Kommentar | Umbruch in Wien-Favoriten – aber warum eigentlich?
Bundesliga 29.Dezember.2011 Archimedes 4
Die Wiener Austria setzte kurz vor Weihnachten ihren Trainer Karl Daxbacher vor die Tür und ersetzte ihn durch Amateure-Coach Ivica Vastic. Warum eigentlich?
Aktuell steht die Wiener Austria auf Platz 4 in der österreichischen Bundesliga. Das letzte Jahr schlossen die Violetten auf Rang 3. Man sieht also, dass die Austria immer wieder vorne mitspielt, für den Titel hat es in den letzten Jahren aber nie gereicht. Woran liegt das? Am Trainer? Am Sportdirektor? An den Spielern? Oder vielleicht an der harten Konkurrenz? Woran es auch immer lag, dass die „Veilchen“ ihren letzten Meistertitel im Jahr 2006 feiern durften, das Niveau auf nationaler Ebene blieb in den vergangenen Jahren konstant relativ gleich. Da mutet es komisch an, dass ein Großklub, der sich zuletzt als Verein der Kontinuität positionierte, plötzlich und unerwartet seinen Trainer feuert. Mit vier Punkten Rückstand auf Tabellenführer und Erzrivale Rapid haben die Violetten noch alle Chancen in der Meisterschaft, in der Europa League schaffte man den Einzug in die Gruppenphase und erreichte dort respektable acht Punkte. Nur knapp wurde der Aufstieg verpasst. Alles in Allem steht in Favoriten eine bisher ganz annehmbare Hinrunde zu Buche. Wenn da nicht die letzten neun Spiele in der Liga gewesen wären. In diesen Partien gelang nur ein einziger Sieg. Warum nicht mehr? Vielleicht, weil die Spieler sich mehr auf die Europa League, in der die Austria in dieser Zeit noch realistische Chancen auf den Aufstieg hatte, konzentrierten. Vielleicht, weil die ersten drei Innenverteidiger verletzt ausfielen und man mit einer Verlegenheitsabwehr auflaufen musste. Oder vielleicht, weil der Trainer seine Mannschaft nicht mehr erreicht. Betrachtet man die Zahlen ganz nüchtern, ist der Rauswurf von Karl Daxbacher trotzdem nicht nachvollziehbar.
Die lang ersehnte Pause
Denn die Austria zeigte in dieser Hinrunde keinen schlechten Fußball. Karl Daxbacher und Thomas Parits, ein perfekt eingespieltes Team, holten hochkarätige Legionäre, die die Mannschaft entscheidend verstärkten (Barazite), junge, aufstrebende Österreicher (A.Grünwald) und bauten Nachwuchstalente aus der eigenen Jugend ein (Dilaver, Gorgon). In der Theorie ein guter Mix, der auch in der Praxis oft funktionierte. Da verzeiht man der sportlichen Führung schon auch mal den einen oder anderen Fehlgriff, wie Kaja Rogulj (zumindest bisher) einer war. Am Ende wurden Daxbacher aber in Wahrheit keine Ergebnisse oder Fehlkäufe zum Verhängnis – es war seine Philosophie, die den Austria-Granden plötzlich nicht mehr passte. Gerade zu einem Zeitpunkt, ab dem Daxbachers Philosophie weniger Schaden angerichtet hätte – die Austria ist im Frühjahr im Europacup nicht mehr vertreten, in der Winterpause können sich die Spieler erholen – folgte die Entlassung.
Zick-Zack-Kurs
Daxbacher war nie ein Freund des Rotationsprinzips – das wussten bei der Austria aber alle – und zwar vom ersten Tag an. Trotzdem wurde der „Sir“ verpflichtet, mit ihm gab es große Erfolge wie den Sieg im ÖFB-Cup oder die zweimalige Teilnahme an der Gruppenphase in der Europa League. Natürlich bestritten die Austrianer eine Vielzahl an Spielen in sehr kurzer Zeit – ein Profifußballer muss den Rhythmus, alle vier Tage ein Spiel zu bestreiten, aber aushalten. Als die Ergebnisse stimmten und Daxbacher seinen Spielern, auf drei Hochzeiten tanzend, kaum eine Pause gönnte, murrte niemand im Verein. Jetzt kamen den Verantwortlichen die letzten neun Spiele gelegen, um die Doppelbelastung als Grund für die Misere anzuführen. Und plötzlich war Daxbacher der Schuldige. Man hätte nur deshalb so lange in der Meisterschaft nicht gewonnen, weil Daxbacher zu wenig rotiere und seine Spieler damit kaputt mache. Von den Akteuren traute sich das aber niemand zu sagen – auch nach Daxbachers Abgang nicht.
Zahn um Zahn, Auge um Auge
Aus Favoriten hört man, dass Daxbachers Abschied bereits vor der Austria-Sitzung am 21. Dezember festgestanden sein soll. Es ist kein Geheimnis, dass der Ex-Coach der Veilchen ein Problem mit seinem Kapitän Roland Linz hatte. Durch den fantastischen Lauf von Nacer Barazite war für Linz plötzlich kein Platz mehr in der Mannschaft. Alle Appelle an Daxbacher, er möge doch das System auf zwei Stürmer umstellen, blieben wirkungslos. Der Sir blieb stur und setzte Linz auf die Bank. Doch der Trainer unterschätzte die Lobby des Kapitäns. Nach der „Pleite“ im Heimspiel gegen Wr. Neustadt soll Daxbacher in der Kabine auf Linz losgegangen sein, Gerüchte von Handgreiflichkeiten machten die Runde. Ob die Geschichte, die ein wenig an den Streit zwischen Alex Ferguson und David Beckham bei Manchester United erinnert, der Wahrheit entspricht, ist nicht geklärt. Aber es wäre eine logische Erklärung für Daxbachers plötzliche Entlassung. Zumindest logischer, als die Ausredensuche der violetten Verantwortlichen in der Öffentlichkeit. Denn mangelnden sportlichen Erfolg kann man dem am längsten dienenden Austria-Coach seit den 60er-Jahren nicht vorwerfen.
Archimedes, abseits.at
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