Vereinstreue, Engagement und Identifikation fordern die Anhänger von ihren Spielern. In einer Welt des Wettkampfes und des Geldes müssen diese aber oft zweitrangig sein.... Der spielende Fan – Klubhelden der Neuzeit (2): Herbert Prohaska

Herbert Prohaska (Experte, ORF)Vereinstreue, Engagement und Identifikation fordern die Anhänger von ihren Spielern. In einer Welt des Wettkampfes und des Geldes müssen diese aber oft zweitrangig sein. Vereinswechsel in bessere finanzielle und sportliche Perspektiven sind an der Tagesordnung. So ist Fußball.

Aber es gibt auch Ausnahmen: Kicker, die selber Fans ihrer Farben sind und für diese ihr Herzblut vergießen. Bubenträume, die mit einem Profivertrag beim Traumklub war wurden.

In dieser achtteiligen Serie wollen wir euch nun einige Musterexemplare dieser Gattung vorstellen: Urgesteine und Legenden, sowie noch aktive Kicker, die Spieler und Anhänger in Personalunion sind. Unterschiedliche Typen in unterschiedlichen Ligen. Wir gehen der Frage nach ob und warum man ihnen eines Tages ein Denkmal meißeln wird….

Teil 2 unserer Serie behandelt:

Herbert Prohaska – Ach, du lieber Schneck: Ein Jahrhundertspieler in Violett!

Das Talent des Vaters hat Prohaska jr. wohl geerbt. Keine Sorge, verehrte(r) Leser(in, Sie müssen jetzt nicht das Internet durchforsten, um zu sehen, in welchem Fußballverein Herbert Prohaskas Sohn spielt und Sie dürfen auch nicht der Autorin dieses Artikels wegen schlechter Recherche jede Glaubwürdigkeit absprechen: Denn „Schneckerl“ Prohaska hat gar keinen Sohn. Der Wiener ist stolzer Vater zweier Töchter. Mit Prohaska jr. ist eines seiner  „Mäderln“ gemeint, welches einst als Balletttänzerin in Wien tätig war. Mittlerweile hat sie ihre Karriere, die nicht so erfolgreich wie die des Erzeugers war, beendet. Die Tanzbegabung hat sie jedoch eindeutig von ihm geerbt, denn wer Prohaska einst auf die Füße geschaut hat, der weiß, seine Art Fußball zu spielen, kann man mit tanzen vergleichen. So elegant den Ball am Kickschuh zu führen, gelingt nur Wenigen. Der leichtfüßige Spielmacher war die Augenweide des österreichischen Fußballs in den 70er- und 80er-Jahren.

Assoziiert wird mit dem Mittelfeldspieler stets ein bestimmter Verein.  Wie die beiden zueinander fanden, ist aber eine andere Geschichte. Eine ungewöhnliche Geschichte. Denn ein Kindheitstraum war es nicht, der Prohaska und die Austria einst verbunden hat.

Das glücklichste Kind in Simmering

Menschlich gesehen wirkt Herbert Prohaska sehr glaubwürdig. Es mag an seiner Sprachkultur oder an seinem Auftreten liegen, denn was er sagt, nimmt man ihm meistens ab. Und wenn „Schneckerl“ meint, dass er eine wunderschöne Kindheit in der Hasenleitengasse hatte, dann wird es wohl so gewesen sein.

Kein „Schneckerl“ sondern ein „Berti“ kam am 8. August 1955 in Wien zur Welt. Die Verhältnisse in denen er aufwuchs waren einfach: Der Vater rackerte als Hilfsarbeiter, die Mutter betätigte sich als Bedienerin. Sogar der Großvater gab die Pension zum Haushaltsgeld dazu, trotzdem lebten die Prohaskas sehr bescheiden im Parterre in Simmering. Bis zu seinem 12. Lebensjahr fehlte ein eigenes Bett für Herbert, er musste zwischen den Eltern ruhen. Der Koksofen spendete wenig Wärme, eine Wand war vom Schimmel schwarz verfärbt und zum Waschen gab es nur die Bassena am Gang. Und trotzdem war „Berti“ glücklich, denn in der Arbeitersiedlung Hasenleiten hatte niemand mehr. Telefon, Dusche oder Moped waren für ihn zweitrangig, denn „Berti“ wollte nur eines:

Von seinem Vater, einem Vienna-Anhänger, hatte er die Leidenschaft fürs Kicken übernommen. Im Käfig und auf der Simmeringer Wiese maß sich der schmächtige Bub mit älteren Kindern. Nach Vorwärts XI wurde Ostbahn XI seine erste richtige Jugendstation, wo er zunächst mit falschem Spielerpass kickte, weil er das notwendige Alter noch nicht erreicht hatte. Damals wurde ihm seine später legendäre Lockenpracht zum Verhängnis, an dieser wurde seine gefälschte Spielberechtigung nämlich enttarnt: „Du bist der G‘schneckerlte aus der Hasenleiten!“

Als der zehnjähriger Prohaska endlich offiziell mitmachen durfte, sprach sich seine Begabung bald herum. Seine Körperbeherrschung und Spieltechnik machten ihn in ganz Wien bekannt. Wenn er mal nicht aktiv kickte, nahm ihn sein Vater zu den Heimspielen der Vienna auf die Hohe Warte mit.

