Koya Kitagawa ist der erste Japaner bei Rapid und der fünfte in der heimischen Bundesliga. Rapid ist damit nach Salzburg der zweite Klub, der sich über einen Spielerkauf direkt aus der J-League traut.
Anfang 2007 holte Red Bull Salzburg die ersten beiden Japaner nach Österreich. Der brasilianisch-stämmige Japaner Alex dos Santos hinterließ aber ebenso keinen bleibenden Eindruck, wie der zum Zeitpunkt des Wechsels bereits 29-jährige Abwehrchef Tsuneyasu Miyamoto. Dieser wurde seinerzeit vor allem als Marketing-Gag der Salzburger angesehen, zumal sein Standing in Japan außerordentlich hoch war und die Aufmerksamkeit für die – damals noch in einer Art Lernphase befindlichen – Salzburger entsprechend hoch war. Japanische Journalisten fanden sich regelmäßig in der Red Bull Arena ein und auch in Japan hatte Salzburg plötzlich Fans.
Salzburg zeigt Relocating-Maßnahmen vor
Erst die beiden jüngsten Salzburger Zugänge aus Japan machten richtig auf sich aufmerksam: Masaya Okugawa gelang dies vorerst nur bei seinem Leihklub Mattersburg, allerdings wird der 23-Jährige heuer in der Truppe von Jesse Marsch eine recht wichtige Rolle spielen. Takumi Minamino ist der bisher deutlich beste japanische Kicker in der heimischen Liga – in 179 Partien für die Roten Bullen steuerte er 57 Tore und 35 Assists bei. Wenn Minamino nach Spielen vor die Interviewkameras gebeten wird, ist sein Dolmetscher auch nach über fünf Jahren stets mit dabei.
Wie schnell kann Rapid den Spieler integrieren?
Nachdem Sturm Graz zwischendurch den Mittelfeldspieler Taisuke Akiyoshi aus Bosnien holte, ihn aber nur zweimal in der Kampfmannschaft einsetzte, ist Koya Kitagawa nun der fünfte Japaner im Bundesliga-Bunde. Die bereits beschriebene, in Salzburg bestens funktionierende Rundumbetreuung für Japan-Legionäre wird wohl auch in Hütteldorf entscheidenden Charakter haben. Zoran Barisic betonte, dass man Kitagawa keinesfalls unter Druck setzen und ihm Zeit für die Akklimatisierung geben möchte. Ein zentraler Punkt wird aber die Betreuung des japanischen Angreifers sein. Es ist zugleich eine gute Möglichkeit für Rapid, zu beweisen, dass man beim Thema Relocating in den letzten Jahren einen Schritt nach vorne machte.
Aufwändiger Transfer
Von Kitagawa überzeugt ist man in Hütteldorf mit Sicherheit. Es war wohl einer der aufwändigsten Transfers der Vereinsgeschichte. Chefscout Mathias Ringler reiste nach Japan, um Kitagawa – unter anderem im Training – zu beobachten und Kontakt herzustellen. Der Abschied des 23-Jährigen aus Shizuoka wurde regelrecht zelebriert und Kitagawa verlässt Japan als Publikumsliebling seines Ex-Klubs Shimizu S-Pulse. Bei Rapid unterzeichnete der Stürmer einen Vertrag bis 2023 und kostete laut japanischen Medienberichten etwas mehr als eine Million Euro.
Kommunikation als erster Fokus
Im Zuge seiner offiziellen Präsentation begrüßte Kitagawa die anwesenden Journalisten bereits mit einigen deutschen Sätzen und betonte später, dass er unbedingt so schnell wie möglich Deutsch lernen möchte. Englisch spricht der Japaner nicht, wodurch der Fokus in den ersten Monaten stark auf der Verbesserung der Kommunikation liegen muss. Rapid gewährte Kitagawa heute einen freien Tag, was dieser jedoch ausschlug und stattdessen mit Fitnesstrainer Alexander Steinbichler bereits die ersten Einheiten abspulen wird.
