Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im Konjunktiv stecken blieb, die sich zu einem gegebenen Zeitpunkt radikal verändert haben oder sonst außergewöhnlich waren und sind: Sei es, dass sie sich nach dem Fußball für ein völlig anderes Leben entschieden haben, schon während ihre Profizeit nicht dem gängigen Kickerklischee entsprachen oder aus unterschiedlichen Gründen ihr Potenzial nicht ausschöpften. Auf jeden Fall wollen wir über (Ex)-Fußballer reden, die es sich lohnt auf dem Radar zu haben oder diese (wieder) in den Fokus zu rücken. Wir analysieren die Umstände, stellen Fragen und regen zum Nachdenken an. Heute sprechen wir über jenen Spieler, der einst als Österreichs vielversprechendster Stürmer gegolten hat, aber nur als Klub-Wandervogel Kultstatus erlangte…
„Chaos 5“ besiegte Malaysia, Deutschland und Ungarn und krönte sich so zum Street Soccer-Weltmeister 1996. Trainer Heribert Weber und seine fünf Spieler hatten allen Grund diesen Triumph zu begießen, doch einer von ihnen durfte noch nicht einmal ein Bier trinken: Der Bub mit Mittelscheitel und welligem Haar hatte noch nicht seinen 14. Geburtstag gefeiert, als er den Pokal in die Luft reckte. Sein Name: Roman Wallner. Vier Jahre später spielte eben dieser Wallner für Rapid Wien und galt als kommender Superstar. Legendär der Ausspruch Hans Krankls, der dem Stürmer (und seinem Kollegen bei der Austria, Roland Linz) eine glorreiche Zukunft vorhersagte, doch nach 22 Jahren im Profisport sollte Roman nur ein Nomadenleben in der österreichischen Bundesliga und 29 Nationalteampartien vorweisen können.
Kein Kind von Traurigkeit
Mit runder Brille und Vollbart steht Roman Wallner heute an der Linie und coacht den Salzburger Traditionsverein SAK 1914, bei dem Frenkie Schinkels einst seine Karriere in Österreich begann. Er habe sich am Platz als Fußballer ausgelebt, erzählt der gebürtige Steirer, abseits davon sei er aber ein ruhiger Typ gewesen. Entspannt war Wallner schon immer. Vielleicht zu entspannt, wenn es um die Humanaskese geht, die der Profisport naturgemäß mit sich bringt.
Geboren wurde der Fußballer am 4. Februar 1982 in Graz. Schon als Sechsjähriger war er in der Akademie von Sturm aktiv. Wallner galt bereits als Knirps als Toptalent; er wurde als dreimal so gut wie seine Altersgenossen beschrieben. Im zarten Alter von 16 Jahren gelang dem späteren A-Team‑Kicker, was nicht viele österreichische Spieler von sich behaupten können: Er wurde am 9. Dezember 1998 im Champions-League-Spiel gegen Inter Mailand in der 84. Minute eingewechselt. Das wars dann aber auch. Sein Stammverein hatte in der Legionärstruppe keine Verwendung für den Jungspund, so wurde Wallner ‑ trotz Verletzung ‑ 1999 ein Grün-Weißer. Mit seinem Umzug in die Bundeshauptstadt ließ er nicht nur den Rasen in Liebenau, sondern auch Grazer Innenstadtlokale wie das legendäre „Uno“ hinter sich. Denn auch im Nachtleben gab der Mittelstürmer schon in ganz jungen Jahren gerne Vollgas.
Bei Rapid wurde Wallner in seinem ersten Bewerbsspiel, einem Cupmatch, gleich mit Rot vom Platz gestellt. Für den Schiri hatte er nachgetreten. Diese Überehrgeizigkeit machte ihn bei den Fans rasch beliebt; der Stürmer kämpfte und biss. Dank seiner ansprechenden Leistungen avancierte er neben Andi Ivanschitz zur Nachwuchshoffnung der Hütteldorfer. Wallner schien die Schulterklopferei zu gefallen, er saß gern mit den grün-weißen Anhängern bei einem Krügerl zusammen. Teilweise hielt ihn diese Feierlaune auch nicht von guten Leistungen ab, besonders in der Katastrophensaison 2001/02 bewahrte er die Wiener mit 15 Treffern in 34 Spielen vor dem Abstieg. 2001 wählten ihn die Leser einer Tageszeitung zu Österreichs „Fußballer des Jahres“. Mit 1,74 Meter war er zwar klein, aber beweglich und quirlig. Er verfügte über eine sehr gute Technik, war spielintelligent und auch bei Standards gefährlich. Roman Wallner brachte alles für eine große Karriere mit, doch obwohl man ihm Einsatzwillen am Feld nicht absprechen konnte, schien sein Fokus abseits des Platzes nicht immer auf den Sport gerichtet zu sein.
