In der Saison 2004/05 führte die Bundesliga den Österreicher-Topf ein. Nach jahrelangen, schwachen Leistungen des Nationalteams wollte man damit Einsätze (idealerweise junger) österreichischer Spieler... Kommentar: Warum der Österreicher-Topf nicht mehr zeitgemäß ist

In der Saison 2004/05 führte die Bundesliga den Österreicher-Topf ein. Nach jahrelangen, schwachen Leistungen des Nationalteams wollte man damit Einsätze (idealerweise junger) österreichischer Spieler forcieren – was man sich naheliegenderweise vom ÖFB fördern ließ. Heute ist das Konzept überholt und zudem ein Problem für einige Bundesligaklubs.

Mit Blick auf die Heim-EM 2008 wollte man in Österreich den heimischen Fußball fördern. Nach dem Bosman-Urteil im Jahr 1995 überschwemmten zahlreiche Klubs die Liga mit unterdurchschnittlichen Legionären, um die Kader möglichst günstig aufzufüllen. Dem einen oder anderen heimischen Talent versperrte dies den Weg in den Profifußball. Die Besten setzten sich aber freilich in den meisten Fällen dennoch durch. Klar war jedoch fortan: Wer in seinen Spielbericht mehr als sechs Ausländer schreibt, nimmt am relevanten Bemessungszeitraum des Österreicher-Topfs nicht teil.

Sowohl die unmittelbare Post-Bosman-Ära, als auch die ersten Jahre nach Einführung des Österreicher-Topfs waren aber im Vergleich zu heute eine gänzlich andere Zeit. Zunächst explodierte mit der Möglichkeit, vertragsfreie Spieler aus dem Ausland ablösefrei zu verpflichten, die Anzahl der Legionäre in der österreichischen Bundesliga von 33 auf über 100. Österreich spielte im internationalen Vergleich, sowohl auf Klub-, als auch auf Teamebene kaum eine Rolle. Top-Legionäre in den größeren Ligen waren rar gesät. Gleichzeitig war aber hierzulande auch die Nachwuchs-Infrastruktur nicht gefestigt genug, um junge Talente angemessen auszubilden.

Als der Österreicher-Topf zur Amtszeit von Teamchef Hans Krankl beschlossen wurde, waren die klingendsten Legionärsnamen im Nationalteam Kicker wie Martin Stranzl, Harald Cerny (1860 München), Markus Schopp (Brescia Calcio) oder Alexander Manninger (Bologna). Kein Vergleich zu den personellen Möglichkeiten, die das ÖFB-Nationalteam heute hat.

Noch interessanter ist aber ein Blick auf den erweiterten U21-Nationalteamkader des Kalenderjahres 2004. Mit Lukas Mössner (SC Freiburg), Thomas Prager (SC Heerenveen) und Denis Berger (VfB Stuttgart) zählte dieser damals nur drei Junglegionäre, die sich später im Ausland allesamt nicht durchsetzen konnten. Zum Vergleich: Im Jahr 2022 kamen im U21-Team zwölf Spieler zum Einsatz, die im Laufe dieses Jahres ihr Geld im Ausland verdienten. Hinzu kamen Schlüsselspieler österreichischer Bundesligaklubs, wie etwa Braunöder, Seiwald, Prass, Affengruber oder Hedl.

Doch was genau änderte sich? War es tatsächlich „nur“ das Setzen auf einheimische Spieler, die die Nationalteams stärker machten und vor allem Österreichs Nachwuchs zur erweiterten europäischen Spitze aufsteigen ließen?

Zunächst muss betont werden, dass der Österreicher-Topf den Puls der Zeit traf. Der vielen Transferflops überdrüssig und durch die Bank in finanziellen Schieflagen gefangen, war der Konsens bei den Bundesligaklubs „pro Ö-Topf“ ein großer. Schon alleine deshalb, weil nicht mehr so viele Transfer nötig waren. Ablösefreiheit hin oder her – aber auch Handgelder, in manchen Fällen damals sogar noch Schwarzgelder, läpperten sich. Wo man früher als Kaderfüllstoff einen bundesligauntauglichen Legionär holen „musste“, stand von nun an ein junger Österreicher im 18-Mann-Aufgebot fürs nächste Bundesligaspiel.