Vize-Champ beim Asien-Cup
Für Kitagawa ist Wien ein großes Abenteuer. Seit Anfang 2015 spielte er in der Kampfmannschaft von Shimizu S-Pulse. Seine acht Länderspiele fanden allesamt im asiatischen und arabischen Raum statt. Kitagawa kam unter anderem fünfmal bei der Asienmeisterschaft Anfang 2019 in Katar für Japan zum Einsatz. Sowohl im Halbfinale, als auch beim 1:3 im Finale gegen den Gastgeber saß er allerdings nur auf der Bank. Der Weg ins Nationalteam ebnete sich erst 2018, als er unumstrittener Stammspieler bei Shimizu S-Pulse wurde.
Erste Schritte und ein „wertvoller Abstieg“
2015 war als Schnuppersaison zu bezeichnen und inklusive Cup kam er auf zwei Tore und drei Assists in 17 Spielen. Shimizu S-Pulse musste allerdings den bitteren Gang in die zweite Liga antreten. Auch in den darauffolgenden zwei Saisonen kam Kitagawa häufiger von der Bank, baute aber in der zweiten Liga recht beeindruckende Statistiken auf. 2016 kam er auf 34 Einsätze, wobei er aber nur 1.141 Minuten auf dem Platz stand. Dennoch gelangen ihm neun Tore und fünf Assists, was einer Torbeteiligung alle 81 Minuten gleichkommt. Der „Rückschritt Abstieg“ war Kitagawas Entwicklung also durchaus förderlich und der Klub schaffte den sofortigen Wiederaufstieg.
Erste volle J-League-Saison und Durchbruch
2017 war schließlich eine Konsolidierungssaison, in der Kitagawa auch in der J-League – vor allem gegen Ende der Saison – seinen Platz im Team manifestierte. Inklusive Cup kam er auf 32 Einsätze, sieben Tore und zwei Assists, wobei er aber erneut nur knappe 1.500 Minuten auf dem Platz stand. Der nächste große Schritt gelang Kitagawa in der Saison 2018, in der Shimizu S-Pulse guter Achter in der japanischen 18er-Liga wurde und er in 37 Partien 14 Tore und 8 Assists beisteuerte. Dies entsprach – diesmal in der höchsten Spielklasse – einer Torbeteiligung pro 124 Minuten und das Resultat daraus waren die ersten Nationalteameinberufungen Ende 2018.
Alle 131 Minuten ein Scorerpunkt
Diese abgelaufene Saison festigte auch das Standing des jungen Angreifers im Klub, wo er zum Publikumsliebling avancierte. In der laufenden Kalenderjahrsaison 2019 kam Kitagawa auf sieben Tore und drei Assists in 24 Spielen und zudem wurde er zum Marathonmann seines Teams, der in der Liga keine einzige Partie versäumte. Unterm Strich standen bis zu seinem Europatransfer demnach 140 Spiele für Shimizu S-Pulse, 39 Treffer und 21 Assists. Dies entspricht einem Scorerpunkt pro 131 Minuten.
Guardiolas Lob für Yokohama
Um Kitagawas Spielweise genauer beschreiben zu können, wagen wir einen Sprung nach England: Pep Guardiolas Manchester City testete im Zuge einer Asien-Tournee gegen West Ham, Wolverhampton, den Hongkong-Klub Kitchee – und zuletzt gegen die Yokohama F. Marinos, den aktuellen Zweiten der J-League. Der derzeit starke Klub mit zwei jungen, angehenden Teamspielern Japans, begeisterte den spanischen Coach, weil das Team aus Yokohama, das den Citizens mit 1:3 unterlag, eine extrem hohe Intensität auf den Platz brachte. Er bezeichnete den Test als bis dato absolut besten und wertvollsten.
