Die Fehler von gestern sind die Sorgen von heute – Quo vadis, Rapid?
Bundesliga 29.Oktober.2011 Archimedes 7
Wir schreiben den 22. August 2005: Die Schweiz wird gerade von einem Jahrhunderthochwasser heimgesucht, in Vorarlberg herrscht Ausnahmezustand. In Moskau schreibt ein Slowake österreichische Sportgeschichte. Als Josef Valachovic in der 84. Minute des Rückspiels in der Qualifikation für die Champions League gegen Lok Moskau das 0:1 erzielt, schwebt die grün-weiße Seele auf Wolke sieben. Jetzt, über sechs Jahre danach, ist Tristesse in Hütteldorf eingekehrt. Kein Europacup, schwache Leistungen, ratlose Trainer – Rapid steht kurz davor, in das Mittelmaß abzurutschen. Wie es dazu kommen konnte und warum Peter Schöttel die Fehler seines Vorgängers ausbaden muss.
Peter Schöttel stand ein Wechsel mit riesiger Tragweite bevor. Vom ruhigen und beschaulichen Wiener Neustadt, wo seine Hauptaufgabe die Entwicklung junger Talente war, wagte sich der Wiener in die Schlangengrube Rapid. Dass sich seine Philosophie mit dem Wechsel schlagartig ändern müsse, war Schöttel wohl von Anfang an klar – die Durchsetzung des Paradigmenwechsels wurde aber nie wirklich vollzogen. In Wiener Neustadt konnte Schöttel viel experimentieren, Spieler auf verschiedenen Positionen einsetzen, um zu sehen, wie sie mit welcher Aufgabe zurecht kommen würden. Auch bei den Neuzugängen war es der 44-Jährige aufgrund der äußerst beschränkten finanziellen Mittel der Niederösterreicher gewöhnt, sich im Unterhaus des österreichischen Fußballs umzusehen. Die (im Stadion selten vorhandenen) Fans hatten Geduld mit Mannschaft und Trainer und stellten nicht allzu große Forderungen. In Neustadt war man einfach nur froh, wieder Bundesliga-Fußball sehen zu können.
Eine neue Welt
Mit dem Wechsel nach Wien zum Rekordmeister änderte sich allerdings alles schlagartig. Bei Rapid sitzen nicht 3.000, sondern 15.000 Zuschauer im Stadion – und Hunderttausende vor den Fernsehgeräten, und wollen ihre Mannschaft siegen sehen. Niederlagen werden nicht akzeptiert, ein Platz unter den ersten drei ist Pflicht. Im Idealfall sollte Grün-Weiß immer bis zum Schluss um den Meistertitel mitspielen. Eine große Last für einen jungen Trainer, der die Idylle aus Wr.Neustadt gewöhnt ist. Dass die Uhren in Hütteldorf anders ticken als in Neustadt bekam Schöttel bereits in der Sommerpause zu spüren. Er verlängerte die Verträge von Soma und Heikkinen, was ihm aus den Reihen der Fans heftige Kritik einbrachte. Den Vorwurf, zwei in die Jahre gekommene Legionäre um teures Geld unnötig verlängert zu haben, muss sich Schöttel gefallen lassen. Bei seinem Amtsantritt sprach Schöttel immer wieder davon, neue, junge, dynamische Spieler zu Rapid holen zu wollen. In Thomas Prager, Guido Burgstaller, Thomas Schrammel oder Deni Alar glaubte er genau diese Spieler gefunden zu haben.
Verletzungspech
Kaum waren die neuen Spieler an Bord, begann eine schaurige Verletzungsserie. Thomas Prager verletzte sich an Schulter und Knie schwer, Thomas Schrammel erlitt einen Kreuzbandriss, Guido Burgstaller fiel nach einer schweren Verletzung monatelang aus. Vor allem der Ausfall des jungen Kärntners muss Schöttel hart getroffen haben, spielte der ehemalige Wr.Neustädter ja eine zentrale Rolle in den Planungen Schöttels. Zuletzt erwischte es Jan Novota, den slowakischen Torhüter, der geholt wurde, um Helge Payer in einem harten Konkurrenzkampf zu besseren Leistungen zu pushen. Zu den zahlreichen Verletzungen gesellten sich Krankheiten und kleinere Blessuren. So konnte Schöttel von Anfang an nicht die Mannschaft aufbieten, die er sich vor der Saison vorgestellt hatte.
