Österreichs Stadionsprecher im abseits.at-Talk (1): Austria-Einpeitscher Erwin Gruber
Bundesliga 21.Mai.2016 Harald Heeberger 0
Erwin Gruber ist seit nunmehr 20 Jahren Stadionsprecher beim FK Austria Wien. Auch abseits seiner großen Leidenschaft Fußball ist er – neben seiner beruflichen Tätigkeit bei einem Versicherungsunternehmen – als Moderator sehr begehrt. So moderiert er u.a. seit zehn Jahren das Damentennisturnier in Linz und ist laut Eigendefinition „Pausenclown“ beim Wiener Kabarettfestival.
Woher kommt die generelle große Verbundenheit mit dem Fußball?
Meine Leidenschaft für den Fußball wurde durch meinen Onkel geweckt. Er ist regelmäßig auf den Fußballplatz gegangen und hat mich immer mitgenommen, auch zur Wiener Austria. Er war schon immer ein Violetter und hat meine Leidenschaft sehr forciert. Das war nicht nur beschränkt auf die Spiele der Austria, sondern auch viele internationale Spiele habe ich da gesehen. Wir haben fast alle Heimspiele der Nationalmannschaft im Stadion verfolgt. Da war mein erstes großes Match ein WM-Qualifikationsspiel für die WM 1966 im großen Wiener Stadion gegen Ungarn. Leider 0:1 verloren. Das hat mich fürchterlich aufgeregt, weil ein Abseitstor der Österreicher nicht gezählt hat.
Wie kommt man zum Beruf des Stadionsprechers?
Ich habe selbst aktiv bei Slovan gespielt und bin klassisch durch Schulfreunde hineingekommen. Am Sprung in die Mannschaft war leider Unterricht zeitgleich mit den Trainings. Daher war die Karriere schon wieder beendet. Nochmal gespielt habe ich im Reichsbund, in einer Mannschaft aus Fleischern, beim CWF. Diesen Verein gibt es unter anderen Voraussetzungen heute noch. Da spielte ich zwei Saisonen, abgesehen davon leidenschaftlich als Hobbykicker bis heute.
Irgendwie habe ich gespürt, dass die ganze Moderationsgeschichte in mir ist. Ich hatte einen Schulfreund, der unbedingt zum ORF wollte und das durchgezogen hat. Ich habe aber gemeint, da kann ich nicht nachziehen, sonst imitiere ich ihn ja. Darüber habe ich mich mit ihm Jahre später ausgetauscht. In meiner Zeit als DJ habe ich manchmal richtige Moderationen auf Bänder gespielt. Das ist angekommen und wurde als professionell bewertet. Mein Freund meinte schließlich, ich wär ein Trottel, wenn ich da nicht weitermache.
Danach habe ich zwei Seminare für Stimme und Sprechen belegt. Ich wollte es einfach wissen. Dann kam ich an zwei bekannte Geschäftspartner der damaligen Bundesländer-Versicherung und habe mich empfohlen, bei Veranstaltungen zu sprechen. Eine Schiene brachte mich zu meiner ersten öffentlichen Sportmoderation beim Wienerwald-Marathon im Mai 1995. Das war eine Radsportveranstaltung. Die zweite Schiene war über Herrn Rudolf Rappel, einem ehemaligen Austria-Spieler. Er meinte: „Gehen‘s zum Herrn Slezak bei der Austria und schaun wir mal.“
Gesagt getan, ich ging hin mit meinen Unterlagen und wollte als Einspringer wirken. Und dann kam im Juli 1996 der Anruf von Werner Hebenstreit, dem damaligen Manager der Wiener Austria. Er sprach die magischen Worte: „Kommens am Samstag ins Horr-Stadion, sie sind der neue Stadionsprecher.“ Punkt. Ich gehe also hin zum Intertoto-Spiel gegen Keflavik IBK aus Island und habe erwartet, ich wachse langsam hinein. Aber es hieß einfach: „Fang an!“ Einen Satz meines Vorgängers vergesse ich nicht. Er hört mir zu und sagt: “I sog dir ans, du bist gut, ich unterstütz dich.“ Beim Hinausgehen hörte ich noch: „Super, gratuliere, endlich ein gscheider Stadionsprecher.“ Beides hat mich dann schon sehr gefreut.
Was muss ein Stadionsprecher mitbringen?
Es hat sich im Laufe der Jahre unfassbar viel geändert. Man muss seine eigene Rolle definieren und sich nicht zu wichtig nehmen. Was habe ich zu tun? Wer ist meine Zielgruppe und was muss man denen bieten? Damals hat Andy Marek von Rapid einen neuen Stil in Österreich etabliert. Das war mehr als nur anzusagen, wer hat das Tor geschossen etc. Das kam aus Deutschland. Alles ging mehr in Richtung Entertainment. Das wollte ich für die Austria adaptieren und meinen eigenen Stil finden. Ich bin ja schließlich nicht Marek #2 und wollte das auch nie sein.
