Die „Sechs“ und die „Neun“: Diese Probleme kommen in den nächsten Wochen auf Rapid zu!
Bundesliga 16.September.2015 Daniel Mandl 0
Morgen trifft der SK Rapid zu Hause auf Villarreal und ist angesichts der aktuellen Baustellen wohl der größere Außenseiter, als es die relativ ausgeglichenen Wettquoten vermuten lassen. Die Partie gegen die Spanier, das erste Aufeinandertreffen mit einem Klub aus „La Liga“ seit knapp 34 Jahren, ist aber nur ein Extrembeispiel – die Probleme Rapids werden sich zumindest kurzfristig auch in die nächsten, vermeintlich leichteren Spiele weiterziehen.
Die letzten Wochen waren für Rapid wahrlich zum Vergessen. Robert Beric wechselte kurz vor Ende der Transferzeit nach Frankreich, die Champions-League-Gruppenphase wurde kurz zuvor um Zentimeter verpasst und nun muss man auch noch mehrere Wochen auf den Mittelfeldstabilisator Thanos Petsos verzichten. Der Grieche zog sich beim Nationalteam eine Innenbandverletzung zu. Gegen Villarreal muss Zoran Barisic zudem den rotgesperrten Abwehrchef Mario Sonnleitner vorgeben.
Sonnleitner muss zusehen
Beleuchten wir zuerst die defensiven Probleme: Mario Sonnleitners Fehlen gegen den Vorjahressechsten der Primera División wird voraussichtlich das geringste Problem sein. Im Sturmzentrum wird bei Villarreal der wuchtige Roberto Soldado beginnen, der über hohe individuelle Klasse und großen Torinstinkt verfügt, aber gleichzeitig auch ein Spieler ist, mit dem die anderen Innenverteidiger Rapids fertig werden könnten. Etwas wendiger sind die Zweitstürmer Villarreals – mit einem der beiden ist im 4-4-2-System von Trainer Marcelino zu rechnen. Auch Leo Baptistao und Cédric Bakambu könnten allerdings mit einer aggressiven Gangart „ruhiggestellt“ werden.
Update: Roberto Soldado wird nicht dabei sein, somit wird der Fokus Leo Baptistao und Cédric Bakambu, eventuell auch der Porto-Leihgabe Adrián López gelten.
Vieles hängt von den Flügelspielern ab
Schwerer wiegt Sonnleitners Ausfall wegen zu erwartender Ausweichwege auf die Flügel. Dort wurden in den letzten beiden Ligaspielen wieder mal Rapids defensive Schwächen offenbart, Stephan Auer und Mario Pavelic wurden gegen Altach bzw. Mattersburg in entscheidenden Momenten überlaufen. Ein schneller, intelligent hinausrückender Innenverteidiger kann hier natürlich für Entlastung sorgen. Dies war in der Vergangenheit, etwa zu Zeiten von Ragnvald Soma, ein typisches Problem der Hütteldorfer, das aber auch aufgrund der mangelnden Defensivarbeit der offensiven Flügelspieler hergeleitet wurde. Sonnleitner in der Defensivzentrale zu ersetzen ist eine Sache – eine, die Maximilian Hofmann an einem guten Tag positiv abwickeln kann. Der Stabilitätsverlust an den Flügeln muss durch offensivere Akteure abgefedert werden, wie es etwa Louis Schaub im Heimspiel gegen Shakhtar Donetsk bravourös schaffte. Gegen das Zweistürmersystem der Spanier muss die Mitte stets gut besetzt sein, die flinken Flügelspieler gedoppelt werden. Im ersten Gruppenspiel der neuen Europa-League-Saison wird einiges davon abhängen, wie positionstreu das Innenverteidigerpärchen spielen kann und wie oft es „nach außen“ gezwungen wird.