Was schon in seiner frühen Jugend in Graz begonnen hatte, wurde in Wien fortgesetzt: Wallner feierte in Discos und Klubs, mit und ohne Fans und ging mit jeder alkoholischen Bewusstseinstrübung zwischen Damenspitz und Vollrausch nachhause. Dementsprechend war die Bandbreite am nächsten Morgen auch von leichten Kopfschmerzen bis zum „Kater sein Uropa“ gegeben. Wallner war ein Bruder Leichtfuß, wie Anekdoten aus dieser Zeit illustrieren: Auch hier gab es witzige Episoden, wie jene vom vergessenen Kumpel im Gästebett, aber auch verantwortungslose Vorkommnisse wie z.B. Autofahren mit zu viel Promille. Der Rapid-Stürmer lebte wie ein großes Kind, ernährte sich hauptsächlich von Pizza, schmiss Lokalrunden und hielt jeden für seinen Freund: Roman konnte schlecht nein sagen. Er selbst bezeichnet sich heute als „sensiblen Spieler“. Sein Ex-Trainer Dokupil meinte zu seiner Entwicklung lapidar: „Der Bub ist ganz depatt geworden.“ Laut dem ehemaligen Meistermacher habe der Verein das Verhalten Wallners unnötig skandalisiert und den Spieler so nachhaltig verändert.
Tatsächlich zeigte das profiunwürdige Privatleben des Angreifers irgendwann jedoch Auswirkungen auf sein Tagwerk: Sein Arbeitgeber mahnte ihn mehrmals ab; aufgrund von Übergewicht musste der Spieler sogar zeitweise außerhalb der Mannschaft trainieren. Letztendlich machte eine chronische Patellasehnenentzündung seine letzte Saison beim österreichischen Rekordmeister zu einer Spielzeit zum Vergessen. Bei Hannover 96 wollte er seine internationale Klasse trotzdem beweisen.
Wanderjahre eines Stürmers
„Man muss am Punkt da sein und alles geben. Aber man braucht auch Glück und es sollten Leute da sein, die dich ein bisschen forcieren. Das war im Ausland bei mir nicht der Fall.“, resümiert der Offensivspieler nicht nur sein erstes Engagement außerhalb Österreichs, sondern auch die weiteren Stationen, die noch folgen sollten: Er sei stets zu ungeduldig gewesen und wollte seinen Platz im Nationalteam, dem er seit 2001 angehörte, nicht gefährden.
Nach seinem Wechsel zu den Niedersachsen machte Wallner 2004 jedenfalls nur Schlagzeilen, weil er eine Stewardess unflätig beschimpfte oder im Vollrausch seinen Mercedes umparkte. Schon bald heuerte er bei der Admira an, fand dort aber auch nicht zurück in die Erfolgsspur. Frenkie Schinkels holte ihn daraufhin zur Austria, obwohl jeder den großgoscherten Holländer (nach Eigenaussage) fragte: „Was willst mit dem Trottel?“ Wallner hatte sich zuvor nämlich mit seinem Admira-Trainer angelegt und musste zwangsweise bei den Amateuren kicken. Der gerade einmal 24-jährige war schon als „schwieriger Fall“ gebrandmarkt. Nach neun Spielen und dem Double in violett transferierte der Angreifer schließlich nach Schottland, holte sich bei Falkirk und Hamilton aber nur eine gebrochene Nase. Der nächste Stopp auf Romans Karriereleiter war Griechenland, wo der ÖFB-Teamspieler aufgrund von FIFA-Regeln jedoch nur als juristisches Problem in Erinnerung blieb. Insgesamt gestalteten sich Wallners Wanderjahre wie nach einer Erzählung von Charles Dickens (mit anderen Worten: tragisch), auch wenn der Angreifer diesen etwas Positives abzugewinnen versucht: „Ich habe – etwa in Griechenland – harte, aber lehrreiche Zeiten erlebt. Das hat mir als Mensch viel gebracht.“
Es lief erst wieder, als sich der Stürmer 2009 das schwarz-weiße Trikot des LASK überstreifte. Ex‑Teamchef Krankl mutierte zum Glücksengerl für den gebürtigen Steirer: Er schenkte dem Mittelstürmer sein Vertrauen, der dieses mit Toren zurückzahlte. In Oberösterreich qualifizierte er sich nach mehrjähriger Abstinenz auch wieder für das Nationalteam und weckte das Interesse von Ligakrösus Red Bull Salzburg. In der WM-Quali zimmerte er einen Elfmeter gegen Litauen ins Kreuzeck wie es nur ein Spieler mit Selbstvertrauen macht. Und mit Klasse.
