Einer mit dem "Maierhofer-Gen": Warum Roman Kienast vom Verschmähten zum Top-Torjäger wurde
Bundesliga 22.August.2011 Daniel Mandl 0
3.August 2005: In einem unfassbar mühsamen Champions League Qualifikationsspiel gegen den F91 Düdelingen aus Luxemburg wird Roman Kienast in der 62.Minute ausgewechselt. Er trägt Grün-Weiß. Die Hälfte des Publikums applaudiert dem Trainer für diese Entscheidung, die andere Hälfte pfeift Kienast aus.
Zu diesem Zeitpunkt war der schlaksige Angreifer gerade mal 21 Jahre alt. Es war sein 46.Pflichtspiel für Rapid. Bis dahin machte er drei seiner zum Schluss insgesamt vier Tore für die Hütteldorfer. Die seltsame Situation gegen Düdelingen war nur die Spitze des Eisbergs – Kienast galt von Beginn an nicht als Fanliebling. Sein behäbiges Spiel stieß den Zuschauern Spiel für Spiel sauer auf. Er nahm teilweise nicht mal am Spiel teil, wartete auf altmodische Art und Weise auf seine Chancen, die er mit großer Sicherheit und Konsequenz auf haarsträubende Art versemmelte. Seine Leistung beim 3:2 gegen Düdelingen erinnerte an eine zwanzigstündige Sauftour, an deren Ende man mit zusammengepressten Dosen in den Straßen Fußball spielt.
„Aus dem wird nix!“
Schon in jungen Jahren hatte der gebürtige Salzburger also keinen leichten Stand, auch weil er – gemäß seiner Verwandten – ausgerechnet beim traditionell ungeduldigen SK Rapid seine ersten Schritte als Bundesligastürmer machte. Debüt im Alter von 18 Jahren, halbjähriges Leihgeschäft mit Altach, Fixstarter im U21-Nationalteam und dennoch immer wieder scharfer Kritik von Fanseite ausgesetzt. Nicht nur sein unspektakuläres Spiel und seine Schwächen im Abschluss boten Angriffsfläche, auch so manche Alkohol-Episode in bekannten Wiener Clubs erhöhte sein Standing bei den Fans nicht. Roman Kienast wirkte wie ein Fußballer, der bei Mittelständlern oder Abstiegskandidaten versumpern würde. Was man aber damals noch nicht ahnen konnte: Der heute 27jährige hat das „Maierhofer-Gen“ und rundete eine holprige Geschichte diesen Sommer damit ab, dass er Sturm Graz zum Meistertitel schoss.
In Norwegen zweitklassig, mit dem ÖFB bei der EM
Wenn man wie Kienast kurz vor seinem 22.Geburtstag nach Norwegen wechselt, um dort für Ham-Kam auf Torjagd zu gehen, zeugt das von Ehrgeiz oder zumindest einem Plan. Norwegen ist weiterhin ein verlässlicheres Karrieresprungbrett als die österreichische Bundesliga und so entschied sich der Angreifer schon in jungen Jahren für einen Umzug in den Norden. In seiner ersten Saison pendelte er zwischen Bank und Startelf, erzielte fünf Saisontore – und stieg ab. Doch trotz so mancher Anfrage blieb er Ham-Kam auch in der zweiten Liga treu und war mit 14 Toren am sofortigen Wiederaufstieg beteiligt. Kienasts Einberufung ins Nationalteam rief Verwunderung hervor – im ÖFB-Team sah man einen leicht veränderten Kienast auflaufen. Zwar immer noch etwas wacklig auf den Beinen, dafür aber technisch verbessert und mit mehr Selbstvertrauen ausgestattet. Restlos zufrieden machte das die Nationalteambeobachter allerdings auch nicht – ebenso wenig wie seine Nominierung für die Heimeuropameisterschaft 2008, bei der er in allen drei Spielen eingewechselt wurde.
„Er kam ham aus Ham-Kam“ – aber nicht nach Hütteldorf
Unmittelbar nach der EM wurde Kienast an Helsingborg ausgeliehen, wo er mit Superstar Henrik Larsson stürmen durfte und in zwölf Spielen dreimal traf. Später erklärte er, dass das Zusammenspiel mit Larsson das Eindrucksvollste seiner bisherigen Karriere war. Nach dem dennoch erfolglosen Gastspiel in Schweden folgte die Rückkehr zu Ham-Kam, acht Treffer in der Saison 2009 und im Winter 2009 der Wechsel zum SK Sturm. Innerhalb von vier Jahren im hohen Norden bewies Kienast sein „Maierhofer-Gen“, das ihn ebenso wie den 202cm großen Teamstürmer in die Ferne zog, um sein Glück nicht in einem gemachten Nest zu suchen, sondern neue Welten kennen zu lernen und im Idealfall zu erobern. Im Winter 2008 ergab sich die witzige Situation, dass Rapid auf der Suche nach einem neuen Stürmer ausgerechnet mit Stefan Maierhofer fündig wurde. Glücklich machte dies die Anhänger des Rekordmeisters vorerst nicht, aber man freute sich darüber, dass der vermeintliche Kelch Kienast an Rapid vorüberging. Vor dem geistigen Auge sahen die Fans schon Wortspiele wie „er kam ham, aus Ham-Kam“ in den Gazetten. So war die Häme der Rapid-Fans gegenüber dem SK Sturm nicht gering, als sich Sturm für die Verpflichtung des langen Stürmers entschied.
Aufstieg zum Führungsspieler bei Sturm
Aber viel Zeit zu lachen blieb nicht: Roman Kienast schlägt ob seiner plötzlichen Stärken im Abschluss und Stellungsspiel in Graz ein wie eine Bombe. Zeigte ein Jahr nach Maierhofers Top-Jahr, dass man Kicker nicht wegen ihrer Gelenkigkeit abschreiben sollte. Im Frühjahr 2010 gelangen Kienast fünf Tore für Sturm, dazu gewann der Grazer Klub den heimischen Cup. 2010/11 dann ein weiterer Schritt nach oben, auf der Leiter des fußballerischen Levels: Kienast war nicht nur Sturms Torschütze vom Dienst in der Meistersaison, sondern avancierte zu einem Chef in der Offensive. Einer, der auch mal anderen, jüngeren Kickern in den Hintern tritt, wenn’s nicht läuft wie es soll. Unterm Strich standen schließlich 22 Pflichtspieltore, davon 19 in der Meisterschaft und der Titel für den SK Sturm. Das vorerst letzte Kapitel einer Entwicklung, die ihm vor gut zehn Jahren wohl nur sein Entdecker Josef Hickersberger zugetraut hätte.
Das gewisse Etwas
In der laufenden Saison geht das muntere Toreschießen weiter: Bisher vier Stück in neun Pflichtspielen, zuletzt gestern Abend auswärts bei Red Bull Salzburg – aus einem Elfmeter, den er selbst herausholte. Mit der Teilnahme an der Champions League würde Kienast gemeinsam mit seinem aktuellen Arbeitgeber einen weiteren Schritt nach vorne machen. Fest steht aber schon jetzt: Schreib‘ nie einen jungen Kicker ab, egal wie patschert er sich auch in seinen ersten Jahren anstellt. Man muss den Maierhofers, Kienasts, aber auch Nuhius, Hammerers, Gregoritschs oder Kragls Geduld haben. Talent bedingt einiges, Training und Einsatz oft noch mehr – aber wenn einer das gewisse Etwas hat, zuletzt eben als „Maierhofer-Gen“ bezeichnet, der schafft es so oder so!
Daniel Mandl, abseits.at
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Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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