Das Leitbild, das irgendwie niemand befolgt
Bundesliga 13.Februar.2018 Daniel Mandl 0
Das Leitbild des SK Rapid umfasst fünf Absätze. Allesamt in mühevoller, monatelanger Arbeit aufs Wort genau ausformuliert. Jedes einzelne Wort sollte einen grün-weißen Wiedererkennungswert in sich bergen und das Selbstverständnis des Klubs perfekt widerspiegeln. Nicht erst seit gestern muss die Frage erlaubt sein, wofür das Leitbild überhaupt gut ist, wenn sich doch kaum jemand im Klub daran hält.
„Der SK Rapid ist eine Gemeinschaft“, heißt es im ersten Absatz. Ein flüchtiger Blick durch Foren und soziale Medien genügt aber momentan schon, um die Instabilität dieser Gemeinschaft zu bemerken. Lebenslange Mitglieder, die immerhin stolze 1.899€ für ihr „Einmal Rapidler, immer Rapidler“-Gelübde hinblätterten, drohen bereits damit das teure Stück zurückzubringen. Von normalen Mitgliedschaften oder Abos ganz zu schweigen.
Schwierige Lage zwischen unterschiedlichen Fans
Die Unzufriedenheit hat mittlerweile viele Facetten. Zu Beginn des laufenden Frühjahrs wurde der Graben zwischen der aktiven Fanszene und den gemäßigten „Längsseiten“-Fans größer. Die Wurfgeschosse im Derby wurden korrekterweise vom Gros der verärgerten Rapid-Fans nicht pauschal verurteilt. Man solle die einzelnen Idioten herauspicken und den Block West ein für alle Mal von ihnen befreien. Das gemeinsam präsentierte, homophobe Transparent gegen Austria-Kapitän Holzhauser ließ die köchelnde Situation innerhalb der Fangemeinde aber überschwappen. Auch wenn es wohl keinen Rapidler gibt, der Holzhauser besonders schätzt, fokussierte sich der Block mit bewusst provokanter Wortwahl aufs Herunterspielen der vergangenen Ereignisse. Dass die zahlreichen sensitiven Rapid-Fans mit ebendieser Wortwahl nicht einverstanden waren, machten sie online mehr als deutlich. Und die skandalhungrige Presse freute sich natürlich über den neuerlichen „Ausrutscher“.
Der Block muss seinen Teil beitragen
Springen wir zum vierten Absatz des Leitbilds. „Der SK Rapid ist offen“, heißt es hier. Gefolgt von Bekenntnissen zu menschlicher Vielfalt und sozialer Verantwortung für eine offene Gesellschaft. Auch wenn der Ton in Fußballstadien immer schon rauer war, sollte der Block gerade nach der letzten Woche und stets mit dem Leitbild im Hinterkopf, zumindest geschriebene Messages feiner überdenken. Das hat nichts mit Konformismus oder der Notwendigkeit sich zu beugen zu tun, sondern vielmehr damit, dass auch von außen die einfachen, im Leitbild verankerten Spielregeln be- und geachtet werden müssen, wenn gleichzeitig verlangt wird, dass etwa die Spieler ihren Teil dazu beitragen.
Rapids spielerische (und kämpferische) Tradition
Was uns zum zweiten Absatz zurückbringt. „Der SK Rapid steht für Werte aus Tradition“ – und damit ist nicht nur die beeindruckende Geschichte und der historische Trophäenschrank gemeint, sondern auch spielerische Tradition. Die Arbeiter von der Schmelz, Rapids Ur-Väter, galten seit jeher als Fighter, die niemals aufgeben. Dass diese Spielweise die Antithese zur historisch gepflegteren Spielweise der Austria darstellt, macht die Rivalität zwischen den Wiener Großklubs extrapikant.
Blutleer bis peinlich in der Südstadt
Weiter heißt es nun in diesem zweiten Absatz: „Als Team sind wir angriffslustig, dynamisch und wählen stets den direkten Weg zum Ziel. Unsere Gegner behandeln wir hart, aber fair und mit Respekt.“ – die junge Admira-Mannschaft haben die Rapid-Spieler am vergangenen Sonntag sogar sehr fair und respektvoll behandelt. Von Härte war weniger zu sehen. Gerade in der inferioren ersten Halbzeit, aber auch in der keineswegs guten zweiten, spielte Rapid mehr Nonnenhockey als Fußball. Von Angriffslust, Dynamik und einem direkten Weg zum Ziel keine Spur. Gleichzeitig bezeichnete Goran Djuricin die zweite Halbzeit als „gut bis sehr gut“. Die vergebenen Chancen seien einfach Pech und man müsse schlichtweg weiterüben. Damit reiht sich Djuricin nahtlos in die Tradition seiner Vorgänger ein – denn auch die waren praktisch durch die Bank nicht innovativ und zogen stur nicht funktionierende Konzepte durch, bis es wieder zum nächsten, unausweichlichen Crash kam. Fußball ist Kopfsache – und wenn eine Mannschaft immer wieder Schlafphasen hat, dann ist nicht die schlechte Übung, sondern auch der Trainer schuld. So wie es etwa Sturms Neo-Coach Heiko Vogel nach dem 0:1 gegen Wolfsberg klar und deutlich machte.
Himmelhochjauchzend / Zu Tode betrübt
Bei Rapid hängt noch viel mehr von Erfolg ab, als bei allen anderen Fußballklubs des Landes. Steht Rapid auf dem ersten Platz, dann haben sich alle lieb, der Block West ist unantastbar und für eine der besten Stimmungen Europas verantwortlich, die Schlüsselspieler potentiell künftige Top-Stars, für die man achtstellige Summen lukrieren wird. Wenn’s nicht läuft, dann würde man als Fan am liebsten den halben Kader verschenken, der Block West regt sich darüber auf, missverstanden zu werden und relativiert Frustaktionen, die „Normalos“ schimpfen auf den Block und irgendwie schimpfen alle auf die starre Masse auf der Haupttribüne, die nun mal das Geld in die Vereinskassen spült. Dazwischen gibt’s nicht viel.