Aber für welchen Verein schlug Klein-Herberts Fanherz?

In seiner Biografie zu seinem 50. Geburtstag machte Prohaska 2005 ein überraschendes Geständnis: „ […] als Kind erzählte ich jedem, ich wäre ein Anhänger der Grün-Weißen.“ Drückte der spätere Violette seine Daumen tatsächlich für Rapid Wien?

In einem Interview mit dem Profil erklärte Prohaska später: In Wirklichkeit sei auch er Vienna-Anhänger gewesen,  „aber die haben immer gegen den Abstieg gespielt, und da willst dich von den anderen Kindern nicht häkerln lassen.“

Die Karriere

1972 unterschrieb der damals 17-Jährige jedenfalls einen Vertrag bei Rapids Erzrivalen Austria Wien und legte damit das Fundament einer starken Beziehung zwischen Spieler, Fans und Verein. Aus dem Simmeringer „Berti“ wurde schnell ein violetter „Schneckerl“.

Um seine Dienste hatten allerdings mehrere Klubs geworben: Der Automechanikerlehrling bekam Besuch der Rapid-Vertreter und diese schossen sich ein Eigentor: „Wir zahlen dir keinen Groschen mehr als die Austria“, musste sich der unerfahrene Prohaska anhören. Realitätsferne Zukunftspläne folgten: „Wir verkaufen den Rudi Flögel und du wirst sein Nachfolger!“. Kein Wunder, dass sich der schmächtige Bursche diesen Leuten nicht anvertrauen wollte: „Rapid hat mich […] wie einen kleinen Buben behandelt und gesagt: Wennst bei uns spielen willst, kommst auf die Pfarrwiesen […] und sagst uns Bescheid.“. So unprofessionell agierten die Herren aus dem Wiener Westen. Böse Zungen behaupten, dass dies teilweise immer noch der Fall sei.

Das Abenteuer Profifußball begann für Herbert Prohaska also gemeinsam mit Robert Sara, Karl Daxbacher und Erich Obermayer in Wien-Favoriten.

Mit Erfolg ging es weiter. Denn in acht Jahren wurde die Austria vier Mal Meister und holte drei Cuptitel. Auch international konnten einige Erfolge erzielt werden: Im Europacupfinale gingen die Österreicher aber mit der falschen Mentalität gegen den RSC Anderlecht ins Spiel. Klub und Fans waren mit dem Erreichen des Endspieles schon so zufrieden, dass sie sich dachten, egal ob sie verlieren oder gewinnen, sie seien sowieso Sieger.

0:4 stand nach 90 Minuten auf der Anzeigetafel und die violetten Kicker verließen das Pariser Prinzenparkstadion mit hängenden Köpfen. Prohaska ärgert diese falsche Einstellung bis heute, ebenso wie die Tatsache „dass wir mit unserer offensiven Spielweise a g’fundenes Fressen für die beste Kontermannschaft Europas waren.“

Der Edelzangler mutierte zum beliebtesten Spitzkicker Österreichs als er das Nationalteam 1977 mit eben diesem Spitz zur WM nach Argentinien schoss. Sein grün-weißes Pendant Hans Krankl wurde dort zum Helden, als Österreich Deutschland anschließend nachhause schickte. Córdoba brauchen wir aber hier nicht aufwärmen.

Prohaska findet diesen Sieg heute überbewertet. Schließlich wird gerne vergessen, dass auch Österreich nichts mehr zu gewinnen hatte und das Ausscheiden des Teams bereits vor dem Anpfiff feststand: „Córdoba ist mir […] zu banal. Kaum zieht uns irgendein Deutscher mit irgendwas auf, sagen wir Österreicher: Jaja, aber damals, in Córdoba …! […] Aber leben können wir heute nicht mehr davon.“
Auf Vereinsebene wechselte Prohaska schließlich zu Inter Mailand, wo er der erste Ausländer seit langer Zeit war. Dort spielte er zwei Saisonen lang und holten den italienischen Cup, mit der AS Roma wurde Prohaska anschließend italienischer Meister. Selbst Adriano Celentano, glühender Interfan, stand bei „Schneckerl“ um ein Autogramm an.

