Kommentar: Rapid und die Crux zwischen Anspruch und „falschen Signalen“
BundesligaKommentar 26.Januar.2024 Daniel Mandl
Marco Grüll wird für den SK Rapid immer schwerer zu halten. Mittlerweile interessiert sich knapp ein Viertel der deutschen Bundesliga für den 25-jährigen Salzburger und man hört, dass Rapid bei einer Ablöse von einer Million Euro – bei nur einem halben Jahr Restvertrag – schwach werden könnte. Für die Wiener ist es ein Ritt auf der Rasierklinge.
Union Berlin preschte vor, steht nach dem verpatzten Herbst ohnehin vor mehreren Kaderveränderungen – und machte das Thema Grüll wieder heiß, nachdem man bei Rapid eigentlich bereits erklärte, dass Grüll seinen Vertrag erfüllen und im Sommer ablösefrei wechseln solle.
Es dauerte nicht lange, bis einige andere, „bedürftige“ deutsche Klubs auf den Zug aufsprangen. Der VfL Bochum soll ebenso Interesse am Rapid-Leistungsträger zeigen, wie auch der SV Werder Bremen. Mainz, das Grüll bereits länger auf der Liste haben soll, machte indes einen Rückzieher, weil die geforderte Ablöse zu hoch sein soll.
Winterschlussverkauf?
Bereits in neun Tagen startet Rapid mit dem Cup-Viertelfinale gegen den SKN St. Pölten in die Frühjahrssaison. Das Transferfenster in Österreich schließt in elf Tagen – bis dahin könnte Rapid sich noch um Ersatz umsehen, sollte Grüll verkauft werden. Thierry Gale wird ihn schon mal nicht ersetzen – der könnte aufgrund einer Zehenverletzung noch lange Zeit fehlen und ist zudem auch noch nicht soweit, in die großen Fußstapfen des Kämpfers Grüll zu treten.
Dem nicht genug, hat Rapid mit Nicolas Kühn bereits einen Stammspieler für die Flügelpositionen abgegeben. Für recht gutes Geld zum Celtic FC. Beide Stammflügel in einer (Winter!)Transferzeit abzugeben, wäre allerdings eine höchst riskante Entscheidung. Überhaupt, wenn man sich ansieht, wie dominant sowohl Kühn, als auch Grüll in zahlreichen Metriken im Ligavergleich waren. Auch wenn die Effizienz häufig zu wünschen übrig ließ, waren die beiden Kicker im Herbst absolute Zugpferde für Rapid.
Diese zu ersetzen wäre nicht einfach. Dass Christoph Lang nicht der klassische Kühn-Ersatz ist, sondern eher ein anderer Spielertyp, der Rapid formativ noch etwas flexibler machen kann, haben wir bereits in der ausführlichen Spielerinfo erklärt. Würde auch noch Grüll die Hütteldorfer verlassen, müsste man streng genommen in der kommenden Woche noch zwei neue Flügelspieler verpflichten, die idealerweise sofort funktionieren.
Gehaltsthema schwieriger als Ablösethema
Nicht nur, dass der winterliche Markt im Vergleich zu Sommertransferzeiten nur wenige Optionen auftischt, stünde Rapid ohnehin vor einem finanziellen Problem, wenn es um die richtigen Klassespieler geht. Da und dort eine stolze, siebenstellige Ablöse zu zahlen – was Rapid selten, aber doch macht – ist die eine Sache und möglich. Nur beim Gehaltsgefüge der Hütteldorfer können viele Spieler nicht mit und einige Ligen, beispielsweise aus Europas Osten, haben in den letzten Jahren entweder aufgeholt oder steuerlich für Spieler bessere Voraussetzungen als Österreich. Die Zeiten, in denen man einige der besten Kicker aus Tschechien, Kroatien, Serbien und Co. nach Wien lotste und Abgänge so relativ einfach eins-zu-eins mit Top-Leuten ersetzen konnte, sind längst vorbei.
Rapid ist demnach bei der Suche nach Alternativen wieder einmal davon abhängig, ob man ein gutes Händchen beweist oder nicht. Oder aber: Man geht den Weg mehrerer Provinzklubs, den Katzer im Sommer mit den Last-Minute-Leihen von Kasanwirjo und Kongolo bereits einschlug. Mit Leihen kann Rapid derartige Abgänge am ehesten abfedern. Nachhaltig ist dies jedoch nicht und auch Katzers Plan, heiße Aktien aufzubauen, die später teuer verkauft werden können, wird dadurch ein wenig torpediert.
