Anekdote zum Sonntag (63) – Egon Coordes und die Liebe zur Tradition
Bundesliga 12.Februar.2017 Marie Samstag 0
Jedem Fan, der in den frühen 90ern den Veilchen die Daumen gedrückt hat, ist jenes Trainerkarussell, das sich ab 1992 zu drehen begann, in gruseliger Erinnerung geblieben. Mangelnder Erfolg war (natürlich!) der Grund, warum sich die Übungsleiter der Wiener Austria die Türschnalle in die Hand gaben. Im Saisontakt wechselte der Coach auf der violetten Betreuerbank: Auf Hermann Stessl folgte Pepi Hickersberger, auf diesen Egon Coordes. Im Sommer 1995 wurde der „General“ von seinem Landsmann Hrubesch abgelöst, danach kamen Skocik, Frank, Sara, Verdenik und Koncilia zum Zug. Obwohl der gebürtige Niedersachse Coordes Wien nur eine Saison lang beehrte, schaffte er es einen bleibenden Eindruck – wenn auch einen negativen – zu hinterlassen.
Der Ex-Co-Trainer von Bayern München heuerte zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt bei der Austria an. Mit „Hicke“ hatte ein sanfter Riese die Zügel in der Hand gehabt, jetzt platzte eine Autoritätsperson in die Wohlfühloase am Verteilerkreis. Mit seinen Vorstellungen von Disziplin und Ordnung passte der knorrige Coordes zum Wiener Traditionsverein mit seinen schlampigen Genies wie die Sachertorte zum Beinfleisch. Was hatten sich die Austria-Bosse bloß gedacht, als sie den ehemaligen Polizeischüler verpflichteten? Egon Coordes verscherzte es sich in kürzester Zeit nicht nur mit seinen eigenen Spielern, sondern auch mit Vereinsführung, Presse und Fans. Bereits im Winter herrschte schlechte Stimmung, als der „Schinder“, wie ihn ein Blatt taufte, seinen Arbeitgeber öffentlich kritisierte. Selbst ein 4:0-Sieg über den FC Linz hielt Coordes nicht davon ab, ein anschließendes Fernsehinterview abzubrechen, weil er sich über die Fragen ärgerte. Passionierten Partygängern wie Ogris und Wohlfahrt, die aber trotzdem Leistung brachten, stellte Coordes rasch die Rute ins Fenster und zog sich so deren Unmut zu. Und auch beim sogenannten In-Game-Coaching hatte er seine eigenen Spezifika: So wechselte er bei einem Meisterschaftsspiel den eben erst eingetauschten Jürgen Kauz binnen weniger Minuten wieder aus, weil ihm dessen Leistung missfiel.
Zu Beginn seiner Zeit in Wien hätte Coordes jedoch bereits klar sein müssen, dass er mit diesem Führungsstil in der Vergangenheit wenige Erfolge gefeiert hatte. Vor seinem Engagement bei der Austria scheiterte er in einer Machtprobe gegen die trinkfesten Profis des Hamburger SV. „Die oder ich!“, stellte er das Präsidium vor die Entscheidung. Die Funktionäre boten daraufhin den Profis an den unbeliebten Übungsleiter abzuwählen – was natürlich prompt geschah. Die sportliche Bilanz des Egon C. war so ebenfalls äußert mittelmäßig gewesen. Bis heute hält er bei seinem Stammverein, dem VfB Stuttgart, einen pikanten Negativrekord: Unter seiner Führung verloren die Schwaben sieben Mal in Folge. Andreas Ogris wusste schon nach wenigen Tagen, dass seine Zusammenarbeit mit Coordes keine fruchtbare sein würde. Legendär wie Ogerl – der trotz all dem Zwist denselben Friseur wie sein Chef zu haben schien – den Konflikt nach außen trug, indem er einem Report bestätigte von Taktik keine Ahnung zu haben: „… hat nur der Trainer Ahnung!“ Als Coordes ihn auf die Bank zu verbannte, rächte sich der Floridsdorfer perfide: Bei einem Trainingsspielchen ließ er den mitkickenden Coach seine harten Knochen spüren. Coordes humpelte daraufhin mit schmerzverzerrtem Gesicht in die Kabine.
Am 23. Oktober 1994 spielte Egon Coordes sein zweites Wiener Derby. Der Termin für das Spitzenspiel war für 10:30 Uhr vormittags festgesetzt worden. Die „Matinee“, eine alte Praxis des frühen Vereinsfußballes, war bei den Fußballanhängern nicht unbeliebt. Gab es etwas Schöneres als einen Sonntag mit dem prestigeträchtigen Duell der Stadtrivalen zu beginnen? Coordes jedoch ärgerte sich bei der Pressekonferenz maßlos über das morgendliche Match. „Das ist ein Kindergartentermin!“, unkte der Deutsche. „So etwas stört mich, weil es nicht in Ordnung ist.“, setzte er verworren nach. Die anwesenden Journalisten wiesen ihn auf die langgepflegte Tradition, auf die man durchaus stolz war, hin. Coordes schleuderte zurück: „Das interessiert mich nicht. Früher hat man auch über den Balken geschissen!“ Die Presseleute lachten. Die Austria-Funktionäre fanden‘s nicht witzig. Einigen dämmerte, dass Coordes nicht zu einem Verein passte, der sich gerne als Akademikerverein präsentierte.
3:1 verlor die Austria an diesem Vormittag gegen den Stadtrivalen. Das einzige Tor der Veilchen erzielte ausgerechnet Coordes-Intimfeind Ogris. Der Trainer selbst verweigerte nach der Niederlage jede Stellungnahme. Etwas mehr Selbstkritik wäre dem knorrigen Ex-Verteidiger dabei gut zu Gesicht gestanden, denn die Bundesliga hatte das Match auch deshalb so früh angesetzt, damit den Favoritnern genug Zeit zur Regeneration blieb. Die Austria hatte nämlich am Donnerstag vor dem Match dem FC Chelsea in London ein sensationelles 0:0 im Cup der Cupsieger abgerungen und war erst in den frühen Morgenstunden wieder in Wien eingetrudelt. Das Arbeitsverhältnis mit Coordes wurde schließlich im Sommer ’95 offiziell gelöst. Ein enttäuschender vierter Tabellenplatz gab letztendlich den Ausschlag sich vom gebürtigen Niedersachsen zu trennen. Ein Aufatmen ging nicht nur durch Favoriten, sondern durch die ganze Liga. Der heute in Memmingen Beheimatete konnte danach auch bei anderen Vereinen nicht richtig Fuß fassen: Er stieg mit Hannover 96 ab und wurde in der arabischen Wüste ebenfalls nicht glücklich. Erst als Spielerbeobachter und Analytiker war Coordes der richtige Mann am richtigen Platz. Der heute 72-jährige war fixer Bestandteil des Trainerteams von Jupp Heynckes bei den Münchner Bayern. Seit drei Jahren kümmert sich der Disziplinfanatiker nunmehr um die Beinarbeit und Fitness der Basketballer des deutschen Rekordmeisters. Irgendwann kommt jeder an.
Marie Samstag, abseits.at
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