Nach dem italienischen Märchen kehrte Prohaska zu „seiner“ Austria zurück. Dort musste er nach sechs Jahren seine Fußballschuhe 1989  an den Nagel hängen. Die marode Achillessehne machte ihm seine Abschiedssaison zur Hölle.

Kurz danach stand er schon als Trainer auf dem Platz. Und das obwohl Prohaska eigentlich Übungsleiter für Kinder werden wollte. Voerst gab es ein kurzes Intermezzo als violetter Sportdirektor. Austria-Boss Joschi Walter hatte aber die Zügel fest in der Hand und schanzte seinem ehemaligen Lieblingsspieler nur kleine „G’schaftln“ zu.

Als Trainer setzte Prohaska seine erfolgreiche Karriere fort: 1990 konnte er den Cuppokal erringen, 1991 die Meisterschale und 1992 wurde das Double nach Favoriten geholt.

Seine Laufbahn als Nationaltrainer war weniger erfolgreich: Zwar konnte das ÖFB-Team unter seiner Leitung 1998 zur WM nach Frankreich fahren, Herberts Trainerssessel kippte aber ein Jahr später mit einem 0:9 gegen Spanien um. Das obwohl mit Platz 17 in der FIFA-Weltrangliste die bisher beste Platzierung des Nationalteams erreicht wurde.

Danach war er wieder einmal in Favoriten zu Gast. Aber der damalige Austria-Großsponsor, heutige Neo-Politiker und Autoersatzteilgreissler Franz Strohsack alias Frank Stronach und der legendäre Spielmacher waren sich nicht grün bzw. violett.
Der Feind in meinem Bett

Stronach wollte sich nicht als Geldgeber im Hintergrund halten, sondern in sportlichen Belangen bei der Austria kräftig mitmischen. Obwohl er mit der Materie Fußball nur bedingt vertraut war.

Der Duft des Geldes zog viele Manager und selbsternannte Berater, die auf schöne Provisionen hofften, an den Verteilerkreis. Svetits, Rudas und Co. schnitten sich ihre Stücke vom Kuchen ab: Spieler wurden auf Onkel Franks Wunsch geholt ohne auf das taktische System Rücksicht zu nehmen, B-Stars und abgehalfterte Ex-Weltklassekicker gaben sich bei der Austria die Klinke in die Hand.
Auch Prohaska wollte Stronach für sein Projekt gewinnen. „Wieviel willst du verdienen?“, war die erste Frage, die der austro-kanadische Geschäftsmann dem Wiener stellte. Ein großer Austrianer, wie Prohaska, müsse es schließlich um die Hälfte machen. Sein Lohn sei mit einer ersehnten Arbeitsstelle bei FAK ja eh schon abgegolten.

Freunde werden die beiden nicht mehr. Trotzdem saß Prohaska nochmals ein Jahr lang bis zum Mai 2000 auf der Trainerbank. Dann war Schluss: „Ich habe mit der Austria meine sportliche Familie verloren.“, sagte „Schneckerl“ als er entlassen wurde.

Stronachs Anfangssympathie war bald verflogen, als vielen Austriafans klar wurde, was gespielt wird. Getreu ihrem Image vom Traditionsverein war auch im Intimstreit Frank vs. „Schneckerl“ die Solidarität nur auf einer Seite: „Wir brauchen keine Millionen von Stronach sondern Schneckerl.“ stand u.a. auf einem Fan-Spruchband.

Prohaska war froh weg zu sein, gerade wegen seiner Liebe zur Austria: „Zu diesem Zeitpunkt hat meine Austria nicht mehr existiert. Sie war eine Firmenmannschaft von Magna. Fast alle, die im Klub etwas zu bestimmen hatten, waren von Magna.“

Magna verschwand 2007 gänzlich aus den violetten Führungsetagen. Die Fans hatten gewonnen und jeder, dem die Zukunft des Vereins wichtig war, atmete auf.

Denn im Verhältnis zu Stronachs Investitionen waren seine Erfolge mickrig: Zwei Meistertitel (2003 und 2006) sowie ein Cuptriumph (2004) standen zu Buche als der Sponsor seinen Hut nahm.

Hallo aus dem Fernseher: Eine violette Legende für jedermann

ORF-Kommentator, Zeitungskolumnist, Schirmherr der Ersten Liga, Österreichs Fußballer des 20. Jahrhunderts und Jahrhundertfußballer der Austria Wien stehen seitdem auf Prohaskas Visitenkarte.

Nach jedem Champions-League-Abend wünscht der gebürtige  Simmeringer den ORF-Zuschauern eine „Gute Nacht“. Er ist ebenso für übertragene Cupspiele, WM- oder EM-Matches zuständig. Prohaska ist eine fixe ORF-Fußballfigur geworden.

