Zwei Meisterschaftskandidaten auf Abwegen trafen in Wien aufeinander. Die Austria hatte in den letzten vier Spielen nur einen Sieg feiern können, bei den Grazern... Austria gegen Sturm überlegen, der Meister jedoch taktisch klug

Zwei Meisterschaftskandidaten auf Abwegen trafen in Wien aufeinander. Die Austria hatte in den letzten vier Spielen nur einen Sieg feiern können, bei den Grazern sah es nicht anders aus. Der amtierende Meister hatte gar nur zwei Tore im bisherigen Frühjahr erzielen können und stand nun vor einer schweren Aufgabe auswärts. Die Hausherren unter Vastic benötigten dringend einen Sieg und mit dem Heimvorteil im Rücken versuchte man offensiver als bisher üblich zu spielen, dies hatte man nämlich dem neuen Trainer zu Beginn der Rückrunde vorenthalten. Für beide Vereine war ein Sieg unabdinglich, wenn man an Tabellenführer Red Bull Salzburg dranbleiben wollte, doch in beiden Lagern gab es Probleme. Bei den Grazern stimmte es auf dem Platz nicht, bei der Austria daneben nicht – ein erster Schritt Richtung Versöhnung war es, dass Roland Linz auf der Bank Platz nehmen durfte.

Es sollte letztlich gar eine dieser typischen Anekdoten im Fußball werden, denn es war Roland Linz, der den Führungstreffer erzielte und beinahe für den Sieg gesorgt hatte. Die Austrianer hatten zwar bereits in den gesamten neunzig Minuten dominiert, doch erst nach der Einwechslung Linz‘ konnte man in der 88. Minute für den Führungstreffer sorgen. Die Grazer schlugen jedoch in der Nachspielzeit zurück, sie trafen durch Weber noch in der letzten Minute zum Ausgleich. Den Punktgewinn mag man unverdient nennen, denn die Austria hatte deutlich mehr vom Spiel. Fast 60% Ballbesitz zeugten von einer spielerisch stärkeren Leistung, aber den Grazern darf man Kampfkraft und taktische Intelligenz attestieren. Zwanzig Mal foulte man einen der gegnerischen Spieler und unterband so schnelle Vorstöße, gleichzeitig konnte man die Wiener Offensivspieler ganze sechs Mal ins Abseits stellen. Trotzdem konnte man sich nur wenige Torschüsse herausspielen, einer der Spielzüge wurde vom Schiedsrichter zurückgepfiffen – ein Regelverstoß war allerdings nicht zu erkennen.

Wechselwirkung der jeweiligen Formationen

Beide Mannschaften hatten eigentlich das gleiche System, doch bei näherer Betrachtung der Formation konnte man klare Unterschiede in der Auslegung erkennen.

Die Hausherren traten mit einem 4-4-2 an, in welchem die beiden Stürmer sich klar aufteilten. Als hängender Stürmer agierte Stankovic, der die Verbindung ins Mittelfeld herstellen und gleichzeitig Kienast vorne unterstützen sollte. Die Rolle Kienasts war eine sehr wichtige im Spielsystem Vastics, er war einerseits der Zielspieler im gegnerischen Strafraum und andererseits zeigte er hervorragende Laufarbeit, auch nach hinten. Mehrmals zog er sich bis zur Mittellinie zurück und probierte mit einer tieferen Stellung Bälle zu ziehen, Überzahl herzustellen und Bälle zu ziehen. In diesen Momenten war es wichtig, dass Stankovic die Position des Mittelstürmers übernahm, um das eigene Spiel nicht nur breit, sondern tief zu machen. Damit ist gemeint, dass man die vorderste Position in der eigenen Formation jederzeit besetzt hält, um die gegnerische Abwehr an einem geordneten Aufrücken zu hindern. Obwohl Stankovic dies nicht immer machte, war dies allerdings im Laufe des Spiels kein großes Problem, weil der Gegner nicht entschlossen und kollektiv genug aufrückte.

Selbst wenn man keinen Gegenspieler hatte, so rückte man nicht weit nach vorne, sondern versuchte den Raum nach hinten weiterhin zu sichern. Im Grunde war dies keine schlechte Idee, dennoch muss man sagen, dass gegen eine Mannschaft wie die Austria, wo die dynamischen Spieler über die Außenbahnen kommen, eine andere Spielweise ebenfalls möglich und vermutlich besser gewesen wäre. In gewisser Weise war es jedoch das defensive Zentrum der Gastgeber, welche die gegnerischen Verteidiger am Aufrücken verhinderten. Mader, der als spielmachender Typ auf der Doppelsechs mit dem sehr aktiven Dilaver spielte, besitzt ein sehr gutes Auge und ist technisch stark. Diese Kombination ermöglicht ihm gute Diagonalbälle in den Lauf der Außenspieler Gorgon und Grünwald, welche bei einer aufrückenden gegnerischen Abwehrreihe viel Raum für Diagonalläufe vorgefunden hätten. Die beiden probierten durch Rochaden Unordnung in die gegnerischen Reihen zu kommen, was nur teilweise gelang. Desweiteren wurden sie nicht effektiv genug von den eigenen Außenverteidigern unterstützt, diese kamen nicht kombinationssicher und schnell genug nach vorne.