Das Konzept machte Sinn. Die positiven Effekte wurden vor allem bei längerer Betrachtung offensichtlich. Für die Europameisterschaft 2008 war der Erfolg noch nicht effektiv sichtbar, aber die Herangehensweise der Bundesligisten veränderte sich. Anstatt kurzfristig in einen Spieler zu investieren (wobei „Investment“ bei vielen Spielern der Prä-Ö-Topf-Ära ein gewaltiger Euphemismus ist), war man nun angehalten, langfristiger zu planen – und das implizierte eine Stärkung des eigenen Nachwuchses, der Akademien und speziell der Infrastrukturen.

Diese Veränderung in der nachhaltigen Planung hatte zur Folge, dass Österreichs Nachwuchsabteilungen stärker wurden. Man konnte nun nicht nur bessere, sondern auch mehr Spieler ausbilden, vergrößerte dadurch das Sample und steigerte die Chancen auf das eine oder andere „Goldnugget“ respektive Supertalent.

Parallel dazu veränderte sich der Fußball und auch das Fußball-Business auf dem Kontinent rasant. Die TV-Gelder wurden immer lukrativer, Sponsorenverträge immer teurer, Transfersummen immer astronomischer. Dies erlaubte es den großen Playern auch Dinge wie Scouting oder Relocating massiv auszubauen. Dass die Manager immer mächtiger (und häufig auch geldgeiler) wurden, spielte in weiterer Folge ebenfalls eine wichtige Rolle.

Der Fußball wurde nach und nach globalisiert und das ließ sich auch in den größten Ligen der Welt ablesen. In Deutschland hielt man die Ablösesummen lange Zeit im Vergleich zu Spanien, Italien oder England sehr niedrig und Kicker aus Afrika oder Südamerika galten etwa in den 90ern und Anfang der 2000er noch als echte Exoten. Heute ist es völlig normal, dass sich auch mal ein Spieler des Hundertsten der FIFA-Weltrangliste in eine Top-Liga verirrt. Was da und dort vielleicht ein Marketing-Gag ist, ist in den meisten Fällen aber das Resultat von gutem Scouting und einem Plan.

Die parallelen Entwicklungen, zeitgleich mit der Stärkung österreichischer Fußballakademien und der Chance für heimische Youngster schneller und einfacher in eine „Erste“ zu kommen, griffen ineinander. Und plötzlich geschah das, was sich der ÖFB schon wesentlich früher gewünscht hätte: Internationale Topklubs holten österreichische Talente. Im Alter von 15, 16, 17 Jahren. Für ihren Nachwuchs – und manche sogar sofort für die Kampfmannschaft.

Es schien, als wären Österreichs Nachwuchs- und Nationalteamprobleme damit gelöst. Und ein bisschen Geld machten die Klubs am Ende auch damit. Knapp 600.000 bis 800.000 Euro pro Saison war für die bravsten Förderer drin. Der Spielbetrieb so manchen kleineren Klubs wurde über die Jahre durch den Österreicher-Topf aufrechterhalten. Und die Entwicklung war schließlich glücklicherweise eine nachhaltige. Noch heute sind Österreichs Top-Youngster im Ausland gefragt und wechseln häufig frühzeitig. Trotzdem wirft nahezu jeder Klub jedes Jahr den einen oder anderen richtig vielversprechenden Jungen ins kalte Wasser der Bundesliga.

Und schließlich kam die Saison 2022/23: Red Bull Salzburg nahm ohnehin noch nie am Österreicher-Topf teil, der SK Austria Klagenfurt verzichtet nun auch schon die zweite Saison. Der Aufsteiger aus Lustenau macht auch nicht mit, ebensowenig wie der LASK. Sturm Graz verdient mittlerweile durch einen sehr genauen Plan reichlich Geld aus Ablösesummen, weshalb auch die Steirer sich nun vom bald 20 Jahre alten Konzept verabschieden werden. Trainer Christian Ilzer dazu: „Wir haben festgestellt, dass wir einiges an wirtschaftlichem und sportlichem Potenzial liegen lassen würden, wenn wir uns weiter an den Österreicher-Topf halten.“