Aber gerade auf der Haupttribüne ist man jetzt – schon wieder – gefragt. Der letzte Absatz des Rapid-Leitbildes beginnt mit den Worten: „Der SK Rapid ist österreichischer Rekordmeister. Erfolg ist uns Erbe und Gebot zugleich. Daher ist es unser Anspruch, immer ganz oben zu stehen.“
Die Federn der Vergangenheit
Rapids letzter Titel liegt Stand jetzt knapp zehn Jahre zurück. In den letzten 29 Jahren wurde dieser große Verein ganze dreimal Meister, holte ein einziges Mal den Cup. Rapid lebt in der Vergangenheit. Trotz einer mittlerweile beeindruckenden Infrastruktur sind es noch immer dieselben laschen Ansagen, vorsichtige Vorgehensweisen, das ewige Abwägen von Entscheidungen und schließlich auch die fehlenden sportlichen Innovationen, die jede kämpferische Parole, aber auch das Leitbild, ad absurdum führen und nicht glaubwürdig erscheinen lassen. Eine beherzt kämpfende Admira hat Rapid am Sonntag mal wieder die Grenzen aufgezeigt und glücklich, aber völlig verdient gewonnen.
Längste titellose Phase der Vereinsgeschichte
Und das wird auch nicht das letzte Mal sein. Während die echten internationalen Top-Klubs in ihren heimischen Ligen praktisch keine Ausrutscher haben und auf unerwartete Niederlagen zumeist bravourös reagieren, bekommt Rapid regelmäßig, nahezu alle paar Wochen, eine Watsch’n, die sich gewaschen hat. Und zwar seit gut acht Jahren. Das ist nämlich der Zeitraum, in dem Rapid keine Souveränität mehr ausstrahlt, sportlich keine deutliche Entwicklung in eine klar erkennbare Richtung aufweist. Schlimmer noch: Rapid wird immer langweiliger. Noch nie zuvor in der 119-jährigen Geschichte war man so lange titellos wie derzeit. Zwischen 1968 und 1982 wurde Rapid 14 Jahre lang nicht Meister, gewann aber immerhin dreimal den ÖFB-Pokal. Die acht titellosen Jahre zwischen 1988 und 1996 schnupfte man schon letztes Jahr, als man phasenweise sogar gegen den Abstieg spielen musste.
Die Basis als schlummernder Vulkan
Rapid ist in seiner jetzigen Form nicht mehr authentisch. Zu viel des eigenen Erbes wird mit Füßen getreten, sowohl spielerisch, als auch politisch. Der hundertste Poolsponsor bringt nichts, wenn der Sport vernachlässigt und jede noch so notwendige Investition zu Tode überdacht wird. Das Resultat ist eine nach wie vor Rapid-unwürdige, mental schwer inkonstante Mannschaft, die von einem durchschnittlichen, nicht ausreichend innovativen Trainer geführt wird. Sämtliche Umbrüche werden „zitzerlweise“ über die Bühne gebracht, anstatt einmal einen richtig harten und womöglich auch riskanten Cut zu machen. Das nächste Resultat dessen – in Kombination mit dem beschriebenen Unmut in der Vereinsperipherie – wird Gleichgültigkeit sein. Und die wird sicher nicht vom Block West ausgehen, sondern von der vernachlässigten Basis des SK Rapid – der Längsseite. Also von den Fans, die im Fanshop einkaufen, Mitglieder sind, Hauptversammlungen besuchen, ihre Kinder mit ins Stadion nehmen. Dass diese Strömungen bereits jetzt anfangen, ist offensichtlich. Wenige Gespräche mit Einzelnen reichen aus, das Echo ist einhellig. Und wenn zu einem unruhigen Block auch noch eine konsternierte Basis hinzukommt, dann wird der Business Plan des großen Zugpferds Rapid nicht aufgehen.
Jetzt sind Härte und Mut gefragt
Genauso schnell wie Rapid zu einer Attraktion werden kann, wenn man über ein paar Jahre oder gar nur Monate, alles richtig macht, kann es auch in die andere Richtung gehen. Genau vor einem solchen Crash steht der Verein gerade, woran sicher nicht ein 1:2 in der Südstadt, sondern die derzeitige Gesamtbefindlichkeit in allen Bereichen schuld ist. Und dieser Crash kann nicht durch stetige, ruhige Arbeit, gutes Zusprechen und alle denkbaren Situationsanalysen verhindert werden, sondern einzig allein mit Härte und Entschlossenheit. Es braucht harte Präsidiumsentscheidungen, ein großzügiges Investitionsvolumen für Sportchef Fredy Bickel (und wiederum Härte von ihm selbst), eine innovative sportliche Linie, beinharte und gestandene Spieler, sowie auch einen Selbstreinigungsprozess in mehreren Bereichen der Fanschicht. Mit jeder sportlichen Bankrotterklärung wie am Sonntagnachmittag wird das Gesamtkonstrukt instabiler – und dann wird der hunderterste Poolsponsor vielleicht gar nicht mehr unterschreiben wollen, weil Rapid auch die stadionbegeisterte Masse nicht mehr erreicht. Diese Falltür macht man sich gerade gemeinsam auf. Mit dem nötigen Schwung kriegt man sie allerdings auch wieder zu.
Daniel Mandl, abseits.at
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Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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