Fokusfindung bei Rapid: Wieso die Präsidentendiskussion zu früh kommt
Bundesliga 27.April.2019 Daniel Mandl 1
Die Mitglieder des SK Rapid wählen im Winter ein neues Präsidium. Schon jetzt bringen sich mehrere Kandidaten in Stellung und es riecht knapp sieben Monate vor Krammers Abtritt nach Wahlkampf in Wien-Hütteldorf. Wir haben uns einem Mitglied des letzten Wahlkomitees des SK Rapid, Herbert Kretz, getroffen und seine Einschätzungen zur „politischen“ Lage beim Verein abgefragt.
abseits.at: Herbert, du bist kein Funktionär, sondern seit jeher glühender Rapid-Fan. Deinen Platz im Wahlkomitee konntest du übernehmen, weil beim Mitgliederverein Rapid drei von sechs Mitglieder dieses Komitees aus der Fan-Base kommen. Erzähle uns kurz, wie es dazu kam!
Herbert Kretz: Seit dem Beschluss auf der außerordentlichen Hauptversammlung im Herbst 2013 entsenden die ordentlichen Mitglieder über die letzte Mitgliederversammlung vor der Hauptversammlung drei Mitglieder ins Wahlkomitee. Die anderen drei setzen sich aus zwei Mitgliedern des Kuratoriums und einem Mitglied des Präsidiums zusammen. Die hier hergestellte Parität zwischen aktiven Funktionären und „einfachen“ Mitgliedern war 2013 ein zentrales Thema der Mitgliederinitiativen und wurde letztlich erfolgreich umgesetzt. Diese Änderung im Statut macht es möglich, dass im Wahlkomitee selbst eine gewisse Spannung zwischen Vereinsfunktionären und Mitgliedern aufgebaut werden kann. Der Diskurs hat somit sicherlich mehr Substanz und etwaige Entscheidungen werden tatsächlich vom ganzen Verein gemacht.
abseits.at: Du sprichst von „Mitgliederinitiativen“. Wie haben sich diese gebildet? Welche gibt es, wofür stehen sie und was war deine Rolle?
Herbert Kretz: Im Sommer 2011 hatte der Verein auf vielen Ebenen massive Probleme und stand vor wichtigen infrastrukturellen Entscheidungen. In dieser Zeit begannen sich bei Rapid Mitglieder in verschiedenen Gruppen zusammenzuschließen um gemeinsam als Impulsgeber für den Verein zu dienen. Die zwei größten dieser Initiativen sind bis heute Rapid bin ich (RBI) und Initiative Rapid 2020 (IR2020), der ich angehöre. Aus dieser Position heraus habe ich mich vereinsintern engagiert und durfte an einigen Projekten bei Rapid wie zum Beispiel der Reformkommission oder der Arbeitsgruppe Mitglieder teilnehmen. Unsere Gruppe ist immer noch aktiv, aber die Rolle hat sich ein wenig verschoben. Wir sind heute sicherlich weniger Impulsgeber, als Reflexionsscheibe. Für mich ist das ein natürlicher Begleitprozess einer Professionalisierung im Verein. Als „Initiative“ ist es ein schmaler Grat zwischen substantiellem Input, der den Verein weiterbringt und Querulantentum der den Verein schädigt. Das gilt es immer abzuwiegen und ist eine ständige Herausforderung für alle, die sich aus Liebe zum Verein engagieren, aber keine Letztverantwortung haben. Für mich persönlich ist das Gremium des Wahlkomitees das entscheidende Gremium um das Mitspracherecht der Mitglieder und Entscheidungshoheit der Vereinsverantwortlichen zu vereinen bzw. auszubalancieren. Genau deswegen habe ich mich 2016 dann auch für das Wahlkomitee beworben und war letztlich gemeinsam mit meinen Kollegen Alfred Terschak und Norbert Tischelmayer einer der drei Mitgliedervertreter.
abseits.at: Da du das letzte Mal selbst im Wahlkomitee warst: Wie funktioniert eine Präsidentenwahl beim SK Rapid?
