Die grün-weiße Stimmung kippt: Die 12 großen Rapid-Probleme
Bundesliga 4.Oktober.2016 Daniel Mandl 1
Nach 18 Pflichtspielen unter Mike Büskens ist Rapid einmal mehr in einer hausgemachten Krise angekommen. Dabei ist noch gar nichts passiert. In der Meisterschaft muss man zwar bereits einen Respektabstand auf die Tabellenspitze verkraften, aber die Saison ist noch lang und viele Punkte zu vergeben. In der Europa League hat man weiterhin alle Chancen auf den Aufstieg, im Cup wurde das Soll glanzlos aber doch erfüllt. Es geht – wie so oft bei Rapid – um das Wie. Und das in vielen verschiedenen Bereichen.
Die Mär von den tief stehenden Gegnern
Als typisches Argument werden immer wieder die Probleme gegen destruktive, tief stehende Mannschaften angegeben. Die einzige Mannschaft, die in der laufenden Saison gegen Rapid außerordentlich tief stand, war Torpedo Zhodino. Gerade in den letzten beiden Ligapartien gegen St.Pölten und Ried traf Rapid aber auf Mannschaften, die keineswegs mauerten oder den sprichwörtlichen „Bus“ parkten. Rapid wurde nicht vor unlösbare Probleme oder zu enge Räume gestellt, sondern spielte einfach schlecht.
Gleicher Ballbesitz, geringere Höhe
Dass die Gegner gegen die Hütteldorfer nicht mehr zwangsläufig tief stehen müssen, hat auch mit der Höhe des Rapid-Spiels zu tun. Weiterhin hat Rapid enorm viel Ballbesitz, gegen die SV Ried waren es 75,6%. Allerdings liegt der Schwerpunkt des Rapid-Spiels im Vergleich zur Vorsaison eine Reihe tiefer. Unter Zoran Barisic fädelte sich Rapid nah am gegnerischen Sechzehner auf – unter Mike Büskens hat die Vorsicht und das häufige Neuaufbauen einen noch höheren Stellenwert als unter Barisic, der selbst auch nicht gerade für Hurra-Fußball bekannt war. Dass Christopher Dibon in Ried mit 103 Ballaktionen der „aktivste“ Spieler war, spricht Bände. Die gesteigerte Direktheit der ersten Saisonpartien kam in den letzten Wochen komplett abhanden.
Um Plan A kümmern, bevor Plan B konstruiert wird
Wie unter Barisic ist auch unter Büskens der fehlende Plan B ein Thema. Die Optionen mit zwei Stürmern zu spielen oder vermeintlich schwächeren Gegnern eine Dreierkette entgegenzusetzen, um das Mittelfeld massiver zu machen, werden weiterhin nicht in Erwägung gezogen. Fakt ist aber auch, dass ein Plan B hinten angestellt werden muss, solange noch nicht mal Plan A funktioniert. Bei Rapid, das gerade in dieser so wichtigen Saison 2016/17 eigentlich eine „fertige“ Truppe sein sollte, mangelt es an den einfachsten Dingen. Das schlechte Passspiel, die verlorenen Schnittzweikämpfe, schlechte Verbindungen und letztlich auch der fehlende Mut zum Risiko sorgen dafür, dass Rapid einfach keinen guten Fußball spielt. Dies gilt es abzustellen, bevor man über neue formative Facetten nachdenken kann.
Entscheidende Zweikämpfe
Statistisch betrachtet ist Rapid nicht zweikampfschwach. Gegen Ried, wo alles schief ging, gewann man zwar nur 42,9% der Zweikämpfe, beim ebenfalls zähen Spiel in Wolfsberg gewann man aber mehr als der Gegner. Es kommt hier aber nicht auf nackte Zahlen, sondern auf die Art und Wichtigkeit der Zweikämpfe an. Im Mittelfeld verliert Rapid immer wieder die wichtigsten Schnittzweikämpfe, gewinnt im zweiten Drittel viel zu wenige zweite Bälle. Büskens erklärte vor der Saison keine Erfolge garantieren zu können – sehr wohl aber, dass seine Mannschaft „alles reinhauen“ würde, um Erfolg zu haben. Derzeit hauen sich die Gegner jedoch mehr rein, speziell was den fundamentalsten Eckpfeiler des Fußballs, nämlich die Zweikämpfe, angeht.
