Men to (re)watch (52) – Martin Pucher (KW 52)
Bundesliga 31.Dezember.2022 Marie Samstag
Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im Konjunktiv stecken blieb, die sich zu einem gegebenen Zeitpunkt radikal verändert haben oder sonst außergewöhnlich waren und sind: Sei es, dass sie sich nach dem Fußball für ein völlig anderes Leben entschieden haben, schon während ihre Profizeit nicht dem gängigen Kickerklischee entsprachen oder aus unterschiedlichen Gründen ihr Potenzial nicht ausschöpften. Auf jeden Fall wollen wir über (Ex)-Fußballer reden, die es sich lohnt auf dem Radar zu haben oder diese (wieder) in den Fokus rücken. Wir analysieren die Umstände, stellen Fragen und regen zum Nachdenken an: Als letzten Teil der Serie, die auch – entgegen des Musters – an einem Samstag, nämlich am letzten Tag des alten Jahres erscheint, brechen wir das bisherige Muster dahingehend, dass wir über einen Funktionär sprechen, der die österreichische Liga geprägt hat…
Didi Kühbauer bezeichnete ihn einmal als seinen „zweitgrößten Förderer“ und als „super Typen“. Dieser „super Typ“, dem die Rapidlegende „blind vertraute“, raubte ihm letztendlich aber „zumindest 1,866 Millionen Euro“: Am 14. Juli 2020 wurde der Skandal um die Commerzialbank Mattersburg mit dem Geständnis von Martin Pucher – Kühbauers „super Typ“ – öffentlich und der Geschäftsbetrieb der Regionalbank sofort untersagt. Rasch kam heraus, dass Pucher nie der erfolgreiche Macher war, als der er sich jahrzehntelang ausgegeben hatte. Mittels erfundener 700 Millionen Euro hatte es der gebürtige Mattersburger geschafft an allen nationalen und internationalen Prüfmechanismen vorbei 25 Jahre lang sein Finanzunternehmen aufrechtzuhalten und damit als Dorfkaiser im Mittelburgenland zu werken. Wann, wenn nicht zu diesem Zeitpunkt, würde das Zitat Bert Brechts besser passen: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“
Ein echter Grün-Weißer
„Mir wäre es aufgefallen.“, gab Pucher bei den Einvernahmen der Untersuchungsbehörden frech zu Protokoll, als man ihn fragte, wie er diesen Schwindel über so lange Zeit aufrechterhalten konnte. Letztendlich waren die Konsequenzen des Betrugs für die vielen Klein- und Großanleger der Pucher’schen Bank alles andere als lustig. Für den SV Mattersburg, den Pucher seit 1988 leitete, bedeutete das Aus des Geldinstituts gleichsam das Ende des Vereins – nur zwei Jahre vor seinem hundertjährigen Bestehen. Das Burgenland steht nun mehr seit über zwei Jahren ohne ernsthaften Klub da, nachdem die Grün-Weißen Konkurs anmelden mussten. Ein Stich ins Herz für die vielen Fußballbegeisterten des östlichsten Bundeslands Österreichs.
Zu diesen Fußballfans zählte einst auch Pucher selbst: Der spätere Funktionär und Bankmanager wurde am 22. Februar 1956 geboren und wuchs in einer Siedlung oberhalb des Mattersburger Fußballplatzes auf. Pucher hatte sieben Geschwister, der Vater war Friseur. Schon als Kind war Martin dicklich und ungeschickt, der Traum vom Profispieler blieb für ihn somit unerreichbar. Stattdessen lebte er seine Leidenschaft – wie viele Burgenländer – als glühender Rapidfan aus und war bestrebt sich im lokalen Sport zu engagieren: Gottseidank, liefen auch die Mattersburger in Grün-Weiß auf. Während Bruder Robert das Geschäft des Vaters weiterführte und daneben als Berater tätig war – Didi Kühbauer nannte ihn seinen wichtigsten Förderer – , machte Martin nach der Handelsschule eine Banklehre bei der Raiffeisenkasse und suchte nach einem Weg ebenfalls im Fußballgeschäft anzudocken. Weggefährten beschrieben ihn als unheimlich ehrgeizig: Pucher genügte es nicht als Filialleiter der Raiffeisenbank im nahen Zemendorf sein Geld zu verdienen. Er wollte mehr. Egal mit welchen Mitteln.