Herbert Kretz: Im Statut ist geregelt, dass zunächst einmal das Wahlkomitee zusammengestellt werden muss. Dieses setzt sich zum einen aus einem Mitglied des amtierenden Präsidiums und zwei Vertretern aus dem Kuratorium zusammen. Zusätzlich werden beim Mitgliedertreffen, das einer Hauptversammlung vorangeht, bei der Neuwahlen von Funktionären vorzunehmen sind, drei Vertreter der ordentlichen Mitglieder bestimmt, die ins Wahlkomitee kommen. Kuratorium und Präsidium müssen ihre Kandidaten fünf Monate vor Ende ihrer Amtsperiode bekanntgeben, die drei Mitglieder werden auf dem Mitgliedertreffen im Juni gewählt. Wir werden also im Juni wissen, wie das Wahlkomitee aussieht.
abseits.at: Vor Juni kann man sich also gar nicht bewerben?
Herbert Kretz: Nein. Man kann sich allenfalls als Kandidat ins Gespräch bringen, eine Kandidatur ankündigen und natürlich persönliche Vorbereitungen und Gespräche führen. Ab dem diesjährigen Wahlvorgang hat sich das Wahlkomitee innerhalb von 14 Tagen nach der Wahl erstmalig zu konstituieren. Diese Regelung ist neu und gibt auch mehr Zeit, um über den Sommer Gespräche mit etwaigen Kandidaten zu führen.
abseits.at: Wie stehst du dazu, dass viele Kandidaten schon jetzt in die Offensive gehen und versuchen, Medien und Öffentlichkeit für sich zu gewinnen?
Herbert Kretz: Grundsätzlich sehe ich es als sehr positiv, wenn Persönlichkeiten wie Martin Bruckner und Roland Schmid öffentlich Interesse bekunden, Präsident des SK Rapid werden zu wollen. Mir stellen sich bezüglich des Zeitpunktes allerdings einige Fragen. Die erste ist, ob man dem Verein etwas Gutes tut, wenn man jetzt schon den Fokus auf den kommenden November lenkt. Aktuell geht es meiner Meinung nach nur darum, den Fokus zunächst auf den Cup-Sieg und eine Qualifikation für einen internationalen Bewerb zu bewahren und alle Energien im Verein darauf zu bündeln. Danach muss eine neue sportliche Leitung installiert werden und das kommende Transferfenster bestmöglich abgewickelt werden. Diese Punkte sind entscheidend für die Ausgangssituation für die Wahl im Herbst, weil sie die Stimmung natürlich extrem beeinflussen werden.
abseits.at: Kann es passieren, dass wir im Herbst einen Wahlkampf in Wien-Hütteldorf erleben werden?
Herbert Kretz: Es ist per Statut möglich, dass im Herbst mehrere konkurrierende Listen gegeneinander zur Abstimmung antreten. Es liegt am Wahlkomitee zu sagen, ob die Substanz der Bewerbung ausreicht, um zur Wahl zugelassen zu werden. Natürlich ist es abschließend dann auch eine Frage, ob sich die Kandidatenlisten im Fall des Falles einer Kampfabstimmung stellen würden. Wenn das alles so sein sollte, hätten wir bei Rapid im Herbst sicherlich eine heiße Situation. Und hier liegt der springende Punkt bezüglich der frühzeitigen Medienoffensive: Es ist aus meiner Sicht okay, sein Interesse kund zu tun, aber jetzt schon eine Offensive zu starten bringt für eine etwaige Wahl im November keinen Vorteil außer Publicity. Auf jeden Fall aber bringt es Rapid mit Wahlkampfthemen in die Öffentlichkeit, die dort aus meiner Sicht sieben Monate vor der Wahl einfach verfrüht sind.
abseits.at: Was würdest du persönlich von einer solchen „Kampfabstimmung“ halten? Wird der Verein damit nicht eher einer ziemlichen Zerreißprobe ausgesetzt?