Petsos-Ausfall schmerzt
Während der Ausfall Sonnleitners drei Tage später, wenn es im Ernst-Happel-Stadion gegen den überraschenden Tabellenführer aus der Südstadt geht, kein Thema mehr sein wird, steht Rapids Mittelfeldzentrale vor einem spielerischen und positionstechnischen Problem. Thanos Petsos entwickelte sich im letzten halben Jahr nach und nach zu einem äußerst verlässlichen, passsicheren und zugleich kampfstarken Pol im Rapid-Mittelfeld. In der bisherigen Saison brachte Petsos 82,7% seiner Pässe an den Mann, gewann 56,1% seiner Zweikämpfe und 78,3% seiner Luftduelle.
Grahovac und Petsos mit ähnlichen Leistungswerten, aber…
Petsos‘ direkter Ersatzmann auf der Sechserposition ist Srdjan Grahovac, der verblüffenderweise ähnliche Statistiken aufweist: 81,1% erfolgreiche Pässe, 53,7% gewonnene Zweikämpfe und 76,9% gewonnene Luftduelle. Dennoch besteht zwischen Petsos und Grahovac ein markanter Unterschied, der sich auch statistisch belegen lässt: Petsos gelingt durchschnittlich eine Ballsicherung pro 16 Minuten, während Grahovac pro Ballsicherung 28 Minuten benötigt. Dies ist der Durchschnittsposition der beiden Legionäre geschuldet.
…Petsos ist die offensivere Pressinginstanz
Thanos Petsos fungiert zwar wie Grahovac als abkippender Sechser, nimmt im Verlauf des Spielaufbaus aber eine höhere Position ein, als der Bosnier. Grahovac fängt im Schnitt mehr Bälle ab als Petsos, was auch auf die mangelnde Passgenauigkeit der Gegner in der gegnerischen Hälfte zurückzuführen ist. Petsos fängt durch seine höhere Grundposition „wichtigere“ Bälle ab, zumeist geschieht dies in der gegnerischen Hälfte. Wenn Petsos einen Ball abfängt, hat er zumeist weniger Spieler vor sich, als wenn der tiefer spielende Grahovac einen Ball abfängt. Das Resultat daraus ist, dass Thanos Petsos in der bisherigen Bundesligasaison sechsmal in Richtung Tor schoss und fünf Torschüsse vorbereitete. Grahovac hat in beiden Kategorien noch die Null stehen.
Grahovac‘ tiefe Position schwächt Rapids Gegenpressing zwischen 2. und 3. Drittel
Die Zusammenfassung des Problems: Grahovac spielt tiefer, schafft es aber dennoch nicht, frisch gewonnenen Ballbesitz nachhaltig für Rapids Spiel zu sichern. Hier ist Petsos klar überlegen. Ob Grahovac der Box-to-Box-Rolle, die Petsos fast schon naturgemäß bekleidet, gewachsen ist, lässt sich schwer beurteilen, weil er sich nur sehr selten aus der Reserve locken lässt und viel zu wenig am Offensivspiel Rapids teilnimmt. Dass Grahovac seine Passstatistiken im letzten Jahr deutlich verbesserte und auch in seiner Athletik Fortschritte machte, lässt vermuten, dass der 22-Jährige diese Rolle ebenfalls einnehmen könnte. Allerdings tat er es – zumindest bei Rapid – noch nie, was uns in Mutmaßungen zwingt. Grahovac ist im Spiel gegen den Ball konstanter als Petsos, dies ist aber aktuell nicht die Anforderung, sondern wäre für Rapid dann wertvoll, wenn Grahovac neben dem mit höherem Aktionsradius operierenden Petsos spielen würde.