Das klassische Hinterlaufen des Vordermannes öffnet Räume und macht das Spiel breit, bei der Austria war das allerdings nur teilweise gegeben. Interessant wird dies bei näherer Betrachtung.

Austrias Außenverteidiger

Bei den Veilchen spielten die Außenverteidiger generell relativ hoch. Sie bildeten mit den beiden Sechsern eine Viererkette im Mittelfeld und ermöglichten somit offensiv eine 2-4-4-Formation – dies gab es allerdings nur selten in Vollständigkeit zu sehen, da das dynamische Aufrücken im Kollektiv eine klassische Schwäche der österreichischen Vereine ist. Beide Außenverteidiger spielten also im Mittelfeld und dazwischen hatte man eine Doppelsechs mit Mader und Dilaver. Hierbei war es interessant, dass Dilaver im Mittelfeld agierte, denn er kann auch die Außenverteidigerposition beackern. Wenn also der ballnähere der beiden Außenverteidiger noch weiter aufrückte, so hatte Dilaver die Aufgabe, sich in das entstandene Loch zu bewegen, um eventuelle Konter zu unterbinden.

In diesem Fall würde der gegenüberliegende Außenverteidiger der Viererkette nach hinten rücken und Mader verharrte wie eigentlich in fast jedem taktischen Szenario auf seiner Position. Dadurch entstand eine verkappte Viererkette in der Verteidigung, die sich nach vorne geschoben hatte. Vorteile waren neben der defensiven Stabilität ebenso die Anspielstationen Dilaver nach hinten und Mader als Fixpunkt im zentralen Mittelfeld, während der ballferne Außenspieler etwas ins Zentrum einrückte. Dieses Schema wurde nach der Einwechslung Liendls kaum verändert, allerdings stark verbessert. Liendl zeigte sich nämlich offensiv deutlich präsenter als Mader, immer wieder rückte er wie sonst Dilaver nach vorne und versuchte sich für Doppelpässe oder Gassenpässe freizumachen.

Falls jedoch keiner der beiden Außenverteidiger aufrückte, so spielte dies Dilaver in die Karten. Er hatte nun die Freiheit, dass er in einer Art Freirolle spielte und bewegte sich je nach Lust und Laune in die Halbpositionen in der Offensive, meistens natürlich Richtung Ball hin. Somit verband er seine Rolle als box-to-box-player auf der Sechs, also einem Spieler der den gesamten Raum zwischen den beiden Strafräumen beackerte, mit einer eigenen Interpretation eines modernen Spielgestalters. Mit vielen Kurzpässen wollte er das Spiel an sich reißen, konnte ihm allerdings nie den Stempel aufdrücken. Im Normalfall rückte allerdings Klein auf und sorgte für Gefahr, während Leovac der ruhigere und weniger auffällige der beiden Außenverteidiger war.

Sturms Offensive

Die Gäste aus Graz hatten ebenso wie die Gastgeber in der Offensive gewisse taktische Spielzüge, welche mit den beiden Außenverteidigern zusammenhingen. Im Normalfall war es nämlich nur einer der beiden Außenverteidiger, der nach vorne mit aufrückte. Bei den Veilchen wurde dies erst im Laufe des Spielzuges im letzten Drittel entschieden, die Grazer hatten von Beginn an nur einen Außenverteidiger für die Offensive abgestellt. Dies zeigte auch die verschiedenen Spielauffassungen der beiden Mannschaften, denn die offensiveren Wiener konnten sich das Aufrücken der beiden Außenverteidiger ins Mittelfeld leisten, war man doch deutlich weniger von schnellen Kontern abhängig und spielte mehr mit Ballbesitz.

In der oberen Grafik sieht man, wie das ungefähr aussah. Der Außenverteidiger, der sich auf der Seite befand, über welche man angriff, rückte automatisch mit nach vorne auf. Der gegenüberliegende defensive Flügel bewegte sich Richtung der beiden Innenverteidiger und bildete eine enge Dreierkette, welche von den beiden Sechsern dafür unterstützt wurde.

Das dargestellte Szenario zeigt einen Angriff über die linke Außenbahn. Hölzl rückt ein und bietet sich in der Endphase eines Spielzuges am langen Pfosten an, davor macht er das Spiel breit, befindet sich jedoch zumindest teilweise in Ballnähe. Über die Zwischenstation Koch hatte Popkhadze die Möglichkeit das Spiel zu verlagern, hier würde er sich dann wieder Richtung eigener Abwehrreihe zurückbewegen. Sein Vordermann Klem ging in eine Halbposition und versuchte sich nicht nur für Doppelpässe anzubieten, während er im Idealfall einen Gassenpass erhalten und dann im Strafraum Gefahr ausstrahlen sollte. Diese grundlegende Idee funktionierte auf dieselbe Art und Weise auf der anderen Flanke, wobei Hölzl seltener invers spielte, sondern selbst bis zur Grundlinie vorzustoßen versuchte.