Die Fehler von gestern sind die Sorgen von heute
Ein paar Verletzte, ein neuer Trainer, eine schwache Saison – das alles ist zwar ärgerlich, kann aber trotzdem nicht der Grund sein, warum Rapid in sechs Jahren von einem Champions-League-Starter zum Underdog in der Bundesliga mutierte. Die Gründe für die derzeitige sportliche Situation sind nicht in der heurigen Saison zu suchen, sondern deutlich früher. Konnte man die Verkäufe von Ivanschitz, Korkmaz, Maierhofer oder Hoffer noch erstaunlich gut verkraften, scheint es jetzt so, als ob es die Hütteldorfer mit ihrem Abverkauf etwas übertrieben hätten. Auf Ivanschitz folgte Boskovic, auf Korkmaz folgte Drazan, auf Maierhofer und Hoffer folgte Jelavic. Nahezu jeder Verkauf konnte kompensiert werden, durch die Erlöse konnten Löcher im Budget gestopft und vergleichsweise günstiger Ersatz verpflichtet werden. Dass man bei Neuverpflichtungen aber nicht immer ein derart glückliches Händchen haben kann, hätte schon damals jedem klar sein müssen.
So kam es, wie es kommen musste: Nach den Abgängen von Jelavic und Boskovic fand Rapid keinen Ersatz, der in die großen Fußstapfen der beiden Spieler treten konnte. Von Jelavic ließ sich Rapid erfolgreich erpressen, Branko Boskovic, der nie aus Wien weg wollte, konnte aufgrund eines dubiosen Managers und dessen Forderungen nicht gehalten werden. Als diesen Sommer auch noch Pehlivan, Kavlak und Kayhan gingen, war nicht mehr viel übrig von der erfolgreichen Rapid-Mannschaft der letzten Jahre. Aus dem Jahr 2005 sind mit Hofmann und Payer nur noch zwei Spieler der Startaufstellung vom „Wunder von Moskau“ im Kader; auch aus der Mannschaft, die in der Europa League gegen Aston Villa, den HSV oder Celtic Glasgow aufzeigte, haben viele Spieler Rapid den Rücken gekehrt.
Die „New Generation“ braucht noch Zeit
Jetzt sollen neue Helden produziert werden. Nach Korkmaz oder Hoffer soll nun eine dritte Generation dem Rapid-Spiel seinen Stempel aufdrücken. Guido Burgstaller, Atdhe Nuhiu, Thomas Schrammel oder Deni Alar sollen den Stamm für die nächsten Jahre bilden. Das Problem dabei: Zu Beginn brauchen junge Spieler Routiniers neben sich, an denen sich die Youngsters „festhalten“ können. Diese Routiniers hätte Rapid in der Theorie – nur sind sie viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Salihi darf nur ab und zu spielen, Payer fand seit seiner Thrombosenerkrankung nie zur alten Stärke zurück, Hofmann ist gezeichnet von den Verletzungen und Überbelastungen der letzten Jahre. Spieler wie Thomas Prager oder Harry Pichler sind noch nicht lange genug im Verein, um bereits die so dringend benötigten Führungsspieler zu sein, Ragnvald Soma und Markus Heikkinen stellen eher Unsicherheitsfaktoren als zuverlässige Führungspersönlichkeiten dar.
Die Lösung: Ein alter Bekannter
Am meisten schmerzt Rapid wohl immer noch der Abgang von Branko Boskovic. Der Montenegriner entlastete Hofmann im Offensivspiel, leistete Defensivarbeit, ordnete das Spiel im Zentrum und gab jüngeren Spielern wie Kavlak oder Pehlivan die nötige Sicherheit, um mit Selbstvertrauen und Mut große Spiele abzuliefern. Jener Boskovic, der mittlerweile in der bei Spielmachern unbeliebten amerikanischen Liga MLS kickt und gerne wieder nach Wien zurückkehren würde. Rapid könnte ihn gut brauchen, Boskovic selbst hat Sehnsucht nach Wien – Herr Schöttel, Sie sind am Zug!
Archimedes, abseits.at
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