Abkippende Stürmerrolle
Als größte Stärke Kitagawas kann ebenfalls die Intensität in seinem Spiel im Allgemeinen und in seinem Laufspiel im Speziellen bezeichnet werden. In 80% seiner Shimizu-Spiele kam Kitagawa nominell als Stürmer zum Einsatz, wobei er aber stets eine stark antizipative, abkippende Rolle einnahm. De facto hatte er also in den meisten Spielen die Rolle inne, für die er auch bei Rapid eingeplant ist.
Kitagawas Rolle verändert Badjis Radius
Die hohe Intensität in seinem Laufspiel soll genützt werden, um häufig ins Mittelfeld abzukippen und nach einfachen Ballweiterverarbeitungen die Tiefe zu suchen. Damit würde Kitagawa „um Badji herum“ agieren, während dieser eher zu einem klassischen Zielspieler wird und weniger auf die Seiten pendeln muss. Die Verpflichtung des Japaners könnte also vor allem Badji stärken und dessen Laufwege verändern.
Ausweichen auf die Flügel im japanischen Kaiserpokal
Auf Kitagawa werden bei Rapid aber systemtechnisch feine Unterschiede warten. In 90% der Partien für seinen Ex-Klub wurde ein 4-4-2 mit Doppelsechs praktiziert. Eine Ausnahme bildeten Cup-Partien, in denen häufiger auf diverse 4-5-1-Varianten zurückgegriffen wurde. In Ein-Stürmer-Systemen wurde Kitagawa vor allem an den Flügeln, gelegentlich aber auch im offensiven Mittelfeld eingesetzt, womit das System ohnehin wieder zu einer etwas defensiveren 4-4-2-Variante verschwamm.
Nur zweimal mit Dreierkette
Mit Systemen mit Dreierkette hat Kitagawa nur wenig Erfahrung. Zu Saisonbeginn lieferte Shimizu mit einem 3-1-4-2-System gegen Gamba Osaka eine schwache Vorstellung ab und verlor mit 2:4. In einem leicht adaptierten 3-4-2-1-System mit Kitagawa als Solospitze und Torschütze gab es ein 1:1 gegen Sanfreece Hiroshima. Nach diesen beiden Partien wurde das Konzept Dreierkette aber schon wieder verworfen – der schwedische Coach Jan Jönsson kehrte zum 4-4-2 zurück und wurde im Mai nach vier Niederlagen in Folge entlassen.
Mehr Pendeln als Abkippen
Dass Rapid mit Dreierkette spielt, verändert doch einiges an Kitagawas angestammtem Aktionsradius. Bei Shimizu S-Pulse war sein Spiel äußerst vertikal und die Abkippbewegungen betrafen eher das zentrale Mittelfeld. Bei Rapid muss der 23-Jährige hingegen stärker in die Breite pendeln, weil im Vergleich zu seinem Ex-Klub ein zweiter Flügelspieler fehlt. Kitagawa sollte diesen erweiterten Radius aufgrund seiner Laufstärke aber gut abfedern können. Es ist allerdings wahrscheinlich, dass man mehrere Monate Geduld haben muss, bis die Automatismen greifen, weil gerade diese Pendelbewegungen und die Ballweiterverarbeitungen in „ungefährlicheren Zonen“ für einen Stürmer eine durchaus große Umstellung sind.
Situative Stürmerrochaden
In erster Linie ist also anzunehmen, dass sich die durchschnittliche Feldposition Kitagawas bei Ballbesitz ein wenig nach außen verlagert. Prinzipiell ist Kitagawa ein Spieler fürs Zentrum – dennoch hat er eine leichte Rechtslastigkeit in seinem Spiel, wodurch eher Schick als Ullmann als Kombinationsspieler in Frage kommt. Das sollte aufgrund der größeren Routine Schicks von Vorteil sein. Allerdings ist im Speziellen zu erwarten, dass Badji und Kitagawa rochieren werden, um die Variabilität des Japaners auszunützen.