Die Alternative nach dem Abgang von Robert Beric
Das dritte zentrale Problem Rapids betrifft das Sturmzentrum. Robert Beric war ein kompletter Stürmer, der außergewöhnliche Passstatistiken aufwies, Bälle perfekt abdeckte und sicherte und zudem noch brandgefährlich im Strafraum war. Barisic sieht aktuell Deni Alar und Philipp Prosenik als kurzfristige Alternativen, weil er die kroatische Neuverpflichtung Matej Jelic nicht verheizen will. Alar und Prosenik sind jedoch beide nicht der Weisheit letzter Schluss. Prosenik ist für das unter Barisic typische Rapid-Spiel nicht geschaffen und nur situativ wertvoll. Alars Hauptprobleme liegen im physischen Bereich und auch in der Entscheidungsfindung. Somit muss Barisic erfinderisch sein.
Stilmittel im Sinne des Gesamtkonzepts: Zweikämpfen aus dem Weg gehen
Während Alar sich immer wieder in Freiräume bewegt und Schnittstellen sucht, zieht Prosenik möglichst viele Zweikämpfe. Allerdings in Zonen, in denen es manchmal besser wäre, Zweikämpfen aus dem Weg zu gehen. Die beiden Angreifer standen in der bisherigen Bundesligasaison fast gleich lange auf dem Platz. Während Alar 29 Zweikämpfe bei 24,1%iger Erfolgsquote führte, verschlug es Prosenik unglaubliche 61-mal in Duelle, von denen er nur 18 gewinnen konnte (29,5%). Somit führte Prosenik in der bisherigen Saison im Schnitt alle 4,4 Minuten einen Zweikampf. Dies ist für das Spiel Rapids jedoch kontraproduktiv, weil der Ausgang dieser Zweikämpfe stets eine Unbekannte darstellt und den Faktor Zufall ein gehöriges Wörtchen im Spielfluss Rapids mitsprechen lässt.
Die irren Beric-Statistiken
Das größte Problem stellt aber die mangelnde Torgefahr dar: Alar und Prosenik standen in der laufenden Saison zusammen in allen Pflichtspielen insgesamt 570 Minuten auf dem Platz. In dieser Zeit gelangen den beiden in Personalunion zwei Tore, ein Assist und ein Assist-Assist. Robert Beric stand bis zu seinem Abgang 729 Minuten auf dem Feld und bejubelte in dieser Zeit sechs Tore, fünf Assists und fünf Assist-Assists. Der Slowene war perfekt ins Spiel der Hütteldorfer eingebunden und kann von Alar und Prosenik sowohl spielerisch, als auch was seine Vollstrecker-Qualitäten betrifft, nicht ersetzt werden.
Unbekannte Jelic ausspielen?
Matej Jelic ist nun die große Unbekannte in der Rapid-Spitze. Ob Jelic besser spielt als Alar oder eine bessere Zweikampfführung an den Tag legt als Prosenik, lässt sich aufgrund des Klassenwechsels des einstigen Zilina-Torjägers nur schwer beantworten. Tatsache ist aber, dass der 24-Jährige vor seinem Wechsel zu Rapid einen Lauf hatte und praktisch nach Belieben traf. Die offensiv zahnlose Leistung in Altach wirkte wie ein Rückfall in alte Muster. Rapid wurde ohne großen Aufwand aus der Gefahrenzone ferngehalten und erarbeitete sich nur sehr wenige Torchancen. Jelic ist ein Spieler, der Riecher und Fokus auf gefährliche Situationen hat. Die offensive Dreierreihe hinter der Solospitze ist durchwegs in der Lage, tödliche Pässe zu spielen und kann zahlreiche Bälle in den Strafraum bringen. Die Unbekannte Jelic auszuspielen – auch weil die Gegner ihn noch nicht kennen – wäre demnach auch schon jetzt ein legitimes Mittel. Rapid hat zwei Optionen, wie man kurz- bis mittelfristig mit der veränderten Situation in Bezug auf Einbau der Sturmspitze umgehen könnte.