Damit dies funktionierte und man ausreichend Raum zum Spielen vorfand, hatten die beiden Sechser sowie die zwei Mittelstürmer taktisch eine sehr wichtige Rolle. Im defensiven Zentrum sicherte einer der beiden – oft, aber keineswegs immer war es Weber – die entstandenen Löcher und unterstützte die verbliebene Dreierkette beim Verschieben auf die andere Seite. Der andere Sechser war wie erwähnt eher ein Achter und spielte weiter vorne, wo er das Offensivspiel strukturieren sollte. Die beiden Spieler im Mittelfeld wechselten oft ihre Position und je nach Taktik sowie verbliebener Ausdauer rückte manchmal auch Weber nach vorne, während Koch absicherte.

Ähnliches gab es bei den beiden zentralen Stürmern. Sowohl Szabics als auch Bodul bewegten sich viel und dies geschah vorwiegend in die Horizontale. Sie wichen auf den Flügel aus und boten sich dort als Anspielstationen an, man wollte eine Überzahl schaffen, während das Sturmzentrum vom verbliebenen Stürmer okkupiert wurde. Dieser sollte sich im Idealfall zwischen den zwei Innenverteidigern aufhalten oder eine Lücke suchen. Einige Male ließ er sich sogar bei Entstehen des Angriffes fallen, um dann mit Dynamik in den Rücken der Abwehr oder vor den Fünfmeterraum zu kommen, einmal wäre eine abgewandelte Form dieser Variante gar mit einer Großchance belohnt worden, doch das Spiel wurde zu Unrecht aufgrund vermeintlichen Abseits unterbrochen.

Sturms Defensive

Beim Verteidigen wollte die Auswärtsmannschaft möglichst kompakt agieren. Der tiefere der beiden zentralen defensiven Mittelfeldspieler rückte zwischen die beiden Innenverteidiger, allerdings ein paar Meter weiter nach vorne versetzt. Dadurch konnte er ausbrechende Innenverteidiger absichern oder gar deren Rolle einnehmen, im Normalfall hatte er allerdings mehr Zeit, um sein eigenes Attackieren des Ballführenden zu planen. Er verschob mit der Vierer- bzw. nun Fünferkette und im richtigen Moment bewegte er sich nach vorne, um entweder einen Passweg nach vorne abzusperren oder den Ball zu erobern. Wichtig hierbei war auch, dass er es zumindest jederzeit schaffen konnte, das Spiel des Gegners auf die Außenbahn zu lenken, wo man sich weiter vom Tor entfernte.

Vor Weber spielte Koch und sicherte das Mittelfeld alleine, desweiteren organisierte er das Pressing, in welchem er von den beiden Außenmittelfeldspielern unterstützt wurde. Sowohl Klem als auch Hölzl spielten leicht nach innen versetzt vor den Außenverteidigern, doch wenn der Ball gänzlich auf der Außenbahn war, so waren sie jene, welche zuerst angreifen sollten. Die Außenverteidiger würden dann weiter hinten absichern oder, wenn der Gegner auf sich alleine gestellt war und Anstalten machte, den Ball ins Zentrum zurückzuschieben, die Viererkette enger machen. Dazu rückten sie nach hinten und bildeten eine enge Viererkette, was Weber dazu zwang, nach vorne zu gehen. Man drückte ihn quasi nach vorne und da der Ball wie schon erwähnt von außen ins Zentrum gespielt wurde, konnte man effektiver pressen. Der Außenspieler, welcher den Pass gemacht hatte, wurde nun vom Außenmittelfeldspieler manngedeckt und aus dem Spiel genommen. Die enge und tiefe Viererkette, welche dabei entstand, verhinderte Diagonalpässe ins Loch. Als letztes kamen die Mittelstürmer ins Spiel, einer der beiden würde sich – parallel zu Weber – nach hinten bewegen und es gab nun drei zentrale Spieler, welche auf den Ballführenden gingen.

Das Schema lautete also wie folgt:

  • Einnehmen der Position mit einer Fünferkette, welche breit agierte und eine Doppelung der Außen, insbesondere Gorgon, ermöglichte
  • Absperren des Zentrums und aufgezwungene Spielverlagerungen der Austria auf die Flügel
  •  Die eigenen Außenmittelfeldspieler attackierten den Ballführenden und wenn niemand aufrückte, so wurde der Ball meist zur Verteidigung oder in die Mitte zurückgepasst
  • Hier ließ sich dann ein Mittelstürmer fallen und Weber rückte nach vorne, weil die Viererkette von Popkhadze und Ehrenreich enger gemacht wurde
  • Hatte der gegnerische Flügelstürmer einen Partner, den er anspielen konnte, so blieb Weber (beziehungsweise manchmal Koch) zumeist im Zentrum und einer der beiden Außenverteidiger spielte etwas tiefer, um den durchbrechenden gegnerischen Außenverteidiger abzublocken

 

RM schreibt auch für spielverlagerung.de

Rene Maric

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert