Dieser Text sollte ursprünglich ein kurzer Bericht über eine Statistik des CIES Football Observatory werden, die Rapid-Spieler Nicolas Kühn im weltweiten Vergleich exzellent dastehen... Kommentar: „…dann würde er aber nicht mehr bei Rapid spielen“

Dieser Text sollte ursprünglich ein kurzer Bericht über eine Statistik des CIES Football Observatory werden, die Rapid-Spieler Nicolas Kühn im weltweiten Vergleich exzellent dastehen lässt. Nach dem Hinzufügen von weiteren Statistiken unseres Datenanbieters Wyscout, kam ich aber dann doch nicht umhin, ein paar Gedanken rund um die Bedeutung von Effektivität und Effizienz vor dem Tor zu verlieren und versuchen diese in einen Kontext zu setzen. Im Austrian Soccer Board diskutierte ich in dieser Saison bereits öfters mit anderen Usern, wie Spieler einzuschätzen sind, die zwar viele Chancen kreieren, diese aber zu selten verwerten.

Der erste Teil dieses Artikels fasst die Studie des CIES Football Observatory zusammen. Nachdem weitere Statistiken folgen, möchte ich aufzeigen, dass Effizienz in der Beurteilung des Spielers nicht die wichtigste Rolle spielt und dass der Wahrheitsgehalt der Floskel in der Überschrift nicht besonders hoch ist. Die Grafiken und Zahlen stammen von Wyscout S.p.a.

Was ist das CIES?

Das CIES Football Observatory, auch bekannt als internationales Zentrum für Sportstudien, ist ein renommiertes Forschungsinstitut, das sich der wissenschaftlichen Untersuchung von Fußball widmet. Als Teil des Internationalen Zentrums für Sportstudien in Neuenburg, Schweiz, zeichnet es sich durch eingehende Analysen und Studien zu Themen wie Spielerbewertungen, Transfermärkten und Vereinsrankings aus. Das Institut setzt auf eine objektive, datenbasierte Herangehensweise, um Spielerleistungen zu bewerten und zukünftige Entwicklungen im Fußball vorherzusagen. Mit seinem weltweiten Blickwinkel und einem Expertenteam aus diversen Fachgebieten liefert das CIES Football Observatory interessante Erkenntnisse und Analysen, die von Fußballvereinen und Medien gleichermaßen geschätzt und verwendet werden.

In der 439. Ausgabe des wöchentlichen Berichts des CIES Football Observatory werden die Top 100 Fußballspieler weltweit präsentiert, die in der aktuellen Saison die besten Leistungen in Bezug auf das Kreieren von Torchancen gezeigt haben. Ganz oben auf dieser Liste steht Ousmane Dembélé, der Flügelspieler von Paris St-Germain. Er rangiert vor Leroy Sané von Bayern München und Nico Williams vom Athletic Club, die ebenfalls sehr starke Statistiken vorweisen.

Wie wurde diese Wertung erstellt?

Es fließen einerseits die Schlüsselpässe pro 90 Minuten ein, andererseits die Expected Assists pro 90 Minuten. Der Datenanbieter ist Wyscout, also jenes Unternehmen, das wir auf abseits.at für unsere Analysen ebenfalls verwenden. Lobenswert zu erwähnen ist außerdem, dass die sportliche Stärke der Liga und der Gegner in diese Tabelle einfließt. Spieler aus Top-Ligen erhalten quasi Bonuspunkte. Während die Premier League Mannschaften je nach Gegner beispielsweise einen Bonus von rund 40% bekommen, gibt es für die Spiele in der österreichischen Bundesliga nur einen Bonus von rund 4%. Teams aus schwachen Ligen wie Aserbaidschan bekommen beispielsweise einen Abzug von rund 6%.

