„Kompletter“ und variantenreicher Flügelspieler: Das ist Rapid-Neuzugang Arnor Ingvi Traustason
Bundesliga 14.Mai.2016 Alexander Semeliker 0
Am Donnerstag verkündete der SK Rapid noch vor dem Öffnen des Transferfensters den ersten hochkarätigen Neuzugang für die kommende Bundesligasaison. Arnor Ingvi Traustason wechselt vom IFK Norrköping nach Wien. Dass die Hütteldorfer für ihn so viel Geld in die Hand nahmen wie nie zuvor, zeigt wie überzeugt man von seinen Qualitäten ist.
Die Geschichte der Verpflichtung des isländischen Nationalspielers ist eine recht lange, kuriose und zu Tode erzählte. Das interessanteste ist wohl, dass Traustason im Winter den Wechsel zum österreichischen Rekordmeister selbst verhinderte, während sein Bekenntnis zu Rapid nun angeblich das Zünglein an der Waage war. Dass er sich trotz vermutlich lukrativerer Angebote für Rapid entschieden hat, bestätigt das Gerücht, wonach er seine Schritte wohlüberlegt setze. Etwas, das man auch am grünen Rasen erkennt.
Individuell „kompletter“ Flügelspieler
Die Resonanz der Fans auf diesen Transfer ist durchwegs eine sehr positive – wohl auch deshalb, weil sich vor Vorfreude viele die kursierenden Highlight-Videos des Neuzugangs angesehen haben. Dabei scheint es sofort augenscheinlich zu sein, dass Traustason eine hohe individuelle Qualität hat. Der Ball wird sehr eng am Fuß geführt, in hohem Tempo werden Gegenspieler stehen gelassen und es gibt zahlreiche Tore, an denen er direkt beteiligt ist. Das ist bei derartigen Zusammenschnitten naturgemäß wenig überraschend.
Blickt man genauer hin, dann trügt dieser Schein allerdings keineswegs. Es gibt wohl keine individualtaktische Kategorie, in der Traustason nicht mindestens überdurchschnittlich ist. Seine Technik am Ball ist sauber, seine Schusstechnik mehr als solide, seine Pässe finden in aller Regel die Mitspieler und mit seiner Athletik kann er sowohl Gegenspieler überlaufen als auch im Zweikampf bestehen und weite Wege gehen. Individuell gesehen ist der 23-Jährige also ein „kompletter“ Fußballer.
Dies legt den Schluss nahe, dass er nicht nur der ideale Ersatz für den höchstwahrscheinlich scheidenden Florian Kainz, sondern sogar von Beginn an ein Upgrade sein könnte. Vergleicht man die beiden auf den verschiedenen individuellen und taktischen Ebenen, dann erkennt man jedoch Unterschiede, die ein Urteil quasi nicht zulassen. Im individuellen Bereich unterscheiden sie sich zum Beispiel im Dribbling.
So ist Kainz jemand, der sich häufig über den Ball neigt, um dann aus einem tiefen Schwerpunkt heraus explosiv am Gegner vorbeizugehen. Traustason hingegen geht aufrechter in Eins-gegen-Eins-Situationen, wirkt weniger spektakulär. Ähnlich ist es im Zweikampfverhalten. Kainz wirkt dabei aktiver, was aufgrund von fast 10cm Körpergrößenunterschied naheliegend ist. Die Erfolgsquote müsste dennoch in einem ähnlichen Bereich liegen. Um zu verstehen, warum Traustason kein 1:1-Ersatz sein dürfte, bedarf es einen Blick auf die gruppentaktische Einbindung.
Vielseitige Rolle in Norrköpings 4-4-2
Der amtierende schwedische Meister agiert aus einer 4-4-2-Grundordnung heraus. Traustason spielt dabei in aller Regel am linken Flügel. Das war – im Vergleich zu Kainz, der schon in seinen ersten Bundesligaspielen dort eingesetzt wurde – nicht immer so. In den Anfängen seiner Profikarriere bei Keflavik IF und Sandnes Ulf agierte er im zentralen offensiven Mittelfeld. Während der ersten Saison in Norrköping rotierte ihn Trainer Janne Andersson häufig auf die rechte Seite. Diese positionelle Flexibilität zeigt sich auch in Traustasons Spiel.
Hier sieht man die Grundordnung bzw. die Orientierungen und Rollen der Spieler. Traustason driftet häufig in die Mitte oder besetzt den Halbraum. Im Kontrast dazu steht der rechte Flügelspieler in den meisten Fällen breit und agiert linear. Das Duo im Angriff wird von einem eher statischen Mittelstürmer und einem beweglichen, weiträumigen Akteur gebildet. Erstere Aufgabe übernimmt mit Emir Kujovic ein Spieler, der womöglich ebenfalls zu Rapid passen würde.
