Ein Sommermärchen und eine Titelverteidigung – „gallisches Dorf“ SV Ried bestätigt sich selbst!
Bundesliga 7.Januar.2012 Georg Sander 0
Für die großen Vereine wie Rapid oder Austria, die bereits vor gut hundert Jahren Meister werden konnten, bedeutet der Titel „Herbstmeister“ wenig bis gar nichts. Für die SV Ried, so etwas wie das gallische Dorf des österreichischen Fußballs, bedeutet dieser Titel so einiges – und zwei gleich noch mehr.
Das Transferfenster als Jungbrunnen
Das gallische Dorf – kein Verein besitzt sonst ein eigenes Stadion, niemand macht derzeit aus den wenigen Möglichkeiten so viel – verhielt sich am Transfermarkt sehr intelligent. Laut Bundesliga-Finanzreport betrugen die Personalkosten 2010/11 gerade einmal 4,27 Millionen Euro. Durch die Transfers von Daniel Royer, Samuel Radlinger (beide Hannover 96), Thomas Schrammel (SK Rapid Wien) und Florian Mader (FK Austria Wien) wurden alleine im Sommer um die zwei Millionen Euro lukriert. Abwehrchef Martin Stocklasa wechselte zum FC St. Gallen in die zweite Schweizer Liga, Ewald Brenner lässt seit dem Sommer seine Karriere bei Union Dietach ausklingen, Oliver Glasner musste unter tragischen Umständen seine Karriere beenden. Goalie-Routinier und Backup Hubert Auer würde gerne noch spielen, findet aber keinen Verein. Wolfgang Hesl kehrte zum Hamburger SV zurück. Peter Hackmair verließ die Rieder Richtung Wacker Innsbruck. Nachwuchsspieler Michael Sammer (Union Vöcklamarkt) ging in die Regionalliga Mitte, ebenso wie Innenverteidiger Lukas Gabriel (FC Wels). Letzterer wurde jedoch verliehen, genauso wie Spielmacher Philipp Huspek (FC Blau-Weiß Linz). Gehen musste auch Mark Prettenthaler (Kapfenberger SV).
Routiniers gingen, Junge kamen. Die zwei abgewanderten Torhüter wurden durch Wolfgang Schober (22, zuletzt von Red Bull Salzburg an TSV Hartberg verliehen) und Markus Beer (19, war an FC Gratkorn verliehen) ersetzt. Die Routiniers in der Verteidigung wurden ebenfalls durch junge, hungrige Spieler ersetzt. Emanuel Schreiner (22, LASK), Bienvenue Basala-Mazana (19, 1. FC Köln), Lukas Rotpuller (20, Austria Amateure), Martin Grasegger (22, SV Grödig) und Maximilian Karner (21, SV Grödig) – beide waren an die Salzburger verliehen – ersetzten Glasner, Stocklasa und Co. Im Mittelfeld erhielten Daniel Beichler (22, zuletzt MSV Duisburg, gehört Hertha BSC) und Marco Meilinger (19, geliehen von Red Bull Salzburg) Chancen, sich zu bewehren. Allzweckwaffe Thomas Hinum konnte sich bei Rapid Wien nicht durchsetzen, Nacho Casanova (Alicante CF) rundete das Einkaufsprogramm ab.
Mit einem Kader, der im Durchschnitt nicht einmal 24 Jahre alt ist, in die Saison zu gehen, ist entweder mutig oder dumm. Und die Grenze ist bekanntlich eine sehr dünne und der Erfolg entscheidet über Siegen oder Fliegen. Im taktischen Korsett von Paul Gludovatz scheint es aber so gut wie egal, wie jung die Truppe ist – es passt einfach. Ohne in Lobhudeleien zu verfallen, ist es ohnehin fast unmöglich, die Arbeit des Burgenländers und des Managers Stefan Reiter zu beschreiben. Ried macht das Klasse. Punkt.