Weitere Trainer müssen ihre wöchentlichen Entscheidungen gut ausbalancieren: Mit Ausnahme von Rapid und dem Wolfsberger AC, die jeweils die erlaubten sechs Legionäre im Kader haben, müssen alle anderen Klubs zumindest einen Legionär auf die Tribüne setzen. Im schlimmsten Fall fit. Somit nimmt nur noch etwa die Hälfte der Liga am Österreicher-Topf teil und dies wiederum bedeutet, dass ebendiese „Systemtreuen“ fürstlicher entlohnt werden. Bis zu eine Million Euro pro Saison sollte mittlerweile für die besten Förderer österreichischer Kicker drin sein – eben weil diejenigen, die nicht mehr mitmachen durch die Finger schauen und der Pot nur unter den Teilnehmern aufgeteilt wird.

Womit wir wieder beim Zitat von Christian Ilzer wären. Das Fußballgeschäft hat sich enorm verändert und eine Million ist heute nicht mehr das, was sie vor 15 Jahren war. Für maximal eine Million im Jahr beschneiden sich die meisten Klubs massiv in ihren planerischen Möglichkeiten. Red Bull Salzburg hat auch deshalb seit jeher einen Wettbewerbsvorteil, weil man stets auf die „Peanuts“ aus dem Österreicher-Topf verzichtete und den nahezu unermesslichen Spielerpool der großen, weiten Fußballwelt für sich nutzte. Wenn ein Legionär mal nicht hinhaute, war es auch nicht so schlimm (was natürlich auch der Finanzkraft der Serienmeisters geschuldet ist). Aber kurioserweise waren es am Ende die Roten Bullen, die dem ÖFB am allermeisten in die Karten spielten, obwohl sie nie am Österreicher-Topf teilnahmen. Salzburg setzte zwar nur sehr wenige Österreicher ein – dafür aber zumeist die besten, was sich in den letzten Jahren auch im Nationalteam niederschlug.

Aber auch für Rapid und Co. wird es künftig einfach nicht mehr möglich sein, gegen die „Aussteiger“ mitzuhalten. Wenn Rapid etwa auf einer einzelnen Position Handlungsbedarf, aber das für den Österreicher-Topf notwendige Ausländerkontingent bereits erschöpft hat, folgen mit hoher Wahrscheinlichkeit Entscheidungen, die die Qualität der Mannschaft beeinträchtigen. Sturm, LASK & Co. – um nur die unmittelbaren Konkurrenten der Hütteldorfer zu nennen – können sich ohne Teilnahme am Topf in der Kaderplanung ganz anders bewegen. Von Salzburg ganz zu schweigen. Es war ohnehin stets naiv zu glauben, die Salzburger auch nur ansatzweise angreifen zu können, wenn man weitgehend in einem so kleinen Teich wie dem österreichischen Fußball fischt (und da und dort noch einen ausländischen Transfer-Flop einstreut…).

Was soll man nun also tun? Nun, Ansätze gäbe es zur Genüge. Die wichtigste Erkenntnis nach Erhebung des Ist-Zustands ist die, dass der Österreicher-Topf funktionierte und vor allem das Bewusstsein für heimische Talente massiv schärfte. Über die letzten fast 20 Jahre wurde es schlicht zur Selbstverständlichkeit, dass man auf seine besten Jungen setzt, anstatt abgehalfterte Söldner zu verpflichten. Und das würde sich auch nicht ändern, würde der Ö-Topf vollständig fallen. Zu häufig bewies man sich selbst, dass es auch anders geht, als kurz nach dem Bosman-Urteil. Zudem sind die Nachwuchsabteilungen der heimischen Vereine durchwegs stärker aufgestellt als vor 20 Jahren und man kann seinen eigenen Jungen ohne Bauchweh ihre Chancen geben.

Auch das Nationalteam ist nicht in Gefahr. Die Reputation des Teams ist eine gute, Österreichs beste Nachwuchskicker werden mittlerweile zumeist im Ausland ausgebildet und erfreulicherweise schummeln sich auch immer wieder Spieler von Sturm, Rapid, der Austria oder dem LASK ins Nationalteam, was ebenfalls für gute Arbeit spricht. Der ÖFB hat speziell in den letzten zehn Jahren einen entscheidenden Schritt auf ein neues Level gemacht, das man ihm nur schwer wieder nehmen kann.