Der 27-Jährige, der in der letzten Saison Torschützenkönig wurde, ist technisch und physisch stark, zeigt als Wandspieler gute Bewegungen im Verbindungsspiel. Als hängende Spitze agiert mit Christoffer Nyman der aktuell erfolgreichste Torschütze des derzeitigen Allsvenskan-Tabellenführers.
Im defensiven Mittelfeld setzen die Schweden, wie im obigen Bild ebenfalls angedeutet, auf eine Passer-Pendler-Kombination. Auf der Sechserposition agiert der routinierte Finne Daniel Sjölund als Ballverteiler, während Andreas Blomqvist für dynamische Vorstöße sorgt. Gemeinsam mit dem regelmäßig einrückenden Traustason sind sie die treibende Achse im Ballbesitzspiel. Sind die Abläufe unter diesen drei Spielern nicht abgestimmt, wie beispielsweise bei der jüngsten Niederlage gegen Nachzügler Falkenbergs FF, dann fehlt jegliche Durchschlagskraft.
Eine interessante Wechselwirkung gibt es auch mit dem linken Außenverteidiger. Während sich bei Rapid hier ein recht starre Pärchenbildung zwischen Kainz und seinem Hintermann herauskristallisierte, agiert bei Norrköping der Linksverteidiger etwas variabler bzw. loser. Das restliche Team steht bei Ballbesitz im Wesentlichen in einem 3-3-3, das je nach Höhe des Linksverteidigers zu einem 3-4-3 oder 3-3-4 wird. Derart deutliche Mechanismen wie bei Rapid gibt es aufgrund der vielseitigen Rolle von Traustason nicht.
Variantenreiches Anbieten
Diese Vielseitigkeit spiegelt sich in vielen verschiedenen Aktionen wider. So hält Traustason in manchen Situationen ähnlich wie Kainz tief im Angriffsdrittel die Breite um dann ein Vorder- oder Hinterlaufen seines Hintermanns zu ermöglichen. Andererseits bietet er sich auch häufig zwischen den Linien des Gegners an und spielt dann schnell in die Tiefe. In anderen Szenen sieht man Traustason teilweise außerhalb des TV-Bilds, weil er die gegnerische Formation auseinanderziehen ziehen möchte, um dann mit Tempo hinter die gegnerische Abwehr zu sprinten. Nachfolgend ein weiteres Beispiel.
Hier lässt sich Traustason sehr weit nach hinten fallen um das Aufbauspiel anzukurbeln. Er steht hier sogar tiefer als die beiden defensiven Mittelfeldspieler. Durch sein Zurückfallen öffnet sich der ballferne Raum. Traustason lässt daher den Ball nur prallen und nach einem Wechselpass kann der ballferne Verteidiger den Ball nach vorne bringen. Es entsteht die nachfolgende Konstellation.
Durch die geschickte Staffelung der ballnahen Spieler sowie des Laufs eines Stürmers in die Tiefe erhöht Norrköping die Spieldynamik. Die Gegner werden vor die Aufgabe gestellt, sich schnell und abgestimmt aufeinander zu bewegen, sodass keine Löcher entstehen. Dies gelingt ihnen wie man sehen kann nicht. Traustason erkennt dies und läuft sofort das entstandene Loch zwischen Innen- und Außenverteidiger an, wird allerdings nicht angespielt. In ähnlicher Art und Weise sieht man diese Abläufe übrigens auch im ÖFB-Team von David Alaba.
Selbst wenn der erwähnte Raum im obigen Beispiel nicht entstanden wäre, so würde ein solch durchstechender Lauf von Traustason die gegnerische Abwehr vor Probleme stellen. Er hat nämlich den Vorteil, mit Tempo auf sie zuzulaufen. Ermöglicht wird das durch sein variantenreiches Anbieten. Er positioniert sich zwischen den Positionen und bindet damit mehrere Spieler. Aufgrund der ständigen Bewegung bringt das die Gegenspieler immer wieder in Schwierigkeiten. Sie müssen den Ball im Auge behalten, aber auch reibungslos übergeben sollte Traustason den Zuordnungsbereich verlassen. Hinzu kommt, dass sie nicht wissen, ob Traustason sich kurz anbietet oder explosiv in Richtung Tor startet.
Herausragende Entscheidungsfindung
Besonders schwierig und unangenehm für den Gegner ist das Anbieten von Traustason nicht nur aufgrund der Frequenz, sondern weil er noch dazu über eine herausragende Entscheidungsfindung verfügt. Das bedeutet, seine Bewegungen sind meistens so gewählt, dass man sie nicht vernachlässigen kann. Reagiert der Gegner nicht auf sie, läuft man große Gefahr, dass Traustason bzw. einer seiner Mitspieler schnell in Tornähe kommen.