Anfang der 90er bat er erstmals eine Schalterbeamtin einen gefälschten Kontoauszug zu erstellen. Komplizin war die damals 19-jährige Franziska K., die bis in den Sommer 2020 Puchers rechte Hand bleiben sollte. „Ich kann nicht in Worte fassen, wie leid es mir tut. Ich würde alles dafür geben, das Geschehene rückgängig zu machen, aber ich kann es leider nicht mehr ungeschehen machen.“, bedauerte diese fast dreißig Jahre später. K. blieb Pucher treu, als er sich selbständig machte und stieg in „seiner“ Commerzialbank zum Vorstandsmitglied auf. Mit ihrer Hilfe machte Pucher dort weiter, wo er in Zemendorf mit dem gefälschten Kontoauszug angefangen hatte: Sie täuschten gemeinsam Bankguthaben vor, um ein funktionierendes Unternehmen zu suggerieren. K. galt als Workaholic und Wachhund, vor der die Angestellten Respekt hatten. Keiner ahnte, dass ihre vielen Nachtschichten und Wochenenddienste einen bestimmten Grund hatten.
1995 löste sich Pucher als Selbständiger mit acht Filialen aus dem Raiffeisenverband und gründete die Commerzbank (später Commerzialbank) Mattersburg. Der Mann mit dem dunklen Schnauzer verkörperte für viele burgenländisches Revoluzzertum: So erklärte er seinen Kunden, ihr sauerverdientes Geld solle in Zukunft nicht für Fehler der „Großkopferten“ von Raiffeisen einzustehen haben und begründete so seinen Weggang. Pucher kreierte ein Märchen: Offiziell wuchs seine Bank und verzeichnete selbst während der Finanzkrise 2008 unglaubliche Gewinnzuwächse. Ihr Chef versuchte sich unangreifbar zu machen, indem er Sympathiepunkte bei der Bevölkerung sammelte: Seinen Sparern zahlte er überhöhte Zinsen, in der Region unterstützte er die Freiwilligen Feuerwehren und andere Sozialprojekte. Der SVM-Obmann stilisierte sich als Robin Hood, obwohl seine Bank bereits seit der Jahrtausendwende wie ein Kaisersemmerl krachte.
Dreißig Jahre scheiße drauf
Nachdem er beruflich erfolgreich schien, widmete sich der Banker mit Feuereifer seiner großen Liebe: Schon als 32-jähriger wurde er zum Obmann des SV Mattersburg gewählt, später fungierte seine Bank auch als Hauptsponsor der Grün-Weißen. Pucher zog dieselbe One-Man-Show, die er schon im Berufsalltag lebte, ab: Nach dem Motto „Zuckerbrot und Peitsche“ schloss der SVM Verträge mit überdurchschnittlichen Spielergehältern ab, lockte burgenländische VIPs zu den Heimspielen und präsentierte sich als Arbeiterverein, der regelmäßig den größeren Klubs auf die Zehen treten wollte. Das Wort des Chefs galt dabei stets. Ein hiesiger Bezirkshauptmann brachte es knackig auf den Punkt: „Gott weiß alles, aber Pucher weiß alles besser.“
Unter der Führung des Finanzbetrügers kehrten die Burgenländer 1990 in die Landesliga zurück und bauten vermehrt auf lokale Talente. Mit Urgestein Didi Kühbauer gelang 2003 der große Coup und Mattersburg spielte plötzlich in der Bundesliga. Bis 2013 konnte man sich in der höchsten Spielklasse über Wasser halten und absolvierte auch zwei Cupfinali. Mit Mörz, Patocka, Atan, Onisiwo und Fuchs stellten die Grün-Weißen Nationalspieler und kickten zweimal im Europacup. Eine Erfolgsgeschichte mit Schönheitsfehler: Das Budget der Mattersburger kam überwiegend aus Puchers Bank und existierte nur als Zahlen im Computer. Pucher zahlte schwarz und schreckte nicht davor zurück, dass Sponsoring des SVM zu fälschen: Er veranschlagte das Geld von kleinen bis mittelständischen Betrieben höher, bezahlte die Differenz mit Bankguthaben und erklärte dessen Verlust (z.B.) mit einer Kreditvergabe.
