Paul Scharner und Herbert Prohaska werden wohl keine Freunde mehr: Der Ex-England-Legionär urteilt in seiner Autobiografie hart über Österreichs Jahrhundertfußballer, der ihn zu Beginn seiner Karriere bei der Wiener Austria trainierte: „Einen Trainerjob trat er danach [Anmerkung: nach der Zeit bei der Austria; 1999-2000] nie wieder an. Für mich kein Wunder.“ Das Übungsprogramm des Erz‑Violetten war für Scharners Begriffe nicht modern genug. Auch Prohaskas Fazit zum selbst ernannten „Querdenker“ ist nicht gerade positiv. „Pauli war damals ganz jung. Es gab viele Probleme mit ihm.“, erinnert sich „Schneckerl“ an ihre gemeinsame Zeit. „Ohne sich auszukennen, hat er Dinge hinterfragt.“, setzt er nach. Dazu überliefert er eine Anekdote, die sich nach einem violetten Lauftraining im Wiener Prater zugetragen hat. Scharner war damals – wie sein Namensvetter Paulchen „Wer hat an der Uhr gedreht?“ Panther – von seinem Puls- und Zeitmesser nicht überzeugt.
Zum Konditionstraining in der Sommervorbereitung hatten Prohaska und sein Trainerteam ihren Spielern Pulsuhren mit jenen Werten, die in der Leistungsdiagnostik ermittelt wurden, ausgeteilt. „Schneckerl“ ließ die Veilchen-Kampfmannschaft 40 Minuten lang auf der Prater Hauptallee nach individuell bestimmter Herzfrequenz laufen. Zu Herberts aktiver Zeit war diese Rennerei noch amateurhaft gewesen: Alle Kicker liefen dasselbe Tempo; für zwei Drittel der Spieler war das reine Zeitverschwendung.
Die meisten Fußballer hassen dieses eintönige Kilometersammeln aus Prinzip, der junge Paul Scharner war damals jedoch ob einer anderen Sache verwirrt. Wie bereits erwähnt: Scharner fürchtete, jemand habe „an der Uhr gedreht.“ Nach wenigen Trainingstagen ging der Spieler daher zu Prohaska und sagte im Brustton der Überzeugung: „Trainer, meine Uhr ist hin!“ „Schneckerl“ wunderte sich. Schließlich waren die Pulsuhren nagelneu und von guter Qualität: „Wieso, Pauli?“ Nun schilderte Scharner seinem Coach in schillernden Farben, dass er nach drei Tagen Lauftraining im selben Pulsbereich beobachtet habe, dass er nach der Hälfte der vorgegebenen Zeit eine viel längere Strecke als noch am ersten Tag laufe. In 20 Minuten schaffte er die Prater Hauptallee nun um ein ganzes Stück weiter, bevor er umdrehen musste. Das konnte doch nicht mit rechten Dingen zugehen! Daraufhin musste Prohaska laut lachen: „Die Uhr ist doch nicht kaputt! Genau dieser Effekt soll ja eintreten! Du musst im selben Pulsbereich länger laufen als vor dem spezifischen Training. Genau dafür machen wir ja das Laufprogramm!“ Scharner schaute wie die Kuh vorm neuen Tor. Er murmelte etwas, bevor er sich rasch aus dem Staub machte. Die Situation war dem gebürtigen Scheibbser sichtlich peinlich. Prohaska dagegen grinste.
Es sollte nicht das einzige Mal bleiben, dass sich „Schneckerl“ über den Defensivspieler wunderte: Gegen Ende der zweiten Hälfte eines Spieles, in dem die Austria 4:0 führte, lief Scharner beispielsweise zu seinem Trainer und verlangte die Auswechslung aufgrund von Krämpfen: Er sei so nervös, dass es in den Waden zwickte. Prohaska verweigerte: „Niemand versteht doch, warum ich bei so einer Führung den Innenverteidiger austausche?!“
Es war eben die Anfangszeit von Paul Scharner 2.0, jenem Spieler, der nur auf seiner Position auflaufen wollte, sich mit Trainern anlegte, öffentlich polterte und bald als Querulant verschrien war. Jahrelang beschäftigte „Scharns“ so die österreichische Fußballwelt. Mittlerweile ist es ruhiger um ihn geworden, obwohl er im Fußballbusiness geblieben ist und hie und da seinen Senf dazugibt. Wie Pulsuhren funktionieren dürfte Scharner jedenfalls – Prohaska sei Dank – gelernt haben. So unmodern war das Training also nicht, wenn solche Zeitmesser im Einsatz waren.
Marie Samstag
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