Auch hierbei äußern sich Traustasons Qualitäten in vielerlei Hinsicht. So läuft er in Umschaltsituationen nicht blind durch vors Tor. Sind bereits genügend Mitspieler in der gefährlichen Zone oder wird vielleicht seine eigentliche Position besetzt, so hält er sich im Rückraum auf. Somit kann er nach einem temporär geklärten Ball umgehend wieder Druck erzeugen. Ähnliches gilt für den Fall, dass sein Team den Ball um den gegnerischen Defensivblock laufen lässt.
Traustason zeigt selten kopflose Einzeldurchbrüche oder sinnlose Sprints in die Tiefe. Er blickt im Dribbling eher noch einmal auf um die Situation bewerten zu können und passt seine Bewegung an bzw. bricht den Angriffsversuch gegebenenfalls ab. Ähnlich wie bei Kainz führt das dazu, dass manche Szenen unspektakulär gelöst werden. Im gruppentaktischen Sinn ist das allerdings oft sinnvoller, da ein besser postierter Mitspieler an Ball kommen könnte.
Räume schaffen und nutzen
Eine wesentliche Stütze beim Treffen von Entscheidungen ist naturgemäß das Gesehene. Dementsprechend wichtig ist es, sich ständig umzublicken. Was äußerst trivial klingt, sieht man gerade bei Spielern in der österreichischen Bundesliga sehr selten. Mit Traustason erhöht sich die Anzahl solcher Spieler jedoch. Der isländische EM-Teilnehmer blickt nämlich ständig nach links und rechts – auch über seine Schulter. Die Folge: er verschafft seinen Mitspielern mehr Platz und kann sich selbst ebenfalls in freie Räume absetzen um anspielbar zu sein.
In dieser Szene ist der Ball nach einem Wechselpass auf die linke Seite gekommen. Dementsprechend verschieben beide Teams auf diese Seite. Man sieht hier, wie sich Traustason im Lauf umblickt und erkennt, dass ein Mitspieler im Zentrum anspielbar wäre. Er selbst befindet sich im Deckungsschatten des rechten gegnerischen Mittelfeldspielers. Würde dies so bleiben, könnte der halbrechte Mittelfeldspieler des Gegners auf den freien Norrköping-Akteur herausrücken. Daher setzt Traustason seinen Lauf fort und zieht diesen Gegenpieler aus dem Zentrum raus.
Der angesprochene Mitspieler kommt nun an den Ball und wird vom erwähnten halbrechten gegnerischen Mittelfeldspieler gestellt. Dieser versucht nun seinen Deckungsschatten so einzusetzen, dass Traustason nicht anspielbar ist. Da sich der Isländer zuvor auf die Seite bewegte, vermutet ihn der Gegenspieler weiterhin dort. Doch Traustason läuft nun aus dem Deckungsschatten heraus und kann mit der folgenden Verlagerung eine Torchance einleiten. Auch diese Bewegungen – mit und entgegen der Spielrichtung – stimmt Traustason in aller Regel sehr gut mit der Dynamik und Struktur des Spiels ab.
Wie wird Rapid ihn einbinden?
Auf den ersten Blick mögen diese Ausführungen die eingangs erwähnte These, Traustason sei „besser“ als Kainz bestätigen. Doch sieht man sich die Einbindung von Kainz ins Rapid-Spiel bzw. dieses an sich an, dann werden die Unterschiede klar. Wie vor kurzem an anderer Stelle bereits ausführlich erklärt, liegt Kainz‘ Aufgabe bei Rapid eher darin, geradlinig und wesentlich unflexibler als Traustason zu agieren. Der Österreicher ist trotz seiner eher breiten Position ein Ballverteiler, der das Spielgerät auch mal länger hält. Traustasons Ballbesitzzeiten sind hingegen kurz.
Wie erwähnt hat der Isländer zwar eine tragende Rolle im Ballbesitzspiel Norrköpings inne, dies ist allerdings vielmehr aufgrund seines Bewegungsspiels so. Seine Pässe sind weniger komplex und strukturierend als jene von Kainz. Sollte dieser also erwartungsgemäß im Sommer ebenfalls den Verein wechseln, wird es interessant sein, ob sich das grün-weiße Spiel diesbezüglich ändern wird. Es ist zwar keineswegs ausgeschlossen, dass Traustason die Rolle von Kainz übernehmen könnte, aber wendet man für den Transfer eines Spielers wirklich dermaßen viel auf, wenn man seine Qualitäten nicht voll ausnützten möchte?
Alexander Semeliker, abseits.at
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