Bei 1:4 mehr Einsatz, als bei 0:0 – schlechtes Gewissen?
Rapid startete in das Spiel gegen Ried als wäre es ein Vorbereitungsspiel. Auch andere Spiele, zumeist auswärts, aber auch daheim gegen Trencin, waren reich an grün-weißer Offensivlethargie. Als man in Ried bereits mit 1:4 zurücklag, rannten die Rapidler aber plötzlich, als ginge es um ihr Leben. In einer aussichtslosen Situation schien das schlechte Gewissen die Büskens-Elf noch einmal anzutreiben. Und siehe da: Man erzwang immerhin das zweite Tor. Würde Rapid immer so feurig auftreten wie in den praktisch sinnlosen letzten Minuten in Ried, hätte die Mannschaft vermutlich keine Probleme und etliche Punkte mehr auf dem Konto.
Ried musste Rapid nicht niederkämpfen
Wenn eine qualitativ unterlegene Mannschaft dem Favoriten vier Tore einschenkt, dann hat das nicht mehr primär mit einer starken kämpferischen Leistung zu tun. Ried hat Rapid tatsächlich spielerisch und mit einer gehörigen Portion Mut geschlagen. Die Innviertler gaben den hilflosen Hütteldorfern den Ball, konterten zielgerichtet, schufen aber auch Kontrolle. Ohne sehr tief zu stehen. Rapid ist (zumindest auswärts) in der momentanen Verfassung schlichtweg nicht besser als Ried an einem guten Tag. Dass es um die Spielstärke Rapids allgemein nicht gerade gut steht, zeigte auch das Cup-Spiel gegen Leobendorf. Auch der Landesligist stand nicht tief und versuchte ein wenig mitzuspielen. Die Erhabenheit eines Bundesligisten merkte man selbst gegen die Amateure in keinem Moment des Spiels.
„Keine Einheit“
Andreas Müller kritisierte in einem Kurier-Interview, dass die Mannschaft keine Einheit sei. Damit hat der Sportvorstand auch durchaus Recht und abgesehen von möglichen mannschaftssozialen Problemen äußert sich dies speziell darin, wie das Spiel der Hütteldorfer aufgebaut ist. Nur sehr selten gelingen den Hütteldorfern konkrete Spielzüge, bei denen die beteiligten Akteure in geringem Abstand zueinander systematisch agieren. Vieles ist auf Zufall aufgebaut und mehrere Rapid-Tore in der laufenden Saison kamen dadurch zustande, dass sich Einzelne ein Herz nahmen. So richtig zu spielen beginnt Rapid stets erst, wenn der Gegner zerfällt. Einige Siege fielen sehr hoch aus, weil dies der Fall war. Dies ist jedoch etwas, das auch blenden kann, wenn man nicht genau genug hinschaut.
Schlüsselspieler außer Form
Zu allen allgemeinen und grundlegenden Problemen kommt hinzu, dass einige Schlüsselspieler außer Form sind. Ivan Mocinic wurde seinen Vorschusslorbeeren bisher nicht gerecht, bei Arnor Ingvi Traustason sitzt die Europameisterschaft tief in den Knochen, Thomas Murg sucht nach seinem Rhythmus, Maximilian Hofmann erwischte bisher eine rabenschwarze Saison und gleich mehrere gute Alternativspieler sind verletzt. Büskens‘ Antirotation und das völlig unverständliche, kategorische Ausschließen einzelner Akteure machen das aber nicht besser.