Nach dem Aufstieg 2003 fungierte Pucher zwei Jahre später auch (zunächst interimistisch) als Präsident der Österreichischen Fußball-Bundesliga. 2008 beteiligte sich der SVM an der Gründung der burgenländischen Fußballakademie. Martin Pucher schien am Höhepunkt seiner Macht zu sein: Die Mattersburger waren zwar als Holzfüße der Liga verschrien und galten als Dorfklub, sie boten jedoch vielen Einheimischen eine fußballerische Heimat, waren Anlaufpunkt für burgenländische Talente und mutierten zum Stolz der Umgebung.
Als die Mattersburger 2013 am letzten Spieltag völlig überraschend abstiegen, sollte auch Martin Puchers persönliche Glückssträhne reißen: Zwei Jahre später machte ein Whistleblower Meldung bei der Finanzmarktaufsicht: „Martin Pucher schafft seit Jahren Millionen zur Seite. Dieses Geld wird verwendet für Schwarzgeldgeschäfte und -auszahlungen an Funktionäre im Fußballverein Mattersburg (Profis und Amateure), Abdeckung seiner eigenen Schulden und die seiner Kinder, sowie zur persönlichen Bereicherung.“ Pucher, der keinen Computer bedienen könne, lasse sich mehrmals im Monat hunderttausende Euro im schlichten Papiersackerl ins Büro schicken, wusste der/die Informant/in. Obwohl die Wirtschafts- und Korruptionsanwaltschaft keinen „ausreichenden Anfangsverdacht“ erkannte und Ermittlungen daher rasch im Sande verliefen, war die Aufregung für den damals 57-jährigen zu viel: Pucher erlitt rasch hintereinander zweit Schlaganfälle. Ihm dämmerte, dass das Ende seines Kartenhauses nahte. Mittels fragwürdiger Investitionen versuchte er sich und der Bank noch etwas Luft zu verschaffen, doch letztendlich blieb dem 64-jährigen kein Ausweg mehr, als mit den Behörden zu kooperieren. Puchers Frau sagte im Zuge der Einvernahmen, jetzt sei für sie endlich klar, warum ihr Mann dreißig Jahre lang scheiße drauf gewesen sei: Kriminalität ist eben Hochleistungssport.
Nachdem der SVM seinen Hauptsponsor verloren hatte, musste er im August 2020 seine Bundesligalizenz zurücklegen und meldete Konkurs an. Der Verein konnte keine neuen Förderer finden und war schließlich gezwungen sich aufzulösen – eine Katastrophe für den Traditionsklub. Die Seifenblase platzte und ließ gebrochene Fanherzen zurück: Fanbetreuerin Christa Weinberger seufzte: „Mir ist meine zweite Familie genommen worden.“ Die stolze Geschichte des SV Mattersburg endete jäh und letztendlich muss man bilanzieren, dass auch die Erfolge – die knappe Cupfinal-Niederlage gegen die Austria 2006, Europapokal-Auswärtsfahrten nach Basel, Platz 3 in der Saison 2007 oder auch nur die vielen Kampf-und-Krampf-Duelle vor dem Talviadukt der Mattersburger Bahn, wenn die Burgenländer den „großen“ Grünen aus Wien doch Punkte abnahmen – nur auf der wildgesponnenen Lüge des Martin P. basierten. Das Gegenteil von „gut“ bleibt „gut gemeint“ – fraglich jedoch, ob das verarmte Kleinanleger oder ehrenamtliche SVM-Mitarbeiter auch so sehen.
Marie Samstag, abseits.at
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