Servicierung der Werbepartner war immer wichtig, so als wäre es mein eigenes Unternehmen. Das ist oberste Priorität. Bis jetzt hat sich auch noch nie ein Werbepartner beschwert. Ein wichtiger Teil ist auch die Musik. Nun hast du ein Publikum von 3 bis 98 Jahren. Dieses große Klientel musikalisch umfassend zu servicieren geht nicht. Also musst du einen gemeinsamen Nenner finden. Information, Unterhaltung, Werbepartner, Musik sind die magischen Säulen – das ist es.
Alles ist immer ein Prozess. Wenn ich etwas sehe, höre, bemerke gibt’s sofort einen Austausch. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit den Leuten vom Ton und den Betreuern der Vidiwalls. Der Austausch und Abstimmungen passieren laufend, das ganze Jahr über, z.B. via WhatsApp-Gruppe.
Wir sehen auch immer, wie es andere machen. Zumindest einmal im Jahr fahren wir ins Ausland und besuchen Matches. Da kann man immer was mitnehmen. Vor kurzem waren wir in London, Arsenal gegen Watford. In England überrascht mich immer, wie wenig im Vergleich zu uns fürs Entertainment getan wird. „Handwerklich“ ist dort alles top, aber wir machen einfach mehr. Anders erlebten wir am nächsten Tag ein Match im Wembley-Stadion. Da fand ein Unterhaus-Cup-Finale statt. Wir haben gesehen, was man vor so einem Endspiel alles inszenieren kann. Die Show war unfassbar – einfach gut gemacht. Irgendwo nimmt man immer was mit.
Wie läuft die Interaktion mit den Fans?
Gehen wir den Matchtag durch: Ich bereite Informationen für den Spieltag auf. Aktuelle Gäste, Ankick, Überreichungen, Geburtstagswünsche und und und. Meine Werkzeuge sind Mikro und Headset sowie eine Mappe mit meinen Notizen. Die ist quasi mein Hirn. Eintreffen im Stadion: Zwei Stunden vor Matchbeginn, spätestens. Dann machen wir jedes Mal eine Ablaufbesprechung, ein großes Muss. Wir dürfen keine Überlänge zulassen, weil es dadurch Probleme für die Fernsehsender geben würde. Wir haben auch spezielle Aktion wie den „Fan of the Match“. Dort wird eine Person auf den Rängen gesucht per Kamera und diese Suche auf die Vidiwalls übertragen. Einfach und effektiv, aber nur exakt an einem festgelegten Zeitpunkt vor dem Spiel möglich.
Wir sind aber gewohnt, nach einem exakten Zeitplan zu arbeiten. Ganz wichtig ist die engste Zusammenarbeit zwischen Videowall und mir. Die Bespielungen und die Moderation passen immer zusammen. Mit Musik bauen wir die Spannung bis zum Matchbeginn auf. Problematisch sind da Trauerminuten, aber die gehören manchmal auch dazu. Dann bin ich fertig, übergebe die Stimmung unmittelbar vor dem Anpfiff an die Fans und schau mir das Match von der Tribüne aus an.
Kann man die Leute auch zwischendurch „kitzeln“?
Das ist eigentlich nicht erlaubt und die Einflussnahme ist daher begrenzt. Ich glaube, ich kann die Leute theoretisch vorher schon zum Kochen bringen. Die Macht des Mikrofons muss man aber kennen. Wir können die Leute anheizen, aber das bringt nichts, wenn die Mannschaft schlecht performt. Ein gutes Match ist erst durch die Spieler ein gutes Match.
Was war die heikelste Situation bis jetzt?
Zwei Platzstürme, einmal davon gegen den GAK mit Matchabbruch. Auch blöd war beim 90-Jahr-Jubiläum gegen die Bayern eine Konfrontation auf dem Feld nach dem Spiel. Das allerschwierigste mit Abstand war aber Austria gegen Athletic Bilbao in der Europa League. Die Schiedsrichter haben uns in der Saison nicht verwöhnt. Nach dem ersten Abseitstor für die Spanier kochte die Stimmung schon hoch, beim zweiten nach einem Stürmerfoul ging es noch weiter und es wurde ungemütlich. Die ersten Becher flogen. Im Moment, als der Schiedsrichter auf mich zukam wusste ich, dass es haarig wird. Ich war ja selbst aufgebracht wegen der Fehlentscheidungen. Ich vergleiche es gerne mit dem Biathlon, wenn man zum Schießstand kommt. Der eigene Puls ist auf 200, aber ich muss möglichst schnell hinunterkommen. Dann flogen immer mehr Becher, die ersten Leute sprangen aufs Feld und der Schiedsrichter schickte die Teams in die Kabine.