Die Top-Talente und die Crux mit dem Ligamodus
Heiße Aktien hat man ja im Westen Wiens: Etwa Top-Talent Jovan Zivkovic oder Ismael Seydi, von dem erzählt wird, dass er sich im Training mit der „Ersten“ bereits deutlich steigerte. Große Ausbildungsklubs, wie etwa Dinamo Zagreb oder Partizan Belgrad, scheuen sich nicht, die ganz Jungen zu bringen, sodass sie schon mit 17, 18 Jahren Spielpraxis en masse haben und dann teuer ins Ausland wechseln können, um praktisch auf einen Schlag die Folgesaison des Klubs auszufinanzieren. Rapid ist aber nicht in der Situation, das riskieren zu dürfen.
Der Reality Check zeigt nämlich, dass die Grün-Weißen hauchdünn „über dem Strich“ liegen – bei einem unangenehmen Restprogramm in den fünf letzten Partien des Grunddurchgangs. Gerade mal einen Punkt beträgt der Vorsprung auf den Siebten, den Wolfsberger AC. Rapid muss es aber unbedingt ins Meisterplayoff schaffen, darf nach zwei Saisonen ohne europäischer Gruppenphase auf keinen Fall unter den gefürchteten Strich rutschen – auch um für etwaige Topspieler interessant zu bleiben. Von den Finanzen oder einer möglichen Aufbruchstimmung in Hütteldorf ganz zu schweigen.
„Alles für den Sport“ als populistische Aussage
Als das neue Präsidium, „sprachlich“ von Rapid-Legende Steffen Hofmann angeführt, betonte, dass man „alles für den Sport“ geben will und prompt einige Direktoren und andere teure Mitarbeiter in der Geschäftsstelle wegrationalisierte, war das natürlich eher populistisch. Wäre es nicht so, würde man im Winter nicht darüber diskutieren müssen, ob nach Kühn auch der zweite offensive Leistungsträger für die Flügelpositionen abhanden kommen könnte.
In alldem darf man natürlich nie vergessen, dass auch der Spieler selbst ein wichtiger Teil im Puzzle ist. Wenn der weg will und auch dessen Manager eine saftige Provision riecht, dann kann man sich als Klub auf den Kopf stellen. Oder aber einfach sagen: „Transferstopp, keine Widerrede.“ Eine Sache, die man Rapid auch in der Vergangenheit selten machte.
„Alles für den Sport“ ist aber auch deshalb populistisch, weil Rapid weder als „Superverkäufer“, noch als besonders guter Einkäufer bekannt ist. Nicolas Kühns Preisschild hätte bei einem anderen Klub, in einem besser funktionierenden Team, schon aufgrund seiner Leistungsdaten in zahlreichen Metriken ein völlig anderes Anfangspreisschild gehabt. Dass Rapid auf eine Million aus einem notdürftigen Grüll-Verkauf nicht verzichten will, sagt viel über den Klub aus – und sendet auch ein problematisches Signal an viele andere Vereine.
Der Unterschied zwischen ausbilden und angreifen
Solange Rapid über kein Vertriebskonzept verfügt, das diesen Namen auch verdient, oder es endlich wieder schafft, Sponsoren (oder ähnliches) an Land zu ziehen, die zumindest in der heimischen Liga einen gewissen finanziellen Unterschied im Vergleich zu den „Dorfklubs“ bringen können, wird man sich weiter von Transfer zu Transfer hangeln, sich am Markt häufig unter Wert „besiegen“ lassen und weiter (ganz brav) ausbilden – aber nicht angreifen.
Die richtig großen Klubs, vor allem im europäischen Maßstab betrachtet, verkaufen eben schon mal einen Spieler um 20, 30 Millionen Euro – und finanzieren damit ein brandneues Trainingszentrum. Rapid kann genau das (noch) nicht. Und bei den Signalen, die man alleine mit der Grüll-Diskussion aussendet – sofern man diversen Medienberichten Glauben schenken darf – wird sich das so schnell nicht ändern.
Und die Moral von der Geschichte: Einmal mehr ist Rapid wohl massiv auf Glück und den richtigen Flow zum Rückrundenstart angewiesen. Man steht möglicherweise vor der Aufgabe, zwei weitere Neue – und zwar solche, die gleich funktionieren müssen – ohne Wintervorbereitung bei der neuen Mannschaft, in ein voraussichtlich verändertes spielerisch-taktisches Korsett eines neuen Trainers einzupacken und den Spagat zwischen finanzieller Machbarkeit, Sinnhaftigkeit und sportlichem Erfolg zu schaffen. Und die beiden Neuen muss man in dieser Lage erst mal finden. Wenn das mal gut geht…
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Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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