„Rapid ist der Anfang von allem gewesen.“, weiß Carsten Jancker im Rückblick zu berichten. Nach einer überragenden Saison bei den Grün-Weißen Mitte der 90er-Jahre lief der Stürmer anschließend sechs Jahre lang für Bayern München auf, wurde viermal Deutscher Meister, zweimal DFB-Pokalsieger und triumphierte 2001 sogar in der Champions League. In 33 Spielen durfte er sich das Trikot seines Heimatlandes überstreifen und war dabei als die DFB-Elf 2002 das WM-Endspiel gegen Brasilien verlor. Jancker beendete 2009 seine Karriere bei Mattersburg und ist aktuell Trainer des Kultvereins DSV Leoben.
Geboren wurde der Offensivkicker im August ‘74 in einem Land, das es heute nicht mehr gibt. Bereits als Knirps kam er in das Sportinternat von Hansa Rostock: „Ich bin abends erst um halb sieben nachhause gekommen und konnte erst dann die Hausaufgaben machen. Aber ich wollte das unbedingt machen und habe mich dafür entschieden, deswegen war es auch okay.“ Erste Erfahrungen im Herrenfußball sammelte Carsten schließlich nach dem Fall der Mauer beim 1. FC Köln. Als der junge Spieler dort vergeblich auf Einsatzminuten wartete, empfahl ihm Klubkollege Toni Polster es bei Rapid Wien zu versuchen, wo sein ehemaliger Trainer Dokupil ein Händchen für Jungspunde hatte. Die Medien empfingen den Hünen anfangs skeptisch und tatsächlich sollte es bis ins Frühjahr ’96 dauern, ehe dem Angreifer der Knopf aufging: Dann jedoch schoss und köpfelte sich Jancker in die Herzen der Rapid-Fans. Seine beiden Tore mit blutüberströmtem Kopf im Viertelfinale des Europacups der Cupsieger gegen Dinamo Moskau machten ihn als „Turban-Bomber“ in Wien-Hütteldorf unsterblich.
Im Westen der Donaumetropole wurde aber nicht nur der Grundstein für Janckers Weltkarriere gelegt, sondern auch seine Einfahrt in den Ehehafen geregelt: Bei Rapid lernte er seine spätere Frau kennen und lieben, die damals als Sekretärin des Vereinsmanagers arbeitete: „Wir haben unsere Beziehung vier, fünf Monate lang geheim gehalten. Man weiß ja am Anfang nicht, was daraus wird. Aufgeflogen ist die Sache dann als wir die Leute zu unserer Hochzeit eingeladen haben.“, erinnert sich der Ex-Nationalspieler. Für das Ehepaar Jancker war der nächste Halt München, wo sich der Riese mit Kampfgeist zum Topstürmer mauserte: Zeitweise galt der gebürtige Ossi als bester deutscher Angreifer. Zwar wurde er hie und da als „Rumpel-Kicker“ belächelt, war jedoch immer für eine Überraschung gut.
Carstens größte Stärke blieb allerdings sein Einsatzwille: „Wenn ich nicht mehr aggressiv spiele, kann ich gleich in den Kindergarten gehen.“ Natürlich stieß dieser Wille aber auch an Grenzen und Jancker durchlitt mitunter schwere Zeiten: So blieb er einmal eine ganze Spielzeit lang ohne Torerfolg und hatte nach seinem Fortzug aus München bei Udinese, Kaiserslautern oder Shanghai nur wenig Erfolg. 2007 dockten Carsten, seine Frau und ihre beiden Töchter dann im beschaulichen Mattersburg an, wo der Angreifer seine Karriere ausklingen ließ.
Die heutige Anekdote spielt jedoch in der Zeit von Janckers erstem Aufenthalt in Österreich. Als der 193 cm große Sturmtank zu den Bayern wechselte, wusste er den Zeitungen seiner Heimat über sein knappes Jahr in Wien zu berichten: „Hier wird man verarscht. Pausenlos verarscht.“ Jancker meinte damit aber nicht ein brutales „über-den-Tisch-Ziehen“, sondern jenen sprachlichen Witz von derb bis ironisch, der „G‘scherte“ (ergo: Nicht-Wiener) weltweit dazu veranlasst die österreichische Hauptstadt regelmäßig unter die unfreundlichsten Städte zu wählen. Der aus dem ruhigen Mecklenburg-Vorpommern stammende Jancker profitierte vom trockenen Witz der Wiener und wusste bald mit dem Wiener Schmäh viel anzufangen, wenngleich ihn seine Teamkameraden anfangs wegen jeder Kleinigkeit auf der Schaufel hatten: So wie in dieser Geschichte, die Michael Hatz überlieferte und die Jancker längere Zeit verfolgen sollte.
In der Saison 1995/96 befanden sich die Rapid-Spieler – wie so oft aufgrund der vielen Matches – eines Tages in der Kasernierung. In der Lobby des Hotels war morgens auf einem Flipchart das übliche Tagesprogramm der Mannschaft notiert. Jancker und Hatz betraten in den Kult-Trainingsanzügen der 90er gemeinsam die Eingangshalle, um zum Frühstücksbuffet zu schlendern. Sie blieben stehen. Der Legionär musterte das Flipchart angestrengt. Plötzlich drehte er sich fragend zu seinem Kollegen um: „Hatzi, sag mal: Was ist eine T‑S‑C‑H‑A‑U‑S‑E?“ Der so Angesprochene – seines Zeichens gebürtiger Wiener – musste laut lachen, ehe er seinen Kumpel aufklärte, dass eine Jause ein kurzer Snack am Nachmittag und kein englisches Lehnwort sei. Nun mussten sie beide grinsen. Und Jancker hatte seine österreichischen Sprachkenntnisse wieder um ein Wort erweitert: Learning by doing!
Marie Samstag, abseits.at
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