Anekdote zum Sonntag (94) – Attila kann alles. Außer Hochdeutsch.
Bundesliga 17.September.2017 Marie Samstag 0
„Der Österreicher unterscheidet sich vom Deutschen durch die gemeinsame Sprache“ – dieses Bonmot wurde lange Karl Kraus zugeschrieben, ist aber in Wirklichkeit nach dem Ende des 2. Weltkrieges plötzlich aufgetaucht und gehört seitdem zum Fundus der geflügelten Wörter in der Alpenrepublik. Zwanzig Jahre nach 1945 kam in Wien ein Fußballer zur Welt, der geradezu die Inkarnation dieses Spruches darstellt: Attila Sekerlioglu hatte selbst einen fast unaussprechlichen Namen. Er startete bei Elektra Wien seine erfolgreiche Karriere, die ihm drei Meistertitel und drei Cupsiege mit Austria Wien einbringen sollte.
Als Vorgänger von Kavlak, Korkmaz, Özcan und Co. war der Wiener Pionier der austro-türkischen Kickerelite: „Prinzipiell hat man mich immer fair behandelt. Mein Vater war Türke, meine Mutter Österreicherin, ich hatte von Geburt an die österreichische Staatsbürgerschaft.“, erzählte Sekerlioglu später in einem Interview mit dem Ballesterer. Sein Papa vererbte ihm das nordafrikanische Aussehen, vom Habitus und der Sprache stellte der junge Attila S. – so wollen wir ihn im Folgenden einfachheitshalber nennen – jedoch ein typisches Weana Kind dar. Hochdeutsch hat er nie so richtig gelernt. Bis heute spricht er auch bei offiziellen Anlässen mit starkem Akzent und dem berühmten Meidlinger-L, das im starken Kontrast zu seiner Physis steht. Privat ist sein Wiener Dialekt unüberhörbar, genauso wie es bei einer anderen Veilchen-Legende der Fall ist: Herbert Prohaska. „Scheckerl“, der nach seinem Italienabenteuer zurück zu den Violetten wechselte, hatte anfangs so seine Probleme mit dem jungen Abwehrspieler:
In einem der ersten Trainingsspielchen ordnete der damalige FAK-Coach an, dass die Spieler das Mittelfeld schnell überwinden sollten. Attila verstand darunter nur, dass er den Ball nach dem ersten Kontakt hoch in die Spitze zu spielen hatte. Mittelfeldregisseur Prohaska war sauer: Er, der Ballverteiler, sah die Kugel dank Attilas Spielverständnis in der ersten Halbzeit kaum. „Schneckerl“ stellte den Jungspund zur Rede. Als dieser andeutete, er habe verstanden, was von ihm gefordert wurde, freute sich der Simmeringer darauf, endlich mehr vom Match zu haben. Doch Atilla schlug nach der Unterbrechung weiter Flanken in die Sturmspitze. Daraufhin deutete Prohaska dem Trainer an, er solle den Austro-Türken aus dem Spiel nehmen, was auch prompt geschah.
2001 beendete Attila seine Karriere und begann eine Laufbahn als Trainer. Nach Untersiebenbrunn, Himberg und Horn wurde der ehemalige Defensivspieler Übungsleiter bei Schwadorf und coachte dort auch den prominenten Ex-Sturm-Spieler Roman Mählich, der seine Karriere in Niederösterreich ausklingen ließ. Mählich überlieferte folgende Anekdote aus einem Wintertrainingslager in Belek: Der türkische Küstenort ist seit langer Zeit beliebtes Vorbereitungsziel von Fußballmannschaften und so befand sich damals auch der deutsche Klub Hertha BSC Berlin in der Nähe von Antalya. Die Niederösterreicher erfrischten sich gerade mit kühlen Getränken am Vorplatz der Fußballanlage, als sie auf ihre Kollegen trafen. Man begrüßte einander höflich und Trainer Attila beugte sich nach vorne um die Profis formlos nach dem Verbleib ihres Coaches zu fragen: „Wo isn eia Drainer?“, rief er. Die Berliner blickten ihn fragend an, keiner verstand diese exotische Mundart: „Äh, wie bitte?“ Attila versuchte es auf Hochdeutsch oder – besser gesagt – in der Sprache, die er für Hochdeutsch hielt. Dabei gebärdete er sich, als ob er mit Schwerhörigen sprechen würde, riss Mund und Augen gestikulierend auf und formte langsam und laut die legendären Worte: „Wooo iiis EUCHAaa Trainaa?“ Seine Spieler mussten lachen.
Dieser Zwischenfall sollte nicht die einzige Sprachbarriere bleiben, die der Wiener im Laufe seiner Trainertätigkeit überwinden musste: Später spielten in seiner Mannschaft zwei Brasilianer für die extra ein Dolmetscher engagiert wurde. Bei der Besprechung vor dem Match richtete Attila die Worte an seinen Spielmacher vom Zuckerhut: „Bitte lasst di net immer vazahn in der Mitt’n.“ Der Dolmetscher stutzte. Er verstand nicht, was der Trainer meinte und bat ihn sein Gebot zu wiederholen. Genervt meinte Attila: „Sog earm, er soll si net imma VERZIEHEN lassen.“ Der Übersetzter hatte noch immer Fragezeichen in den Augen, wagte es aber nicht den Chef erneut zu unterbrechen. Er reimte sich zusammen, was der Ex-Austrianer gemeint haben könnte und hoffte damit richtig zu liegen. Vielleicht hätte sich Attila S. das Motto des deutschen Bundeslandes Baden-Württemberg zu Eigen machen sollen: „Wir können alles. Außer Hochdeutsch.“
Marie Samstag, abseits.at
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