Die Möglichkeit eines „Hollywood-Systems“
Wenngleich es unwahrscheinlich ist, bietet Kitagawas Verpflichtung sogar noch eine zusätzliche formative Option: Speziell weil Fountas und Schobesberger stilistisch ähnliche Typen wie der Japaner sind, könnte Rapid auch in einer 3-4-3/3-1-3-3-Formation auflaufen, in der zwei der drei Spieler eine nach innen gezogene und dennoch inverse Rolle einnehmen. Dies wäre natürlich eine ultraoffensive Variante, die von Beginn weg keine Alternative darstellen wird, allerdings zumindest situativ denkbar ist, wenn Rapid in der Schlussphase auf enormen Tiefgang spielen möchte.
Tiefgang zwischen den gegnerischen Innenverteidigern
Tiefgang ist ein weiteres wichtiges Stichwort in Bezug auf Kitagawas Stil: Nicht nur er selbst, sondern auch alle japanischen Beobachter, bezeichnen seine Schnelligkeit als größte Stärke. In der J-League galt er als einer der schnellsten Angreifer. Vorteilhaft ist aber vor allem sein Tempo auf den ersten Metern, die ein guter Kontrast zu Badji sein sollten, der vor allem auf Dauer schneller wird. Diese Stärke nützt Kitagawa am liebsten mit Tiefenläufen zwischen in die Schneise zwischen den gegnerischen Verteidigern. Wenn der Gegner hochsteht ist Kitagawas Tiefgang eine enorme Waffe.
Neue Facette im Zwischenlinienraum
Da er aber bei Rapid eine stark antizipative Rolle einnehmen wird, ist auch sein Tempo auf den ersten Metern zwischen den gegnerischen Linien vorteilhaft. Kitagawa bewegt sich nicht nur in die Tiefe, sondern war für sein Team stets ein wichtiger Spieler für den Zwischenlinienraum, in dem es stark auf Tempoerhöhung auf den ersten Metern ankommt. Hier gab es bei Rapid definitiv Aufholbedarf, zumal das Spieltempo nach erfolgreichen Pässen in den Zwischenlinienraum häufig zu langsam war. Taxiarchis Fountas zeigte zwar bereits gute Ansätze in derartigen Situationen, aber Spieler wie Knasmüllner oder Murg waren in diesen Situationen eher Spieler für einen sofortigen Tiefenpass oder Abschluss und weniger für systematische Erhöhung der Dynamik (etwa um Fouls rund um den Strafraum zu ziehen). Auf Dauer war das Verhalten der besten Rapid-Techniker vorausschaubar und nun kommt eine neue, für den Gegner unangenehme Facette hinzu.
Eingewöhnungszeit benötigt viel Unterstützung
Zusammengefasst: Die Eingewöhnung in die Formation und auf das häufigere Pendeln nach außen, wird Zeit brauchen. Der dynamische Mehrwert, den Kitagawa für die Rapid-Offensive liefert, ist aber mit Sicherheit der größte Vorteil des neuen Stürmers. Rapid sollte dadurch nicht nur variabler und schwerer auszurechnen werden, sondern auch klare Tempovorteile im Vergleich zur bisherigen Situation erlangen. Dennoch steht und fällt alles mit der Integration des japanischen Musterprofis, der sich selbst mit Sicherheit alle Mühe geben wird, aber natürlich entsprechende Unterstützung und Betreuung braucht. Den diesbezüglichen, möglichen Erfolg im Voraus einzuschätzen, wäre allerdings nicht seriös, zumal es sich für Kitagawa, wie auch für Rapid um eine völlig neue Situation handelt. Vorerst heißt es aber ohnehin: Warten auf die Spielerlaubnis – was zwischen zwei und drei Wochen dauern dürfte, wie es schon bei Aliou Badji der Fall war.
Daniel Mandl, abseits.at
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Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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