Rollenprobleme
Bei manchen Spielern hat man zudem den Eindruck, dass ihnen ihre Rolle nicht ausreichend bewusst ist. Gerade bei den zentralen Mittelfeldspielern wirkt es so, als gäbe es keine straffe Staffelung oder einen Plan, was mit dem Ball zu passieren hat. Gegen den Ball spielt Rapid als Mannschaft gut, wie man etwa 30 Meter vor dem eigenen Tor in Bilbao beobachten konnte. Muss man aber das Spiel gegen einen konzentrierten Gegner machen, der keine Zweikämpfe scheut, mehren sich aufgrund des schwachen Positionsspiels und zu schwammiger Aufgabenverteilung Fehler. Hauptsächlich in Form von schlechten Pässen und Fehlern in der Lösungsfindung.
Der historisch gewachsene Rapid-Neuner fehlt
Mit Schwab und Schaub sind zwei Mittelfeldspieler die besten Torschützen Rapids in der laufenden Saison. Der brasilianische Leihstürmer Joelinton bringt hervorragende Anlagen mit, ist als höchst ballsicherer Spieler extrem wichtig für das Spiel Rapids – aber Knipser ist er (noch) keiner. Seit dem Abgang von Robert Beric im vergangenen August lechzt Rapid nach einem Goalgetter. Der Georgier Giorgi Kvilitaia könnte dies zwar sein, allerdings ist das Spiel der Hütteldorfer nicht ausreichend auf seinen Stil zugeschnitten. Hier käme wieder der mögliche Plan B ins Spiel. Wenn man aber es niemals versucht, was ein klassisches Zweistürmersystem, eine Dreierkette oder das wohl plausibelste Konzept einer Mittelfeldraute aus dem Spiel Rapids machen würden, wird man es auch nie erfahren.
Kippende Stimmung
Die Stimmung kippt, die Fans werden ungeduldig. Nach wie vor gilt, dass eine weitere Saison ohne Titel für die Anhängerschaft unentschuldbar wäre. Intern brodelt es, die Mannschaft ist derzeit nicht geeint und das Führungsgespann scheint momentan nicht wirklich zu wissen, wie man die Stimmung wieder ins Positive umschwenken lassen kann. Einige unpopuläre Entscheidungen des Trainers machen es zudem nicht Einfacher, entzweien Team und Öffentlichkeit noch mehr.
Absägen von alternden Größen
Konkret geht es um das Absägen von verdienten Spielern. Wenn jemand Steffen Hofmann absägt, dann ist es Steffen Hofmann selbst. Büskens tätigt allerdings keine hundertprozentig klare Aussage wie es mit dem Kapitän weitergehen soll, hält seine Zukunft eher rätselhaft und behandelt ihn weitgehend wie einen normalen Ergänzungsspieler, der der 36-Jährige nun mal nicht ist. Der gegen Ried erlittene Muskelbündelriss könnte aus diesem Thema nun ein wenig Brisanz nehmen. Fast noch unverständlicher ist aber das beinharte Kaltstellen der Personalie Mario Sonnleitner, der trotz schwacher Leistungen von Maximilian Hofmann praktisch nie im Rapid-Kader steht, obwohl er trainiert wie eine Maschine. Dass man mit Tomi auf eine weitere Offensivoption verzichtet, ist eher dem Österreicher-Topf geschuldet. Die Minimalchancen, die die Neuzugänge Maximilian Entrup und vor allem der bereits Bundesliga-erprobte Philipp Malicsek bekommen, seien hier noch völlig ausgeklammert.
Keine Sinnfrage
Einige Fans schreien bereits jetzt laut nach dem Rauswurf von Mike Büskens und auch Andreas Müller verspielte zuletzt eine Menge Kredit. Das ist aber natürlich viel zu früh und marktschreierisch. Weiterhin hat die Mannschaft ein Mentalitätsproblem, wenngleich sich dieses in den letzten Monaten ein wenig verschoben hat. Das Extrem Barisic wurde durch das Gegenextrem Büsskens ausgewechselt und Spieler und Verantwortliche würden nun gut daran tun, eine gesunde Mitte zu finden. Dann klappt’s auch wieder mit schönem Spiel und großen Siegen.
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Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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