige Balance zwischen Defensive und Offensive nicht fand und ebenfalls nicht riskieren wollte, erneut eine Niederlage in einem Auswärtsspiel einstecken zu müssen und am Ende mit leeren Händen dazustehen.
Daher dauerte es auch bis zur 75. Minute, bis von der Austria-Bank das Signal kam, mehr Risiko eingehen zu wollen. Zwar gab es schon zuvor einen direkten Positionstausch zwischen Monschein und Turgeman, der spielerisch zumindest etwas Erleichterung verschaffte, aber mit der Einwechslung von Prokop für den defensiven Sechser Ebner gab es ein deutliches Zeichen, auf die drei Punkte und den Sieg zu gehen und damit das Risiko zu erhöhen. Daher konnte man in der Schlussphase zumindest noch einmal etwas mehr Druck nach vorne entfachen und der quirlige Prokop brachte zusätzlichen Schwung in die behäbige Offensive der Austria. Man erspielte sich auch einige interessante Situationen, jedoch fehlte auch da die letzte Durchschlagskraft und Konsequenz im letzten Drittel, weshalb der Torerfolg ausblieb. Am Ende hätte man sogar mit viel Pech tatsächlich noch verlieren können, als der völlig harmlose SKN mit einem Sonntagsschuss am Samstag-Nachmittag an der Latte scheiterte. Daher blieb es letztlich auch beim torlosen Unentschieden.
Fazit
Der SKN bleibt also auch weiterhin die Überraschungsmannschaft der Liga und mit diesem Unentschieden ist man nun bereits im fünften Spiel in der Liga ungeschlagen geblieben. Man bewies dabei erneut, dass dieser Erfolgslauf nicht von ungefähr kommt und die defensive Stabilität kein Zufallsprodukt ist. Mit der disziplinierten Arbeit gegen den Ball und dem hohen Laufpensum des Mittelfelds gelang es den Gegner in ständige Zweikämpfe zu verwickeln, aber auch die Abläufe beim Verschieben und Übergeben der Gegenspieler wirkte recht sauber, weshalb bei den gruppentaktischen Bewegungen oft ein Rädchen in das nächste greift und das Gesamtkonstrukt meist stimmig wirkt. Daher werden die Niederösterreicher auch in nächster Zeit ein unangenehmer Gegner bleiben und es wird spannend zu sehen sein, wie sich die Mannschaft in den nächsten Wochen entwickeln wird.
Auf der anderen Seite konnte die Austria zum wiederholten Male in St. Pölten keinen vollen Erfolg einfahren und muss sich schlussendlich mit einem Punkt begnügen. Zwar hatte man durch die Systemumstellung den Gegner überrascht, die eigene defensive Stabilität und Absicherung merklich erhöht und ließ über die gesamte Spielzeit bis auf zwei Distanzschüsse quasi nichts zu, weshalb in dieser Hinsicht der eigene Matchplan voll aufging, allerdings ging dies wiederum auf Kosten der eigenen Offensive, die sich lange Zeit schwer tat für Gefahr zu sorgen, weshalb vieles im Angriffsspiel der Veilchen auch nur Stückwerk blieb. Erst mit den Einwechslungen von Turgeman und Prokop kam zumindest etwas Schwung in die Offensive, schlussendlich reichte aber auch das nicht, um die drei Punkte aus St. Pölten zu entführen.
Dabei ist dieses Spiel aber auch ein zweischneidiges Schwert gewesen, denn zweifellos ist der SKN ein unangenehmer Gegner und steht nicht umsonst aktuell so weit oben, weshalb die Umstellungen und Anpassungen auch verständlich waren. Auf der anderen Seite erwartet man sich aber von einer Austria, dass sie auch mal etwas riskiert und mutig agiert und so den Gegner hinten beschäftigt und bearbeitet. Dieser schwere Spagat gelang in diesem Spiel nicht wirklich und daher muss man auch letztlich mit dem einen Punkt leben.
Schlussendlich muss man aber auch konstatieren, dass man augenscheinlich in der Entwicklung noch nicht so weit ist und es wohl noch einige Zeit dauern wird, bis dieses Selbstverständnis und die Sicherheit endgültig in das eigene Spiel angelangt sind. In der Mannschaft steckt zweifellos viel Potenzial und Trainer Thomas Letsch hat auch an einigen wichtigen Schrauben gedreht, allerdings braucht es noch eine Menge Arbeit und vor allem Zeit, um im Offensivspiel an den Automatismen zu feilen, damit man auch beim eigenen Ballbesitzspiel in Zukunft das volle Potenzial ausschöpfen kann. Denn klarerweise dauert es länger, offensive Automatismen einzuüben und zu optimieren, da dies wesentlich komplexer ist, als das Spiel gegen den Ball zu orchestrieren und einzuüben. Es bleibt daher auch abzuwarten, wie lange dieser Prozess noch andauern wird und ab wann die Mannschaft ihr volles Potenzial ausschöpfen kann. Hier wird wohl noch einiges an Geduld gefragt sein, eine Tugend, für die die Fans und Verantwortlichen der Austria jedoch nicht gerade bekannt sind.
Dalibor Babic, abseits.at
Dalibor Babic
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