Nicolas Kühn einziger Bundesliga-Spieler in der Liste

Ein Spieler der österreichischen Bundesliga schaffte es auch in diese Liste. Nicolas Kühn, der in dieser Saison einige unglaubliche Statistiken aufweist, allerdings vor dem Tor viel effizienter werden muss, findet sich sogar im Spitzenfeld wieder.

Bei den Schlüsselpässen pro 90 Minuten liegt er hinter Spielern wie Ousmane Dembéle und Kylian Mbappé auf Platz 9 und bei den Expected Assists pro 90 Minuten sogar auf Platz 4.

Die wöchentlichen Studien des CIES Football Observatory genießen einen hohen Stellenwert und werden vielfach gelesen, sodass diese Top-Platzierung dem Rapid-Legionär einiges an Aufmerksamkeit bringen wird.

Zahlreiche Top-Werte in der Liga

Wir wollen uns noch einige weitere Statistiken ansehen, in denen der Rapid-Legionär in der heimischen Liga Top-Platzierungen erzielt:

Nicolas Kühn tätigte die meisten Dribblings in der österreichischen Bundesliga pro 90 Minuten und weist mit einer Erfolgsquote von 57% zudem einen sehr guten Wert auf. Lustenau-Linksaußen Diaby überholte in den letzten Runden Salzburg-Legionär Gloukh, der einen wesentlich niedrigeren Erfolgswert bei seinen Dribblings aufweist, wie die beiden Spieler über ihm.

Die Kriterien für die Bewertung eines progressiven Laufs variieren je nach Startposition des Spielers auf dem Feld:
Ein Lauf, der innerhalb der eigenen Spielhälfte beginnt, muss mit einem Mindestabstand von 30 Metern näher am Tor des Gegners enden.
Beginnt der Lauf in der eigenen Hälfte und endet in der gegnerischen Hälfte, muss der Spieler mindestens 15 Meter näher an das gegnerische Tor herankommen.
Für Läufe, die sowohl in der gegnerischen Hälfte starten als auch enden, ist eine Mindestannäherung von 10 Metern zum gegnerischen Tor erforderlich.

Bei den progressiven Läufen führt Nicolas Kühn die Wertung vor seinem Teamkollegen Marco Grüll an. Der Vorsprung auf den Drittplatzierten Ranacher ist beachtlich.

Deep Completions sind Pässe, die in einem Radius von 20 Metern vor dem gegnerischen Tor einen Mitspieler fanden. Flanken sind ausgenommen. Auch hier liegt Nicolas Kühn auf Platz 1 in der Liga, diesmal vor seinem Teamkollegen Matthias Seidl.

Hier sehen wir die aktuelle Expected-Assist-Wertung in der österreichischen Liga. Hier kommt nur Mitspieler Marco Grüll auf einen ähnlichen Wert. Der Abstand auf die weiteren Plätze ist schon recht groß.

Auch bei weiteren Statistiken findet sich der Rapid-Spieler in den Top 10:

Ballberührungen im gegnerischen Strafraum: Platz 7 mit 4.29 pro 90 Minuten. Guido Burgstaller führt diese Wertung mit 7.19 pro 90 Minuten an.
Offensive Duelle: Platz 4 mit 12.28 pro 90 Minuten.
Attack contribution: Das ist eine Statistik, die den xG-Wert eines Schusses jedem Spieler zuordnet, der eine Aktion im Angriff ausgeführt hat, die zu einem Schuss führte. Hier liegt Kühn mit einem Wert von 0.90 pro 90 Minuten auf Platz 4 hinter Grüll, Burgstaller und Konaté

Die Floskel „…aber dann würde er nicht mehr bei Rapid spielen“

Dass der Deutsche dennoch immer wieder einiges an Kritik einstecken muss, liegt an seiner Chancenverwertung. Dennoch ist er ein unglaublich wichtiger Spieler für den SK Rapid, der von allen Akteuren in der aktuellen Startelf wohl das größte Potential besitzt und angesichts solcher Statistiken auch Begehrlichkeiten auf dem Transfermarkt erwecken wird.