Das Bewusstsein, das der Ö-Topf in der Bundesliga schaffte ist zudem der Garant dafür, dass es in Österreich nie mehr zu Verhältnissen wie auf Zypern kommen wird. In der zyprischen 14er-Liga spielen 276 Legionäre – was zwei Drittel aller in der Liga unter Vertrag stehenden Kickern entspricht. In entsprechendem Zustand ist auch die zyprische Nationalmannschaft. Zypern gewann in den letzten fünf Jahren nur neun Spiele – unter anderem zweimal gegen San Marino…

Klar ist nach dem drohenden Massenexodus aber auch, dass der Österreicher-Topf nicht mehr lukrativ ist und deshalb entweder abgeschafft oder reformiert werden muss. Eine Abschaffung wäre möglicherweise etwas zu extrem, weshalb wir nun mehrere Lösungsansätze beleuchten wollen.

Der erste Ansatz betrifft natürlich das Geld. Würden im Österreicher-Topf nicht 6,1 Millionen Euro liegen, wie für die laufende Saison 2022/23, sondern 15 – 20 Millionen, wäre dies wohl für die meisten Klubs ein klarer Anreiz für ein neuerliches Commitment zum Konzept. In diesem Fall könnte der Ö-Topf nämlich zum „größten Sponsor“ eines Vereins werden – auch für die größeren. Die Frage ist nur: Wer zahlt’s? Und die weiterführende Frage: Würde es die österreichische Bundesliga tatsächlich aufwerten oder international konkurrenzfähiger machen? Vermutlich nicht.

Der einfachste Lösungsansatz wäre die Anhebung der Legionärsgrenze – etwa von 6 auf 7 oder von 6 auf 8. Dies ist aber nur eine Verschleppung des Grundproblems. Schnell hätten die Klubs im Schnitt einen Legionär mehr, aber das Umherfeilschen in der Kaderplanung und am Spieltag würde für die meisten weitergehen. Das trifft auch auf eine Aufstockung des Matchkaders – etwa von 18 auf 20 Spieler – zu. Zudem ändert es an der nicht zufriedenstellenden, finanziellen Situation nichts.

Logischer wäre hingegen die Beibehaltung des Österreicher-Topfs, mit dem Unterschied, sämtliche Einsatzminuten exakt abzurechnen. Das würde bedeuten, dass die Legionärsgrenze fällt, aber nur Einsatzminuten von Österreichern bringen den Klubs Geld ein. Das würde somit auch Red Bull Salzburg ermöglichen, ein wenig Kleingeld zu lukrieren, aber vor allem die Klubs, die in ihren Kaderplanungen nichts verändern möchten, haben deutlich größere Selbstbestimmungsmöglichkeiten. In Verbindung mit einer Aufstockung der finanziellen Mittel wäre diese Option wohl ideal.

Der Österreicher-Topf in seiner jetzigen Form ist nicht mehr zeitgemäß und in seiner Abrechnung extrem starr. Noch dazu ist das Konzept angesichts der vielen Veränderungen im Fußball im Allgemeinen, aber aufgrund der positiven Veränderungen im österreichischen Fußball im Speziellen, keine Notwendigkeit mehr für den Österreichischen Fußball-Bund.

Die durchaus mutige Pionierarbeit des Verbands in den letzten zwei Jahrzehnten wird dafür sorgen, dass es keine Zypern-Situation in Österreich geben wird – weder in der nächsten Saison, noch in zehn Jahren. Das nächste Ziel des Verbands muss viel mehr sein, dass die Liga nach innen und außen konkurrenzfähiger wird. Die größeren Klubs sollten näher an Salzburg herankommen. Die Mittelständler, die sich sensationell in die Europacup-Qualifikation spielen, sollten dort gegen internationale Klubs ohne irgendwelche Planungsschikanen konkurrenzfähiger sein. Und der Abstiegskampf bzw. das gesamte „untere Playoff“ sollte auf einem qualitativ höheren Level stattfinden. Und genau hierfür braucht es eine Öffnung und eine Reform eines Konzepts, das vor 20 Jahren hervorragend war, nun aber in dieser Form eindeutig ausgedient hat.

Daniel Mandl Chefredakteur

Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen

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