Anekdote zum Sonntag (97) – Die Irrungen und Wirrungen des Lothar M.
Bundesliga 8.Oktober.2017 Marie Samstag 0
„Alle bei Rapid – von der Putzfrau angefangen – atmen auf, dass er verschwunden ist.“, meinte Ladislav Maier 2002 gegenüber einer tschechischen Zeitung nachdem die Zusammenarbeit zwischen Lothar Matthäus und Rapid Wien endgültig beendet worden war. Dem Spieler Matthäus streute der Kult-Torhüter der Grün-Weißen Rosen, doch als Trainer stellte er dem Deutschen ein miserables Zeugnis aus: „Matthäus wollte um jeden Preis interessant sein, er schnappte immer als erster nach dem Mikrofon.“ Das Training sei langweilig, der Chef trotzdem über jede Kritik erhaben gewesen, kritisierte der Schlussmann. Tatsächlich war das Dienstverhältnis zwischen Rapid und dem gebürtigen Franken im Rückblick ein Riesenfehler. Der Ex-Bayern-Star war zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt nach Wien gekommen: Der österreichische Rekordmeister war seit fünf Jahren ohne Titel, zudem regierte der Rotstift. Ernst Dokupil, der als „General Manager“ die Hütteldorfer wieder in ruhige Fahrwasser lenken wollte, scheiterte sowohl als Trainer als auch bei seinen Bemühungen einen neuen Hauptsponsor an Bord zu holen. Er wurde am 13. August 2001 entlassen. Am Abend des 5. September präsentierte der damalige Großsponsor der Wiener, die „Bank Austria“, den Weltmeister von 1990 als Nachfolger von „Dok“. Die Rapid-Verantwortlichen waren perplex: Denn der designierte Präsident Rudolf Edlinger steckte mitten in Verhandlungen mit Hans Krankl. Bank-Austria-Chef Randa bildete sich jedoch Matthäus ein. Die Sparkasse zahlte zunächst dessen fürstliches Gehalt: Rund eine Million Euro Jahresgage – die damals höchste Trainerentlohnung Österreichs – bekam der ehemalige Libero.
Als Trainer war der Franke jedoch offiziell gar nicht angestellt. Mangels Lizenz firmierte Matthäus unter der Bezeichnung Sportchef. Er selbst blickt heute auf sein erstes Engagement auf dieser Position nicht ausschließlich negativ zurück: „Es war eine tolle Zeit. Der Verein war pleite, ich musste auf junge Spieler setzen. […] Im September hatte Rapid einen Nationalspieler im Kader, acht Monate später waren sechs Rapidler im österreichischen Nationalteam.“ Das Konzept sah einen Dreijahresplan vor: In seiner ersten Spielzeit sollten der Deutsche und sein Team die Hütteldorfer in der Liga stabilisieren. Matthäus größtes Problem war jedoch seine Außendarstellung. Aus dem Schicki-Micki-München, das das Epizentrum des deutschen Fußballs bildet, übersiedelte Matthäus seelisch ins (vergleichsweise) provinzielle Wien. Er war immer das Alphatier, der unbestrittene Chef auf und abseits des Platzes gewesen und erwartete dieselbe mediale Aufmerksamkeit auch in der Alpenrepublik. Sein Penthouse in der Prinz-Eugen-Straße wurde jedoch hauptsächlich von deutschen Paparazzi belagert, die österreichischen Medien interessierten sich nur anfangs für den Ex-Kicker.
Rapid kam für die Nobeleinrichtung der teuren Wohnung auf und stellte seinem Sportdirektor auch den wertvollsten Boliden des Autosponsors zur Verfügung. Dass Rapid nicht Bayern ist, konnte „Loddar“ aber nie so recht verstehen: Schon am ersten Tag hielt er Zeugwart Ramhapp und Rapid-Stimme Marek seinen Autoschlüssel hin: „Lasst doch mal mein Auto waschen!“ Die Beiden waren verblüfft. Auch Peter Klinglmüller – damals wie heute Pressesprecher der Wiener – musste die Star-Allüren des Ex-DFB-Kapitäns ertragen. Lothar verlangte von Klinglmüller täglich eine Pressekonferenz für ihn auszurichten. Klinglmüllers zaghafte Repliken, dass dies selbst bei einem Weltstar wie Matthäus unüblich sei, wies der Sportchef zurück: „Papperlapapp“, meinte Matthäus und sekkierte Klinglmüller so lange, bis sicher dieser dem Druck beugte. Widerwillig benachrichtigte er TV und Sportredaktionen. Nach wenigen Tagen jedoch war das Interesse abgeflaut. Selbstverständlich wollte niemand täglich der „Matthäus-Show“ beiwohnen und so saßen Klingmüller und der Herr Sportchef bald allein da.
Es lag also mehr an Matthäus Persönlichkeit, dass das Experiment mit Rapid nicht Früchte trug. Bis ins Frühjahr bekam er mit Knez, Poschner, Feldhofer, Adamski, Sobotzik und Herzog sechs neue Spieler, doch kaum einer erwies sich als Goldgriff: Die Rückholaktion der Rapid-Legende Herzog stand zu dessen Leistungen nicht in ansprechender Relation. An Poschner, der bei Dortmund und Stuttgart kickte, erinnern sich heute wohl nur die eingefleischtesten Grün-Weiße. Bald reifte in Edlinger der Gedanke den Trainer, den eigentlich niemand haben wollte, wieder loszuwerden. Die katastrophale 1:6-Niederlage gegen Salzburg war nur mehr das Tüpfelchen auf dem I. Matthäus beschuldigte später einige Spieler – allen voran Herzog – gegen ihn intrigiert zu haben. In Wahrheit beschränkten sich seine taktischen Anweisungen aber darauf, den Routiniers anzuschaffen, sie hätten die Marschroute vorzugeben. So hat man gegen Baric Salzburger keine Chance.
Edlinger bestellte den Sportchef wenige Tage später in sein Stammkaffeehaus, das Café Eiles in der Josefstädter Straße. Dort überbrachte er ihm die Nachricht von seiner Beurlaubung. Der zornige Matthäus fluchte die ganze zehnminütige Fahrt lang zurück in seine Wohnung. Doch wenigstens konnte er dieses Mal die Strecke mit seinem Auto zurückliegen. Immerhin war es schon des Öfteren vorgekommen, dass er nach einem Termin mit Edlinger, der im Eiles praktisch sein „Büro“ hatte, seine Nobelkarosse nicht mehr finden konnte. Der Grund: Das Fahrzeug war abgeschleppt worden. Straßenbahnhaltestellen eignen sich selbst für Weltklassespieler nicht als Parkplatz und der Abschleppdienst kennt kein Pardon.
Marie Samstag, abseits.at
Marie Samstag
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