Herbert Kretz: Da wir dieses Szenario noch nie hatten kann ich diesbezüglich natürlich nur spekulieren. Es wird sehr von den handelnden Akteuren und deren persönlichen Beweggründen abhängen, wie sich das auf Rapid auswirken wird. Wenn das Leitmotiv der Kandidaten die Liebe zu Rapid ist mache ich mir keine Sorgen, weil dann die Spielregeln klar abgesteckt sein sollten. Ein bisschen Sorgen bereitet mir, dass eine Präsidentschaft im Verhältnis zu 2013 und den Jahren davor relativ attraktiv erscheint, wenn man das Verhältnis von Publicity zu Verantwortung betrachtet. Rapid steht in Wahrheit auf sehr soliden Beinen, die Knochenarbeit der letzten zehn Jahre hat schon einiges an fruchtbarem Boden aufbereitet. Es könnte schon sein, dass da noch der eine oder andere auf Ideen kommt und vielleicht die Liebe zu Rapid nicht unbedingt die Basismotivation darstellt. Das wiederum hielte ich für gefährlich für den Verein. Ich bin aber davon überzeugt, dass das Wahlkomitee – egal wer hier die Mitglieder sein werden – entgegensteuern würde und nur dann mehrere Listen zur Wahl zulassen wird, wenn man nach intensiven Diskussionen zu dem Schluss kommt, dass es für Rapid sinnvoll wäre. Daher halte ich den Verein für ein solches Szenario für gerüstet.
abseits.at: In den Medien wird von „der Wahlkampf geht in die entscheidende Phase“ gesprochen – ist das so?
Herbert Kretz: Das kann noch gar nicht sein! Im Jahr 2013 war die Situation dahingehend ähnlich wie jetzt, weil ebenfalls ein neuer Präsident gefunden werden musste. Ich erinnere mich, dass damals im April bereits Dietmar Hoscher als fixer Nachfolger vermeldet wurde, dann später galt Erich Kirisits in den Medien bereits als fix und ganz zum Schluss, also im November wurde es Michael Krammer. Ich denke niemand – nicht einmal er selbst – hatte ihn im April auf dem Zettel. Das Wahlkomitee muss die Kandidatenlisten bis drei Tage vor der Hauptversammlung der Geschäftsstelle übergeben. Rapid hat als Verein so viele gewichtige Player, dass ich es für durchaus im Bereich des Möglichen halte, dass wir im Oktober über Kandidaten sprechen, die sich aktuell selbst noch gar nicht als Kandidaten sehen.
abseits.at: Was würdest du dir aktuell von den Kandidaten, was von den Medien wünschen?
Herbert Kretz: Ich denke, wie vorhin bereits gesagt, dass es für den Verein im Moment um andere Dinge geht, als die Wahl im Herbst. Außerdem halte ich es aktuell nicht für möglich, Entscheidendes an der Ausgangslage zu verändern, außer vielleicht sein Interesse öffentlich zu machen. Ich fände eine dahingehend passende Berichterstattung und auch ein dahingehend angepasstes Auftreten wünschenswert. Zumindest bis zum Zeitpunkt, an dem sich das Wahlkomitee erstmalig konstituiert hat. Das wäre spätestens Ende Juni der Fall und gibt dann noch genug Zeit und Raum um die Medien seitenweise zu füllen.
abseits.at: Du hast 2016 eine Wahlempfehlung für Michael Krammer und sein Präsidium abgeben. Wie stehst du dazu heute?
Herbert Kretz: Genau wie damals. Die sechs Jahre mit Michael Krammer als Präsident waren für die Entwicklung des gesamten Vereins von unglaublicher Bedeutung. Jeder redet nur vom Stadion, aber der Verein ist auf mehreren Ebenen auf eine ganz andere Ebene gehoben worden. Wir haben uns infrastrukturell und organisatorisch neu aufgestellt und uns dabei wirtschaftlich saniert. Auch sportlich war nicht alles so schlecht, wie es gerne gesehen wird. Ich denke gerne an das zweimalige internationale Überwintern.