Es gibt eine beliebte Floskel bei TV-Moderatoren und Fans: „Wenn Spieler X öfters treffen würde, dann würde er nicht bei Verein Y spielen.“ Dies war auch beim letzten Liga-Spiel zwischen Rapid und dem TSV Hartberg in Zusammenhang mit Kühn und Rapid auf Sky zu vernehmen.

Dies ist allerdings nicht einmal die halbe Wahrheit, da Scouting-Abteilungen auch bei Offensivspielern schon lange nicht nur mehr auf die Scorerpunkte achten, sondern vielmehr mit zahlreichen Statistiken ein Gesamtbild erstellen. Für die Einschätzung eines Spielers ist es meistens wichtiger, dass dieser Chancen überhaupt generiert, als dass er sie effizient verwandelt.

Ein Beispiel zur Veranschaulichung:

Nehmen wir an zwei Stürmer mit gleichen Einsatzzeiten in der gleichen Mannschaft erzielten jeweils zehn Tore. Stürmer X weist einen xG-Wert von 6 auf, Stürmer Y einen xG-Wert von 14. Stürmer Y wird weit mehr Interesse erwecken, da er bewiesen hat, dass er zu zahlreichen Chancen kommt und sich die xG-Werte und tatsächlich erzielten Treffer über den Lauf der Zeit wahrscheinlich angleichen werden. Obwohl Stürmer 1 effizienter war, würde jeder Sportdirektor mit Verstand nur anhand dieser Datenlage Stürmer 2 verpflichten. Es ist nämlich sehr wahrscheinlich, dass Stürmer Y in Zukunft mehr Tore erzielen wird als Stürmer X, da er es schafft sich wesentlich öfters in aussichtsreiche Abschlusspositionen zu bringen.

Man kann davon ausgehen, dass Nicolas Kühn in Zukunft noch den einen oder anderen Treffer für den SK Rapid beisteuern wird, aber selbst, wenn er kein Effizienz-Monster mehr in Hütteldorf werden sollte, wird es für den 23-Jährigen spätestens kommenden Sommer einige interessante Anfragen geben. Sollte ihm natürlich schon bei den Grün-Weißen vor dem Tor der Knopf aufgehen, dann werden die Angebote auch für seinen jetzigen Arbeitgeber wesentlich lukrativer ausfallen.

Aber wen interessieren bitte xG?

Es stimmt, Hans Krankl bewies vor ein paar Wochen, dass er mit diesem Wert gar nichts anfangen kann. Auch wenn es die Expected Goals im Laufe der vergangenen Jahre immer mehr in den Mainstream schafften, bleibt bei vielen Fans eine Skepsis über die Sinnhaftigkeit dieser und ähnlicher Statistiken. Und natürlich hat das Modell auch Unzulänglichkeiten, die man eben, wenn man sie kennt, in der Interpretation der Zahlen berücksichtigen muss.

Dass das xG-Modell und weiterführende komplexere Metriken allerdings auch in den Analyse- und Scouting-Abteilungen der absoluten Top-Klubs einen hohen Stellenwert genießt, können mein Kollege Daniel Mandl und ich gerade bei unserem Masterstudium in Data Analytics in Football aus erster Hand erfahren. Egal ob Sevilla-Sportdirektor Victor Orta, oder die Chef-Datenanalytiker vom Chelsea FC und Aston Villa – sie alle verwenden diese und ähnliche Metriken bei der Analyse und beim Scouting. Der Chelsea FC generiert beispielsweise automatisch die Höhe der xG-Zahlen nach einer Partie, für die unterschiedlichsten Spielsituationen. Das kann dann am Beispiel vom WM-Finale zwischen Argentinien und Frankreich so aussehen:


Quelle: Sports Data Campus

Stefan Karger, abseits.at

Stefan Karger

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