Weltberühmt in Österreich
Der heute 40-jährige führte als LASKler zeitweise die Torschützenliste an und lieferte stabile Leistungen bei Salzburg ab. Vielleicht brauchte Wallner sein gewohntes Umfeld, die Nähe zu seiner Familie, um gute Leistungen zu bringen. Nach unerfreulichen Transfers spielte und traf er wieder regelmäßig und verdiente überdies in Wals-Siezenheim gutes Geld. In der Winterpause 2011/12 wechselte er innerhalb der Unternehmensstruktur zu Leipzig. Sollte sich die erfolgreiche Auslandskarriere für den fast 30-jährigen nun doch realisieren? Nein, denn Rasenballsport gelang der Aufstieg nicht und Neo-Sportdirektor Rangnick hatte keine Verwendung für den Steirer. Wallner, dessen 2008 geborene Tochter mit ihrer Mutter in Innsbruck lebt, ging daraufhin zu Wacker. Die erfolgreichen Tage seiner Laufbahn waren allerdings vorbei: Er stieg mit den Tirolern ab; auf seiner letzten Vereinsstation, in Grödig, wurde er Spieler eines Drittligisten.
Als er im März 2019 seine Fußballschuhe an den Nagel hängte, hatte der damals 37-jährige 370 Bundesligaspiele und 112 Bundesligatore zu Buche stehen, war A-Nationalspieler gewesen und sein Marktwert war zu LASK-Zeiten auf 2 Millionen Euro geklettert – keine verpatzte Karriere, aber für die Anlagen des Steirers trotzdem irgendwie zu wenig. Zwar wurde der Spieler nicht müde zu betonen, dass er nach seinen frühen Flegeljahren bei Rapid, Hannover und Admira gereift sei. Einstellungsprobleme gab es jedoch bis zu seiner Zeit in Innsbruck, als ihn Michael Streiter wegen schlechter Trainingsleistungen sogar zu den Amateuren verbannte. Roman Wallner und Profifußball – das passte nicht so ganz.
Ein weiterer Grund, warum Wallner kein europäischer Topstürmer wurde und für die Elite der Elite kickte, ist aber auch in seiner Spielweise gelegen. Wallner war als Stürmertyp eigentlich ein „has been“ und im modernen Fußball nicht mehr gefragt: Zu klein als Mittelstürmer, zu langsam für die Seite. Dieses Urteil fällte auch Goleador Hans Krankl als er zum x-ten Mal mit seiner Aussage vom „Sturm, um den uns ganz Europa beneiden wird“ konfrontiert wurde. Das Konzept, indem Wallner dauerhaft glänzen hätte können, entschlüsselte kein Trainer und so wurde aus der einstigen Hoffnung „nur“ ein Wandervogel mit Kultcharakter. Der Angreifer ist definitiv „weltberühmt in Österreich“ – das wird schön von dem Satireprojekt des „1. Roman Wallner Fanclubs“ illustriert. Der Spieler selbst kann darüber lachen, viel anderes bleibt ihm aber sowieso nicht übrig: „No Wallner, no Party!“
Marie Samstag, abseits.at
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Marie Samstag
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