abseits.at: Klingt so, als wäre alles nur positiv…
Herbert Kretz: Nein, leider nicht. Es ist viel Gutes passiert, aber es ist natürlich in allen Bereichen viel Luft nach oben geblieben. Das ist – denke ich – normal. Wichtig für die nächste Präsidentengeneration wird es sein, die geschaffenen Vorrausetzungen zu nutzen und gleichzeitig den Verein wieder mit Seele und Spaß zu erfüllen. Ich habe das Gefühl, dass seit einiger Zeit der Spaß an Rapid beim Matchbesuch ins Hintertreffen geraten ist. Da geht es nicht ums „Jammern“ oder „Motschgern“, sondern einfach um das gelebte Gefühl am Matchtag. Ich tu mir da etwas schwer meine diesbezüglichen Gedanken in Worte zu fassen. Am einfachsten drückt es wahrscheinlich „Rapid ist leiwand und darf auch einfach Spaß machen“ aus.
abseits.at: Was sind die zentralsten Anforderungen, die das nächste Rapid-Präsidium deiner Meinung nach mitbringen muss?
Herbert Kretz: Meine Perspektive bildet den klassischen ehemaligen Nord-Abonnenten ab, der sich zusätzlich im Verein als Mitglied engagiert. Und da sehe ich es so, dass der Verein sich in den letzten sechs Jahren unglaublich gewandelt hat und stets getrieben war vom Anspruch an höchste Professionalität und der Schaffung nachhaltiger Strukturen und Infrastruktur. Dafür stehen Michael Krammer und sein Team für mich. Grundsätzlich braucht es innerhalb eines Präsidiums Menschen mit Stärken in der Kommunikation, betriebswirtschaftlichem Verständnis, Unternehmergeist, politischen und wirtschaftlichen Netzwerken und sicherlich auch sportlichem Sachverstand. Die unverhandelbare Grundanforderung ist aber für mich, dass sich jeder sich schon vorab als Teil von Rapid als Ganzem sieht. Bedingt durch die Vernetzung über die sozialen Medien und befeuert durch die Initiativen ist bei Rapid in den letzten Jahren vieles tausendfach diskutiert und verkompliziert, vieles auch verkrampft geworden. Rapid als Ganzes ist für mich ein energetisches Feld, was unglaublich pushen, aber ebenso runterziehen kann. Von daher glaube ich auch, dass wir unser großartiges Potential als gesamter Verein dann ausschöpfen können, wenn es uns gelingt wieder eine gewisse Leichtigkeit quer durch den Verein zu etablieren. Das wäre für mich die Kernchallenge des zukünftigen Präsidenten.
abseits.at: Womit wir zum Schluss wieder beim „Leiwandsein“ wären…
Herbert Kretz: Wenn ich meinen Wunschkandidaten als künftigen Präsidenten am Reißbrett skizziere, dann ist es eine Persönlichkeit, die die Welt des Rapidlers in Ihrer Komplexität wieder reduziert. Nicht durch das Erfüllen von Anforderungsprofilen, sondern durch Tugenden, Charisma und einem natürlichen Selbstverständnis von Rapid als dem leiwandsten Klub überhaupt. Das Leitbild bietet hier sicher eine tolle Grundlage. Am Wochenende im Stadion geht es ja schon im Kern um Spaß und nicht um Selbstgeißelung in Form einer Kennzahleninterpretation. Gewinnen wird letztlich jene Liste, die in der Lage ist, den Mitgliedern eine Idee vom Weg zu mehr Spaß und Erfolg glaubhaft zu verkaufen. „Rapid braucht Veränderung“ ist mir persönlich zu abstrakt. Einen Wahlkampf mit „Rapid in leiwand“ als Kernmessage und einem schlüssigen Konzept dahinter könnte aber durchaus erfrischend sein. Halt nicht jetzt, sondern frühestens im Sommer. Jetzt wollen wir den Cupsieg und nach Europa. Das wäre leiwand.
Das Interview führte Daniel Mandl.
Weiterführend findet ihr auf abseits.at eine geschichtliche Abhandlung des einstigen Rapideum-Kurators Domenico Jacono über die operativen Entscheidungsgremien des SK Rapid seit der Gründung des Vereins.
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Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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