Holpriger Start in die Saison und letzte Liga-Niederlage Anfang Oktober
Es war einigermaßen unruhig um den Cupsieger der vergangenen Saison im Sommer. Royer, Mader und Europacup machten es der jungen Mannschaft nicht leicht. Und dann hießen die ersten vier Gegner gleich Sturm Graz, Austria Wien, Rapid Wien und Red Bull Salzburg – 1:1, 1:2, 0:0, 1:3. Nach vier Runden war die SV Ried Letzter und hatte zwei magere Pünktchen am Konto. Um Abstiegsgerüchte gleich auszuräumen, ließen die Innviertler sicherheitshalber drei Siege gegen Mattersburg (3:2), in Kapfenberg (1:0) und am Innsbrucker Tivoli (5:0) folgen. Nach zwei Unentschieden daheim gegen den starken Aufsteiger Admira und die Wiener Neustädter setzte es am 2. Oktober eine 0:1-Niederlage gegen Sturm in deren UPC-Arena. Es sollte die letzte Niederlage bis zur Winterpause sein.
Ungeschlagen zum Halbzeitmeister
Einschließlich der elften Runde ist die SV Ried bisher ungeschlagen geblieben. Die Wiener Austria wurde mit einem 2:1-Heimsieg nach Hause verabschiedet, die Mattersburger hatten in der Keine-Sorgen-Arena derer viele und aus Salzburg wurde ein Punkt mitgenommen. Rapid konnte einen aus Ried mitnehmen, nachdem die Hütteldorfer am Nationalfeiertag daheim im Cup den kürzeren gezogen hatten. Gegen Kapfenberg und Wacker wurde standesgemäß gewonnen, gegen die Admira wieder 1:1 gespielt. In Runde 18 wurde Wiener Neustadt daheim mit 2:0 geschlagen und die SV Ried wurde zum zweiten Mal in Folge Herbstmeister. Wie bemerkenswert das ist, illustriert nochmals der Finanzreport: Nur Wacker und der KSV geben weniger Geld fürs Personal aus. Durch ein 1:1 zum Jahreskehraus gegen Sturm konnte Rapid in der letzten Runde noch knapp vor den Riedern überwintern. Gerade einmal drei Teams konnten gegen die Innviertler voll punkten, Red Bull als einzige in Ried. Dass der Plafond erreicht sein könnte, illustriert der Umstand, dass alle Spiele gegen die Teams aus dem Tabellenkeller gewonnen wurden – einzige Ausnahme ein 2:2 gegen den SC Wiener Neustadt.
Majestix‘ Taktik
Über das Rieder 3-3-3-1 von Paul Gludovatz ist viel geschrieben worden. Im Laufe der Saison griff er aber auch auf das „veraltete“ WM-System 4-2-3-1 zurück. Klarerweise ist die Viererkette derzeit „state-of-the-art“, weswegen sie ab und an den jungen Verteidigern mehr Sicherheit gab. Trotzdem hat sich bei Gludovatz ein bisschen was geändert. Der Burgenländer arbeitet Schritt für Schritt daran, vom reinen Konterfußball wegzukommen und mehr spielerische Akzente zu setzen. Insgesamt trafen 14 verschiedene Spieler in das Tor des Gegners – in einem statischen, rein auf Konter basierendem System würde sich diese Statistik viel stärker auf wenige Spieler konzentrieren und mehr Tore aus Standards durch große Abwehrspieler fallen.
Dass die Rieder Taktik nicht nur in heimischen Gefilden aufgeht, sondern auch europäischen (Top-)Teams einiges abverlangen kann, zeigen der Aufstieg gegen Brondby und die drei guten Halbzeiten gegen den PSV Eindhoven.
Moment der Hinrunde
Das 1:3 gegen Red Bull Salzburg. Warum hier eine Niederlage gewählt wurde? Weil die Veilchen bei ihrem Heimsieg den Siegtreffer in der letzten Minute schossen und Sturm in der eigenen Arena nicht ebenbürtig war. Das macht die Niederlage gegen die Bullen zum einzigen Spiel, welches die Rieder wirklich hergaben – und selbst da hatten sie mehr vom Spiel.
Fazit
Nicht auszudenken, was wäre, wenn bei allen Bundesligisten so toll gearbeitet werden würde, wie bei der SV Ried. Wenn man mit 13,2 Prozent des finanziellen Aufwands von Red Bull in der letzten Qualifikationsrunde zur Europa League scheitert und zur Halbzeit vier Punkte vor diesen steht, zeigt das, was mit konsequenter Arbeit auf allen Ebenen möglich wäre. Das wäre dann für die SV Ried natürlich schlecht, denn sie müssten gegen den Abstieg spielen. Um es noch einmal zu sagen: Ohne Lobhudelei sind diese Rieder, diese Gallier im Land der Geldverschwender, nicht zu beschreiben.
Georg Sander, abseits.at
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