Die „falsche Neun“ Deni Alar
Die erste Option wäre ein „Einserstürmer“ Deni Alar. Damit würde Rapid mit typischer „falscher Neun“ agieren und müsste den Fokus in Bezug auf Torabschlüsse eher auf die Flügel lenken. Alar würde die antizipative Rolle einnehmen, die Bälle mit dem Rücken zum Tor eher auf die Seiten verteilen und abtropfen lassen. Die Rolle des erfolgreichen und abschlussstarken Strafraumstürmers nahm Alar nur ein halbes Jahr unter Schöttel ein, als die Spielanlage eine andere war. Es ist nicht zu erwarten, dass Alar im neuen Rapid-System, auch angesichts der noch destruktiveren Spielweise der Gegner gegen die Hütteldorfer, wieder zu einer Strafraumkobra avanciert. Alar als Solospitze würde allerdings die geringste Veränderung im grundlegenden Kombinationsspiel Rapids bedeuten.
Umdenken: Muss Rapid die Rolle des Angreifers neu definieren?
Die zweite Option ist ein Umdenken an vorderster Front und zugleich eine partielle Rückkehr zu historisch gewachsenen Rapid-Tugenden: Ein „echter Neuner“. Prosenik und Jelic bringen die Voraussetzungen für einen Stoßstürmer mit, sind allerdings von Veränderungen hinter sich abhängig. Wenn Rapids Angreifer in Zukunft weniger antizipiert und sich stärker auf die unmittelbare Gefahrenzone konzentriert, muss auch das Mittelfeld anders spielen. Etwa mit mehr Halbfeldflanken oder noch stärkerem Einrücken der Flügelspieler, um Pässe anzuziehen, die sonst Beric verarbeitet hätte. Natürlich steht es außer Frage, dass auch ein Mittelstürmer mit Namen Prosenik oder Jelic so konsequent wie möglich ins Kombinationsspiel eingebunden werden muss. Allerdings kann dies nicht mehr auf demselben qualitativen Level geschehen, wie es mit Beric möglich war.
Optionen hin oder her: In erster Linie verlor Rapid Qualität
So oder so bringt die aktuelle Personalsituation im Angriff eine Erkenntnis: Die Ära Beric war eine außergewöhnliche und so stark wie mit dem Slowenen ist Rapids Offensivmaschinerie nun mal nicht mehr. Nun liegt der Ball beim Trainerteam der Grün-Weißen, das an einigen, wenn auch kleinen Schrauben drehen muss, um das Spiel leicht zugunsten des veränderten Stürmertypus zu adaptieren. Mittel- und langfristig läuft aber alles auf einen „Einserstürmer“ Matej Jelic hinaus: Wenn der Kroate den bemühten, aber spielerisch nicht immer intelligent agierenden Philipp Prosenik nicht „überholen“ kann, hätte man ihn gar nicht erst holen müssen. Und der wankelmütige Deni Alar, der zwar gut in Barisic‘ Philosophie passt, aber die total-offensive Präsenz Rapids deutlich einschränkt, kann schon aufgrund der zu erwartenden, eher niedrigen Trefferquote keine Lösung für die Zukunft sein.
Neuerlicher Entwicklungsprozess
Bis die nötigen Adaptierungen an Rapids vorderster Front greifen, wird es mehrere Wochen bis Monate dauern und so sieht das grün-weiße Fanlager einer bangen Zeit entgegen. Gerade in der wohl wichtigsten Phase der Herbstsaison, brachte sich Rapid selbst stark unter Druck und sollte im Idealfall sofort Lösungen präsentieren. Eine kurzfristige und gleichzeitig nachhaltige Lösung ist jedoch nicht zu erwarten – weder gegen den Favoriten aus Villarreal, noch drei Tage später gegen eine tiefstehende Admira mit ordentlichem Selbstvertrauen. Rapid steht somit wieder vor einer Art Entwicklungsprozess. Den letzten, ähnlichen Prozess setzte Barisic mit großer Geduld positiv um – sollte er dies nun zeitnah erneut schaffen, dann wäre der 45-Jährige denkmalreif.
Daniel Mandl, abseits.at
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Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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