Anekdote zum Sonntag (31) – Auf Nimmerwiedersehen, Herr Kelmer!
Bundesliga 26.Juli.2015 Marie Samstag 1
Seit 1962 schmerzt es. Es schmerzt nach jedem Finale. Warum? Weil Benfica Lissabon seit 1962 immer als Verlierer vom Platz geht. Da konnte auch Eusébio, der schwarze Panther, nichts machen. Portugals größter Fußballstar vor Cristiano Ronaldo besuchte die sterblichen Überreste seines Entdeckers persönlich und versuchte ihn umzustimmen. Auch die Errichtung einer zwei Meter großen Bronzestatue im Estádio da Luz änderte null: Bela Guttmann hat Benfica verflucht. „Nicht in hundert Jahren wird Benfica noch einmal den Europacup gewinnen!“, soll er nach der Verteidigung des Europapokals 1962 ausgestoßen haben. Wie immer war das liebe Geld schuld: Die Vereinsführung knauserte mit Prämien für den ungarischen Spitzentrainer, dieser warf daraufhin das Handtuch und sagte beiläufig jenen Satz, der sogar noch den Kickern vor dem EC-Elfmeterschießen 1988 Gummiknie verursachte. Jenes Europapokalfinale ist nur eines von acht Endspielen, das die Águias seit damals nicht gewonnen haben. Dabei liegt Guttmann längst unter der Erde. In Wien. Dort, wohin der Budapester Jude zunächst als 23-Jähriger kam. Als Hakoah-Spieler holte er 1925 die erste österreichische Profi-Meisterschaft und blieb anlässlich einer Nordamerika-Tour seiner Mannschaft in den Staaten hängen. Erst 1932 kehrte er nach Wien zurück. Ein ungewöhnlicher Entschluss, denn viele europäische Juden spürten schon damals, was die Zeit bald bringen sollte und machten sich auf den umgekehrten Weg. Guttmanns Liebe zum europäischen Fußball war aber stärker als alles andere. Er wurde nach dem Ende seiner Spielerkarriere bei Hakoah Wien Trainer und vagabundierte um den Erdball. Wie er den Holocaust überlebt hat, ist bis heute ungeklärt. Es gibt Vermutungen, dass Guttmann zeitweise in seiner Heimat untergetaucht war oder sogar nach Südamerika emigrierte. Guttmann sprach wenig über diese Zeit. Er galt als eigenartig-liebenswürdig aber auch als exzentrisch. So setzte er als Benfica-Trainer an seinem ersten Arbeitstag gleich zwanzig Spieler vor die Tür. Obwohl er den AC Milan und den FC Porto trainiert hatte, wurde Guttmann erst bei Benfica richtig glücklich: Zwei Europacupsiege und zwei Meistertitel holte er mit den Rot-Weißen. Die Liebesgeschichte endete jäh mit jenem 100-Jahre-Fluch.
1973 stattet der in die Jahre gekommene Herr Guttmann der Wiener Austria einen Besuch ab. Der junge Herbert Prohaska hatte, so wie seine Kollegen, aus dem Radio erfahren, dass ihr neuer Trainer jener Fußballgroßmeister sein würde. Guttmann löste Karl Stotz nach einer Niederlage gegen Innsbruck ab. Der fast 74-Jährige erschien auf den Trainingsplätzen rund um das Praterstadion in kuriosem Mantel mit Hut und Regenschirm. Für die meisten Jungspunde muss der ehemalige Welttrainer wie ihr eigener Großvater ausgesehen haben. Mit jüdisch-ungarischem Akzent gab Guttmann seine Anweisungen. Die Spieler merkten jedoch bald, dass es um die Sinne des Mitt-Siebzigers nicht mehr allzu gut bestellt war. Einem saß der Schalk besonders im Nacken: Klaus Kelmer. Kaum jemand kennt den linken Außenverteidiger aus Innsbruck heute noch und das hat seine Gründe, denn das unwirtliche Training im Jahre 1973 beendete Kelmers Laufbahn rapide. Diese Suppe brockte sich der Tiroler ganz alleine ein. Der Abwehrspieler wollte seine Scherze mit Guttmann treiben und kündigte unter seinen Kollegen an, nur mit dem Spitz schießen zu wollen: „Das merkt er eh nicht.“ Als sich die Mannschaft zum Schusstraining versammelte, zog der Innsbrucker seine Ankündigung tatsächlich durch. Guttmann schien nichts zu bemerken. Kelmer lachte sich ins Fäustchen und hielt sich für besonders witzig. Das Lachen sollte ihm aber im Halse stecken bleiben. Bei der abschließenden Teambesprechung wandte sich Guttmann nach einigen Worten an die Mannschaft zuletzt an den jungen Abwehrspieler: „Herr Kelmer, ich werde Ihnen in Zukunft ein schönes Leben machen. Sie müssen ab sofort nicht mehr beim Training erscheinen. Kommen Sie einfach in mein Büro, sagen Sie „Guten Tag!“, dann können Sie wieder heimgehen. Sie werden sich bei diesem Verein nicht mehr umziehen.“ Das war es. Die Karriere des Kickers, die kurz zuvor bei ESV Austria Innsbruck begonnen hatte, war auch schon wieder vorbei. Er heuerte nie wieder bei einem Profiverein an. Bela Guttmann aber sicherte sich so den Respekt der Austria-Mannschaft. Es war wie mit Beethoven: Der Komponist konnte am Ende seines Lebens als Tauber komponieren, weil er die Töne so sehr verinnerlicht hatte. Guttmann merkte trotz schwindender Sehkraft, dass ihn Kelmer übers Ohr hauen wollte. Einen alten Fußballfanatiker wie ihn, kann man nicht leicht täuschen. Doch all sein Sachverstand reichte nicht aus um die Austria dauerhaft an die Spitze zu führen. Nach nur einer Saison – offiziell übrigens als „Technischer Direktor“ der Violetten – ging Guttmann noch einmal nach Portugal zum FC Porto. Seine Schrulligkeit und Halbblindheit genügten um den vierten Platz zu erreichen. Danach beendete Bela Guttmann seine Laufbahn als Trainer und starb 1981 in Wien. Was Klaus Kelmer heute macht, ist nicht bekannt.
Marie Samstag, abseits.at
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