Die UEFA-Leute haben in dieser Situation kaum Unterstützung gegeben. Aber wir wollten natürlich keinen Abbruch. Auch gegen St. Petersburg in der Champions League war es unangenehm wegen Knallkörpern aus dem Fansektor der Gäste. Auch hier war der UEFA-Mann im ersten Moment ein bisschen überfordert. Das waren die unangenehmsten Sachen. Du bekommst von Seiten der UEFA also nur bedingt Unterstützung aber davor reglementieren sie dich voll.
Wie könnte man auf gegnerische Fans in so einem Fall Einfluss nehmen?
Normal ist ein Dolmetscher dabei, der immer in Reichweite sein muss. Ich frage ihn nach der korrekten Aussprache der Namen der Gastmannschaft und im Ernstfall ist er sehr wichtig. Beim St. Petersburg-Match habe ich ihn gar nicht erst von meiner Seite weichen lassen.
Wie jeden anderen nervt auch Sie wahrscheinlich der Job bei einer Niederlage. Wie geht man damit um?
Wenn lange schlecht gespielt wird, muss man sich selbst bei der Nase nehmen und richtet sich gegenseitig im Team auf. Du hast die Verpflichtung deinem Publikum gegenüber, immer gute Arbeit abzuliefern, egal ob die Mannschaft gut oder schlecht spielt.
Wie ist die Verbindung zu den eigenen Fans?
Jeder, der mit mir kommunizieren möchte, kann das selbstverständlich gerne tun. Aber ich kann mir natürlich nicht für alle Zeit nehmen. Das geht sich gar nicht aus. Für die eigentliche Fanbetreuung gibt es Zuständige beim Verein. Ich werde aber jederzeit gerne dabei sein, wenn man mich in diesem Bereich braucht.
Gibt‘s auch Hoppalas in Ihrem Beruf?
Natürlich. Ich hab einmal bei einem Derby statt Toni Pfeffer Toni Polster aufgestellt. Das war sogar am nächsten Tag in der Kronen Zeitung und galt als Lösung für die damalige Stürmerkrise bei der Austria. Hoppalas passieren. Klassiker sind z.B. falsche Torschützen. Da kriegst dann aber Routine, weil du es ja 20 Jahre alle 14 Tage machst. Aber (manchmal) irren, ist menschlich.
Wie sind Sie bei der Austria eingebunden?
Ich habe nur die Funktion des Stadionsprechers bei der Austria. Gleich ab Beginn habe ich beschlossen, dass ich keine Vereinspolitik betreiben möchte. Natürlich betreibe ich gewissermaßen Vereinspolitik, wenn ich nach außen Standpunkte der Austria vertreten muss. Wir sind immer in Verbindung mit Leuten bei der Austria, um Schwerpunkte für das nächste Spiel zu erfahren. Aber mehr ist es nicht und ich möchte es auch nicht.
Bei Auswärtsspielen bin ich aufgrund meines Berufs, der sehr zeitaufwendig ist, kaum dabei. Und meine Familie will auch etwas von mir haben. Auswärts endet meistens in Mattersburg. Ich war zweimal in Salzburg, einmal in Graz, einmal in Klagenfurt aber z.B. noch nie in Ried oder Innsbruck. Das heißt aber nicht, dass es sich nicht einmal ergeben wird. Dafür versuche ich, bei den internationalen Auswärtsspielen dabei zu sein. Bilbao, Bremen, Funchal, Barcelona, St.Petersburg, Madrid – das waren alles sehr schöne Destinationen.
Wohin möchten Sie Ihr „Spiel“ noch bringen, was wären noch Ziele?
Man ist nie am Ziel. Wenn ich 20 Jahre zurückdenke: Da war meine Sprecherkabine mit zwei Personen schon überfüllt.Ein Teil der Tonanlage wurde jedes Mal in die Sprecherkabine hinaufgetragen und angeschlossen. Die Beschallungsanlage im Stadion war auch nicht optimal. Musik kam von der Kassette und kaum von CDs. Zwischenergebnisse der anderen Spiele bekam ich vom Radio-Wien-Reporter, der praktisch neben uns auf einem Heurigenbankl saß.
Heute haben wir eine perfekte Tonanlage mit großem Mischpult, spielen die Musik trotzdem noch gerne von CDs, steigen aber sukzessive auf Computer um. Dann gibt es auch noch zwei riesige Video-Walls. Der Ablaufplan ist, wie schon erwähnt, minutiös geplant. Es hat sich also enorm viel getan. Genauso wird sich auch in den nächsten 20 Jahren vieles verändern. Da ist noch lange nicht der Plafond erreicht.
Harald Heeberger, abseits.at
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