Seine Sprechweise sowie sein kreativer Satzbau inklusive Grammatikfehler sind Charakteristikum seiner Analysen. Doch die Tatsache, dass sich andere darüber lustig machen, scheint Herbert nicht zu stören. Dativ hin, Akkusativ her. Ein Weltklassekicker mit Bilderbuchkarriere muss nicht auch noch im rhetorischen oder dialektischen Bereich glänzen.

Eine Rückkehr auf die Trainerbank kommt für „Schneckerl“ nach eigenen Aussagen nicht in Frage: Die Familie hat Vorrang, mit dieser lebt er skandalfrei im Wiener Umland.

Dennoch ist er bei Fußballfragen präsent. Auch neben seiner ORF-Tätigkeit wird die ehemalige Nummer 8 oft nach ihrer Meinung gefragt. Prohaska bleibt dabei wie er ist, anders wollen wir ihn auch gar nicht.

Der abseits.at – Platzheld-Check:
Name: Herbert „Schneckerl“ Prohaska
Alter: 58
Position: Mittelfeld
Dienstzeit beim Verein: 1972–1980 und 1983-1989
Spiele/Tore: 453/97

Unvergessener Moment? Auch ein „Schneckerl“ hat einmal ausgedient.
Austria gegen GAK, das letzte Saisonspiel im Jahre 1989: Herbert Prohaska beendet seine Karriere und die Fans laufen auf das Feld und stemmen die violette Ikone gen Himmel. Die Tränen fließen auch bei Prohaska. Schon am Beginn des Spieles hatte die Nummer 8 feuchte Augen: „Ich hab das bis dahin immer verdrängt und dachte, Fußball dauert ewig. […] Und dann war es aus.“

Darum lieben ihn die Fans: Prohaska passte perfekt zur Austria. Deren „Scheibalgspü“ war eindeutig seine Sache, gepaart mit seinem Ehrgeiz wurde der Simmeringer so zu einer Trumpfkarte im violetten Angriff.

Ein Urwiener, der Glanz in ein Team brachte, das von schönem Fußball lebt. Sein „Standing“ in der Mannschaft und seine internationale Karriere machten aus ihm einen der erfolgreichsten Austrianer und einen Fanliebling. Mit seinen Qualitäten auf dem Platz und in der Halle spielte er sich in so manches Herz eines Anhängers. Unvergessen sind auch seine Diskussionen mit Schiedsrichter: „Ich wollte gar nicht unparteiisch sein. Jeder Pfiff gegen die Austria war ungerecht und jeder Pfiff für sie gerecht.“ Herbert spricht aus, was alle wissen: Er ist Austria-Fan.

Darum liebt ihn der Verein: Eleganz, Wendigkeit und Einsatzwille: Das ist der Fußballer Prohaska.

Austria Wien deren Ikone Matthias Sindelar bis heute über Monte Laa schwebt, hatte in Prohaska einen Vertreter auf Erden für den auf tragische Weise verstorbenen Star-Spieler gefunden.

„Seiner“ Austria blieb er auch nach seiner aktiven Zeit treu, erst als Sportdirektor und bald darauf als Trainer.

Besonders die Europacuperfolge der Wiener wären ohne Prohaska nicht möglich gewesen. Als Trainer und Spieler wurde er mehrmals Meister und Cupsieger. Außerdem erlebte Prohaska auch eine internationale Karriere. Wie bei Hans Krankl auf der Seite Rapid Wiens kann sich so der Verein schmücken einen Weltklassekicker hervorgebracht zu haben.

Blumenspende oder Denkmal? 2011 wurde Herbert zum Jahrhundertspieler der Austria gewählt. Sichtlich gerührt erklärte er bei der Gala in der Wiener Stadthalle, dass es für ihn keinen größeren Klub als den Verein aus Favoriten gebe.

Herbert vereinigt alles, was eine Ikone ausmacht: Er war ein herausragender Spieler, er feierte viele Erfolge und er liebt „seinen“ Verein von Herzen.

Stürmerstar und Wunderteamkicker Matthias Sindelar bleibt Austrias Gottvater, doch „Schneckerl“ sitzt eindeutig zu seiner Rechten. Er ist der beliebteste Ex-Spieler, der unter den Lebenden weilt.

In Wachs gibt es Herbert Prohaska schon bei Madame Tussauds im Wiener Prater zu bestaunen, dennoch ein „Schneckerl“ aus Stein muss auch irgendwann her! Und wenn die Tauben darauf s*******, dann sehr elegant. So wie Prohaska eben spielte.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert